Samstag, 28. Dezember 2019

Für Genossenschaftsmitglieder lohnt ein Blick über den Tellerrand: credit unions in den USA

Ich führe hier 4 Zitate über credit unions aus dem englischen wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/Credit_union auf und zeige, wie man damit genossenschaftliche Prinzipien insbesondere in Wohnungsgenossenschaften klarer herausarbeiten und stärker anwenden kann. Um den Lesefluss nicht zu behindern, füge ich die Übersetzungen der 4 Zitate ganz unten an:

1.

In Deutschland nimmt der GDW https://de.wikipedia.org/wiki/GdW_Bundesverband_deutscher_Wohnungs-_und_Immobilienunternehmen als größter Verband von Wohnungsunternehmen Einfluss auf die Gesetzgebung, auch im Genossenschaftsrecht. Da in ihm sowohl gewinnfokussierte Unternehmen als auch Genossenschaften organisiert sind, besteht das Problem, dass er gegensätzliche Interessen vertreten muss und grundsätzlich nicht die bestmögliche Position vertritt, die im Sinne der Mitglieder von Genossenschaften ist.

Dass diese Gegensätze in der unterschiedlichen Natur der Unternehmensformen liegen also struktureller Art sind und nicht im bösem Willen oder Unvermögen der Führungskräfte des Verbandes liegen, zeigt der Blick auf credit unions:

Tension has always existed between member-owned cooperative credit unions and for-profit banks in the United States. When credit unions were first organizing in the US in the early 20th century, the banking industry was opposed, remaining so ever since. Banks and bank trade associations consistently put anti-credit union legislation at the top of their agendas.[39]
 
D.h. für gewinnmaximierende Unternehmen sind mitgliederfokussierte Unternehmen grundsätzlich eine Bedrohung. Da ist es sicher ein Gewinn, sie innerhalb eines gemeinsamen Verbandes einbinden zu können. Schaut man sich die Mietenpolitik der meisten großen Wohnungsgenossenschaften an, ist dies insoweit gelungen, dass diese meistens Mietsteigerungen lokaler Mietmärkte mitvollziehen und sich vom genossenschaftlichen Prinzip von Nutzungsentgelten auf Selbstkostenbasis seit den 1990er Jahren abgewendet haben. Auch das Bemühen der Vorgabe von Mustersatzungen durch den GDW - siehe http://www.genossenschaft-von-unten.eu/zu-satzungsaenderungen-gdw-2019-05.html - oder der Einsatz einer intransparenten Kampagne anlässlich des Berliner Mietendeckels - siehe https://www.heise.de/tp/features/Immobilienlobby-Mit-Geo-Targeting-gegen-den-Mietendeckel-4557668.html - sind nach meiner Wahrnehmung Belege dafür, dass die Interessen von Mitgliedern von Wohnungsgenossenschaften beim GDW nicht das Gewicht haben, das sie in einem Verband hätten, der allein die Interessen von Wohnungsgenossenschaften und deren Mitglieder vertritt. In einem dritten Fall recherchiere ich noch zur Rolle des GDW: In Deutschland haben wir ein Genossenschaftsrecht, das "bei mitgliederstarken Genossenschaften das Minderheitsrecht praktisch ausschließt "(Zitat Referententwurf der Bundesregierung zur Änderung des Genossenschaftsgesetzes aus 2006, Seite 88  http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/010/1601025.pdf  ) Es geht dabei um die Regel unter welchen Voraussetzungen Mitglieder Tagesordnungspunkte auf Generalversammlungen (alle Mitlieder) oder auf Vertreterversammlungen (Delegiertenversammlungen in Genossenschaften über 1500 Mitgliedern) einbringen können und ob statt 10% 150 Mitglieder ausreichen sollen. Bei einer Genossenschaft mit 10.000 Mitlgiedern wären dass statt 1000 nur 150. Die Option von 150 Mitgliedern aus dem Novellierungsentwurf wurde wieder gestrichen und wurde nicht Gesetz. Ich habe derzeit beim Deutschen Bundestag angefragt, wer alles 2006 als Sachverständige im Rechtsausschuss zu dieser Frage Stellung genommen hat, um hier am Einzelfall beurteilen zu können, ob sich der GDW für die Stärkung der Minderheitsrechte eingesetzt hat.


 2. Due to their status as not-for-profit, member-owned financial institutions with no source of secondary investment capital, credit unions in the US are exempt from federal and state income taxes[40]

Der Ausdruck not-for-profit passt auch für Genossenschaften. Er zeigt, es ist nicht falsch Gewinne zu machen, aber sie sind nicht das, das Genossenschaften primär motivieren sollte. Motivation sollte der Nutzen für die Mitglieder sein. Da es keinen anderen Unternehmenszweck gibt, sollte der bestmöglich erfolgen, also eine Nutzenmaximierung statt eine Gewinnmaximierung stattfinden, allerdings nicht absolut gesetzt, sonderm im Rahmen guter Unternehmensführung (corporate governance) also zugleich Rücksicht auf die anderen vom Unternehmenshandeln Betroffenen genommen werden wie Mitarbeiter, Lieferanten, Kommune,Staat und Umwelt. Nach meiner Wahrnehmung steht es noch aus, ein betriebswirtschaftliches Grundkonzept auf Basis von Nutzenmaximierung an Stelle der gängigen Gewinnmaximierung zu formulieren (siehe zB Wöhe Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 15. Auflage, Kapitel: Die Produktion als betriebliche Hauptfunktion Seite 401). Dieses könnten zum Beispiel Wohnungsgenossenschaften als Leitplanken für unternehmerische Entscheidungen nutzen. 

3. Typically, members' families – such as immediate family or household members – can also join the credit union.[24]

Auch in Wohnungsgenossenschaften macht es Sinn, wenn alle Bewohner Mitglieder werden können.

4. Credit unions generally follow the principle of "once a member, always a member", which allows a member with a current credit union membership to remain a member even if s/he would otherwise no longer qualify to be such, such as leaving the company with whom s/he initially gained membership or moving outside the credit union's defined geographic area. However, many credit unions reserve the right of expulsion against a member who causes a financial loss.[26]

Übertragen auf eine Wohnungsgenossenschaft heist das, dass zum Beispiel eine Privatinsolvenz kein Grund sein sollte, ein Mitglied auszuschließen soweit es weiter das Nutzungsentgelt bezahlt.

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Credit_unions_in_the_United_States

Credit unions in the United States serve 100 million members, comprising 43.7% of the economically active population.[1][2] U.S. credit unions are not-for-profit, cooperative, tax-exempt organizations.[3]

1. "Tension has always existed between member-owned cooperative credit unions and for-profit banks in the United States. When credit unions were first organizing in the US in the early 20th century, the banking industry was opposed, remaining so ever since. Banks and bank trade associations consistently put anti-credit union legislation at the top of their agendas.[39] "

Es gab immer Spannungen zwischen im Eigentum von Mitgliedern befindlichen kooperativen credit unions und auf Gewinn ausgerichteten Banken in den USA. Als die ersten credit unions Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, war die Bankenbranche dagegen, was bis heute so blieb. Banken und Bankenverbände gaben einer gegen credit unions gerichtete Gesetzgebung dauerhaft eine hohe Priorität.

2. "Due to their status as not-for-profit, member-owned financial institutions with no source of secondary investment capital, credit unions in the US are exempt from federal and state income taxes[40]"

Aufgrund ihres Status als nicht auf Gewinn ausgerichtete, im Eigentum von Mitgliedern befindliche Finanzorganisation ohne Zugang zu weitergehendem Investivkapital. sind credit unions in den USA von der Einkommensteuer befreit.

3. Typically, members' families – such as immediate family or household members – can also join the credit union.[24]

Normalerweise können Familienangehörige von Mitgliedern, sowohl wie direkte Angehörige (gemeint sind wohl Kinder und Eltern) als auch im gleichen Haushalt wohnende, auch Mitglieder der credit union werden.

4. Credit unions generally follow the principle of "once a member, always a member", which allows a member with a current credit union membership to remain a member even if s/he would otherwise no longer qualify to be such, ... However, many credit unions reserve the right of expulsion against a member who causes a financial loss.[26]

Credit unions folgen in der Regel dem Prinzip, "einmal Mitglied, immer Mitglied". Das erlaubt einem Mitglied auch dann Mitglied zu bleiben, wenn es die Zulassungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt, ...Viele credit unions behalten sich jedoch das Recht vor, ein Mitglied auszuschließen, wenn durch das Mitglied ein finanzieller Verlust entsteht.

Dienstag, 24. Dezember 2019

genossenschaftliche Praxis auf der Höhe der Zukunft

Vor einigen Monaten hatte ich einen Vortrag des Theologen und Philosophen Jürgen Manemann über den Klimanotstand gehört. https://www.youtube.com/watch?v=jf0Ikh_3jxU&t=882s

Mich frappierte darin eine Zitat von Roger Willemsen. "Aus all den Fakten ist keine Praxis entsprungen, die auf der Höhe der drohenden Zukunft wäre" (11:28). Auch wenn ich selbst am Thema Klimaanotstand sehr interessiert bin, wurde mir klar, dass diese Aussage sich weitgehend auch auf traditionelle Wohnungsgenossenschaften in Deutschland übertragen lässt: aus all ihren Handlungen, ihren Traditionen und ihrem Selbstverständnis ist in der Regel keine Praxis entsprungen, die auf der Höhe dessen ist, was Genossenschaften sein können, was ihrem Potential entspricht. Auch die von Manemann zitierte Einsicht von Hegel passt hier: Bekanntes ist darum, weil es bekannt ist, noch lange nicht erkannt." (10:47). Jürgen Manemann formuliert das so: Das, was das bekannteste ist, ist vielfach das, was wir überhaupt nicht erkannt haben: Mitglieder und Funktionsträger in Genossenschaften sind häufig gängige Geschäftspolitiken und Sichtweisen so sehr gewohnt, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, dass Genossenschaften mehr sein können, als sie es seit Jahren erfahren, dass sie in ihrem konkreten Fall noch gar nicht richtig gebohren sind bzw. noch nicht erwacht oder erwachsen geworden sind.

Was müsste erfüllt sein, um diese höhere Qualität der Genossenschaftsidee zu verwirklichen? Auch dafür liefert der Vortrag von Jürgen Manemann gute Hinweise: Den ersten Punkt, den er macht, ist die Wahrheit zu sagen (ab min 9). Dabei stellt er fest, dass dies zunächst heißt Fakten zu nennen und auf Fakten basierende Informationen zu verbreiten. Im genossenschaftlichen Kontext könnte dies heißen, dass gängige Unternehmenspraktiken untersucht werden, inwieweit sie genossenschaftlichen Prinzipien oder in der Satzung festgelegten Regeln widersprechen und Korrekturen einzufordern bzw selbst Vorschläge zu machen, wie die Praxis besser am Genossenschaftsgedanken ausgerichtet werden kann. Manemann geht allerdings weiter. Er stellt fest, dass für eine gute Praxis Verstand und Herz angeprochen werden müssen: "Die Wahrheit sagen muss also mehr beinhalten als Fakten aufzulisten. Die Wahrheit sagen muß heißen sie so zu sagen, daß wir von der Wahrheit berührt werden, daß uns diese Wahrheit angeht, und zwar in unserem Innersten. Nur dann kann diese Wahrheit Leben, unser Leben verändern. Nur dann stellt diese Wahrheit einen Anspruch an mich. Ein dieser Wahrheit entsprechendes Leben führen heißt wahrhaftig zu leben, Wahrhaftigkeit heißt die Wahrheit tun. Wahrheit sagen muss eine Praxis nach sich ziehen." Weiter weist Manemann auf Michel Foucault hin, dass Wahrheit sagen immer mit Selbstverwandlung zu tun haben muss und dem zahlreiche  Widerstände und Ablehnung entgegenstehen können. Er geht weiter auf die griechische Herkunft des Wortes Wahrheit, aletheia, ein, das wörtlich Unverborgenheit bedeutet. Nach dem Philosophen Vilém Flusser ginge es darum die "Wattedecke der Gewohnheiten wegzuziehen", "die die Wahrheit verbirgt", "die alle Ecken abrundet und alle Störgeräusche dämpft". Deshalb ist es wichtig innerhalb von Genossenschaften auf Augenhöhe miteinander zu kommuzieren und alle Informationen transparent zu machen, d.h. gleichbereichtigt zu teilen aber auch, sich hin zu einer Praxis zu entwickeln, Emotionen miteinander zu teilen. Wissen sollte nie als Herrschaftswissen eingesetzt werden, sondern innerhalb von Genossenschaften so breit wie möglich geteilt werden. Hauptamtlich tätige Vorstände haben immer auch einen Bildungsauftrag gegenüber den Mitgliedern. Unternehmerische Entscheidungen auf Mitgliederversammlungen sollten im Kontext möglicher Alternativen vorgestellt und damit die Rolle der Mitglieder als Mitunternehmer achten. Und vor allem, die Mitglieder sollten diese Rolle, die sie innehaben, selbst achten. Wie §1 des Genossenschaftsgesetzes formuliert, geht es in Gnossenschaften darum, die Wirtschaft der Mitglieder mittels eines gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs zu fördern. Das heißt, auch wenn eine Geschäftsführung die operative Verantwortung hat und die Geschäfte ausführt, sind alle als Mitunternehmer beteiligt und sollten die grundlegenden Aspekte der Unternehmensstrategie mit vollziehen und im Zusammenspiel mit dem Aufsichsrat mit gestalten. Dabei dürfen und sollten alle Beteiligte auch ihre Emotionen benennen. Destruktiv werden Ängste und Sorgen dann, wenn sie nicht ausgeprochen werden, sondern hinter rationalen Argumenten verborgen werden. Hier haben wohl die meisten traditionellen Wohnungsgenossenschaften noch Entwicklungspotential, nicht anders als die meisten Unternehmen anderer Rechtsformen. Weitere Entwicklungspotentiale für Unternehmen in der Entwicklungslinie - streng hierachisch geführt -  über rational geführt - ökologisch ausgerichtet - hin zu wertebasiert und und kollegial geführt - zeigte 2014 Frederic Laloux auf in seinem Buch "Reinventing Organizations." Das Gute an der Praxis ist, dass sie Fehler der Vergangenheit verzeiht, da in jedem Augenblick die Praxis durch adäquates Handeln verbessert werden kann. Jederzeit ist ein Neustart möglich und jeder, der damit anfängt, egal in welcher Position er ist, verändert damit bereits die Gesamtsituation in einem Unternehmen. 

 Auf Augenhöhe kommunizieren heißt in diesem Zusammenhang auch anzuerkennen, dass wir alle als Menschen auf dem Weg sind, uns in einer Entwicklung befinden, egal welche Rolle wir in einer Genossenschaft ausfüllen. Dies erlaubt echte Veränderung, weil Fehler nicht als Bedrohung erlebt werden, sondern als Chance, aus Fehlern zu lernen und Dinge beim nächsten mal besser zu machen und uns gemeinsam als Unternehmen weiterzuentwicklen, innerhalb einer Gesellschaft, die sich ja ebenfalls dringend weiter entwickeln muss, um Herausforderungen wie den drohenden Klimakollaps zu bewältigen. Insofern sind Genossenschaften auch immer Lernräume für einen guten Umgang miteinander und für Mitbestimmung und Demokratie, die in die ganze Gesellschaft ausstrahlen können.

Der zweite Punkt, den Mannemann macht, ist, dass er sagt, dass sich die Praxis nur ändern wird, wenn wir sensibel für diese tiefergehenden Zusammenhänge sind. In der genossenschaftlichen Praxis bedeutet dies, dass allein dadurch, dass einige Menschen beginnen, über diese Dinge zu reden, zu schreiben und sich zu vernetzen, sich etwas verändert, sowohl in einzelnen Genossenschaften als auch gesamtgesellschaftlich. Zeugnisse von Menschen und Gruppen, die in diesem Sinne nach meiner Wahrnehmung aktiv sind gibt es einige, siehe als Beispiel:

anders wohnen in Genossenschaften https://anderswohneningenossenschaften.de/
Genossenschaft-von-unten-Berlin http://www.genossenschaft-von-unten.eu/
Genossenschaft-von utnen Hamburg https://genossenschaft-von-unten-hamburg.de/
Genonachrichten https://www.genonachrichten.de/
eine Initiative von Mitgliedern der Altoba zu datensammelnden Rauchwarnmeldern https://annaelbe.net/rauchmelder/argumente_argumente.php

Ein Beispiel für Wohnungsgenossenschaften,  die hier schon sehr gut unterwegs sind:
Selbstbau eG Berlin link Leitbild und aus der Schweiz die Gesowo aus Winterthur siehe link Leitbild 

Sonntag, 22. Dezember 2019

Praktische Hinweise zum Zusammenhang von Idee, Idealismus und Ideologie an Hand von Genossenschaften

In einer mir bekannten großen Wohnungsgenossenschaft hatte sich vor einiger Zeit eine Gruppe von Mitgliedern organisiert, die sich zum Ziel gesetzt hatten, Einfluss darauf zu nehmen, dass sich die Unternehmenspolitik mehr auf der wirtschaftliche Förderung der Mitglieder ausrichtet. Als die Gruppe im Rahmen des innergenossenschaftlichen Diskurses mehr und mehr zur Kenntnis genommen wurde, wurde seitens der Geschaftsführung geäußert, dass es gefährlich sei, einer Ideologie zu folgen. Wie kann man in einem organisierten Gemeinwesen verhindern, dass aus einem an sich guten Ansatz genau das passiert? Wäre das schlimm und wenn ja, ist es eine reale Möglichkeit und wie sollte man sich als Gruppe, die etwas zum Positiven bewegen will, positionieren, damit diese Gefahr in der Praxis keine Rolle spielt?

Dass die Genossenschaftsidee - sich gemeinschaftlich organisieren, um in einer Satzung festgelegte gesellschaftlich akzeptierte und legale Ziele zu erreichen - grundsätzlich eine sinnvolle und gute Sache ist, dem werden wohl die meisten zustimmen. Wenn eine Gruppe innerhalb einer Genossenschaft den Eindruck hat, dass es in diesem Bereich in ihrer Genossenschaft Verbesserungsbedarf gibt und sich dafür engagiert, gehört dazu eine ganze Menge Idealismus, da der Ausgang ihrer Aktivität unbestimmt ist und sie dafür nicht bezahlt werden. Gerade in großen Genossenschaften bringen sich die meisten Mitglieder in die gemeinschaftliche Organisation des Geschäftsbetriebs gar nicht mehr ein, trauen sich da oft auch nur wenig Mitsprachefähigkeit zu, in der Regel weniger als zum Beispiel in politischen Fragen oder im Fussball.

Ich persönlich rate an dieser Stelle grundsätzlich dazu, sich auf das zu fokussieren, was eine Genossenschaft ausmacht und gemeinsam zu prüfen und sich dafür einzusetzen, dass Grundprinzipien genossenschaftlichen Handelns in der jeweiligen Unternehmenspolitik erfüllt sind, Dies lässt sich relativ leicht prüfen. Die wichtigsten Prinzipien hatte ich vor einigen Monaten in der Hamburger Erklärung formuliert http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2019/03/hamburger-erklarung.html. An Hand dieser Prinzipien kann man in Wohnungsgenossenschaften die eigene Geschäftspolitik weiter entwickeln. Allerdings ist es zumindest theoretisch denkbar, dass Menschen darauf drängen könnten, dass Grundprinzipien erfüllt werden, ohne auf die jeweilige Situation zu achten, was für die Mitglieder der Genossenschaft wirklich sinnvoll ist, kurz-, mittel- und langfristig. Prinzipien sind also kein Selbstzweck. Man muss allerdings gute Argumente haben, wenn man von ihnen abweicht und sind die Prinzipien gut gewählt, wird es in der Praxis nicht nötig sein und auch nicht sinnvoll sein, von ihnen abzuweichen. Als sich selbst organisierende Gruppe innerhalb einer größeren Genossenschaft kann man verhindern genossenschaftliche Ideale quasi als Selbstzweck zu verfolgen, indem klar wird, warum man aktiv ist. Es ist kaum vorstellbar, dass Menschen dies tun aus Prinzipienreiterei, weil sie einfach wollen, dass Regeln eingehalten werden. Sie werden es tun, entweder weil sie merken, dass die genossenschaftliche Wirklichkeit zu wenig mit dem zu tun hat, was Genossenschaft eigentlich bedeutet, oder sie werden es tun, wenn sie eine innere Intuition haben, was für ein Potential in der Genossenschaftsidee steckt und sie dieses konkret in einer bestimmten Genossenschaft zur Entfaltung bringen wollen. Der letzte Punkt erlaubt einen praktischen Hinweis zum Umgang miteinander in Genossenschaften, wenn zum einen gewachsene Unternehmenskulturen kaum noch Mitbestimmung nutzen und sie zu normalen am Markt und am Gewinn orientierten Wirtschaftsunternehmen geworden sind und auf Mitglieder treffen, die ihre Ideale Wirklichkeit werden lassen wollen: Man sollte Managern und anderen Funktionsträgern diesen fehlenden Idealismus nicht zum Vorwurf machen. Große Genossenschaften sind eben auch Wirtschaftsunternehmen, die effizient und erfolgreich organisiert und geführt werden müssen. Wenn Menschen ohne genossenschaftsideele Visionen und Intuitionen in Führungspositionen gekommen sind, dann ist das nicht deren Schuld, sondern einfach das Ergebnis der jeweiligen kollektiven Entscheidungen der Mitglieder der jeweiligen Genossenschaften, die eben über die Jahrzehnte diese Genossenschaftsidee nicht sehr stark gewichtet haben. In Deutschland spielen in großen traditionellen Wohnungsgenossenschaften ideelle Aspekte nach meiner Wahrnehmung eine untergeordnete Rolle, geringer als zum Beispiel bei Schweizer Genossenschaften. Das fängt schon damit an, dass die meisten gemeinsam mit gewinnmaximierenden Wohnungsunternehmen und kommunalen und kirchlichen Wohnungsunternehmen in einem Verband, dem GDW, organisiert sind. Dafür haben viele deutsche Wohnungsgenossenschaften eine deutlich größere Bautätigkeit über Jahrzehnte entfaltet als ihre Schweizer Pendants. Es gibt eine große Bandbreite inwieweit Menschen individuelle Freiheit gegenüber  wirtschaftlichen Vorteilen gewichten. Sowohl Erdogan in der Türkei als auch das Regime der kommunistischen Partei in China erhielten viel Akzeptanz aus der Bevölkerung, weil viele Menschen wirtschaftlich profitierten. Andere Gesellschaften wie die Schweiz und zum Beispiel auch Hongkong haben ein viel stärkeres kollektives Bewusstsein dafür, dass individuelle Freiheit und wirtschaftlicher Erfolg zusammengehören. 

In Bezug auf konkrete genossenschaftliche Wirklichkeiten plädiere ich dafür auf Schuldzuweisungen zu verzichten, die jeweilige aktuelle Unternehmenspraxsis und Unternehmenskultur als Ausgangslage zu akzeptieren und dann gemeinsam zu schauen, was man bestmöglich daraus machen kann.
Für eine Genossenschaft bedeutet das, dass es tatsächlich einen Unterschied macht, wie viele normale Mitglieder sich einbringen mit ihrer Vision, was aus ihrer Genossenschaft werden soll, was sie ihr zutrauen. Genossenschaftliche Prinzipien sind dabei Leitplanken, können aber den Blick für die Wirklichkeit des eigenen Unternehmens und vor allem für die noch nicht ganz entfalteten Teile dieser Wirklichkeit nicht ersetzen und brauchen es auch nicht zu tun. Genossenschaften leben ja gerade von dem lebendigen sich immer wieder Einbringen der Mitglieder, Es ist wie in einer Demokratie, auch die muss immer wieder von der Basis her Interesse und Impulse erhalten, je mehr und um so vielfältiger, umso besser.

Sonntag, 17. November 2019

Es ist an der Zeit für Mitgliederjurys in Genossenschaften, vielleicht auch in anderen Unternehmen

Als jemand, der sich seit Jahren dafür engagiert, das genossenschaftliche Potential von traditionellen Wohnungsgenossenschaften zu wecken, habe ich mich sehr gefreut mitzubekommen, welche guten Erfahrungen sich bei Bürgerinnenversammlungen aktuell zeigen. Ich hatte das Glück, dass ein Bekannter von mir vor einigen Monaten als einer von 160 Bundesbürgern per Losverfahren zur Mitarbeit in einem Bürgerrat von Mehr Demokratie eV ausgewählt wurde und er mir sehr angetan von seinen Erfahrungen erzählte. Es ging um die Frage, ob und wenn ja welche direktdemokratischen Elemente in der Bundespolitik Deutschlands künftig eine stärkere Rolle spielen sollen. Vor kurzem berichtete die Tagesschau: 


Seit dem sind die Ergebnisse und die Beschreibung des Verfahrens veröffentlicht:


Außerdem gibt es von Extinction Rebellion einen ausführlichen Leitfaden, der über viele positive Erfahrungen mit ähnlichen Verfahren in der ganzen Welt berichtet- download im rechten Quadranten https://extinctionrebellion.de/wer-wir-sind/unsere-forderungen/bv/


Der Fachbegriff für diesen Bestandteil der Demokratie ist deliberative Demokratie

Da viele traditionelle Wohnungsgenossenschaften ihr Potential deshalb nicht entfalten, weil die meisten Mitglieder passiv bleiben in ihrer Rolle als Mitunternehmer und Miteigentümer bzw. keine Möglichkeit sehen, wie sie sich gut einbringen können, bin ich mir sicher, dass dieses Instrument auch in Wohnungsgenossenschaften und sogar in der genossenschaftlichen Verbandsarbeit sehr erfolgreich angewendet werden könnte. Viele Wohnungsgenossenschaften orientieren sich stark an Empfehlungen ihres Verbandes, der durch seine Prüfungstätigkeit und durch den Aufbau eines festen Mitarbeiterstamms Eigeninteressen hat, die per se keinen Zusammenhang mit der Genossenschaftsidee haben. Auch wenn dies im Prinzip nicht verwerflich ist, sehe ich derzeit ein sehr deutliches Machtungleichgewicht zulasten der Genossenschaftsmitglieder, was daraus zum Ausdruck kommt, dass sie wirtschaftlich weniger stark gefördert werden als möglich: Insbesondere zeigt sich dies an der Mietenpolitik vieler Genossenschaften, wenn diese sich mehr am Mietenspiegel orientiert, statt an den Selbstkosten, zu denen Wohnungen eigentlich den Mitgliedern überlassen werden könnten wie dies in der Schweiz noch gang und gäbe ist. Dies wird daran deutlich, dass der Schweizer Verband der Wohnungsgenossenschaften zum Prinzip der Kostenmiete noch öffentlich steht

https://www.wbg-schweiz.ch/information/genossenschaftlich_wohnen/was_ist_eine_genossenschaft

Viele große deutsche Wohnungsgenossenschaften zeigen dagegen mehr oder weniger deutlich, dass sie sich am Mietenspiegel orientieren und verlangen bei Neuvermietungen von Wohnungen aus dem Altbestand in der Regel höhere Nutzungsentgelte. Dies führt nicht nur dazu, dass Nutzungsentgelte höher sind als nötig und Mitgliedern mehr Kaufkraft entzogen wird als nötig, sondern auch dazu , dass die genossenschaftliche Gleichbehandlung zu kurz kommt - gleicher Wohnraum zum gleichen Preis - und dazu, dass es für ältere Menschen unattraktiv wird aus größeren Wohnungen in kleinere Wohnungen umzuziehen und Wohnungen frei zu machen, zum Beispiel für Mitglieder mit Kindern. Auch im Hinblick auf den Klimanotstand und den Bedarf, die Emission von CO2 stark zu reduzieren sollte das Potential, Wohnungen auf freiwilliger Basis besser zu nutzen, unbedingt ausgeschöpft werden. Es ist die mit Abstand ressourcenschonendste Möglichkeit, Wohnraum zu schaffen, noch vor einer ökologischen Gebäudeaufstockung in Holzbauweise, vor einer Grundstücksnachverdichtung im Bestand und erst recht vor neuen Wohnquartieren auf der grünen Wiese. Die Mustersatzung für Genossenschaften, wie sie vom Verband GDW vorgegeben wird, enthält gar keine Hinweise mehr auf das Prinzip der Kostenmiete. So entwickeln sich viele Genossenschaften zu gewinnorientierten Wohnungsunternehmen, die nur noch eine genossenschaftliche Fassade habe. Das genossenschaftliche Prinzip der Selbstorganisation spielt oft keine Rolle mehr. Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass in genossenschaftseigenen Mitgliederzeitschriften von Mitgliedern keine Leserbriefe oder Artikel zu finden sind. Die Zeitschriften sind in der Regel ein normales Instrument der Kundenbindung, der Informationsfluss wird zentral gesteuert. Marketing ersetzt selbstorganisierte Beteiligung. Ein anderes Beispiel ist, dass die Hürden als Mitgliedervertreter einen Vorschlag auf einer Jahresversammlung in Form eines Quorums so hoch gesetzt sind, dass mir kein Fall bekannt ist, dass es in größeren Wohnungsgenossenschaften überhaupt dazu gekommen ist, dass ein Vertreter oder ein Mitglied einen inhaltlichen Vorschlag zur Geschäftspolitik machen konnte, der von der Vertreterversammlung beraten wurde, zu dem ein Meinungsbild erhoben wurde  oder der entschieden wurde.

Dem allen steht das Instrument eines Mitgliederrates oder einer Mitgliederjury entgegen. Es eröffnet neue Chance der Beteiligung. Die meisten Mitglieder und Mitgliedervertreter haben wenig Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, wichtige unternehmerische Fragen mitzuentscheiden. Es fehlt oft an Zeit aber auch an Vertrauen. Gerade hier wurde bei dem Bürgerrat von mehr Demokratie eV deutlich, dass die Teilnehmenden erheblich an Selbstvertrauen in sich und ihre Partizipanden gewonnen haben. Da es eine Aufwandsentschädigung für die Teilnehmenden gibt, lohnt es sich auch für sie ausreichend Zeit zur Verfügung zu stellen. So können sie gemeinsam zu Ergebnissen kommen, die wirklich fundiert sind, statt nur die Lösung einer Führungskraft anzuhören und vor die Entscheidung gestellt zu sein dieser zuzustimmen oder sie abzulehnen und damit den üblichen Prozess zu stören.

Wie schon auf Seite 5 des Ergebnispapiers vom Bürgerrat deutlich wird, geht es nicht darum die Expertise von Experten oder Verbänden per se zu missachten, aber sie werden nur gehört und nicht exklusiv sondern neben anderen, dort zum Beispiel der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft. In Wohnungsgenossenschaften wird bei Klärung von Fragen oft nur der eigene Verband, der GDW bzw. seine Unterverbände angefragt. Dies ist nicht zuletzt deshalb problematisch, da im GDW auch sehr große private gewinnorientierte Wohnungsunternehmen wie die im Aktienindex DAX vertretene Vonovia SE Mitglied sind und zudem kirchliche und kommunale Wohnungsunternehmen. Der Zweck von Genossenschaften, die Wirtschaft der Mitglieder zu fördern, kann damit schon grundsätzlich in diesem Verband keine oberste Priorität haben. Dies wird auch deutlich bei seiner letzten Kampagne im Rahmen des Berliner Mietendeckels, bei denen Mitglieder über eine Facebook Kampagne angesprochen werden soll, die ich für manipulativ halte, statt zum Beispiel ein Panel zu diesem Thema mit Mitgliedern von Berliner Wohnungsgenossenschaften mit zu organisieren, siehe https://www.heise.de/tp/features/Immobilienlobby-Mit-Geo-Targeting-gegen-den-Mietendeckel-4557668.html

Zwei Wortmeldungen von Teilnehmern eines Bürgerpanels in Belgien (XR Leitfaden Seite 25) sind aufschlussreich:

"Wenn wir der Logik von Big Brother (gemeint ist wohl die Idee alles zentral steuern zu können und zu sollen) folgen würden, würden wir allmählich die Leute eliminieren, die uns auf die Nerven gingen. Aber hier tun wir es nicht. Wir müssen zusammenhalten und zeigen, dass man Dinge erreichen kann, wenn man zusammenarbeitet." Pierre, Mitglied des Bürgerpanels Belgien

In meiner Genossenschaft habe ich vor zweieinhalb Jahren mit anderen eine Basisgruppe Genossenschaftsidee gegründet, in der wir uns basisdemokratisch, selbstorganisiert und konstruktiv in die innergenossenchaftlichen Prozesse einschalten und versuchen mittels Kooperation mit den bestehenden Organen, wie Vertreterversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand die Unternehmenspolitik stärker am Genossenschaftsgedanken auszurichten. Auch wir haben immer wieder Situationen, wo es uns schwer fällt niemand auszugrenzen. Dennoch gelingt uns immer wieder die Gratwanderung , jedenfalls bisher, dass die Gruppe weder zu einer verschworenen Gemeinschaft wird, die andere als aussenstehend betrachtet, noch zu einem losen Haufen, der sich mehr untereinander streitet als etwas zu bewirken, sondern erfüllen immer wieder den Anpruch einen Konsens zu erzielen und als Team in der größeren genossenschaftlichen Gemeinschaft zu wirken.

"Ich war in der nacht im Parlament, als Abgeordnete aller sechs Parteien sich über ideologische Differenzen hinweg setzten, um dem Gesetz zuzustimmen. Es war ein mutiger Schritt, ein Zeichen für andere Politiker*innen- die ihre Wähler*innen eher als Bedohung denn als Resource betrachten- dass man den Bürger*innen vertrauen sollte, anstatt sie zu fürchten oder zu manipulieren." David Van Reybrouck, Mitorganisator des belgischen Bürgerpanels

Auch ich habe wahrgenommen, dass viele Führungskräfte in Genossenschaften, vom Verband ganz abgesehen, wenig bis gar kein Vertrauen in die unternehmerischen Fähigkeiten normaler Mitglieder von Genossenschaften haben. Bei wichtigen unternehmerischen Fragen werden nicht mehrere Optionen jeweils mit für und wieder dargestellt, sondern fertige Lösungen präsentiert. Als ich einmal in der Fortbildung bei einem Unterverband des GDW-Verbandes den Ausbilder fragte, ob denn aus seiner Sicht etwas dagegen sprechen würde, wenn ein Vorstand auf einer Jahresversammlung die erheblichen stillen Reserven, die nicht bilanziert sind, beziffert, bekam ich zur Antwort, das könnte Begehrlichkeiten wecken. Wie sollen solche Vertreter unternehmerisch gut entscheiden können, wenn ihnen wichtige Information vorenthalten werden, aus Angst sie könnten  falsch entscheiden?  Normale Mitglieder, die sich überdurchschnitllich stark in Genossenschaften engagieren, werden oft als störend empfunden. Mitunter wird beklagt, dass sie nicht mehr Vertrauen in die Leitungskräfte hätten. Hier zeigt sich ein Wunsch nach Harmonie und Ordnung, der zwar verständlich ist, aber nach meiner Vermutung in die falsche Richtung geht. In einer Genossenschaft sollte man zunächst einmal Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit der Mitgliederbasis richten. Traditionelle Wohnungsgenossenschaften entstanden oft zu Zeiten, als eine autoritäre Führungskultur gang und gäbe war. Selbst der Vorläufer der SPD, die sich oft und gut um die Demokratie in der Bundesrepublik verdient gemacht hat und noch am ehesten versuchte, sich der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz zu widersetzen, wurde in ihren Anfängen als deutscher Arbeiterverein von dessem Vorsitzenden geprägt, Ferdinand Lassalle, der einen sehr autöritären Führungsstill und teilweise eine menschenverachtende Ausdrucksweise an den Tag legte. Dies wird deutlich an seiner Auseinandersetzung mit Hermann Schulze-Delitsch, einem der Gründerväter der Genossenschaftsbewegung in Deutschland, der gegen Lassalle und Bismarck(!) durchsetzte, dass Genossenschaften ihre Unternehmenspolitik selbständig gestalten können (Gewerbefreiheit) siehe

Die SPD beginnt erst seit wenigen Jahren parteiintern mehr partizipatorische Methoden der Entscheidungsfindung einzusetzen, im Gegensatz zu den Grünen, die das schon viel länger praktizieren. Da viele Wohnungsgenossenschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von und für Menschen mit geringerem Einkommen gegründet wurden, sind viele Mitglieder und Vertreter SPD-nah und noch einen autoritären Führungstil gewohnt, der die eigene Rolle darauf beschränkt, zu entscheiden, ob man eine Person x als Führungsperson für vertrauenswürdig hält oder nicht. Es ist kein Zufall, dass in der Schweiz Wohnungsgenossenschaften in ihrer Praxis noch im Durchschnitt deutlich näher an der Genossenschaftsidee handeln, da zum einen basisdemokratische Elemente wie Volksentscheide selbstverständlicher Teil der politischen Kultur sind aber auch liberale Politik, verstanden als die Idee dass die Leute selbst in der Lage sind sich zu organisieren und etwas zu bewegen, in der Politik einen größeren Stellenwert hat als in Deutschland: Die FDP gilt in der Schweiz als die staatstragende Partei, sie stellte mit Abstand die meisten Bundesräte, also die Mitglieder des oberstes Schweizer Regierungsorgans, eine Art kollegiale Kanzlerschaft:


Auch dass die Schweiz im Namen als Eidgenossenscahft die Idee der Genossenschaft trägt ist kein Zufall. Frühe Genossenschaften gab es dort bereits zwischen dem 5. und 7. Jahrhundert um die Bewirtschaftung von Almen zu ermöglichen http://www.korporation-kerns.ch/de/alpgenossenschaft/geschichteag/

Der Weg muss also dahin gehen, Vertrauen in die eigenen Kräfte als Unternehmergemeinschaft und Eigentümergemeinschaft zu entdecken und zu entfalten. Dafür wäre ein Mitgliederrat eine ideale Möglichkeit, unter Beachtung wichtiger Strukturelemente wie 
- einer Zusammensetzung die tatsächlich alle Altersgruppen und Bildungstände der Mitglieder beinhalten würde und auch 
- einer neutralen Moderation und Protokollierung, 
- der Anhörung von unterschiedlichen Experten, 
- einer Ergebnissoffenheit,
- einem Willen zur Konsensfindung und 
- einem verpflichtenden Charakter, dass die Ergebnisse von den Leitungsgremien der jeweiligen Organisation nach bestem Wissen und Gewissen umgesetzt werden.
- einer Aufwandsentschädigung, die auch die Wertschätzung gegenüber der übernommen Aufgabe ausdrückt

Samstag, 19. Oktober 2019

Tagung zum Genossenschaftsgedanken zeigt große Chancen durch Weiterbildung auf

Gestern fand eine sehr interessante Veranstaltung des Bundesvereins zur Förderung des Genossenschaftsgedankens in Berlin statt. Thema war die Mitgliederförderung in der genossenschaftlichen Praxis, wobei für mich auch die Hinweise interessant waren, die aufzeigten, welche Konzepte von seiten der Wissenschaft über viele Jahre erarbeitet wurden und als Leitlinie dienen können, um das Potential von Genossenschaften voll zu entfalten.

Es gab mehrere Vorstände aus Genossenschaften unterschiedlicher Branchen, die berichteten, wie sie in der Praxis Mitgliederförderung betreiben. Für mich wurde deutlich, dass Vorstände in einem Spannungsverhältnis stehen, da sie zum einen wirtschaftlich erfolgreich sein wollen und müssen und in der Regel auf Märkten mit Unternehmen konkurrieren, die keine Genossenschaften sind und dass sie zum anderen als Leiter/innen von Genossenschaften zusätzlich einen Förderauftrag haben, der eine andere Sichtweise und andere Zielsetzungen nahelegt, als dies in ihrer jeweiligen Branche üblich ist. Über die Jahrzehnte hat sich nach meiner Wahrnehmung in Deutschland im Gegensatz zur Schweiz und möglicherweise auch in Wien kein starkes genossenschaftliches Verständis der Mitgliederförderung herausgebildet bzw. ist die konsequente Mitgliederförderung immer auch in der Praxis der Möglichkeit ausgesetzt, dass der wirtschaftliche Erfolg zur allein prägenden Handlungsleitlinie wird, nicht zuletzt deshalb, da dieser ja nicht selbstverständlich ist.  Ist dieses Förderverständnis wenig verbreitet, führt dies dazu, dass wenig Führungskräfte damit in ihrer beruflichen Praxis in Kontakt gekommen sind. In der Regel haben sie, wie auch andere Mitarbeiter/innen in Genossenschaften, kein spezifisches Studium oder eine Ausbildung mit genossenschaftlichem Bezug absolviert, da dafür die Verbreitung von Genossenschaften noch zu gering war. Soweit ich weiss gibt es zum Beispiel im Ausbildungsbereich für Immobilienkaufleute keinen Bezug zu Genossenschaften. Dies müsste insofern von Genossenschaftsseite als Zusatzmodul selbst zur Verfügung gestellt werden. Ich habe Interesse in diesem Bereich aktiv zu werden und mein Know How einzubringen. Wer Interesse hat, daran mitzuarbeiten oder Bedarf in diesem Bereich hat, kann sich gerne bei mir melden.


Insgesamt ist nach meiner Wahrnehmung der Trend zu mehr Kooperation statt Kompetition, zur ganzheitlichen Wertschöpfung statt Gewinnmaximierung in der Wirtschaft wie in der Gesellschaft schon voll im Gang, da nicht zuletzt angesichts der Klimakrise der Mehrheit der Menschen klar ist, dass wir unsere Art zu wirtschaften umstellen müssen. Nach meiner Wahrnehmung will die junge Generation gut ausgebildeter Hochschulabsolventen nicht nur lieber in Unternehmen arbeiten, die glaubwürdig wertorientiert agieren, sondern ist auch bereit, ihre Karriereentscheidung danach auszurichten.  Sehr deutlich wurde das für mich auf der weciety Konferenz im openmindspace in Hamburg Ende September, siehe  https://www.klimawoche.de/veranstaltungen/weciety-world/ Die Gesellschaft hat Bedarf an dem, was Genossenschaften zu leisten imstande sind, und unabhängig, wie weit der Genossenschaftsgedanke in einer Genossenschaft bereits gelebte Praxis ist, wird es in Zukunft potentiell leichter werden, ihn mit Leben zu füllen und Mitstreiter dafür zu finden.


Tagungsprogramm:

https://genossenschaftsgedanke.de/wp-content/uploads/2019/10/Programm-Forum-F%C3%B6rderzweck-18-10-2019.pdf

Freitag, 27. September 2019

Mankinds fear of death and our chance to mature and grow up


Being a climate activist and trying to bring to life the full potential of cooperative enterprices for housing, I realized, it is still a wide held view that growing metropoles and expanding large housing cooperatives are something attractive.

Deciding to offer less new flats and restricting urban growth feels for many like standing still and curbing potential for growth and may be even happiness. The climate situation however shows, that unlimited growth does not work and treathens us all.

I started to compare the situation with an individual life, where childhood and youth also means growth, but becoming an adult we, like most animals, stop growing and stand still in this respect. I wondered could there be an connection that as collective mankind we subtly know that, if we stop to grow, we have to leave behind the phase of youth and are thus one phase closer to our collective death, extinction?

Otto Schamer writes in "The Essentials of Theory U on page 28,29 regarding 3 obstacles to inner knowing:"The third enemy blocks the gate to open will. This is the voice of fear (VoF). It seeks to prevent us from letting go of what we have and who we are. It can show up as a fear of losing things.....Or a fear of death".

I realized, that is actually the case, that we fear death within our collective awareness and thus hesitate to grow up as mankind, to make this step from youth to adult.

Being an adult would mean taking full responsibilty for ones action. Obviously we struggle very hefty to manage this in respect of a a good relationship with our planet earth. Therefore it is up to us, to mankind, now to see this fear and to put it aside, so we can take this step. Otherwise we will call to us the death which we fear. If we know this fear, we know, it is only a fear and not reality. Then the seeing and knowing can come, that a really attractive land lies before us, that we can walk in there together, explore it and cultivate it and thus come in our full life and power as mankind.

Loslassen des Wachstumsdenkens bei Metropolen und Wohnungsgenossenschaften

Die gestrige sehr spannende Diskussionsrunde von Genossenschaft-von-unten Hamburg https://genossenschaft-von-unten-hamburg.de/ hat bei mir weitergehende Überlegungen angeregt, die ich hier teilen will:

Ole von Beust hatte als Bürgermeister von Hamburg in den 2000er Jahren die Parole der wachsenden Stadt ausgegeben und dabei viel Zuspruch der Hamburger erfahren. Seitdem wächst Hamburgs Bevölkerung. Durch Migration hat sich dieser Trend verstärkt und Hamburg hat sich unter Olaf Scholz höhere Ziele beim Wohnungsneubau gesetzt. Die meisten Wohnungsgenossenschaften Hamburgs versuchen dazu ihren Beitrag zu leisten und haben sich dazu im Hamburger Bündnis für Wohnen verpflichtet https://www.hamburg.de/bsw/buendnis-fuer-das-wohnen/ . Da viele Wohnungsgenossenschaften durch ihre Satzung als Baugenossenschaften aufgestellt sind, sind sie darauf ausgerichtet, neu zu bauen und zu expandieren. Dies führt in der Praxis in der Regel dazu, dass sie jedes Jahr Umsatz- und Gewinnsteigerungen planen und mit stetigen Erhöhungen ihrer Nutzungsentgelte planen.

Meine These an dieser Stelle ist, dass wir gerade an einem Punkt ankommen, bei dem wir merken, dass diese gut gemeinte positive Einstellung zum Wachstum auf Dauer nicht sinnvoll ist und wir eine neue Perspektive benötigen: Ich sehe die Notwendigkeit, dass wir sowohl als Metropolen davon wegkommen, expandieren zu wollen wie auch als Baugenossenschaften eine Änderung von immer weiter bauen hin zu einem Bestandshalter vollziehen sollten. Wann und in welcher Geschwindigkeit hier ein Umsteuern erforderlich ist, ist sicher im Einzelfall zu klären, aber dass dies erfolgen muss, wird unvermeidbar sein. Nach meinem Gefühl löst das Widerstände hervor, da Stillstand sich negativ anfühlt. Vielleicht kann man sogar sagen, dass der dem Kapitalismus innewohnende Wachstumsgedanke deshalb so schwer aufgegeben wird, weil wir dann das Gefühl haben, dem Tod näher zu sein. Kein Wachstum heist in gewisser Weise Stagnation und das fühlt sich an, als sei man näher beim Tod. Bezogen auf ein Lebenswesen ist es ja auch so: Menschen, wie auch alle Wirbeltiere, wachsen bis sie erwachsen sind und bleiben dann weitgehend gleich groß. Damit ist  diese Lebensphase der Reife näher am Tod als die Wachstumsphase als Kinder und Jugendliche. Kommen wir als Menschheit auf diesem Planeten Erde gerade an den Punkt, wo wir langsam erwachsen werden und entdecken, dass wir nicht weiter wachsen müssen und dennoch ein gutes Leben führen können? Ist es sogar so, dass wir dazu auch als Kollektiv "mental" erwachsen werden müssen, sprich die Verantwortung für unser Handeln voll übernehmen? Und ist es nicht so,  dass gerade darin die Chance besteht eine hohe ganzheitliche Lebensqualität leben zu können, die an dieser Stelle gut und richtig ist?

In Bezug auf Wohnungsgenossenschaften wäre wohl die richtige Antwort, bei der wirtschaftlichen Planung und der Mietenpolitik sich von stetiger Expansion als Grundsatz zu verabschieden und sich frei zu machen, die aktuelle Situation frisch zu betrachten und mit mehr Freiheit sie so zu gestalten, wie sie für die Mitglieder passend ist, eingebettet in das Ziel, ein konstruktiver Akteur für das lokale und globale Umfeld zu sein.

In Bezug auf die Wohnungspolitik in Metropolen wäre die Antwort wohl, sich von der Vision wachsender Metropolen zu verabschieben und die jeweilige Situation ebenfalls ganz neu zu betrachten und zu schauen was die Bedürfnisse der Bewohner sind, gemeinsam mit den Bürgern Antworten zu formulieren und zu schauen welche Beiträge geleistet werden müssen, um mit unserem Planeten Erde insgesamt gut umzugehen und eine Klimakatastrophe durch zu hohe CO2 Emssionen zu verhindern.


Samstag, 31. August 2019

Was passiert, wenn Genossenschaften sich wie Stiftungen verhalten?

Dass es in der Praxis dazu kommen kann, dass Genossenschaften sich wie Stiftungen verhalten, ist nicht weiter verwunderlich. Nehmen wir mal an, es gäbe eine Stiftung, die ein großes Portofolio von Wohnungen verwaltet, dass sie allen denjenigen zugute kommen lässt, die dem Förderziel der Stiftung entsprechen. Ist man vom Ziel der eigenen Stiftung fest überzeugt und will man sie in ihrem Wirken langfristig erhalten, ist es wichtig und richtig, darauf zu achten, dass der Wohnungsbestand in einem guten bis sehr guten Zustand erhalten wird und dass genügend Mieteinnahmen erzielt werden, um alle Kosten der Wohnungensinstandhaltung und der Verwaltung zu decken und in der Lage zu sein, in die Jahre gekommene Wohnhäuser falls notwendig durch neue zu ersetzen, sowie auch zusätzliche Häuser zu bauen, sollte das Teil des Stiftungsziels sein. Es ist dann verantwortlich absolut sicher zu gehen, dass keine Wohnungen zu günstig vermietet werden, um die Substanz der Stiftung nicht zu schmälern. Umso mehr Substanz aufgebaut wird, umso besser ist dies für die zukünftigen Möglichkeiten der Stiftung, wohltätig zu wirken. Solange die Mieten für die Mieter gut finanzierbar sind und die Wohnungen in einem guten Zustand sind, sind die Mieter zufrieden und freuen sich Begünstigte der Stiftung zu sein. Sie sind der Stiftung und ihren Repräsentanten wohl gesonnen. Sie vertrauen der Geschäftsführung und wünschen sich die Fortsetzung dieser Entwicklung für die kommenden Jahre.

In einer Genossenschaft ist die Situation etwas anders gelagert. Ziel einer Genossenschaft im Bereich Wohnen ist die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder durch die Bereitstellung von Wohnungen in guter Qualität zu Nutzungsentgelten so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig. Da die Mitglieder gemeinsam Eigentümer des Unternehmens sind, sind sie zugleich Mitunternehmer und eine Wohneigentümergemeinschaft. Sie zahlen keine Miete sondern Nutzungsentgelte, die sich danach richten wie hoch die Kosten der Bewirtschaftung für Bau, Erhalt und Bewirtschaftung der jeweiligen Wohnanlage sind. Gerade in Wohnungen, die schon lange genutzt werden und deren Herstellkosten abgeschrieben sind oder bei einem Bruchteil dessen lagen, zu dem heute gebaut werden kann,  kann dies bedeuten, dass die "Kostenmiete" deutlich unter dem liegt, was Mietern am freien Wohnungsmarkt für solche Wohnungen abverlangt wird, die nicht zugleich Eigentümer innerhalb einer Genossenschaft sind. Da im Gegensatz zu einer Stiftung es in einer Genossenschaft darum geht, die Mitglieder wirtschaftlich zu fördern und es kein weiteres rang-gleiches Ziel gibt, gilt der Grundsatz, dass dieses Ziel bestmöglich zu erfüllen ist, im Rahmen der allgemein anerkannten Prinzipien guter Unternehmensführung, nach der ein Unternehmen sich immer auch als guter Arbeitgeber und verantwortlich handelnder Akteur im öffentlichen Gemeinwesen und gegenüber der Umwelt verstehen sollte. In der Praxis kann dies bedeuten, dass Wohnungsgenossenschaften ältere Wohnungen oft zu Nutzungsentgelten anbieten, die weit unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Diese Genossenschaften sind dann gewinnorientiert mit dem Fokus auf eine Nutzenmaximieung für ihre Mitglieder statt im Sinne der Substanzmaximierung einer Stiftung.

Beide Unternehmensformen können verantwortliches wirtschaftlichen Handeln bedeuten, sind aber in ihren Auswirkungen deutlich unterscheidbar.

Falls Genossenschaften aufgrund von Dyamiken lebendiger Organisationen sich über lange Zeit hin zu Unternehmen mit Stiftungscharakter entwickelt haben oder weiter entwickeln, ist dies empirisch eine Entwicklung, die in den Wirtschaftswissenschaften im Feld der neuen Institutionenökonomik seit Jahrzehnten bekannt ist und erforscht wird (siehe zum Beispiel das  Prinzipal-Agenten-Dilemma, siehe  https://de.wikipedia.org/wiki/Prinzipal-Agent-Theorie  ). Fällt so eine Entwicklung auf, ist dies immer eine Einladung, sich darauf zu besinnen, welches Potential in der einmal gewählten Unternehmensform steckt und sich daran zu machen, dieses zu heben.

Donnerstag, 29. August 2019

Genossenschaftliches Miteinander

Wenn Sie diese 15 Grundsätze beherzigen, zünden Sie die nächste Stufe in der Entwicklung Ihrer Wohnungsgenossenschaft


15 Grundsätze für das Genossenschaftliche Miteinander in Wohnungsgenossenschafen

1. Wir reden lieber miteinander statt übereinander.

2. Wir sprechen alle wichtigen Aspekte bei anstehenden Entscheidungen an und ermöglichen so jedem Mitglied, sich ein gründliches Bild der Gesamtlage und von Einzelprojekten zu machen und so seine Rolle und Funktion als Mitunternehmer im Rahmen seiner/ihrer Möglichkeiten ausfüllen zu können.

3. Wir haben grundsätzlich Vertrauen in den guten Willen unserer Mitglieder, unsere Genossenschaft auch in Zukunft weiter erfolgreich zu betreiben und dabei nicht nur die eigenen Interessen zu sehen, sondern die gemeinsamen Interessen wahrzunehmen und unser gemeinsames Handeln daran auszurichten.

4. Wir bemühen uns, Sachzusammenhänge kurz und prägnant zu beschreiben und möglichst lösungsorientiert zu denken und zu arbeiten, um die verfügbare Zeit effizient zu nutzen.

5. Die Vertretung unserer Genossenschaft nach außen überlassen wird dem Vorstand und diskutieren Änderungesvorschläge nur intern miteinander. Andere Meinungen sehen wir als Bereichung und gehen aktiv aufeinander zu, um mehr über die Meinung des/der anderen zu erfahren.

6. Wenn uns etwas stört, werten wir einander nicht als Person ab, sondern erklären, was uns an einem bestimmten Verhalten belastet und formulieren Änderungsvorschläge.

7. Bei unterschiedlichen Auffassungen, insbesondere zu wichtigen Grundfragen der Unternehmenspolitik und zu wichtigen Projekten, versuchen wir gemeinsam zu Lösungen zu kommen, die die Interessen aller berücksichtigen, die von den Entscheidungen betroffen sind.

8. Bei Meinungsunterschieden greifen wir auf das Bewusstsein zurück, was unser gemeinsamens Ziel ist, die wirtschaftliche Förderung unserer Mitglieder durch die Versorgung mit Wohnungen in guter Qualität in der Metropolregion Hamburg zu Nutzungsgebühren so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig.

9. Jeder ist bei uns grundsätzlich eingeladen, sich nach seinen/ihren Möglichkeiten einzubringen. Es gibt dabei Unterschiede und Grenzen zwischen Aufbauorganisation (Mitarbeitern) und Ehrenamt.

10. Ehrenamtlich Engagierte haben unterschiedlich viel Zeit zur Verfügung. Jeder bringt sich soweit ein, wie es ihm seine Zeit erlaubt. Wir versuchen dabei, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Insoweit sind zum Beispiel schriftliche Kommunikation untereinander per email in der Regel Angebote, Dinge zur Kenntnis zu nehmen, beinhalten aber keine Verpflichtung dies zu tun.

11. Da Kommunikationsvorlieben und Kommunikationsfähigkeiten unterschiedlich sind (zum Beispiel mündlich oder schriftlich), befürworten wir grundsätzlich die Nutzung mehrerer alternativer Kommunikationswege, deren Nutzung die Mitglieder und Organe nach eigenem Gutdünken und in Absprache miteinander gestalten. Als Organisation versuchen wir durch einen geeigneten Rahmen hier viel selbstorganisierte Vernetzung grundsätzlich zu ermöglichen (Vertreterliste, Onlineforum, Leserbriefe, Artikel in "bei uns", frei Nutzung der Nachbarschaftstreffes, Ermöglichung von Aushängen in Häusern, eigene im Geschäftsbericht veröffentliche Genossenschafts-E-mail für Aufsichtsräte ermöglichen), neben den Angeboten, gemeinsam und unter der Schirmherrschaft von Vorstand und Aufsichstrat ins Gespräch zu kommen.

12. Als Wirtschaftsunternehmen gibt es bei allen gewollten Beteiligungsmöglichkeiten als Mitglied, Vertreter/in, Aufsichsrat eine unverzichtbare, vom Vorstand geführte Aufbauorganisation mit festen Mitarbeitern, die die Geschäfte geordnet plant und ausführt und zusammen mit dem Aufsichtsrat auf Basis der Satzung verantwortet. Über Grundsatzfragen entscheidet dabei bei Bedarf auch über Satzungsänderungen die Vertreterversammlung. Sie ist das wichtigste Organ unserer Genossenschaft.

13. Als lebendiges Unternehmen interessieren wir uns dafür, wo wir herkommen und achten und respektieren unsere Ursprünge und entwickeln unser Unternehmen sorgsam und fürsorglich gemeinschaftlich und kooperativ weiter. Wir verweigern uns Veränderungen nicht grundsätzlich, sondern prüfen Änderungsimpulse sorgfältig und fassen sie als konstruktive Beiträge auf und integrieren sie in gemeinschaftlich getragene Veränderungen im Sinne unserer Ziele.

14. Dem Aufsichstrat kommt hierbei als Interessenvertretung der Mitglieder gegenüber dem Vorstand eine besondere Verantwortung zu. Neben der Begleitung des operativen Geschäfts durch Kontrolle und Beratung des Vorstandes legt der Aufsichtsrat deshalb sein besonderes Augenmerk auf die Formulierung der Grundaspekte der Unternehmensstrategie bzw. der Unternehmenspolitik zum Beispiel mit Hilfe von Leitsätzen für die Bereiche Bauen, Wohnen und gegebenenfalls Sparen. Er ist gemeinsam mit dem Vorstand aktiv beteiligt an der Formulierung und Fortschreibung der Unternehmensstrategie und sucht dazu auch das Gespräch mit interessierten Mitgliedern und Vertretern/innen.

15. Soweit in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden, sehen wir sie als die damals im besten Wissen und Gewissen von unserer Organisation getroffenen Entscheidungen an und als sinnvolle Schritte des Lernens. Wir Mitglieder streben gemeinsam zu besseren Lösungen und gestalten gemeinsam die Gegenwart und die Zukunft unserer Baugenossenschaft.

Autor: Frank Giebel, Stand 29.08.2019; kann unter Quellenangabe frankgiebel(at)web.de weiter verbreitet werden

Montag, 29. April 2019

Wohnungsgenossenschaften entfalten ihr Potential über Kulturwechsel

In Deutschland existieren mehr als 2.000 Wohnungsgenossenschaften, von denen viele über 1.000 Wohnungen, manche sogar über 10.000 Wohnungen für ihre Mitglieder gebaut haben und in Schuß halten. Während viele kleine Genossenschaften und Baugemeinschaften ganz natürlich am Nutzen ihrer Mitglieder ausgerichtet sind, hat in großen Genossenschaften über die Jahrzehnte ein hauptberufliches Management immer mehr an Bedeutung gewonnen. Das führte oft dazu, dass die Beteiligung der Mitglieder weniger gelebt wurde und mehr mit Blick auf Rendite gewirtschaftet wurde. Die konsequente wirtschaftliche Förderung der Mitglieder, wie es der eigentliche Zweck von Genossenschaften ist, verlor an Bedeutung. Wenn nun seit einigen Jahren Basisgruppen entstehen, die wieder mehr Mitbeteiligung und Mitglierderförderung einfordern, stoßen sie je nach Unternehmenskultur nicht nur bei manchen Organmitgliedern wie Aufsichtsräten oder Vorständen auf Abwehr, sondern auch bei einfachen Mitgliedern oder deren Vertretern. Einigen machen solche Impulse Angst, weil die Kultur ihrer Genossenschaft plötzlich hörbar hinterfragt wird und ungewiß ist, wohin das führt. Hier hilft es zu klären, ob es etwas gibt, was die eigene Genossenschaft zusammenhalten kann, wenn man die Sicherheit nicht wie vielleicht gewohnt an Personen festmacht, die viele Jahre verantwortlich für die Genossenschaft tätig waren und die Grundlagen der Unternehmenspolitik inhaltlich identisch jedes Jahr gleich kommunizierten. Wenn durch neue Impulse klar wird, dass es weitere Handlungsoptionen gibt und die Mitglieder letztlich eine größere Auswahlmöglichkeit haben, in welche Richtung die Genossenschaft sich weiterentwickeln soll, hilft es, Dinge klar zu benennen, die weiter Sicherheit vermitteln und Orientierung geben können, an Hand welcher Kriterien bei Fragen der Unternehmenspolitik entschieden werden soll, wenn diese Aufgabe nicht einfach dem Vorstand überlassen wird.

Dafür helfen Grundregeln wie ich sie in der Hamburger Erklärung http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2019/03/hamburger-erklarung.html formuliert habe und wie sie sich aus der Genossenschaftsidee ableiten lassen. Diese ideele Verankerung kann helfen, die gefühlte Abhängigkeit von einzelnen Personen zu senken. Außerdem ist es wichtig, dass Mitglieder positive Erfahrungen mit der Beteiligung an Entscheidungen in Gruppen machen, auch und gerade die, die in ihrem Leben bisher wenig positive Erfahrungen damit gemacht haben.

Solange diese Impulse von der Geschäftsführung nicht aufgegriffen werden, kommt hier sich selbst organisierten Basisgruppen eine besondere Bedeutung zu, diese Erfahrungen vorzuleben und für alle Mitglieder über eine Beteiligung zu ermöglichen. Viele Menschen haben Erfahrungen mit Gruppenprozessen in Vereinen, die sie hier einbringen können. Die Möglichkeit für Erfahrungsaustausch bei der Bildung solcher Gruppen geben zum Beispiel die Vernetzungsinitiativen Genossenschaft-von-unten Hamburg https://genossenschaft-von-unten-hamburg.de/ und Berlin http://www.genossenschaft-von-unten.eu/

Erkennt die Geschäftsführung, dass dieser Prozess positiv ist, kann sie ihn mitgestalten, indem sie zum Beispiel Personen, die glaubwürdig für diese neuen Impulse stehen, in das operative Management einbezieht. Sie kann Schulungen für Interessierte einkaufen zu Themen wie kollegialer Führung, wie sie zum Beispiel Bernd Oestereich mit seiner Werkstatt für kollegiale Führung https://kollegiale-fuehrung.de/portfolio-item/kollegen/ anbietet, und sie kann die Funktion eines Beteiligungsmanagers einrichten, wie es zum Beispiel die Wohnungsgenossenschaft Freie Scholle eG in Bielefeld gemacht hat https://www.freie-scholle.de/wohnen/genossenschaft/beteiligung.html

In der Praxis wird es dabei auch zu Fehlern, Konflikten und Frustrationen kommen. Wenn es jedoch gelingt, das gemeinsame Ziel als Genossenschaft nicht aus den Augen zu verlieren und sich gegenseitig und gemeinsam zuzubilligen aus Fehlern zu lernen, wird sich nach und nach die Unternehmenskultur hin zu mehr Beteiligung entwickeln. Dann besteht die Möglichkeit, dass viele Wohnungsgenossenschaften ein höheres Niveau der Mitgliederförderung entfalten und damit noch attraktiver und sichtbarer als gesellschaftspolitisch gute Wahl zwischen gewinnmaximierenden Unternehmen und Wohnungsunternehmen im Staatsbesitz werden.

Mittwoch, 6. März 2019

Hamburger Erklärung

Heute veröffentliche ich hier den aktuellen Stand der Hamburger Erklärung, einer Auflistung wichtiger Prinzipien, nach denen Wohnungsgenossenschaften ihre Unternehmenspolitik ausrichten sollen. Wer Interesse hat die Erklärung als Ertsunterzeichner zu unterstützen, möge sich melden bei frankgiebel(at)web.de

Hamburger Erklärung

Wir, die Unterzeichner der Hamburger Erklärung geben diese Erklärung ab, weil wir die Genossenschaftsidee lebendig halten wollen und weil wir dafür eintreten, dass sie die Unternehmenspolitik in Wohnungsgenossenschaften (Woges) prägt.

Dazu tragen wir bei, indem wir die Prinzipien formulieren, die sich aus der Genossenschaftsidee für die Führung von Woges ergeben, diese öffentlich bekannt machen und zum Mitunterzeichnen einladen:

1. Förderzweck

Zweck von Wohnungsgenossenschaften wie von jeder wirtschaftlichen Genossenschaft ist die wirtschaftliche Förderung ihrer Mitglieder. Dies ist in § 1 des Genossenschaftsgesetzes in Deutschland so benannt. Da dies ihr einziger Zweck ist, ist dieser bestmöglich zu erfüllen. Im Gegensatz zu gewinnmaximierenden wohnungswirtschaftlichen Unternehmen sind wir Wohnungsgenossenschaften deshalb nutzenmaximierende Unternehmen für unsere Mitglieder.

2. Daraus lassen sich folgende Grundprinzipien und Auswirkungen ableiten:

2.1.Verursacherprinzip

Die Nutzungsgebühr orientiert sich an den Selbstkosten, das heißt im Grundsatz verlangen wir als Nutzungsgebühr den Betrag, den uns die jeweilige Wohnung selbst kostet. Dies wird je nach Bedarf ergänzt um Beträge, die wir benötigen, um ausreichend Eigenkapital aufbauen zu können um die langfristige Entwicklung unserer Unternehmens im Sinne unserer Mitglieder sicherstellen zu können.

2.2. Gleichbehandlungsprinzip

Aus dem Verursacherprinzip folgt, dass allen Mitgliedern die jeweiligen Wohnungen zu den gleichen Gebühren angeboten werden, soweit nicht für das jeweilige Mitglied zusätzliche Einbauten auf Kosten der Gemeinschaft vorgenommen werden. Das heißt bei einem Wohnungswechsel erhalten neu einziehende Mitglieder gleich gute Konditionen wie die dort bereits wohnenden.

2.3. Beschränkung von Quersubventionierung

Aus dem Verursacherprinzip und aus dem betriebswirtschaftlichen Prinzip, dass nur kostendeckende "Produkte und Dienstleistungen" zum langfristigen Unternehmenserfolg beitragen können, folgt außerdem, dass Wohnanlagen sich dauerhaft selber tragen müssen und keine Quersubventionierung durch andere Wohnanlagen erfolgt. Sollte ausnahmsweise und fallbedingt von diesem Grundsatz abgewichen werden, ist dies nur über einen Beschluss der Generalversammlung bzw. der Vertreterversammlung möglich.

3. Wohnrecht

Die Liegenschaften der Genossenschaften dürfen nicht weiterverkauft werden. Sie sind der Gewinnmaximierung entzogen und bleiben langfristig günstig. Die Bewohner genießen eine hohe Wohnsicherheit. Mitglieder der Genossenschaft haben ein Wohnrecht und man kann ihnen die Wohnung nicht einfach kündigen.


4. Mitbestimmung

Wer etwas verändern oder ein Projekt lancieren möchte, kann einen Antrag an die Generalversammlung stellen. In großen Woges mit einer Vertreterversammlung hat dieses Recht jeder Vertreter. Noch aktiver mitgestalten kann sein Wohnumfeld wer im Aufsichtsrat oder in einer Arbeitsgruppe mitwirkt.

5. Gesellschaftspolitische Wirkung

Unsere größte gesellschaftspolitische Wirkung entfalten wir Wohnungsgenossenschaften dadurch, dass wir guten und günstigen Wohnraum bieten, wir durch niedrige Nutzungsgebühren breiten Bevölkerungskreisen eine höhere Kaufkraft aus ihren Einkommen ermöglichen und dadurch, dass wir dafür sorgen, dass sie als anteilige Eigentümer an einem Immobilienunternehmen nachhaltig Vermögen bzw. Kapital aufbauen können im Sinne des Distributismus.

Wir wollen gute und faire Arbeitgeber sein und ein wertvoller Teil der Quartiere und Kommunen, in denen wir angesiedelt sind. Wir unterstützen den Ansatz der guten Unternehmensführung in Genossenschaften - good governance - und die Weiterentwicklung der Grundsätze guter Unternehmensführung im Geist und Sinn dieser Erklärung.

Danksagung

Viele Anregungen kommen aus der lebendigen Kultur der Schweizer Woges, insbesondere den Grundprinzipien, wie sie durch "Wohnbaugenossenschaften Schweiz, Verband der gemeinnützigen Wohnbauträger " formuliert werden. Weitere Inspirationen waren die Rochdaler Prinzipien, das Leitbild der Selbstbau eG in Berlin, die gemeinsame Arbeit in der Basisgruppe Genossenschaftsidee der gem. Wohnungsbaugenossenschaft Bergedorf Bille und die dortige Gremienarbeit mit Vorstand und Kollegen/innen im Aufsichtsrat. Dank geht an Gerald Wiegner von der Interessengemeinschaft der Genossenschaftsmitglieder igenos eV. Hilfreich waren Treffen Hamburger Genossenschaftsmitglieder unter der Schirmherrschaft von Dr. Bosse vom Mieterverein zu Hamburg und die Autoren von inspirierenden Schriften und Vorträgen Daniel Brunner, Prof. Volker Beuthin, Prof. Ernst-Bernd Blümle, Hartmut Glenk, Prof. Jürgen Keßler, Prof. Manfred Kühnberger, Günther Ringle, Georg Scheumann, Prof. Reinbert Schauer und Jozef Zolk, .









Sonntag, 6. Januar 2019

Europa versöhnlich neu denken

Angeregt durch eine gestrige Diskussion auf twitter zu Europa https://twitter.com/HCSchlueter/status/1081556307436621827 will ich mit diesem Post Menschen dazu bewegen, sich für einen Neuanfang bei der Gestaltung der politischen Institutionen auf unserem Kontinent zu engagieren, also einen Mix von europäischen und nationalstaatlichen politischen Institutionen hinzubekommen, der von der großen Mehrheit aller demokratisch eingestellten Europäer für gut und zukunftstragend empfunden wird. Es gibt die Möglichkeit die Spaltung zwischen rechten und linken Strömungen zu überwinden, sowohl in Europa als auch in Deutschland.

Der erste Schritt, um Europa politisch-institutionell gut zu gestalten, ist sich darüber einig zu werden, warum man das überhaupt will. Politik, die Regelung der öffentliche Sache, sollte die Rahmenbedingungen schaffen, innerhalb derer die Menschen ihr Leben gestalten können. Dazu haben sich in Europa Staaten gebildet, die auf Basis eines Mixes an Erfolgsfaktoren organisiert sind wie allgemeine, freie, unabhängige, gleiche, geheime Wahlen https://www.machs-ab-16.de/waehlen-ab-16/so-funktionieren-wahlen-allgemein-unmittelbar-frei-gleich-und-geheim, Verfassungsbasiertheit, Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit, Teilung der Gewalt zwischen Exekutive (Regierung und Behörden wie zum Beispiel Polizei), Legislative (Gesetzgebung) und Judikative (Gerichtsbarkeit), Menschenrechte, Gewerbefreiheit, Tariffreiheit, Trennung von Staat und Religion, freie Forschung uvm. Diese Staaten werden letzlich von Zivilgesellschaften mit einem demokratischen Verständnis und Gespür getragen, das in der Welt nicht einmalig aber auch keine Selbstverständlichkeit ist. Ein immer noch starkes Plädoyer diese Aspekte wahrzunehmen, ist das Buch von Robinson und Acemoglu "Warum Nationen scheitern" https://www.amazon.de/Warum-Nationen-scheitern-Urspr%C3%BCnge-Wohlstand/dp/3596195586/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1546769388&sr=8-1&keywords=warum+nationen+scheitern Gerade unter dem Aspekt von Einwanderungsfragen aus Kulturen, die diesen Grundkonsens nicht haben, gilt es diesen Grundkonsens langfristig zu erhalten. Zusätzlich hat sich ein europäischer Staatenverbund gebildet, der diese Erfolgsfaktoren bei der Einrichtung neue politischer Institutione bisher nur in Teilen anwendet, vielleicht, weil man historisch mehr Gewicht darauf legte, Politikfelder gemeinsam bearbeiten zu können, statt auf das wie zu achten und sich des warum zu vergewissern. So sind zum Beispiel die Wahlen zun Europaparlament nicht gleich, d.h. es zählt nicht jede Stimme gleich viel, eine Stimme eines Bürgers aus Malta zählt circa 12 mal so viel wie eine Stimme einen deutschen Staatsbürgers. http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europawahl/183203/stimmengewichtung-und-sitzverteilung
 
Viele sich als progressiv verstehende Linke gerade in Deutschland und Österreich hatten es sich zum Ziel gesetzt mit der Schaffung eines europäischen Staates die Nationalstaaten zu überwinden. Sehr laut war diesbezüglich Robert Menasse und Ulrike Guerot zu hören, die eine europäische Republik vorschlug, und viel Zustimmung und Aufmerksamkeit erfuhr. Nachdem Manesse überführt wurde mit falschen Zitaten zu Walter Hallstein operiert zu haben, machte Ulrike Guerot eine Kehrtwendung und scheint erkannt zu haben, dass die Abschaffung der Nationalstaten kein sinnvoller Zweck für die Gestaltung Europas sein kann  https://www.welt.de/politik/deutschland/article186139730/Falsche-Zitate-Co-Autorin-Ulrike-Guerot-zum-Fall-Robert-Menasse.html

Damit könnte der Weg auch für immer mehr Linke frei werden hin zu einer Mehrheit derjenigen, die Nationalstaaten als historische gewachsende demokratische Gebilde akzptieren und bereit sind, diese beim Bau der künftigen europäischen politischen Institutionen als positive Strukurelemente zu begreifen und miteinzubeziehen. Damit besteht die Aussicht, dass dies mehrheitsfähig in der Zivilgesellschaft wird.

Was kann also der Zweck eines demokratischen politischen Europa unter Einbeziehung der Nationalstaaten sein? Eigentlich ist das klar: die eigenen öffentlichen Sachen, die res publica, zu gestalten und dabei zu begreifen, dass man das gemeinsam besser hinbekommt. Dazu gehört sich als eigenen Machtpol in einer global vernetzten Welt zu begreifen, kein entscheidend großer, kein Hegemon, aber doch eine Stimme von Gewicht und mit Einfluss mit Gestaltungskraft im innen und nach außen. Im Innen heist das nicht, dass man alles auf einer zentralen europäischen Ebene lösen will, sondern dass man weiss, dass es gut ist, sehr viel auf politischen Ebenen vor Ort, angefangen bei den Kommunen zu gestalten. Am überzeugendsten sind nach meiner Erfahrungen die Elemente der Schweizer Demokratie mit starken Kantonen und direkter Demokratie. Im Außen heist das nicht, dass man die Verbindungen zu den USA kappen müsste, grundsätzlich gibt es mit den Vereinigten Staaten als offener demokratische Gesellschaft sehr viele gemeinsame Werte, dennoch sind wir mit Ihnen keine Einheit, es gibt Unterschiede bezüglich der Ausgestaltung der Marktwirtschaft  und auch wie wir denken dass es Sinn macht eigene Interessen mit den Interessen anderen Länder zum Ausgleich zu bringen.  Wir müssen uns ein Stück weit emanzipieren von dem in den USA verbreiteten Verständnis selbstverständlicher Teil ihrer hegemonialen Einflussphäre zu sein.

Wie könnte man zu so einem breit akzeptierten Institutionenmix kommen? Durch einen offenen basisdemokratischen Prozess, zum Beispiel mit dem Anstoss eines verfassungsgebenden Prozesses, der die Zivilgesellschaft dauerhaft miteinbezieht. Eine große Hilfe bei der Frage welche Politikfelder künftig europäisch oder national angegangen werden sollten, kann darin bestehen dass bei Geltung des one-man-one-vote Prinzips auf europäischer Ebene gerade Bürger kleinerer Staaten sich klar werden, ob sie sich in Bezug auf das jeweilige Politikfeld mehr als Europäer sehen oder als Belgier oder Niederländer.

Was könnte dabei herauskommen? Klare, breit akzeptierte Zuständigkeitsverteilungen zwischen europäischer Ebene, nationalstaatlichen Ebenen und Bundesländern, Kreisen und Kommunen, das Recht niedrigerer Ebenen sich Kompetenzen zurückzuholen, Berücksichtigung aller oben genannten Erfolgsfaktoren auf allen politischen Ebenen, mehr direkte Demokratie, eine europäische Verfassung als Föderation oder Konföderation die kompatibel zu den Nationalstaaten ist, ein Kerneuropa das außenpolitisch demokratisch legitimiert mit einer Stimme spricht und im Innern ausreichend Freiräume für unterschiedliche Lösungen lässt.

Wer bereit ist sich gemeinsam mit mir dafür zu engagieren, möge sich bei mir melden.