Mittwoch, 19. August 2020

Ein wichtigter Meilenstein für deutsche Wohnungsgenossenschaften auf dem Weg zur vollen Potentialentfaltung der Genossenschaftsidee

Wenn Sie diesen Artikel gelesen haben, werden Sie verstehen, warum es ein wichtiger Meilenstein für eine gute wohnungsgenossenschaftliche Praxis ist, das Prinzip der Kostenmiete grundsätzlich anzuerkennen und welcher Schritt erforderlich ist, falls man damit weitere ideele Ziele in Einklang bringen will.

Korrektur vom 20.08.2020: Der Passus mit der Intergration um weitere ideele Ziele hat sich als falsch erwiesen und wird korrgiert, Details siehe unten

Ich hatte das Prinzip der Kostenmiete im  März 2019 allgemein für Genossenschaften benannt als Verursacherprnizip http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2019/03/ und war davon ausgegangen, dass dies allgemein akzeptiert wird. In Diskussionen mit Mitgliedern von Genossenschaften zeigt sich jedoch, dass dieses Prinzip nicht nur Fürsprecher hat.

Außerdem gibt es Anzeichen, dass viele große deutsche Wohnungsgenossenschaften (Woges) im Gegensatz zu ihren Schweizer Pendants weniger stark auf die wirtschaftliche Förderung ihrer Mitglieder ausgerichtet sind. Dafür haben sich aber in Deutschland viel mehr große Woges mit über 1000 Wohnungen herausgebildet und es gibt kaum das Problem vieler Schweizer Genossenschaften, dass sie so klein sind, dass sie ehrenamtlich geführt werden und letztlich nicht so effizient wirtschaften können wie größere Unternehmen.

weniger konsequente wirtschaftliche Förderung in Deutschland statt in der Schweiz

Laut diesem Artikel bei Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Wohnungsbaugenossenschaft#Eigenschaften_von_Wohnungsbaugenossenschaften liegen in der Schweiz die Nutzungsentgelte von Woges 15% unter den Marktmieten. Die Daten stammen aus dem Jahr 2000 aber auch neuere Zahlen weisen in diese Richtung. 2014 sanken in Zürich im Durchschnitt aller Genossenschaftswohnungen die Mieten um 10% innerhalb von 2 Jahren während die Marktmieten stiegen. Dies war möglich, weil die Zinsen für Immobilienkredite gesunken waren. Ähnliche Entwicklungen sind mir in Deutschland nicht bekannt. https://www.wohnungspolitik-schweiz.ch/data/Wohnen_3-2016_Mieten_um_10_Prozent_gesunken_markant_t_2733.pdf

stärkere Orientierung an einer staatlichen Wohnungsbaupolitik

Im obigen Wikipedia-Artikel  steht unter anderem zur Historie von Woges in Deutschland: "Der NS-Staat bedient sich der genossenschaftlichen Unternehmen als Organe staatlicher Wohnungspolitik im Rahmen seines Siedlungsbaus". Das 1930 geschaffene Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz wurde erst Ende 1989 aufgehoben und prägte die Woges in Deutschland über viele Jahrzehnte.  Es würde sich lohnen, Inhalt und Wirkung des Gesetzes genauer zu beleuchten. Dafür ist hier nicht der Rahmen. Aber nach meiner Einsichtnahme vermute ich stark, dass das Gesetz ein Grund war, warum es in Deutschland viel mehr große und sehr große Woges gibt als in der Schweiz.

Der obige Wikipedia Artikel, Stand 19.08.2020, macht in der Passage zu Deutschland "Wesen der Wohnungsbaugenenossenschaft" auf mich den Eindruck, als ist er eher aus Sicht von leitenden Angestellten von Woges geschrieben ist  statt von einem unabhängigen Standpunkt aus:

Zum einen wird nicht explizit erwähnt, dass Woges Wirtschaftsgenossenschaften sind. Statt dessen wird darauf abgehoben, dass es um die Lieferung eines Produktes gehen würde. Das machen aber alle Unternehmen und ist insofern nichts genossenschaftsspezifisches. Wenn ich ein Fahrrad oder ein Auto bei einem lokalen Händler kaufe, ist es nicht falsch zu sagen, dass er mich damit fördert, aber es wird dem Potential des Genossenschaftsgedankens bei Wirtschaftsgenossenschaften nicht gerecht. Die Grundidee von Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ist, dass es sich lohnen kann, wenn man sich zusammenschließt und gemeinsam ein Produkt erstellt und den eigenen Mitgliedern anbietet. Indem man den Preis auf Basis dessen berechnet, was es einem selbst kostet. Im Wikipedia-Artikel-Kapitel zur Schweiz taucht deshalb zurecht der Begriff Kostenmiete auf. Er ist Teil der Genossenschaftsidee in seiner Anwendung bei Woges.

Ich sehe somit, es ist erforderlich in Wikipedia einen Artikel zu Wirtschafts- und Erwerbsgenossenschaften zu schreiben, auf den dann der Artikel zu Wohnungsbaugenossenschaften Bezug nehmen kann. Teil dieses Artikel muss das Selbstkostenprinzip sein.

In http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2020/08/nutzenmaximierung-in.html hatte ich  argumentiert, dass man repräsentativ die Meinung der Mitglieder ermitteln sollte, wie viel Altruismus sie praktizieren wolle. Mittlerweile will ich das konkreter fassen. Nach meinem jetzigen Stand würde es nicht ausreichen, damit eine bestimmte Unternehmenspraxis zu legitimieren, selbst dann nicht, wenn eine dahingehende Aussage von der General- oder Vertreterversammlung per Beschluß gebilligt würde. Zum Beispiel wenn Mitglieder mehrheitlich der Meinung sind, dass sie nicht nur für eigene Mitglieder sondern zu einem gewissen Teil auch für die lokale Bevölkerung bauen wollen und damit verbunden stärker wachsen wollen. Besinnt man sich auf den Grundgedanken einer Wirtschaftsgenossenschaft, ist dies nicht möglich. Eine Genossenschaft, die das macht, ist dann zu einem gewissen Teil ideel aktiv. Dies geht nach meiner Einschätzung nur, wenn dies in der Satzung konkret benannt wird: Zum Beispiel könnte eine feste Quote benannt werden, dass bei der jährlichen Bauleistung bewusst 10% oder 20% der Bauleistung für die allgemeine Öffentlichkeit ausgelegt wird und dass die Mitglieder bereit sind dafür die notwendigen Rücklagen aus den Gewinnen zu bilden und deshalb zum Beispiel einen bis zu 10% oder 20% über der eigentlichen Plankostenmiete1 liegendes Nutzungsentgelt zu aktzeptieren, soweit ein gewissener Abstand zur örtlichen Vergleichsmiete gewahrt wird. Hier wäre also eine Satzungsänderung durch Beschluß der Generalversammlung bzw. der Vertreterversammlung (bei größeren Genossenschaften) notwendig.

Korrektur Einschub vom 20.08.2020 zur Frage, ob es in Woges möglich ist, in größerem Umfang auch für Nichtmitglieder zu bauen:

Die ist eindeutig mit Nein zu beantworten: selbst wenn eine Wirtschaftsgenossenschaft sich in der Satzung ein soziales Ziel setzt, siehe zum Beispiel hier https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/erwerbs-und-wirtschaftsgenossenschaften-36223 , kann es auf diesem Weg nicht für Nichtmitglieder bauen, da auch bei sozialen oder kulturellen Zielen der Zweck darin besteht, die Mitglieder zu fördern. Will man wirklich alle Menschen fördern, muss man entweder eine Stiftung gründen oder dies als öffentliche Aufgabe angehen wie es ja mit kommunalen Wohnungsunternehmen geschieht.

Die heist nicht, dass es verboten ist, bei Neubaumassnahmen oder auch im Altwohnungsbestand neue Mitglieder aufzunehmen, wenn es nicht genügend Nachfrage von Mitgliedern gibt. Grundsätzlich muss sich die Neubautätigkeit aber am Bedarf der Mitglieder ausrichten.





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1bei potentiellen variierenden Kosten kann es betriebswirtschaftlich sinnvoll sein statt der tatsächlichen Kosten (Istkosten) Plankosten zu berechnen und diese zur Basis für die Preisfestsetzung zu nutzen, damit die Mitglieder eine größere Preissicherheit haben.





Samstag, 15. August 2020

Wie sollen norddeutsche Wohnungsgenossenschaften mit Überflutungscenarios aufgrund der Klimakrise umgehen?

Wenn Sie diesen Artikel gelesen haben, werden Sie eine Idee davon haben, ob und wenn ja wie von einem künftigen Meeresspiegelanstieg betroffene Wohnungsgenossenschaften (Woges) auf dieses Scenario antworten können.

Gestern wies Prof. Quaschning auf eine neue Studie von Klimaforschern der Ohio State University hin, nach der der Kipppunkt überschritten wurde, dass das grönländische Eis unabänderbar abschmelzen wird. https://twitter.com/VQuaschning/status/1294252887044915202 Die Forscher drücken das nicht so explizit aus und machen aus der Prognose auch keine Überschrift. Ihnen ist es wohl wichtiger als wissenschaftlich wahrgenommen zu werden. Sie beschränken sich auf die Beschreibung ihrer Messergebnisse. Im Kern sagen Sie jedoch, dass selbst wenn das Abtauen an der Gletscheroberfläche abnehmen würde - zum Beispiel weil einige Jahre das Wetter wieder kälter würde -, der Grundprozess des Abfließens ins Meer bereits eine Dynamik erreicht hat, die dennoch weitergehen wird. https://www.nature.com/articles/s43247-020-0001-2 . Die Aussage von Prof. Quaschning von einem Anstieg von 7 Metern findet sich auch hier https://de.wikipedia.org/wiki/Kippelemente_im_Erdklimasystem . Damit muss davon ausgegangen werden, dass bereits zwei Kippelememte überschritten sind, denn zum westantarktischen Eisschild wurde bereits 2014 ein entsprechendes Ergebnis veröffentlicht. Dafür wurde ein Meeresspiegelanstieg von 3 Metern prognostiziert. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Kippelemente_im_Erdklimasystem#Abschmelzen_des_Westantarktischen_Eisschildes

Diese beiden Effekte allein führen damit zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 10 Meter, wobei alles dafür spricht, dass dies zu einer weiteren Beschleunigung und weiteren Effekten führen wird, die aber noch nicht seriös quantifiziert werden können.

Es ist merkwürdig, dass dies bisher noch nichts an der allgemeinen Auffassung geändert hat, daß wir versuchen sollten den Prozess aufzuhalten. Offenkundig fällt es Politik, Medien und Zivilgesellschaft schwer, sich das eigene Scheitern einzugestehen. Populär ist es sicher nicht, man kann mit solchen Aussagen kaum etwas gewinnen. Ein Wissenschaftler für Nachhaltigkeit, Prof. Jem Bendell, hat 2018 einen je nach Bewertung pessimistischen oder realistischen Artikel vorgelegt, dessen Veröffentlichung die zuständige Fachzeitschrift (Sustainability Accounting, Management and Policy Journal) abgelehnt hatte und der dann nur über eine Direktveröffentlichung im Internet bekannt wurde. Wenn die Probleme zu groß werden, dann wollen manche es einfach nicht wahrhaben und verweigern den weiteren Umgang damit, wie diese Fachzeitschrift. Für eine verantwortliche Unternehmensführung ist das aber keine Option. Der Artikel und seine Wirkung und Einordnung findet sich hier https://en.wikipedia.org/wiki/Deep_Adaptation

Leider passen die obigen Ergebnisse zu einer Anfang August bekannt geworden Studie, nach der wir am nähsten beim schlimmsten IPCC Sencario liegen, RCP 8.5, siehe https://www.heise.de/tp/features/Auf-dem-Pfad-zu-einer-Erwaermung-um-3-3-bis-5-4-Grad-4867455.html Diese neuen Erkennntise sind dort aber noch gar nicht eingerechnet.

Da es viele weitere Kippelemente gibt und diese sich gegenseitig verstärken, sollten Immobilienunternehmen, deren größtes finanzielles Vermögen aus dem Wert ihrer Grundstücke besteht, sich auf ein worst case scenario vorbereiten. Auch wenn dieses Scenario wahrscheinlich frühestens in 150 oder 200 Jahren voll zum tragen kommen wird, sollte man sich fragen, ob und gegebenfalls welche Massnahmen jetzt zu ergreifen sind. Hintergrund ist, dass Woges nachhaltig ausgerichtet sind und eine Auflösung in 200 Jahren nicht zum Unternehmenszweck passt, da bei einer harmonischen Weiterentwicklung es auch in 200 Jahren Mitglieder geben wird, die irgend wo wohnen wollen. 

worst case scenario

Anstieg des Meeresspiegels in 150-200 Jahren um 30 Meter. Pläne Ost- und Norseee durch Küsten- und Flussdämme aus der norddeutschen Tiefebene fernzuhalten scheitern, ebenfalls Pläne die Nord- und Ostsee komplett über zwei Dämme vom Atlantik abzuschotten (Frankreich-England und Schottland-Norwegen https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/klimawandel-forscher-planen-gigantischen-damm-fuer-die-nordsee-a-74c7c8ef-e362-46df-91b0-a181dc1ee963). Städte wie Bremen, Hamburg, Kiel, Lübek, Lüneburg wären überflutet. Hannover und Berlin blieben trocken (da sie bei circa 38 bis 55 Meter Meereshöhe liegen), jedenfalls solange bis das ganze antarktische Eis abschmelzen würde.

Umgang

Menschen wollen da wohnen, wo sie arbeiten. Mittlerweile kann man aber mehr und mehr zu Hause arbeiten. Ist es für Woges eine realistische und verantwortbare Option in höher gelegenen Gebieten Grundstücke zu kaufen, um Vorsorge zu treffen für ihre Mitglieder? Kann es sein, daß der Mensch beginnt das Meer zu besiedeln? Können auf dem Meer lebenswerte und wirtschaftlich erfolgreiche Städte entstehen? Würden da ausreichend viele Menschen leben wollen, dass es ein massgeblicher Faktor ist, der Landverluste ausgleichen kann? Wie hoch wären die Kosten des Lebens auf dem Wasser statt auf dem Land? Vergleicht man die Baukosten eines Kreuzfahrtschiffes mit dem eines Hochhauses und unterstellt deutlich geringere Kosten bei einer stationären Wasserwohnplattform so ist eine Wasserlösung nach meiner Schätzung um den Faktor 6-7 teurer. Weiter stellt sich die Frage, ob in einer solchen Situation es verantwortlich ist für den aktuellen Bedarf in einem Gebiet zu bauen, das vielleicht einmal überflutet sein wird.

Lösungsvorschlag

Was würde ich tun als Vorstand einer Wohnungsgenossenschaft in einer der oben genannten norddeutschen Städte? Ich würde alle Regionen ermitteln, die langfristig sicher über dem Meeresspiegel liegen werden (ca. 70 Meter Meereshöhe Stand jetzt). Ich würde Land kaufen, das noch kein Bauland ist aber in der Nähe von Städten, die das Potential haben im Falle größerer Bevölkerungswanderungen neue Wachstumscluster zu bilden und dieses weiter zur Agrarnutzung verpachten. Insoweit wäre Land um Mittelstädte Land um Kleinstädten vorzuziehen und Land um Kleinstädten Land um Dörfer und Land am Rand von Dörfern Land mitten in der Pampa. Ich würde das mit den Mitglieder besprechen und mir Rückendeckung holen und falls notwendig der Vertreterversammung bzw. der Generalversammlug vorschlagen, die Satzung dafür zu ändern. Ich würde die Mitglieder bei der Auswahl der Regionen bestimmen lassen, wo Land gekauft werden soll. Ich würde schauen, ob ich bereits Kontakte in die jeweilige Region aufbauen kann. Vielleicht macht es sogar Sinn nach lokalen Woges Ausschau zu halten, mit denen man kooperieren oder sogar fusionieren kann. Wie viel müsste für so eine Versicherung in Boden ausgegeben werden? Als Beispiel kann man sich Oberbillwerder ansehen. Hier sollen auf 124 Hektar bis zu 15000 Menschen wohnen. Will eine große Woge so viele Menschen gegen Überflutung ihrer Grundstücke absichern und würde der Hektar Land in der Nähe geeigneter Städte 30.000 € kosten, ergäben sich 3,72 Mio €. Das wäre eine Größenordnung, die im Vergleich zur Größenordnung der Probleme, um die es geht und im Anbetracht der voraussichtlichen Werthaltigkeit der Grundstückskäufe sicher angemessen wäre. Interessanter würde sich wohl der Prozess der Auswahl der passenden Regionen gemeinsam mit den Mitglieder gestalten und vor allem die Frage, inwieweit diese bereit sind, sich mit der Situation auseinander zu setzen. Wahrscheinlich wäre auch hier die Einberufung einer repräsentativen, losbasierten Mitgliederjury die beste Wahl, um die Mitglieder gut einzubinden. Dies hat gegenüber einer offenen Einladung den Vorteil, dass nicht nur ein bestimmte Gruppe am Klimaschutz interessierter Mitglieder kommen und mitreden würde, sondern dass eine größere Ausgewogenheit der Meinungsbilder der Mitglieder zum tragen käme und die gefundenen Ergebnisse einer solchen Gruppe ein gewichtigeres Votum bedeuten würden.

Zur Frage der Errichtung von Neubauten in norddeutschen Städten würde ich grundsätzlich dies weiter befürworten, wenn Mitglieder hier einen zusätzlichen Bedarf haben, da die Zeit bis zu einer möglichen Überflutung deutlich nach dem üblichen Abschreibungszeitraum von Wohnhäusern liegt (70 Jahre). Bevor ich aber über den Bedarf der eigenen Mitglieder hinaus expandieren würde - selbst wenn sie von den eigenen Mitglieder explizit gewünscht wird -  hätte eine Versicherung gegen Überflutung eine höhere Priorität. Die Situation müsste aber weiter beabachtet werden und zwar sowohl die Aussagen der Klimawissenschaft, die über die Jahre erwartbar immer genauer werden, ebenso wie die Bewertung des Mißerfolges oder Erfolges der Weltgemeinschaft, klimaneutral zu werden, als auch die Realisierbarkeit von Küstenschutzmassnahmen. Je nach Ergebnissen wäre vielleicht in 10 oder 20 Jahren auch über eine Stopp von Neubaumassnahmen nachzudenken.

Freitag, 14. August 2020

Nutzenmaximierung in Wohnungsgenossenschaften neu gedacht

Im folgenden Beitrag werde ich zeigen, wie die genossenschaftliche Nutzenmaximierung für die Mitglieder so erweitert werden kann, dass damit soziale Aspekte besser integriert werden können. Der Konflikt zwischen einer parternalistischen, sozialdemokratischen Interpretation der Genossenschaftsidee bzw. deren Umsetzung in einer Wohnungsgenossenschaft und ihrer sozialliberalen Verwirklichung, wie ich ihn hier http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2020/08/was-genossenschaften-von-der-schweizer.html beschrieben habe, kann damit aufgehoben werden.

genossenschaftliche Nutzenmaximierung

Wohnungsgenossenschaften sind Wirtschaftsunternehmen, deren Zweck nach § 1 Genossenschaftsgesetz es ist, die Wirtschaft ihrer Mitglieder zu fördern. Da sie keinem anderen Zweck dienen, ist dieser bestmöglich zu erfüllen. Das heißt, es sollte eine Nutzenmaximierung für die Mitglieder stattfinden im Rahmen guter Unternehmensführung, also unter einer fairen Berücksichtigung der Interessen betroffener Gruppen wie Mitarbeiter, Lieferanten, der Gemeinde, des Staates und der natürlichen Umwelt und aller Lebenwesen.

sozialdemokratische Genossenschaft versus sozialliberale Genossenschaft

In der Praxis kann es vorkommen, dass sich eine "sozialdemokratische Unternehmenskultur" herausbildet, die die Genossenschaft wie eine Stiftung betreibt und zum Beispiel höhere Nutzungsentgelte verlangt und höhere Gewinne erwirtschaftet als es betriebswirtschaftlich erforderlich wäre und auf dieser Basis mehr baut und schneller wächst als diese eine konsequent an den Interessen der Mitglieder ausgerichtete Genossenschaft tun würde. Sie baut dann für die lokale Bevölkerung statt für den engeren Kreis der eigenen Mitglieder. 1

Wie man diesen Gegensatz auflösen kann

Die klassische Vorstellung, die der Wirtschaftswissenschaft in ihrem Hauptstrom zugrunde liegt, geht vom homo ökonomicus aus, das heißt der Vorstellung, dass dieser rational handelt und wirtschaftswissenschaftlich formuliert "seinen Nutzen maximiert".2

Allerdings hat die Ökonomie wie auch die Gesellschaft insgesamt mehrheitlich angenommen, dass der Mensch im Grund egoistisch ist und seinen Nutzen nur auf sich selbst und sein engstes persönliches Umfeld bezieht.3  Dass ist eine Fehlannahme, die empirisch nicht belegt ist. Empirisch belegbar ist, dass der Mensch im Grunde gut ist. Das zeigt der niederländsiche Historiker in seinem Buch "Im Grunde gut." https://www.amazon.de/Im-Grunde-gut-Geschichte-Menschheit/dp/3498002007/ref=sr_1_1?dchild=1&keywords=im+grunde+gut&link_code=qs&qid=1597389798&sourceid=Mozilla-search&sr=8-1&tag=firefox-de-21 . Dies entspricht auch meiner eigenen Lebenserfahrung in vielen Zusammenhängen. 4 Auch in  Genossenschaften nehme ich das im Grunde gutmütige Verhalten als das Normale wahr. Geht man vom Menschen aus als einem Wesen, das sich zugleich als Individuum (the right to persue its own happiness) als auch als Kollektivwesen versteht, kann man ermitteln, wie seine Präferenzen bei der Gestaltung der Geschäftspolitik einer Wohnungsgenossenschaft sind: Wie viel des jährlichen Aufwandes und seines Anteiles daran möchte er verwenden, um über seinen individuellen Nutzen und den seiner Familie hinauszugehen, um über den mehr oder weniger großen Kreis der Genossenschaftsmitglieder hinaus Wohnungen für die lokale Bevölkerung zur Verfügung zu stellen? Dies gilt es repräsentativ zu erheben und in geeigneter Form zusammenzufassen (zu aggregieren) und in angemessenen Abständen, zum Beispiel alle 10 Jahre, zu überprüfen, ob es noch die Präferenzen der Mitglieder richtig erfasst. Auf dieser Basis lässt sich dann die Unternehmenspolitik grundsätzlich ausrichten. 

Korrektur Einschub vom 20.08.2020 zur Frage, ob es in Woges möglich ist, in größerem Umfang auch für Nichtmitglieder zu bauen:

Die ist eindeutig mit Nein zu beantworten: selbst wenn eine Wirtschaftsgenossenschaft sich in der Satzung ein soziales Ziel setzt, siehe zum Beispiel hier https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/erwerbs-und-wirtschaftsgenossenschaften-36223 , kann es auf diesem diesem Weg nicht für Nichtmitglieder bauen, da auch bei sozialen oder kulturellen Zielen der Zweck darin besteht, die Mitglieder zu fördern. Will man wirklich alle Menschen fördern, muss man entweder eine Stiftung gründen oder dies als öffentliche Aufgabe angehen wie es ja mit kommunalen Wohnungsunternehmen geschieht. Der folgende Abschnitt Reflektion verliert damit an Aktualität und wird von mir aus dokumentarischen Gründen als älterer Diskussionsstand stehen gelassen.

Reflektion

Wenn man im Wesen einer Wirtschaftsgenossenschaft die Förderung der Wirtschaft der Mitglieder akzeptiert, ist es dann nicht schon eine Zumutung für die Mitglieder, ihre Präferenzen zu erfragen hinsichtlich der Entscheidung, ob sie altruristisch handeln wollen? Grundsätzlich würde ich sagen ja, außer, wenn es in der Praxis Hinweise gibt, dass der Altruismus mehrheitlich gewollt ist, zum Beispiel entsprechende Aussagen im Rahmen der Gründung getroffen wurden oder weil sich eine entsprechende Geschäftspolitik über die Jahre herausgebildet wird, die mehrheitlich gebilligt wird. Dreh-und Angelpunkt wird allerdings sein, den tatsächlichen Willen der Mitglieder korrekt zu ermitteln und sich hier nicht auf Interpretationen oder Wunschdenken zu verlassen. Oder anders ausgedrückt: solange Mitglieder nicht sicher mehrheitlich ihren Nutzen  altruristisch erweitern, ist in Wirtschaftsgenossenschaften die Förderung der Wirtschaft der Mitglieder das Ziel des Unternehmens und sollte nur in Bezug auf den Rahmen gute Unternehmensführung ganzheitlich ausgestaltet werden. Die Chancen, dass sich eine gewisse altruistische Komponente ermitteln lässt, stehen aber nicht schlecht und es kann sehr viel Spaß machen und zu einem Zusammenwachsen führen und zu einem  belebendem Faktor werden für die eigene Identität als Genossenschaft, wenn man diesen Prozess angeht.

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1 Durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz von 1930 -1989 habe viele deutsche Woges eine Prägung in diese Richtung erfahren, während ich zum Beispiel in der Schweiz insgesamt eine stärkere Orientierung am direkten Mitgliedernutzen wahrnehme. So ist zum Beispiel das Prinzip der Nutzungsentgelte auf Basis der tatsächlichen Kosten der Wohnanlagen in der Schweiz der Regelfall, während dies in Deutschland deutlich weniger Gewicht hat. Die Züricher Wohnungsgenossenschaften senkten zum Beispiel 2016 ihre Nutzungsentgelte (Nettokaltmieten) im Durchchnitt um 10%, weil niedrige Kapitalmarktzinsen dies möglich machten. In Deutschland sind mir ähnliche Fälle nicht zu Ohren gekommen.

2 Zum Beispiel Frank H Knight in "Risk, Uncertainty and Profit", 1921. S.25ff.: Das Gebahren des Menschen (conduct) gehe dahin, seine Bedürfnissse zu befriedigen. Darin liegt eine gewisses Benehmen und innere Führung und Gestaltung, die über Verhalten (behavior) und die reine impulshafte Reaktion auf äußere Reize hinausgeht, obwohl natürlich über Werbung, Verpackung und Warenpräsentation versucht wird, auf Kaufentscheidungen Einfluss zu nehmen. George J. Stigler führt zum Beispiel in "The Theory of Price" 1987 S.1 ff. eine empirische Messung an, dass Menschen im Durchschnitt bei höherwertigen Gütern (Autos) mehr unterschiedliche Angebote einholen als bei günstigeren (Waschmaschinen) und damit rational handeln, da das Verhältnis von Suchaufwand und Geldersparnis hier vielversprechender ist. (Mit dem Internet hat sich die "Ökonomie der Suche" massiv verändert und viele Geschäftsmodelle massiv gestört und viele neue gebohren). Einen exzellenten Vortrag zur Auflösung der Dichotomie von quantitativer mathematischer Ökonomie und ethisch- politischer Ökonomie hat Karl-Heinz Brodbeck gehalten, in dem er die der mathematischen Ökonomie impilizite d.h nicht direkt erkennbare Ethik erkennbar macht, siehe https://www.youtube.com/watch?v=6Q1lAQFWe74&t=4527s

4 Zwei Beispiele aus meinem Leben: in meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als von Amtsgerichten bestellter rechtlicher Betreuer für Menschen mit Behinderung kenne ich viele Kolleginnen und Kollegen, die über Jahre sehr gute Arbeit leisten und ist mir kein grobes Versagen bekannt geworden. Dennoch werde ich aus meinem Bekanntenkreis immer mal wieder auf Berichte aus den Medien angesprochen, dass irgendwo ein rechtlicher Betreuer grob gegen den Willen der betreuten Person gehandelt hätte und eigene Interessen verfolgt hätte. Es bedient Ängste von Menschen, wenn sie ein Stück ihrer Autonomie teilen müsssen und erzielt hohe Aufmerksamtkeit wenn Medien über solche Skandale berichten. Bei allen hitzigen Diskussionen im Rahmen von Corona/Covid19 zwischen Leugnern der Pandemie und übertriebener Vorsicht erlebte ich, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung eine mittlere Position einnahm vorsichtig war und gelassen blieb.

 

 






Dienstag, 11. August 2020

Wohnraum ökologisch besser nutzen in Wohnungsgenossenschaften und anderen Wohnungsunternehmen

Wenn sie diesen Artikel gelesen haben, werden Sie Ideen haben, wie Sie als Wohnungsunternehmen oder als aktives Mitglied bei knappem Wohnraum Raumpotentiale heben können und dabei noch etwas für den Klimaschutz tun.

aktuelle Situation

Auch in Wohnungsgenossenschaften (Woges) sind Vier-Zimmer-Wohnungen in Großstädten mit niedrigen Nutzungsentgelten (Mieten) knapp. Das macht es gerade für Familien mit Kindern schwierig, die sich kein Eigentum außerhalb von Genossenschaften leisten können. Die vorhandenen Wohnungen werden oft von älteren allein oder zu zweit lebenden Menschen belegt. Dies ist ökologisch nicht sinnvoll, da neuer Wohnraum in Ballungsgebieten nicht nur knapp und teuer ist, sondern dabei auch viel Kohlendixoid emittiert wird,  soweit wie heute noch üblich viel normaler Beton beim Bau neuer Häuser verwendet wird.

Ältere Menschen überlegen zwar auch umzuziehen, doch wird oft nichts daraus. Zum einen verwenden Woges oft Berechnungsmodelle für ihre Nutzungsentgelte (Mieten), die bei Wohnungswechseln zu Anhebungen führen. Damit lohnt es sich für ältere Menschen wirtschaftlich nicht, in kleinere Wohnungen umzuziehen. Deshalb ist eine Umstellung auf eine Kostenmiete (Nutzungsentgelte so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig) gerade in Genossenschaften angemessen. Zusätzlich  sind zwei weitere Faktoren wichtig, um "Downsizing" zu erleichtern und Wohnraum für Familien frei zu machen:

1. Ein Umzug fällt älteren Menschen leichter, wenn Sozialkontakte und eine vertraute Umgebung erhalten werden können.

2. Ältere freuen sich in der Regel über den Besuch von Kindern und Enkeln und eine Option, dass diese unkompliziert in Gästezimmern übernachten können.

Deshalb ist es zum einen gut, wenn im gleichen Quartier, also innerhalb weniger hundert Meter, Wohnungen in allen nachgefragten Größen vorhanden sind und dies bei der Konzeption von Quartieren von Genossenschaften entsprechend geplant wird. Dies heist insbesondere für größere Genossenschaften, dass sie sich auf  die Entwicklung von Quartieren konzentrieren sollten mit einer großen Anzahl von Wohnungen (mindestens 50). Dort können sie ihre Stärken einer effizienten Verwaltung anwenden und die Kosten für die Instandhaltung vergleichsweise niedrig halten. Nach meiner Erfahrung hat es sich nicht bewährt sogenannte Mehrgenerationenhäuser zu konzipieren, also den Anpruch zu verfolgen, dies innerhalb einer Gebäudehülle zu versuchen. Oft ist das Ruhebedürfnis bei älteren Menschen stärker und für alle Beteiligtern ist es besser, wenn Familien nebeneinander wohnen.

Zum anderen kann man prüfen, ob als Teil des Quartiers eine kleine Anzahl von Gästezimmern geplant und vorgehalten werden, die bei Besuchen von allen genutzt werden können, statt dass viele dies innerhalb ihrer Wohnung tun. So kann man eine deutlich bessere Auslastung hinbekommen. Noch besser ist es, wenn sich vor Ort eine so gute genossenschaftliche Gemeinschaft über die Jahre entwickelt, dass es keine Besonderheit ist, wenn der Besuch in einem überzähligen Zimmer beim Nachbarn übernachtet.Wichtig dafür ist, dass beim Einzug neue Mitglieder diese ausführlich über das Besondere von Genossenschaften informiert werden und der Genossenschaftsgedanke in allen Facetten gelebt wird. Dazu hilft es zum Beispiel, wenn er von den Leitungsgremien der Genossenschaft vorgelebt wird, auch wenn das nicht einfach ist, denn dazu gehört Verantwortung zu teilen, Kontrolle abzugeben, Selbstorganisation und Kritik willkommen zu heißen und Vertrauen in gemeinsame offene Prozesse zu entwickeln.

Auch Angebote wie Airbnb sind in diesem Zusammenhang nicht pauschal von der Hand zu weisen und können Teil einer resourcenbewussten Raumnutzung sein, solange Wohnraum nicht bewusst aus finanziellen Gründen dauerhaft zweckentfremdet wird und seinem eigentlichen Wohnzweck entzogen wird.

 


Freitag, 7. August 2020

Was Genossenschaften von der Schweizer Demokratie lernen können

Wenn Sie diesen Text gelesen haben, werden Sie Wege verstehen und anwenden können, um mit auftretenden Impulsen für Kursänderungen konstruktiv umzugehen und Spaltungen innerhalb von Genossenschaften zu vermeiden. Dies ist interessant für Mitglieder von Genossenschaften, Vereinen oder anderen Organisationen, egal ob sie ohne weitere Funktion sind oder Mitgliedervertreter, Aufsichtsrat oder Vorstand sind.

Große Genossenschaften mit hunderten oder sogar tausenden von Mitgliedern neigen wie alle Organisationen dazu, über die Jahre oder Jahrzehnte informelle Strukturen herauszubilden. Dabei können die Grundlagen der gewählten Unternehmenspolitik für die handelnden Akteure so selbstverständlich geworden sein, dass es ihnen schwer fällt diese geradeheraus und konkret zu benennen. Kommen dann Impulse für Veränderungen von Mitgliedern, fällt es Organisationen oft schwer, diese zu integrieren. In den Wirtschaftswissenschaften befasst sich die neue Institutionenökonomik mit derartigen Phänomenen. Prinzipiell ist es in Genossenschaften als demokratischen Organisationen vorgesehen, dass Mitglieder mitgestalten und Impulse einbringen. Sie können sich anbieten, Verantwortung zu übernehmen und zum Beispiel als Aufsichtsrat kandidieren. Bei einem begründeten Impuls und fehlender Integrationskraft der Organisation wird dieser Impuls in der Organisation wachsen und es können sich zwei Fraktionen bilden. Dann besteht die Herausforderung darin, diese konstruktiv zusammenzuführen. Der ideale Weg hierfür ist eine kooperative Unternehmenskultur, die sich an den gemeinsamen Zielen ausrichtet. In der Praxis heist das, dass zum Beispiel im Aufsichtsrat man sich nicht darauf ausruht, dass eine Mehrheit eine Minderheit regelmässig überstimmt, sondern dass man nach dem Konsentverfahren die Lösungen weiterverfolgt, die tatsächlich das Potential haben, das Unternehmen als Ganzes voranzubringen, unabhängig davon wer sie einbringt. Informationen zu dem extrem konstruktiven Konsentverfahren als Entscheidungsfindungswerkzeug in Gruppen verlinke ich am Ende des Textes. 

Selbst wenn es keine so weitgehende kooperative Führungs- und Entscheidungspraxis gibt, zeigt das Schweizer Demokratiemodell Wege auf, wie mehrere Meinungen mittelfristig zusammengeführt und Spaltungen vermieden werden können:

Im Falle der Schweiz und großer Genossenschaften soll hier eine Analogie gewählt werden, um zwei Punkte klar zu machen, ohne dass diese Analogie überinterpretiert werden soll:

Die Aussagen sollen am Beispiel eine großen Wohnungsgenossenschaft gemacht werden mit mehreren tausend Mitgliedern, die deshalb über eine jährliche Vertreterversammlung verfügt. Das heist, statt einer jährlichen Generalversammlung aller Mitglieder werden für eine Wahlperiode Vertreter gewählt, die die Interessen der Mitglieder vertreten und den Aufsichtsrat wählen. Dieser widerum bestimmt den Vorstand. Es wird hier keine bestimmte Genossenschaft beschrieben, sondern es fließen Kenntnisse aus der Praxis von vielen großen deutschen Wohnungsgenossenschaften ein. Dies heißt nicht, daß alle großen Wohnungsgenossenschaften so handeln wie hier dargestellt.

In demokratischen Staaten hat sich die Gewaltenteilung zwischen Exekutive (Regierung), Legislative (Parlament) und Judikative (Gerichte) als Erfolgsrezept erwiesen. Bei großen demokratisch aufgebauten Organisationen wie Genossenschaften kann man die Geschäftsführung bzw den Vorstand mit der Regierung vergleichen und den Aufsichtsrat und die Vertreterversammlung mit zwei aufeinander aufbauenden Kammern der Gesetzgebung. Der Aufsichtsrat berät und beschließt über die Grundlinien der Unternehmenspolitik. Die Vertreterversammlung beschließt über die Satzung, quasi  das Grundgesetz einer Genossenschaft,  über Satzungsänderungen und spricht über die Entlastung Vorstand und Aufsichtsrat als Leitungsgremien das Vertrauen aus oder verweigert dieses.

Als konkretes Beispiel aus der Praxis würden bei einer Wohnungsgenossenschaft der Aufsichtsrat über Durchführungsrichtlinien beschließen zum Beispiel zur Festsetzung der Nutzungsentgelte (Mieten) oder zur Neubautätigkeit.

Wie bei Staaten gibt es es auch in Genossenschaften Personengruppen, die unterschiedliche Auffassungen haben, welche Politik, sprich welche Art, die Geschäfte zu führen, die beste ist. In unserem Fall stehen zum Beispiel zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder maximiert die Wohnungsgenossenschaft den wirtschaftlichen Nutzen für ihre Mitglieder und setzt die Nutzungsentgelte so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig fest und richtet bei Neubauten konsequent die Menge, die Preise und die Wohnlagen nach der Nachfrage ihrer eigenen Mitglieder aus oder sie versteht sich als gemeinwohlorientiert in dem Sinne, dass sie für die Bevölkerung in einer Region insgesamt baut und dafür höhere Nutzungsentgelte nimmt, um mehr Gewinne machen zu können, mehr Rücklagen aufbauen zu können und so schneller und stärker wachsen zu können. In der Analogie gibt es dafür beispielhaft zwei "Parteien", eine sozialdemokratische und eine sozialliberale. Die sozialdemokratische Gruppe traut den Genossenschaftsmitgliedern nicht allzu viel unternehmerisches Mitdenken zu und will sie gut versorgen und möglichst umfangreich den Wohnungsbau in der Region mitgestalten. Die sozialliberale Fraktion traut den Mitgliedern zu unternehmerisch mitzudenken und mit zu entscheiden und ihre Rolle als Miteigentümer ernst zu nehmen und aus der gewonnenen Kaufkraft durch die deutlich niedrigeren Nutzungsgelte Vermögen aufzubauen und insoweit gesellschaftlich positiv zu wirken und die Schere zwischen arm und reich zu vermindern.

Was kann hier nun von der Schweiz gelernt werden?

Die Schweiz ist im Gegensatz zu Deutschland eine Konkordanzdemokratie https://de.wikipedia.org/wiki/Konkordanzdemokratie und keine Konkurrenzdemokratie https://de.wikipedia.org/wiki/Konkurrenzdemokratie . Es gibt zwar in beiden Systemen Parteien, aber in einer Konkordanzdemokratie werden an der Regierung alle wichtigen Strömungen beteiligt.  Dies führt dazu, dass alle Beteiligten grundsätzlich versuchen, miteinander auszukommen  und es gewohnt sind alles wichtige miteinander ausführlich zu bereden. Ich erinnere mich gut wie überrascht ich war, als ich auf der Schweizer Föderalismuskonferenz in Montreux 2017 eine Podiumsdiskussion erlebte, bei der die Vorsitzende der sozialdemokratischen Jugendorganisation bei allem Reformeifer das Wirtschaftssystem der Schweiz grundsätzlich akzeptierte und der Arbeitgeberpräsident gleichzeitig zum Thema Mindestlohn zwar betriebswirtschaftliche Aspekte anprach, aber zugleich deutlich machte, dass er mit Mindestlöhnen leben könne, weil es den Arbeitern und Angestellten dadurch besser ginge und davon auch die Unternehmen profitieren würden. Im Parlament einer Konkordanzdemokratie geht es also nicht darum, die Vertreter anderer Parteien abzuwerten, sondern das Gemeinsame in den Blick zu nehmen und zu versuchen bei der Lösungsfindung alle Interessen zu hören und miteinzubringen.

Übernehmen Genossenschaften diesen Denkrahmen, hilft ihnen das mit unterschiedlichen Meinungen wertschätzend umzugehen und offen zu kommunizieren und sich an den gemeinsamen Zielen auszurichten.

Existiert im konkreten Fall eine deutliche Mehrheit und eine deutliche Minderheit wird dann die Mehrheit bereit und in der Lage sein, ihre Ziele klar zu benennen und ihre Hauptüberlegungen transparent zu machen. Und sie wird ein Interesse daran entwickeln zu schauen, was sie von neuen Impulsen für die gemeinsame Sache aufgreifen und nutzen kann. Besteht im Beispielfall eine sozialdemokratische Mehrheit gegenüber über einer sozialliberalen Minderheit würde die Mehrheit vermutlich besser benennen können,  dass vom alleinigen Zweck einer Genossenschaft wie es das Genossenschaftsgesetz benennt, die Mitglieder zu fördern, abgewichen wird und in der Praxis eine breitere Förderung stattfindet. Vielleicht wäre sie auch bereit, die eigene Position zu erweitern oder ein Referendum quasi einen "Volksentscheid" bei den Mitgliedern der Genossenschaft einzuholen. Es ist vermutlich kein Zufall, dass in der Schweiz als Konkordanzdemokatie Volksentscheide eine große Rolle spielen, da Mehrparteienregierungen in ihrer Lösungsfindung ja weniger ideologisch festgelegt sind und es deshalb Sinn macht bei zentralen, langfristigen Festlegungen beim Souverän, dem Staatsvolk nachzufragen, ob es einverstanden ist.
 
Exisitieren im konkreten Fall zwei ungefähr gleich große Strömungen, wäre der Weg vorgezeichent auch im Vorstand beide Strömungen zu berücksichtigen. Die Schweiz zeigt, dass dies in der Praxis ohne Blessuren funktioniert. In der Schweiz nennt sich diese Mehrparteienregierung Bundesrat und ist kollegial ausgerichtet https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesrat_(Schweiz). Statt eines Bundeskanzlers gibt es sieben Bundesräte, die kollegial regieren. Grundsätzlich passt dieses Prinzip ideal zu Genossenschaften, da auch diese auf Kooperation ausgelegt sind. Ein anderes Wort für Genossenschaft ist Kooperative. https://de.wikipedia.org/wiki/Genossenschaft
 
Links zum Konsent-Verfahren:
 
 
Hintergrund:
 
Die deutschen Wohnungsgenossenschaften waren über Jahrzehnte durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz 1930-1990 geprägt, das zum einen genossenschaftliche Prinzipen übernahm wie die Kalkulation der Leistungen auf Basis der Selbstkosten, aber auch genossenschaftliche Rechte beschnitt, wie zum Beispiel, dass bei einer eventuellen Auflösung der Genossenschaft das Vermögen nicht an die Mitglieder verteilt werden durfte, sondern an eine gemeinnützige Stiftung übertragen werden musste. Statt der Förderung der Wirtschaft der Mitglieder als Zweck von wirtschaftlich ausgerichten Genossenschaften wie es Wohnungsgenossenschaften sind und  wie es in § 1 des Genossenschaftsgesetzes festgelegt wurde, wurde in diesem Gesetz festgeschrieben, dass die "deutsche Familie" gefördert werden sollte. Damit wurde bis 1990 nicht nur eine gesellschaftspolitisch fragwürdige Bevorzugung von Familien gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens durch ein Gesetz verstärkt - noch dazu mit einem sehr bedenklichen Ausschluss von Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit -, sondern es wurde der Genossenschaftsgedanke in seinem Kern ignoriert, da nicht mehr die Mitglieder gefördert werden sollten, sondern pauschal eine  bestimmte gesellschaftliche Gruppe. Dass sich das Gesetz mit diesen Formulierung bis 1990 halten konnte, zeigt wie wenig politisches Gewicht und wie wenig durchsetzungsstarke Fürsprecher der Genossenschaftsgedanke in Deutschland in dieser Zeit im Bereich Wohnen hatte bzw. wie sehr sein Potential unterschätzt wurde, gesellschaftlich positiv zu wirken wenn er sich ganz entfalten könnte. Historisch war wahrscheinlich Herman Schulze-Delitisch der überzeugteste und wirkmächtigste Fürsprecher der Genossenschaftsidee in Deutschland , da er die Gewerbefreiheit für Genossenschaften ohne staatliches Reinreden in die Geschäftsführung durchsetzen konnte gegen den Widerstand des damaligen Vorsitzenden des deutschen Arbeitervereins, Ferdinand Lasalle (der Vorläuferorganisation der SPD). Insoweit hat der Auffassungsunterschied zwischen eher autoritär geprägter Sozialdemokratie und  sozialem Liberalismus eine große historische Tiefe, siehe https://www.pt-magazin.de/de/wirtschaft/unternehmen/genossen-gegen-genossen_6cp.html. Damit kommen deutsche Wohnunsgenossenschaften aus einem deutlich anderen historisch-gesellschaftlich-kulturellen Umfeld als Schweizer Wohnungsgenossenschaften. Auffällig ist auch, dass in der Schweiz die liberale Partei über Jahrzehnte die stärkste Partei war, in Deutschland dagegen liberale Aspekte in der Politik zwar immer auch eine Rolle spielten, entweder in der FDP oder bei Politikern wie Willy Brandt in der SPD ("Im Zweifel für die Freiheit" https://www.amazon.de/Zweifel-f%C3%BCr-Freiheit-sozialdemokratischen-Willy-Brand-Dokumente/dp/380120426X ) oder als ein Aspekt unter vielen in der CDU aber insgesamt nicht das politische Gewicht hatten wie in der Schweiz.