Dienstag, 30. April 2013

Ralf Dahrendorf über Kapitalismus

was für eine Wohltat: Ralf Dahrendorf in Bezug auf Karl Marx et al.:

"Karl Popper hat das Historizismus genannt. Analytische Begriffe werden hypostasiert (d.h. zu einer Sache gemacht). Sie werden nicht benutzt, um Aspekte und Elemente wirklicher Gesellschaften mit dem Scheinwerfer der Theorie zu erhellen; sie werden vielmehr mit der Wirklichkeit selbst verwechselt. Tatsächlich hat es so etwas wie Kapitalismus natürlich nie gegeben, sondern immer nur Wirtschaften und Gesellschaften, die mehr oder minder ausgeprägt als kapitalistisch definierbare Züge tragen. Das Elend des Historizismus liegt darin, daß er seine Anhänger blind macht für die Phantasie der wirklichen Welt."

zitiert aus Ralf Dahrendorf: "Der moderne soziale Konflikt. Essay zur Politik der Freiheit" dtv wissenschaft, 1994, S.18

Sonntag, 28. April 2013

Europa, werde erwachsen!

Bundeskanzlerin Merkels Diktum http://de.wikipedia.org/wiki/Diktum „Scheitert der Euro scheitert Europa“ , geäußert in ihrer europapolitischen Grundsatzrede im Deutschen Bundestag am 26.Oktober 2011 http://www.euractiv.de/finanzen-und-wachstum/artikel/merkels-euro-rede-scheitert-der-euro-dann-scheitert-europa-005550 ist ein fataler Satz: 

Er ist gefährlich, weil er ein Körnchen Wahrheit enthält und doch grundlegend falsch ist. Deshalb hat er bei den meisten Hörern wohl den Gedanken ausgelöst, er könnte vielleicht richtig sein, ohne dass sie selbst davon überzeugt waren. Der Satz hat Überrumpelungspotential und hat durch seine Kürze und Prägnanz eine ideale massenmediale Transportfähigkeit. Dadurch ist er wahrscheinlich Teil des kollektiven Bewusstseins in Deutschland, vielleicht sogar in Europa geworden. 

Das Körnchen Wahrheit ist, dass Europa als politisches Gebilde noch nicht so gefestigt ist, dass die Mehrheit den Menschen den Satz ganz entspannt als unsinnig von sich weisen können. 

Die Wirkung des Satzes ist deshalb fatal: Er verstärkt die Vorstellung, dass Europa als politisches Gebilde gefährdet und sehr verletzlich ist. Er behauptet, dass Europa so schwach ist, dass am Euro als Währung festgehalten werden müsste, selbst wenn er aus ökonomischen Gründen für die Europäer für ihr Wohlergehen eigentlich schädlich ist, was ja auch der Fall ist. Er manövriert Europa damit in eine Sackgasse, aus der es kein Entrinnen gibt.

Zum Glück ist der Satz Unsinn. Die Alternative lautet:

Wenn der Euro scheitern wird, wird Europa die Erfahrung machen, dass die Befürchtung, daran selbst als politisches Gebilde zu scheitern, unbegründet war und wird statt dessen eine neue Qualität von Identität und Selbstvertrauen aufbauen.

Es wird sich zeigen, dass Europa eben nicht nur ein Projekt von Politikern ist, abgehoben von den Menschen, ein Zug unterwegs nach nirgendwo http://www.youtube.com/watch?v=NFNtPyvvXBI dessen Fahrplan und Route an keiner Stelle hinterfragt werden darf, sondern viel eher mit einem lebendigen Baum vergleichbar ist, der Stürme übersteht und aus sich heraus weiter wächst.

Interessant an Merkels Diktum ist auch, dass er in einer sehr langen faktenreichen Rede fast ganz am Schluss (im drittletzten Absatz) als persönliches Wort angekündigt wurde. Er fusst offensichtlich nicht auf den Fakten, sondern ist eine persönliche Bewertung und lebt von der Kraft der Autorität der Kanzlerin, also sowohl dem Ansehen ihres ganzes politischen Lebens als auch der Tatsache, dass sie sich offensichtlich ausführlich mit dem Thema beschäftigt hat, was die lange Rede belegt.
Psychologisch gedeutet nimmt Merkel mit ihrem Satz eine mahnende und schützende Mutterrolle für Europa ein, der in seinem Inhalt aber völlig an der Realität vorbeigeht.

Es ist deshalb an Europa als gelebter Idee für ein politisches Gebilde, aus kindlicher Unselbständigkeit herauszuwachsen und erwachsen zu werden und gut gemeinte aber falsche und ängstliche "mütterliche" Vorstellungen, wie es sich organisieren soll, abzuschütteln.

Samstag, 27. April 2013

Euroaustritte sind europaweit gemeinsam anzugehen

Im Zusammenhang mit der Frage, warum Spanien sich von der mit 57% extremen Jugendarbeitslosigkeit nicht durch einen Euroaustritt erlöst schrieb mit ein Bekannter:

"Leider ist es ausserdem auch so, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht  aus dem Euro will. Die Bevölkerung hat nicht begriffen, dass dies eine Chance für Spanien wäre. Die Bevölkerung denkt eher Spanien würde durch einen Austritt aus dem Euro von Europa abgetrennt. Insofern ist  die jahrelang eingetrichterte Lektion: der Euro ist unser  Integrationstool für Europa hier bereits erfolgreich implementiert worden."

Ich glaube der Mann hat recht. Das heist es wäre gut, wenn wir diese Entscheidung in Europa gemeinsam und solidarisch träfen und nicht ein einzelnes Land damit alleine lassen, also alle gemeinsam den Schritt zurück in allen Ländern gehen und die Kosten einer Umstellung gemeinsam tragen. Das wäre möglich, wenn wir mutig sind und an  Europa glauben. Es wäre nicht nur fair gegenüber allen beteiligten Ländern, dieses Experiment auch solidarisch zu beenden, es würde von vornherein klarmachen, dass allen Ländern die Möglichkeiten einer künftigen politischen Integration weiterhin gleichberechtigt offenstehen, unabhängig von ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen in Bezug auf eine eigene Währung.

Ansonsten sehe ich praktisch nur zwei Möglichkeiten:

Entweder geht irgend ein Land aus dem Euro raus, bei denen es halt gar nicht mehr geht und die anderen sehen, dass es dem Land danach besser geht und werden ermutigt den gleichen Weg zu gehen, oder

alle Länder bleiben im Euroraum und die Südländer und Frankreich leiden noch viele Jahre über an extremer bis hoher Arbeitslosigkeit, die Spannungen und Unzufriedenheiten mit Europa werden fast überall hoch sein und global wird Europa wirtschaftlich und politisch an Boden verlieren.
 

Euro und Arbeitslosigkeit

Die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien beträgt jetzt über 57%, die Gesamtarbeitslosigkeit über 27%.

http://www.comdirect.de/inf/news/detail.html?ID_NEWS=272823904&NEWS_HASH=21a151da2b86b18ceac0ced251e5724780784028&RANGE=2Y&OFFSET=0&BLOCKSIZE=20&NEWS_CATEGORY=POLITIK

Ich begreife nicht wie man nicht endlich ich den sauren Apfel beisst und sich vom Euro befreit. Das ist doch reine Realititätsverweigerung. Das ist weder durch Konjunkturprogramme noch durch Arbeitsmarktreformen (Lockerung des Kündigungsschutzes) noch durch so absurde Vorhaben wie ein Gesetz gegen Jugendarbeitslosigkeit zu beheben (Beschluss der europäsichen Arbeitsminister vor ca 8 Wochen wenn ich mich recht erinnere).

Montag, 8. April 2013

Die Metaebene: Ein Blick auf die politische Praxis bei den Piraten und darüber hinaus:


Auf Mailingslisten und bei Diskussionen bin ich immer wieder verblüfft; wie viel wir aneinander vorbeireden/schreiben und uns gegenseitig missverstehen. Es scheint fast als lebt jeder in seinen eigenen Illusionen und sucht sich halt die paar Leute, deren Illusionen einigermassen Überschneidungen aufweisen. Deshalb ist auch Vertrauen so wichtig. Ist das erst mal zerstört, werden die Leute eigentlich nicht mehr angehört, man stellt innerlich auf Durchzug; egal was auf der Sachebene kommt. Oder es dauert sehr lange, bis das Vertrauen wieder aufgebaut ist. Das gilt wohl für Einzelpersonen wie auch für Gruppen oder Institutionen (z.B. Prof. Schachtschneider, der Pirat xy, die AG xyz, die Piraten von aussen gesehen, die EU, die Banken) Ich bin da keinen Deut besser als irgend jemand sonst und das ist sicher nichts typisch Piratiges, aber wir sind dafür eben auch nicht weniger anfällig als andere.

Mir liefen vor kurzem 2 Sprüche über den Weg, die dazu passen könnten:

"Es ist unmöglich nicht zu glauben was Du siehst, aber es ist genauso unmöglich zu sehen was Du nicht glaubst."

Mein Interpretationsvorschlag: gerade wir Piraten als Mitmachpartei sollten versuchen unsere jeweiligen inneren Vorfestlegungen gegenüber Personen, Institutionen oder Sachzusammenhängen immer wieder auch zu hinterfragen. Dann könnten vielleicht Antworten formuliert werden, die auf einem breitem Wissensfundament basieren bzw. bei dem die realitätsfernsten Illusionen abgebaut werden konnten.

"Niemand kann Illusionen entkommen, wenn sie sie nicht anschaut, denn sie nicht anzuschauen ist der Weg wie sie geschützt werden."

Letzlich ist unsere Art Programmatik niederschwellig und im Diskurs zu entwickeln eigentlich ganz gut geeignet, dass jeder häufig mit seinen eigenen Grenzen konfrontiert wird etwas zu verstehen. Wahrscheinlich müssten wir uns deshalb gar nicht gegenseitig so sehr die jeweiligen Illusionen um die Ohren schlagen wie wir es manchmal tun, mich eingeschlossen :)
Manchmal bin ich dann einfach überrascht wie plötzlich "aus einer Ecke" unerwartet Lösungen kommen die gut und konsensfähig sind, oder den Anschein haben es zu sein :) So war es letzten Herbst mit dem Schuldenschnittantrag der Projektgruppe ESM https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/4672.html, oder aktuell mit dem Sammelantrag der Ini GWP  http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2013.1/Antragsportal/WP088  und auch dem SixPack von Nico https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/6110.html.