Mittwoch, 28. Juni 2023

kleiner Diskursbeitrag zur genossenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre

2017 erschien im Sammelband  "Transformative Wirtschaftswissenschaft im Kontext nachhaltiger Entwicklung" ein Aufsatz von Johannes Blome-Drees und Burghard Flieger mit dem Titel "Impulsgeber für eine transformative Wirtschaftswissenschaft: Grundsätzliche Überlegungen zu einer Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften". Ich war gespannt, ob die Autoren wie ich einige Jahre später das Nutzenmaximierungskalkül einer bedarfswirtschaftlichen bzw. genossenschaftlichen BWL herausarbeiten würden, siehe mein Artikel von 2020 hier

Dies war nicht der Fall. Während es auf der einen Seite überraschen mag, haben sie doch in einem Artikel von 2021 den grundsätzlichen Aspekt von Bedarfswirtschaft verstanden (sie hatten dafür eine Basis gehabt, da sie mit anderen Autoren Thiemeyer von 1975 zitieren, siehe hier) , weist der Artikel einen Widerspruch auf, der erklären kann, warum die Autoren meinen Vorschlag nicht bereits entdeckt hatten. Dies will ich hier kurz ausführen.

Zur Orientierung hier noch einmal der Ansatz aus meinem oben verlinkten Artikel von 2020:

"Das Auswahlprinzip der BWL ist die Zielsetzung der Nutzenmaximierung für das jeweilige Unternehmen im Rahmen einer guten Unternehmensführung. Dabei gibt es zwei gleichberechtigte Säulen, die letztlich über die Wahl der Unternehmensform vorentschieden wird. Bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen bedeutet dies konkret die langfristige Gewinnmaximierung, bei bedarfswirtschaftlichen Unternehmen die Nutzenmaximierung für die Adressaten der Leistungserstellung. Im Falle von öffentlich-gemeinnützigen oder privat-gemeinnützigen Unternehmen sind dies die Kunden, im Falle von Genossenschaften und wirtschaftlichen Vereinen sind das die Mitglieder.

Dabei ist wahrscheinlich im Fall der Erwerbswirtschaften und der Gewinnmaximierung das Maximalprinzip dominant, da man ein gebendes Reservoir an Mitteln hat und damit ein maximales Ergebnis erzielen will und im Fall von Bedarfswirtschaften das Minimalprinzip, da der Grundbedarf sich relativ konkret ermitteln lässt und man dann versuchen kann diesen mit entweder möglichst wenig öffentlichen Geldern zu erreichen oder im Falle von Genossenschaften dies mit miminalem Aufwand, um den Mitgliedern eine maximale Ersparnis zu ermöglichen."

Zum Maximal- und Minimalprinzip siehe die Erklärung bei Wikipedia

Auf Seite 285 des Sammelbandes schreiben die Autoren richtig: "Genossenschaften wurden und werden bewusst als Gegenmodell zu erwerbswirtschaftlichen Unternehmen geschaffen, deren Gewinnorientierung den Shareholder Value in den Mittelpunkt stellt. Im Zentrum einer Genossenschaft stehen demgegenüber der Mensch und damit besonders auch der Member Value." Wirtschaftliches Handeln in Genossenschaften bedeutet somit im Kern die Maximierung des Wertes der betrieblichen Leistungenserstellung für die Mitglieder der Genossenschaft. Auf Seite 286 schreiben die Autoren dann aber: "Die folgenden Überlegungen sind Ausdruck und Teilaspekt einer Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften , die sich als Management- bzw. Handlungslehre versteht. Die inhaltliche Argumentsationslinie [des Artikels im weiteren Verlauf, Anmerkung von mir] geht auf grundsätzliche Probleme des Managements von Genossenschaften ein. Im Mittelpunkt stehen genossenschaftliche Entwicklungsperspektiven, die anhand unterschiedlicher Sinnmodelle diskutiert werden. Sie nehmen einen breiten Raum ein, um aufzeigen, dass Genossenschaften, auch wenn sie einer anderen Form der Betriebswirtschaftslehre bedürfen, nicht grundsätzlich transformativen Charakter haben. Dieser kann erst bei fortschrittsfähigen Genossenschaften zur Geltung kommen. Entsprechend ist mit den Ausführungen ein Postulat zugunsten fortschrittsfähiger Genossenschaften verbunden, die ihren Sinn nicht auschließlich in der Befriedigung der Mitgliederbedürfnisse und der Sicherstellung ihres eigenen Uberlebens, sondern in der angemessenen Berücksichtigung des Gemeinwohls sehen und damit in besonderem Maße das alternativökonomische und transformative Potential von Genossenschaften widerspiegeln". Dies ist ein krasser Widerspruch. letztlich schreiben die Autoren Genossenschaftzen seien dann "fortschritssfähig", wenn sie das aufgeben was sie in ihrem Kern ausmacht, die Ausrichtung auf die Mitglieder. Wer solche Widersprüche in seiner Logik zulässt, muss sich nicht wundern dass er zu keinen klaren Aussagen kommt. Sollte im Übrigen eine Betribswirtschaftslehre nicht für alle Unternehmen fordern, dass sie im Rahmen guter soziaerl und gesellschaftlich verantwortungsvoller Unternehmensführung agieren? Wäre es nicht für alle Unternehmen langfristig riskant dies nicht zu tun und damit die planetare und die gesellschaftliche Basis für die eigene erfolgreiche wirtschaftliche Tätigkeit zu riskieren? Gute Unternehmensführung ist insoweit nichts spezifisch genossenschaftliches. Spezifisch ist die Fokussierung auf die Mitgliederförderung. Würde dies aber grundsätzlich aufgeben zugunsten einer allgemeinen Gemeinwohlorientierung als Unternehmenszielsetzung würde die Genossenschaft außerdem ihre Grundausrichtung von Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung verlieren, die auch von den Autoren als für Genossenschaften charakteristisch aufgezählt werden. Das Gemeinwohl als Ausrichtung eigent sich viel mehr für kommunale Unternehmen und Stiftungsunternehmen. Hier wird noch einmal deutlich wie wichtig und hilfreich die Unterscheidung von Thiemeyer zwischen gemeinwirtschaftlich und privatwirtschaftlich ist (zu letzerem gehören Genossenschaften), siehe mein Artikel hier

Gesamtgesellschaftlich können Genossenschaften dann am meisten leisten, wenn man sie das machen lässt, was in ihnen angelegt ist im Rahmen guter Unternehmensführung. Gerade weil sie nicht auf Gewinnmaximierung und nicht auf Bedarfsweckung sondern auf Bedarfsdeckung angelegt sind, können sie viel nachhaltiger geführt werden als erwerbswirtschaftliche Unternehmen. Da sie eher Grundbedarfe decken sind sie auch aus sozialen Gesichtspunkten vorteilhaft (mehr dazu siehe zum Beispiel mein Artikel hier). Hinzukommt, dass sie das Potential haben breite Kreise der Bevölkerung wirtschaftlich zu fördern und so den Gegensatz zwischen arm und reich vermindern können.

Wenn die Wirtschaftswissenschaft transformativ sein soll, wäre es gut, wenn sie erst einmal zu weitgehender Klarheit und Widerspruchsfreiheit findet. Vielleicht kann ich mit diesem Diskursbeitrag dazu beitragen. In diese Richtung ging auch mein Vorschlag der Systematisierung der BWL hier. Außerdem wird es nach meiner Einschätzung dann zu mehr Transformation kommen, wenn wir sowohl individuell als auch kollektiv uns bewusster werden, wer wir sind und was es braucht, um hier auf diesem Planeten mit allen anderen Lebewesen bestmöglich auszukommen.