2017 erschien eine hoch spannende Studie, die die Geschichte der
Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland inklusive der Phase nach
Beendigung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) 1989 und die
Etablierung der Vermietungsgenossenschaft ab 1990 ausführlich
beschreibt.
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-17570-2
Wer sich für Wohnungsgenossenschaften in Deutschand interessiert, für den ist es gut zu verstehen, was damals passierte und
wie das heute noch nachwirkt. So besteht bis heute die nachteilige Situation fort, dass Wohnungsgenossenschaften sich im Gegensatz zur Schweiz nicht in einem eigenen Verband organisieren, sondern im Gesamtverband der Wohnungsunternehmen (GdW) als einem Mischverband mit vielen Wohnungsunternehmen, die andere Interessen haben.
In der Studie (die Autoren stehen den Grünen und der Linkspartei
nahe) wird außerdem Wohnungsgemeinnützigkeit in den Niederlanden und in
Österreich betrachtet, nicht aber die Schweiz. Auffällig ist,
dass Genossenschaften bei ihnen nur als Umsetzungsvariante politischer
Ziele vorkommen. Das Besondere von Genossenschaften tritt zurück bzw. bleibt unbeachtet. Hier besteht immer die Gefahr, dass
Genossenschaften für politische Ziele instrumentalisiert werden. Man beachtet nicht, dass Genossenschaften
Selbsthilfevereine für die Mitglieder sind, die darauf angelegt sind,
autonom zu handeln.
Sehr spannend ist der Vergleich mit Österreich, dessen
Wohnungsgemeinnützigkeit die Autoren gut finden und die dort eine sehr
große praktische Bedeutung hat. Dabei arbeiten sie eine wichtige Leitidee linker Wohnungspolitik
heraus: "Der Gedanke der Verbindung von Wohnraumförderung und
Gemeinnützigkeit war darin begründet, dass Erträge, welche mithilfe der
Wohnbauförderung erwirtschaftet wurden, im Vermögen der gemeinnützigen
Bauvereinigungen gebunden bleiben bzw. reinvestiert werden müssen und somit langfristig den öffentlichen Förderaufwand reduzieren." Das
widerspricht § 19(1) Genossenschaftsgesetz wo es heißt " Der bei
Feststellung des Jahresabschlusses für die Mitglieder sich ergebende
Gewinn oder Verlust des Geschäftsjahres ist auf diese zu verteilen."
Mitunter sieht man in der Praxis eine Rücklagenpolitik in traditionellen großen Wohnungsgenossenschaften, die in diesem falschverstandenen-politisch-gemeinnützigen
Sinn unterwegs sind. Die Genossenschaftswissenschaft hat dem schon lange widersprochen und erklärt, dass in
Genossenschaften Gemeinnützigkeit über die Förderung der Mitglieder
zu funktionieren hat, auch wenn das oberflächlich betrachtet ein Widerspruch zu
den landläufigen Verständnis von Gemeinnützigkeit zu sein scheint [Keßler 2015]
Das Buch geht auch auf die NS-Zeit ein, bleibt aber aus
genossenschaftlicher Sicht zu unkritisch. So erwähnt es zum Beispiel den
Aspekt, dass ab 1940 über das Gesetz über die Gemeinützigkeit im Wohnungswesen (Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz) die deutsche Familie gefördert
werden sollte (S.78) beachtet aber nicht, dass Genossenschaften nur dem
Zweck dienen, ihre Mitglieder zu fördern, egal ob sie in Familien leben
oder nicht. Der Passus zur Familie war selbst in der letzten Fassung des
WGG noch enthalten(!) und wurde erst im letzten Kommentar zum Gesetz
von 1988 krititisiert, aber auch nur in Bezug auf das Grundgesetz, nicht
im Hinblick auf die Genossenschaftsidee.
Die Studie erwähnt auch den
Aspekt, dass bei Auflösung eines Unternehmens nach dem WGG nur der
Nominalwert, nicht der Realwert an die Mitglieder fliesen darf (S.106).
Das ist ein riesiger Unterschied, fast ein alles oder nichts. Bei einem dem Autor bekannten Beispiel einer Wohnungsgenossenschaft wären das zum Beispiel 150,- € statt circa 6.000 € je
Anteil. Bei 20 Anteilen je Mitglied entspricht das 3000,- € statt 120.000
€. Die Autoren bleiben aber auch hier unkritisch und
erwähnen nicht, dass es zum Wesen einer Genossenschaft als Gesellschaft
gemeinsamer Unternehmerschaft gehört, im Falle einer Auflösung die
Liquidationserlöse unter den Mitglieder anteilsmässig aufzuteilen.
Pikant ist der Falle Neue Heimat, den die Studie erwähnt. Dort hat sich
der Staat aus Eigeninteresse anscheinend nicht an das eigene Gesetz
gehalten (S. 107)
Dazu stehen die Überlegungen der CDU Regierung im Kontrast unter Kanzler Helmut Kohl,
die in Deutschland das
Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz abschafften, aber die
Wohnungsgenossenschaften durch die Schaffung der Instituts der
Vermietungsgenossenschaft erhalten haben. 1984 wurde unter Finanzminister
Stoltenberg eine Kommision ("Hofbauer-Kommision") einberufen, die zur
WGG unter anderem feststellte: "Einzig die Wohnungsgenossenschaften,
beschränkt auf die Vermietung an die eigenen Mitglieder, wären als
bestandsverwaltende Selbsthilfeorganisationen förderungwürdig und
sollten wie privat genutzer Wohnraum steuerbefreit sein" (S.146) Der
Vorgängerverband des GdW, der GGW, argumentierte dagegen (S.146).
zu den Autoren der Studie:
Kuhnert studierte Erziehungswissenschaften, Soziologie und Politik
Der zweite Autor Olof Leps ist Berater für den
öffentlichen Sektor, hat also auch kein spezielles berufliches Interesse
an Genossenschaften
Das erklärt vielleicht, warum sie
die genossenschaftliche Betriebswirtschaft so wenig beachten. Dennoch ist
das Buch sehr lesenswert, nicht zuletzt, weil es ausführlich über die
Diskussion berichtet und auch Literaturhinweise nennt, die mehr an
Genossenschaften interessiert sind als die Autoren selbst.
Wichtig ist es, denke ich, zu erkennen, dass
Genossenschaften zum einen von vielen Interessenskreisen für eigene
Zwecke als nutzbar und attraktiv angesehen werden, dass sie aber per se
überparteilich sind und nach Regeln funktionieren, die für alle
Demokraten akzeptabel sind, also neben bürgerlich-liberalen Kreise auch
für linke Kreise, soweit sie die soziale Marktwirtschaft als
Ordnungsrahmen akzeptieren und nicht doch die Produktionsmittel
verstaatlichen wollen oder Unternehmen ihre Autonomie nehmen wollen
(letzteres hat viele Graustufen, auch im Bereich Bauen und Wohnen, wie das Bündnis für Wohnen in Hamburg zeigt, bei dem Einfluß genommen wird auf die "Produktionspläne" eigentlich autonomer privatwirtschaftlicher Unternehmen).
Sozial ausgerichtete Politiker müssen, denke ich, lernen, dass sie
Genosseschaften nicht mit kommunalen Wohnungsunternehmen gleichsetzen
können, sondern dass Genossenschaften eigene Stärken haben und es für
alle am besten ist, wenn man Genossenschaften nach ihrer eigenen Facon
glücklich werden lässt. So können sie am meisten zu einer guten Gesellschaft beitragen. Was das für einzelne Wohnungsgenossenschaften bedeutet, kann am besten in jedem Fall indivduell herausgefunden werden in der gemeinsamen Beratung und im Konsens der Mitglieder.
Nachbemerkung: Ich konnte das Buch nur am Rande und
auszugsweise lesen, weil ich keine Forschungsmittel zur Verfügung habe. Wer meine Arbeit finanziell unterstützen möchte, kann sich gerne mit mir in Verbindung setzen.
Literatur
Keßler, Jürgen, Kommentar zur Gemeinnützigkeit von Genossenschaften, Skills Eg, Newslwetter der EBZ, 2/2015 Seite 4, https://www.e-b-z.de/presse/publikationen.html
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