Sonntag, 8. Juli 2012

Soll Europa langfristig ein Bundesstaat oder ein Staatenbund sein?



"Bei Staatenbünden liegt die staatliche Souveränität immer noch bei den einzelnen Staaten. Bei der Gründung eines föderalen Gesamtstaates hingegen geben die nachmaligen Gliedstaaten – wie etwa in Deutschland und Österreich die Länder/Bundesländer, in der Schweiz die Kantone oder in den USA die Bundesstaaten (states) – ihre Souveränität teilweise an den Bund ab"
 
Bei einem föderalen Europa würde also staatliche Souveränität an eine europäisch Exekutive, Legislative und Judikative abgegeben.

weiter bei Wikipedia:
"Dies äußert sich insbesondere dadurch, dass im Bundesstaat der Bund die sogenannte Kompetenz-Kompetenz (oder auch Kompetenzhoheit) besitzt. Diese ermöglicht es ihm, die Kompetenzen zur Wahrnehmung neuer Staatsaufgaben aus seiner eigenen Machtfülle heraus an sich zu binden. Die Gliedstaaten können die Erfüllung von Staatsaufgaben nur in dem Maße selbst leisten, wie ihnen die dafür nötigen Kompetenzen vom Bund zugestanden werden. In Staatenbünden hingegen entscheiden die einzelnen Staaten, ob sie dem Bund Kompetenzen überlassen wollen."

Aha, letztlich muss klar sein, wer das Sagen hat.

In einer Demokratie mit einer Verfassung sollte die Souveränität vom Volk ausgehen.

These 1: Solange sich in Europa die überwiegende Mehrzahl der Menschen in ihrer Identität noch mehr als Teil eines Staatsvolkes als als Teil des europäischen Volkes begreifen, solange geht von den einzelnen Völkern die Souveränität aus und solange sollte die Kompetenz-Kompetenz auf nationalstaatlicher Ebene verbleiben.

These2: Langfristig ist die Vision eines zentral verfassten Europas, legitimiert durch ein europäisches Staatsvolk, dennoch sinnvoll.

These 3: Auch wenn die Kompetenz-Kompetenz auf nationaler Ebene verbleibt, ist es sinnvoll und möglich eine demokratisch verfasste europäische Föderation zu schaffen, bei der eine europäische Exekutive, Legislative und Judikative in einigen Politikbereichen die wichtigste Ebene darstellt.

These 4: Um dort hinzugelangen, sollten wir einen europaweiten Diskurs führen und die bestehende Europäische Union auf dem jetzigen Stand fortführen, aber nicht versuchen kurzfristig weiter Souveränität nach Brüssel abzugeben. Sollte der Euro nicht mehr zu halten sein und die Euro-Zone (17 Staaten) zerbrechen, sollten wir auf der Ebene der Europäischen Union (27 Staaten) auf der derzeitigen Vertragsbasis weiter zusammenarbeiten.

weitere Fragen:

Ist die Tatsache, dass in Europa viele Sprachen gesprochen werden, die für die Menschen identitätsstiftend sind, ein Hinderungsgrund, um langfristig zu einem europäischen Staatsvolk als souveräner verfassungsgebender Ausgangspunkt für eine europäische Föderation mit Bundesstaatscharakter zu gelangen?

Es erschwert sicher die Sache, ist aber kein absoluter Hinderungsgrund. Die Schweiz zeigt, dass eine nationale Identität auch bei mehreren Sprachen möglich ist. In der Schweiz gibt es aber einen Gründungsmythos, der identitätsstiftend ist und eine gemeinsame Geschichte. Und es gab wohl einen sehr großen Druck sich gegen übermächtige Gegner zusammenzuschließen. Ich denke mit den Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg und der historischen Entwicklung der Europäischen Union, mit den „Gründervätern“ De Gaulle und Adenauer haben auch wir eine identitätsstiftende Geschichte als Europäer, eingebettet in den weiten historischen Kontext der europäischen Geschichte mit der griechisch/römischen Zivilisation und dem christlich-jüdischen Erbe. Ich denke aber, dass zu unserer Geschichte kurz-und mittelfristig eher eine europäischen Föderation passt, bei der die Kompetenz-Kompetenz noch auf nationalstaatlicher Ebene liegt, als dazu bereits jetzt einen föderalen Bundesstaat nach amerikanischem Vorbild zu gestalten. Ich glaube ein guter Umgang mit der aktuellen Finanz-und Eurozonenkrise kann aber dazu beitragen in diesem Sinne weiter zusammenzuwachsen. Das hiese für mich aber eher Euroaustritte und Staatsinsolvenzen zuzulassen und dabei die Erfahrung zu machen, dass uns das in Europa eben nicht auseinanderreisst!

Würde in einem europäischen Bundesstaat sich letztlich eine gemeinsame Amts- und Geschäftssprache durchsetzen, was bei globaler Perspektive wohl Englisch wäre?

Ich vermute ja und für mich persönlich wäre es in Ordnung, da ich zwei Jahre in England gelebt habe. Ich vermute aber, dass es bei der Mehrheit der Europäer dazu eher Vorbehalte gibt. Vielleicht entschärft sich aber bis dahin dieses Problem durch technische Hilfsmittel wie spracherkennungsbasierte simultane Übersetzungsprogramme auf Smartphones oder ähnlichem.

2 Aspekte zum ESM, 1 Aspekt zum Euro

1. zum Thema, dass Bundespräsident Gauck das Gesetz zum ESM auf Bitten des Bundesverfassungsgericht nicht unterschrieb und Eilanträge deshalb behandelt werden können, schreibt die FAZ heute, dass beim EFSF Herr Gauweiler ebenfalls einen Eilantrag stellte, aber Bundespräsident Köhler dem durch eine Unterschrift zuvorgekommen ist. Ich bin sehr froh, dass Herr Gauck aktuell dieses Amt bekleidet. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/bundesverfassungsgericht-europa-haengt-an-einer-unterschrift-11813446.html

2. Den 172 Ökonomen wurde vorgeworfen, keine Lösungsvorschläge zu machen. Prof. Sinn bereits am 29.06.2012 sehr knapp und einfach in Bezug auf die südeuropäsichen Bankschulden von ca. 2 Billionen Euro ab 32min50sec: http://www.youtube.com/watch?v=Ui0NOk_lSbU&feature=tn debt equity swaps: also die jeweiligen Gläubiger der jeweiligen Banken müssen ihre Forderungen in Eigenkapital der Banken umwandeln lassen. Finde ich sehr gut.

3. Bernard Lietaer argumentiert, dass ein Finanzsystem durch eine Vielfalt von Währungen mit paralleler Gültigkeit an Stabilität gewinnt. Auch wenn ich mir bei vielen seiner Aussagen nicht sicher bin, ob er recht hat, leuchtet mir obige Grundaussage ein. Sie ist genau das Gegenteil des Euro. http://www.youtube.com/watch?v=5Zoud9tFEmwhttp://www.youtube.com/watch?v=T9EI2PrDpmw