Freitag, 27. September 2019

Loslassen des Wachstumsdenkens bei Metropolen und Wohnungsgenossenschaften

Die gestrige sehr spannende Diskussionsrunde von Genossenschaft-von-unten Hamburg https://genossenschaft-von-unten-hamburg.de/ hat bei mir weitergehende Überlegungen angeregt, die ich hier teilen will:

Ole von Beust hatte als Bürgermeister von Hamburg in den 2000er Jahren die Parole der wachsenden Stadt ausgegeben und dabei viel Zuspruch der Hamburger erfahren. Seitdem wächst Hamburgs Bevölkerung. Durch Migration hat sich dieser Trend verstärkt und Hamburg hat sich unter Olaf Scholz höhere Ziele beim Wohnungsneubau gesetzt. Die meisten Wohnungsgenossenschaften Hamburgs versuchen dazu ihren Beitrag zu leisten und haben sich dazu im Hamburger Bündnis für Wohnen verpflichtet https://www.hamburg.de/bsw/buendnis-fuer-das-wohnen/ . Da viele Wohnungsgenossenschaften durch ihre Satzung als Baugenossenschaften aufgestellt sind, sind sie darauf ausgerichtet, neu zu bauen und zu expandieren. Dies führt in der Praxis in der Regel dazu, dass sie jedes Jahr Umsatz- und Gewinnsteigerungen planen und mit stetigen Erhöhungen ihrer Nutzungsentgelte planen.

Meine These an dieser Stelle ist, dass wir gerade an einem Punkt ankommen, bei dem wir merken, dass diese gut gemeinte positive Einstellung zum Wachstum auf Dauer nicht sinnvoll ist und wir eine neue Perspektive benötigen: Ich sehe die Notwendigkeit, dass wir sowohl als Metropolen davon wegkommen, expandieren zu wollen wie auch als Baugenossenschaften eine Änderung von immer weiter bauen hin zu einem Bestandshalter vollziehen sollten. Wann und in welcher Geschwindigkeit hier ein Umsteuern erforderlich ist, ist sicher im Einzelfall zu klären, aber dass dies erfolgen muss, wird unvermeidbar sein. Nach meinem Gefühl löst das Widerstände hervor, da Stillstand sich negativ anfühlt. Vielleicht kann man sogar sagen, dass der dem Kapitalismus innewohnende Wachstumsgedanke deshalb so schwer aufgegeben wird, weil wir dann das Gefühl haben, dem Tod näher zu sein. Kein Wachstum heist in gewisser Weise Stagnation und das fühlt sich an, als sei man näher beim Tod. Bezogen auf ein Lebenswesen ist es ja auch so: Menschen, wie auch alle Wirbeltiere, wachsen bis sie erwachsen sind und bleiben dann weitgehend gleich groß. Damit ist  diese Lebensphase der Reife näher am Tod als die Wachstumsphase als Kinder und Jugendliche. Kommen wir als Menschheit auf diesem Planeten Erde gerade an den Punkt, wo wir langsam erwachsen werden und entdecken, dass wir nicht weiter wachsen müssen und dennoch ein gutes Leben führen können? Ist es sogar so, dass wir dazu auch als Kollektiv "mental" erwachsen werden müssen, sprich die Verantwortung für unser Handeln voll übernehmen? Und ist es nicht so,  dass gerade darin die Chance besteht eine hohe ganzheitliche Lebensqualität leben zu können, die an dieser Stelle gut und richtig ist?

In Bezug auf Wohnungsgenossenschaften wäre wohl die richtige Antwort, bei der wirtschaftlichen Planung und der Mietenpolitik sich von stetiger Expansion als Grundsatz zu verabschieden und sich frei zu machen, die aktuelle Situation frisch zu betrachten und mit mehr Freiheit sie so zu gestalten, wie sie für die Mitglieder passend ist, eingebettet in das Ziel, ein konstruktiver Akteur für das lokale und globale Umfeld zu sein.

In Bezug auf die Wohnungspolitik in Metropolen wäre die Antwort wohl, sich von der Vision wachsender Metropolen zu verabschieben und die jeweilige Situation ebenfalls ganz neu zu betrachten und zu schauen was die Bedürfnisse der Bewohner sind, gemeinsam mit den Bürgern Antworten zu formulieren und zu schauen welche Beiträge geleistet werden müssen, um mit unserem Planeten Erde insgesamt gut umzugehen und eine Klimakatastrophe durch zu hohe CO2 Emssionen zu verhindern.


Samstag, 31. August 2019

Was passiert, wenn Genossenschaften sich wie Stiftungen verhalten?

Dass es in der Praxis dazu kommen kann, dass Genossenschaften sich wie Stiftungen verhalten, ist nicht weiter verwunderlich. Nehmen wir mal an, es gäbe eine Stiftung, die ein großes Portofolio von Wohnungen verwaltet, dass sie allen denjenigen zugute kommen lässt, die dem Förderziel der Stiftung entsprechen. Ist man vom Ziel der eigenen Stiftung fest überzeugt und will man sie in ihrem Wirken langfristig erhalten, ist es wichtig und richtig, darauf zu achten, dass der Wohnungsbestand in einem guten bis sehr guten Zustand erhalten wird und dass genügend Mieteinnahmen erzielt werden, um alle Kosten der Wohnungensinstandhaltung und der Verwaltung zu decken und in der Lage zu sein, in die Jahre gekommene Wohnhäuser falls notwendig durch neue zu ersetzen, sowie auch zusätzliche Häuser zu bauen, sollte das Teil des Stiftungsziels sein. Es ist dann verantwortlich absolut sicher zu gehen, dass keine Wohnungen zu günstig vermietet werden, um die Substanz der Stiftung nicht zu schmälern. Umso mehr Substanz aufgebaut wird, umso besser ist dies für die zukünftigen Möglichkeiten der Stiftung, wohltätig zu wirken. Solange die Mieten für die Mieter gut finanzierbar sind und die Wohnungen in einem guten Zustand sind, sind die Mieter zufrieden und freuen sich Begünstigte der Stiftung zu sein. Sie sind der Stiftung und ihren Repräsentanten wohl gesonnen. Sie vertrauen der Geschäftsführung und wünschen sich die Fortsetzung dieser Entwicklung für die kommenden Jahre.

In einer Genossenschaft ist die Situation etwas anders gelagert. Ziel einer Genossenschaft im Bereich Wohnen ist die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder durch die Bereitstellung von Wohnungen in guter Qualität zu Nutzungsentgelten so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig. Da die Mitglieder gemeinsam Eigentümer des Unternehmens sind, sind sie zugleich Mitunternehmer und eine Wohneigentümergemeinschaft. Sie zahlen keine Miete sondern Nutzungsentgelte, die sich danach richten wie hoch die Kosten der Bewirtschaftung für Bau, Erhalt und Bewirtschaftung der jeweiligen Wohnanlage sind. Gerade in Wohnungen, die schon lange genutzt werden und deren Herstellkosten abgeschrieben sind oder bei einem Bruchteil dessen lagen, zu dem heute gebaut werden kann,  kann dies bedeuten, dass die "Kostenmiete" deutlich unter dem liegt, was Mietern am freien Wohnungsmarkt für solche Wohnungen abverlangt wird, die nicht zugleich Eigentümer innerhalb einer Genossenschaft sind. Da im Gegensatz zu einer Stiftung es in einer Genossenschaft darum geht, die Mitglieder wirtschaftlich zu fördern und es kein weiteres rang-gleiches Ziel gibt, gilt der Grundsatz, dass dieses Ziel bestmöglich zu erfüllen ist, im Rahmen der allgemein anerkannten Prinzipien guter Unternehmensführung, nach der ein Unternehmen sich immer auch als guter Arbeitgeber und verantwortlich handelnder Akteur im öffentlichen Gemeinwesen und gegenüber der Umwelt verstehen sollte. In der Praxis kann dies bedeuten, dass Wohnungsgenossenschaften ältere Wohnungen oft zu Nutzungsentgelten anbieten, die weit unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Diese Genossenschaften sind dann gewinnorientiert mit dem Fokus auf eine Nutzenmaximieung für ihre Mitglieder statt im Sinne der Substanzmaximierung einer Stiftung.

Beide Unternehmensformen können verantwortliches wirtschaftlichen Handeln bedeuten, sind aber in ihren Auswirkungen deutlich unterscheidbar.

Falls Genossenschaften aufgrund von Dyamiken lebendiger Organisationen sich über lange Zeit hin zu Unternehmen mit Stiftungscharakter entwickelt haben oder weiter entwickeln, ist dies empirisch eine Entwicklung, die in den Wirtschaftswissenschaften im Feld der neuen Institutionenökonomik seit Jahrzehnten bekannt ist und erforscht wird (siehe zum Beispiel das  Prinzipal-Agenten-Dilemma, siehe  https://de.wikipedia.org/wiki/Prinzipal-Agent-Theorie  ). Fällt so eine Entwicklung auf, ist dies immer eine Einladung, sich darauf zu besinnen, welches Potential in der einmal gewählten Unternehmensform steckt und sich daran zu machen, dieses zu heben.