Montag, 6. Juni 2022

Anmerkungen zu Ralf Antes Habilitationsschrift "Nachhaltigkeit und Betriebswirtschaftslehre"

Rolf Antes Kritik an der herkömmlichen BWL

Antes schreibt auf Seite 26 [Ralf Antes "Nachhaltigkeit und Betriebswirtschaftslehre - Eine wissenschafts- und institutionentheoretische Perspektive, 2014], dass "wirtschaftswissenschaftliche Modellierung mitursächlich für nicht nachhaltiges Wirtschaften zunächst sei, wenn die Wissenschaft normativ, also gestaltungsorientiert betrieben wird und gleichzeitig soziale und ökologische Knappheiten und deren Treiber ausgeblendet werden. Und weiter: "Die Irrelevanz in Gestaltungsempfehlungen präjudiziert [dh. vorwegentscheidet] das Entstehen ebensolcher Knappheiten (negative externe Effekte, soziale Kosten), ob intendiert oder nicht. Es wird in dieser Arbeit deutlich werden, dass dies auf weite Teile der Ökonomik und der Betriebswirtschaftslehre zutrifft".

Hier bin ich skeptisch bzw. es sieht für mich nach einem falschen Ansatz aus bzw. nach einem logisch unzulässigen Umkehrschluss:

Die auf der Mikroökonomie basierende Betriebswirtschaftslehre in der Ausprägung von Gutenberg und dargestellt von Wöhe ist ja angelegt als funktionierend innerhalb einer sozialen Marktwirtschaft. Das heißt die Internalisierung nicht quantifizierter sozialer externe Kosten muss vom gesellschaftlichen Ordnungsrahmen geschaffen werden, zum Beispiel über Kündigungschutzgesetze, Gesetze der Mitbestimmung und über das Aushandeln von Tarifverträgen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Genauso ist es in einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft und in darüber angesiedelten Wirtschaftsräumen eine gesellschaftliche Aufgabe einen entsprechenden Ordnungsrahmen zu schaffen. So müssten weltweit zum Beispiel die Emission von CO2 mit hohen Kosten belegt werden und die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle am sichersten bis 2025 spätestens bis 2035 vollständig verboten werden, wollte man die Erhitzung auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen. [siehe zum Beispiel https://www.sueddeutsche.de/wissen/hochwasserkatastrophe-schaeden-kosten-klimawandel-co2-preis-hurrikan-1.5402770 ] Einer BWL in diesem Sinn vorzuwerfen, dass sie externe Kosten nicht zum Teil ihres eigenen Entscheidungskalküls macht, hiese von ihr etwas zu verlangen was sie so nicht leisten kann. Letztlich wäre damit eine Gewinnmaximierung nicht mehr möglich.

Die überlegende Alternative ist eine ABWL die zwei Säulen hat, die bedarfswirtschaftliche, die auf Gewinnmaximierung verzichtet und die gewinnorientierte erwerbswirtschaftliche, die zwar Gewinnmaximierung betreibt, allerdings sich zu Prinzipien guter Unternehmensführung verpflichtet und selbst fordert, dass sie in einem ökologisch-sozialen Ordnungsrahmen operieren darf und sich auch dafür ausspricht, dass ein solcher global etabliert wird. Barack Obama führte die Idee des "even  playing field", ein ebenerdiges Spielfeldes ein für alle auf dem Markt agierende Unternehmen. [aus Anlass von unfairen Handelspraktiken seitens Chinas zum Beispiel in der state-of-the-union adress von 2012 https://obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2012/01/24/remarks-president-state-union-address ]

Majo Göpel fordert seit längerem eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Ist feststellbar ob ihr Ansatz "The great Mindshift" zu einer auf der Mikroökonomie basierende ABWL kompatibel ist?

https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-319-43766-8

Soweit ich das sehe, schreibt Göpel in diesem Buch nicht innerhalb der ABWL, sondern gibt Anregungen für "Pionierunternehmen" und "Pionierverhalten " von Regierungen. Dies wären dann Aspekte, die zum einen innerhalb der ABWL im bedarfswirtschaftlichen Teil abgedeckt wären (zum Beispiel bei der BWL von Genossenschaften, von öffentlichen Unternehmen und von Stiftungsunternehmen oder aber innerhalb der staatlichen Ordnungsvorgaben einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft.

Ich halte deshalb die konzeptionelle Erweiterung der auf der Mikroökonomik berufende ABWL um eine bedarfswirtschaftliche Komponente weiterhin für ein sinnvolles Unterfangen.

Zusatzfrage:

Macht es Sinn, sich weiter mit dieser klassischen ABWL zu befassen wo doch schon systemische, entscheidungsorientierte und insitutionenökonomisch orientierte Ansätze vorliegen? Ich denke ja. Alle diese drei neueren Ansätze haben ihre Berechtigung und ihren Sinn und sollten bei der Beantwortung von konkreten Fragen hinzugezogen bzw. auf Nützlichkeit abgeklopft werden. Sie können aber die Basisanalyse nicht ersetzen.

Ergänzung:

Argumentiert man von der Empirie her, dass die Ergebnisse des sozialen Ausgleichs der sozialem Marktwirtschaft zu gering seien und die Ergebnisse einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft vermutlich auch zu gering seien werden, und dass dies auch der ABWL anzulasten sei, kann man antworten, dass zum einen dann die ordnungspolitischen Maßnahmen erhöht werden müssen und dies ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess ist und kein Manko der ABWL, und dass zum zweiten bei einem Anstieg des gesellschaftlichen Bewusstsein immer weniger Menschen für gewinnmaximierende Unternehmen arbeiten wollen werden und in sie investieren wollen werden und statt dessen Unternehmen bevorzugen werden, die bedarfswirtschaftlich agieren und von sich aus neben Renditezielen eine ökologische Ausrichtung verfolgen. Das können zum Beispiel Genossenschaften sein, es können aber auch Aktiengesellschaften oder GmbHs sein. Großunternehmen wie Microsoft, die sich das sicher relativ leicht leisten können machen dies bereits aus eigenem Antrieb und werden damit von Seiten ihrer Aktionäre toleriert.

Gibt man sich damit nicht zufrieden, bleibt nur die Aufgabe der Gewerbefreiheit und damit die Staatswirtschaft. Dies halte ich für den falschen Weg.

Nachsatz: 

Das Buch von Antes beginnt im Vorwort mit dem Satz "Institutionen prägen das Verhalten von Menschen". Ich denke tatsächlich, dass sowohl Ideen als auch das Bewusstsein wer man ist, wo man sich befindet und was potentiell möglich ist noch stärker das Verhalten von Menschen prägen kann und auch prägen sollte als man dies Institutionen zubilligt bzw. sie dies praktisch oft tun.


Donnerstag, 19. Mai 2022

Gewinnorientierung als Zeitgeistsaspekt in der Fachliteratur zur Wohnungswirtschaft

Ich hatte in der Vergangenheit mehrmals über den Ansatz der Nutzenmaximierung bei bedarfswirtschaftlichen Unternehmen als 2. Säule der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre neben der Säule der Gewinnmaximierung in erwerbswirtschaftlichen Unternehmen gebloggt. Ein großes Anwendungsfeld dieses Ansatzes sind öffentliche und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen. Im Rahmen der Sichtung von Literatur zum Thema untersuche ich heute einen Beitrag von Mathias Hain darauf, ob mein Ansatz der Nutzenmaximierung dort bereits erfasst wurde. Das Buch heist "Die Perfomance von öffentlichen Unternehmen am Beispiel von Wohnungsunternehmen in Deutschland", Gabler, Wiesbaden, 2008, Herausgeber Roland Berger Strategy Consultants. Es gibt einen umfassenden Überblick zur Fachliteratur zu öffentlichen Unternehmen im allgemeinen und öffentlichen Wohnungsunternehmen im besonderen bis zum Jahr 2008.


Unter dem Begriff Performance wird in dem Buch der Versuch unternommen, eine Leistungsmessung von Unternehmen nach mehreren Paramentern vorzunehmen. Im Einzelnen sind dies

- die Profitabilität (u.a. Umsatzrendite, Gesamtkapitalrendite)

- die operative Effizienz (u.a. Umsatz pro Mitarbeiter)

- Investitionen (u.a. Investitionen pro Umsatz)

- Beschäftigung (Anzahl der Mitarbeiter)

- Verschudlung (ua Fremdkapitalquote

- Dividenden (u.a. Dividende pro Umsatz)

(Hain S. 47f.)

Es fällt auf, dass fast alle Paramenter steigen, wenn Gewinn und/oder Umsatz steigen. Damit stehen sie im Widerspruch zu einem Ansatz, bei dem die Erfüllung von Bedarfen der Kunden der jeweiligen Unternehmen zu möglichst niedrigen Kosten und deren Weitergabe an die Kunden über niedrige Preise bestmöglich erfüllt d.h. maximiert werden. Dass man die "Perfomance" eines Unternehmens daran misst, was als Bedarfsdeckung bei den Kunden herauskommt, scheint dem Autor nicht in den Sinn zu kommen. Der bedarfswirtschaftlich-nutzenmaximierende Ansatz wird damit in dieser Untersuchung nicht als eine Möglichkeit der Leistungserbringung erkannt. Damit bleiben auch die Vorteile dieses Ansatzes mit potentiell geringerem Ressourceneinsatz und höherer Nachhaltigkeit genauso unbeachtet wie die Erkenntnis, dass er die effiziente und preiswerte Bedarfsdeckung für große Nutzergruppen erreichen kann.

Es ist für mich erstaunlich, dass der Autor und die sehr vielfältig von ihm zitierte Fachliteratur dies nicht erkannt bzw. vergessen hat. In den 1920er Jahren war das spezifische Potential bedarfswirtschaftlicher Unternehmen noch allgemein bewusst, zum Beispiel bei Max Weber oder Karl Hildebrandt (siehe frühere Blogbeiträge). Ein Problem scheint darin zu liegen, dass bei der Abgrenzung von öffentlichen Unternehmen die zitierten Autoren sich hauptsächlich auf die Eigentumsverhältnisse der Unternehmen beziehen und die Ziele im Bereich der Leistungserstellung der Unternehmen so gut wie keine Rolle spielen. Beachtet man die Ziele nicht, können sich aus ihnen auch keine Erkenntnisse zur bestmöglichen Betriebsführung ableiten lassen. So zitiert Mathias Hain Günter Püttner "Auf die Unterschiedlichkeit der Zwecksetzung, der Wirtschaftsführung und überhaupt der Unternehmenspolitik kann es nicht ankommen; auch ein öffentliches Unternehmen, das sich völlig wie ein privates verhält... bleibt im Verhältnis zur privaten Wirtschaft ein öffentliches Unternehmen, vielleicht ein schlechtes oder ein unzulässiges, aber eben doch ein öffentliches Unternehmen. Günter Püttner "Die öffentlichen Unternehmen: Handbuch zu Verfassungs- und Rechtsfragen der öffentlichen Wirtschaft, "2. Auflage, 1985, S. 21 zitiert nach (Hain S.12). Mit einer solchen Einstellung kommt man sicher nicht zu sinnvollen normativen Aussagen über Grundsätze guter Betriebsführung in bedarfswirtschaftlich-nutzenmaximierden Unternehmen.

Insgesamt scheint in 2008 der Zeitgeist vorgeherrscht zu haben, dass öffentliche Unternehmen ineffizienter sind als private und versuchen müssten ihrer Defizite auszugleichen, indem sie sich möglichst wie private erwerbswirtschaftliche Unternehmen verhalten, statt dass man erkannt hätte, dass in ihnen, wie in allen bedarfswirtschaftlichen Unternehmen, strukturell bzw. morphologisch (d.i. ihrer Wesensart innewohnend) ein anderes Potential angelegt ist, das es lohnt zu entfalten.

So schreibt Hain im Zusammenhang mit der Abschaffung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes Ende 1989 "Die Zielfunktion von öffentlichen Wohnungsunternehmen unterscheidet sich somit nicht mehr grundsätzlich von der privater Wohnungsunternehmen." Er zitiert dabei ein Buch des GdW, der als Bundesverband öffentliche und private Wohnungsunternehmen vertritt "dass öffentliche Wohnungsunternehmen zwar einen sozialen Versorgungsauftrag wahrnehmen, ....sie sind dennoch erwerbswirtschaftlich orientiert...".[Arbeitshilfe 51: Unternehmensstrategie und Balanced Scorecard: Strategieimplementierung in Wohnungsunternehmen, GDW, Berlin, 2006, Seite 12].