In einer mir bekannten großen
Wohnungsgenossenschaft hatte sich vor einiger Zeit eine Gruppe von
Mitgliedern organisiert, die sich zum Ziel gesetzt hatten, Einfluss
darauf zu nehmen, dass sich die Unternehmenspolitik mehr auf der
wirtschaftliche Förderung der Mitglieder ausrichtet. Als die Gruppe
im Rahmen des innergenossenschaftlichen Diskurses mehr und mehr zur
Kenntnis genommen wurde, wurde seitens der Geschaftsführung
geäußert, dass es gefährlich sei, einer Ideologie zu folgen. Wie
kann man in einem organisierten Gemeinwesen verhindern, dass aus
einem an sich guten Ansatz genau das passiert? Wäre das schlimm und
wenn ja, ist es eine reale Möglichkeit und wie sollte man sich als
Gruppe, die etwas zum Positiven bewegen will, positionieren, damit
diese Gefahr in der Praxis keine Rolle spielt?
Dass die Genossenschaftsidee - sich
gemeinschaftlich organisieren, um in einer Satzung festgelegte
gesellschaftlich akzeptierte und legale Ziele zu erreichen -
grundsätzlich eine sinnvolle und gute Sache ist, dem werden wohl die
meisten zustimmen. Wenn eine Gruppe innerhalb einer Genossenschaft
den Eindruck hat, dass es in diesem Bereich in ihrer Genossenschaft
Verbesserungsbedarf gibt und sich dafür engagiert, gehört dazu eine
ganze Menge Idealismus, da der Ausgang ihrer Aktivität unbestimmt
ist und sie dafür nicht bezahlt werden. Gerade in großen
Genossenschaften bringen sich die meisten Mitglieder in die
gemeinschaftliche Organisation des Geschäftsbetriebs gar nicht mehr
ein, trauen sich da oft auch nur wenig Mitsprachefähigkeit zu, in
der Regel weniger als zum Beispiel in politischen Fragen oder im
Fussball.
Ich persönlich rate an dieser Stelle
grundsätzlich dazu, sich auf das zu fokussieren, was eine
Genossenschaft ausmacht und gemeinsam zu prüfen und sich dafür
einzusetzen, dass Grundprinzipien genossenschaftlichen Handelns in
der jeweiligen Unternehmenspolitik erfüllt sind, Dies lässt sich
relativ leicht prüfen. Die wichtigsten Prinzipien hatte ich vor
einigen Monaten in der Hamburger Erklärung formuliert http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2019/03/hamburger-erklarung.html. An Hand
dieser Prinzipien kann man in Wohnungsgenossenschaften die eigene
Geschäftspolitik weiter entwickeln. Allerdings ist es zumindest theoretisch denkbar, dass Menschen darauf drängen könnten, dass
Grundprinzipien erfüllt werden, ohne auf die jeweilige Situation zu achten, was für die Mitglieder der Genossenschaft wirklich sinnvoll ist, kurz-, mittel- und langfristig. Prinzipien sind also kein Selbstzweck. Man muss allerdings gute Argumente
haben, wenn man von ihnen abweicht und sind die Prinzipien gut gewählt,
wird es in der Praxis nicht nötig sein und auch nicht sinnvoll sein, von
ihnen abzuweichen. Als sich selbst organisierende Gruppe innerhalb
einer größeren Genossenschaft kann man verhindern
genossenschaftliche Ideale quasi als Selbstzweck zu verfolgen, indem
klar wird, warum man aktiv ist. Es ist kaum vorstellbar, dass
Menschen dies tun aus Prinzipienreiterei, weil sie einfach wollen,
dass Regeln eingehalten werden. Sie werden es tun, entweder weil sie
merken, dass die genossenschaftliche Wirklichkeit zu wenig mit dem zu
tun hat, was Genossenschaft eigentlich bedeutet, oder sie werden es tun, wenn sie
eine innere Intuition haben, was für ein Potential in der
Genossenschaftsidee steckt und sie dieses konkret in einer bestimmten
Genossenschaft zur Entfaltung bringen wollen. Der letzte Punkt
erlaubt einen praktischen Hinweis zum Umgang miteinander in
Genossenschaften, wenn zum einen gewachsene Unternehmenskulturen kaum
noch Mitbestimmung nutzen und sie zu normalen am Markt und am Gewinn
orientierten Wirtschaftsunternehmen geworden sind und auf Mitglieder
treffen, die ihre Ideale Wirklichkeit werden lassen wollen: Man
sollte Managern und anderen Funktionsträgern diesen fehlenden
Idealismus nicht zum Vorwurf machen. Große Genossenschaften sind
eben auch Wirtschaftsunternehmen, die effizient und erfolgreich
organisiert und geführt werden müssen. Wenn Menschen ohne
genossenschaftsideele Visionen und Intuitionen in Führungspositionen
gekommen sind, dann ist das nicht deren Schuld, sondern einfach das
Ergebnis der jeweiligen kollektiven Entscheidungen der Mitglieder der
jeweiligen Genossenschaften, die eben über die Jahrzehnte diese
Genossenschaftsidee nicht sehr stark gewichtet haben. In Deutschland
spielen in großen traditionellen Wohnungsgenossenschaften ideelle
Aspekte nach meiner Wahrnehmung eine untergeordnete Rolle, geringer als zum
Beispiel bei Schweizer Genossenschaften. Das fängt schon damit an,
dass die meisten gemeinsam mit gewinnmaximierenden Wohnungsunternehmen
und kommunalen und kirchlichen Wohnungsunternehmen in einem Verband, dem GDW,
organisiert sind. Dafür haben viele deutsche Wohnungsgenossenschaften
eine deutlich größere Bautätigkeit über Jahrzehnte entfaltet als
ihre Schweizer Pendants. Es gibt eine große Bandbreite inwieweit Menschen individuelle Freiheit gegenüber wirtschaftlichen Vorteilen gewichten. Sowohl Erdogan in der Türkei als auch das Regime der kommunistischen Partei in China erhielten viel Akzeptanz aus der Bevölkerung, weil viele Menschen wirtschaftlich profitierten. Andere Gesellschaften wie die Schweiz und zum Beispiel auch Hongkong haben ein viel stärkeres kollektives Bewusstsein dafür, dass individuelle Freiheit und wirtschaftlicher Erfolg zusammengehören.
In Bezug auf konkrete genossenschaftliche
Wirklichkeiten plädiere ich dafür auf Schuldzuweisungen zu
verzichten, die jeweilige aktuelle Unternehmenspraxsis und
Unternehmenskultur als Ausgangslage zu akzeptieren und dann gemeinsam
zu schauen, was man bestmöglich daraus machen kann.
Für eine Genossenschaft bedeutet das,
dass es tatsächlich einen Unterschied macht, wie viele normale
Mitglieder sich einbringen mit ihrer Vision, was aus ihrer
Genossenschaft werden soll, was sie ihr zutrauen. Genossenschaftliche
Prinzipien sind dabei Leitplanken, können aber den Blick für die
Wirklichkeit des eigenen Unternehmens und vor allem für die noch
nicht ganz entfalteten Teile dieser Wirklichkeit nicht ersetzen und
brauchen es auch nicht zu tun. Genossenschaften leben ja gerade von
dem lebendigen sich immer wieder Einbringen der Mitglieder, Es ist
wie in einer Demokratie, auch die muss immer wieder von der Basis her
Interesse und Impulse erhalten, je mehr und um so vielfältiger, umso besser.
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