Montag, 8. April 2013
Die Metaebene: Ein Blick auf die politische Praxis bei den Piraten und darüber hinaus:
Auf Mailingslisten und bei Diskussionen bin ich immer wieder verblüfft; wie viel wir aneinander vorbeireden/schreiben und uns gegenseitig missverstehen. Es scheint fast als lebt jeder in seinen eigenen Illusionen und sucht sich halt die paar Leute, deren Illusionen einigermassen Überschneidungen aufweisen. Deshalb ist auch Vertrauen so wichtig. Ist das erst mal zerstört, werden die Leute eigentlich nicht mehr angehört, man stellt innerlich auf Durchzug; egal was auf der Sachebene kommt. Oder es dauert sehr lange, bis das Vertrauen wieder aufgebaut ist. Das gilt wohl für Einzelpersonen wie auch für Gruppen oder Institutionen (z.B. Prof. Schachtschneider, der Pirat xy, die AG xyz, die Piraten von aussen gesehen, die EU, die Banken) Ich bin da keinen Deut besser als irgend jemand sonst und das ist sicher nichts typisch Piratiges, aber wir sind dafür eben auch nicht weniger anfällig als andere.
Mir liefen vor kurzem 2 Sprüche über den Weg, die dazu passen könnten:
"Es ist unmöglich nicht zu glauben was Du siehst, aber es ist genauso unmöglich zu sehen was Du nicht glaubst."
Mein Interpretationsvorschlag: gerade wir Piraten als Mitmachpartei sollten versuchen unsere jeweiligen inneren Vorfestlegungen gegenüber Personen, Institutionen oder Sachzusammenhängen immer wieder auch zu hinterfragen. Dann könnten vielleicht Antworten formuliert werden, die auf einem breitem Wissensfundament basieren bzw. bei dem die realitätsfernsten Illusionen abgebaut werden konnten.
"Niemand kann Illusionen entkommen, wenn sie sie nicht anschaut, denn sie nicht anzuschauen ist der Weg wie sie geschützt werden."
Letzlich ist unsere Art Programmatik niederschwellig und im Diskurs zu entwickeln eigentlich ganz gut geeignet, dass jeder häufig mit seinen eigenen Grenzen konfrontiert wird etwas zu verstehen. Wahrscheinlich müssten wir uns deshalb gar nicht gegenseitig so sehr die jeweiligen Illusionen um die Ohren schlagen wie wir es manchmal tun, mich eingeschlossen :)
Manchmal bin ich dann einfach überrascht wie plötzlich "aus einer Ecke" unerwartet Lösungen kommen die gut und konsensfähig sind, oder den Anschein haben es zu sein :) So war es letzten Herbst mit dem Schuldenschnittantrag der Projektgruppe ESM https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/4672.html, oder aktuell mit dem Sammelantrag der Ini GWP http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2013.1/Antragsportal/WP088 und auch dem SixPack von Nico https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/6110.html.
Donnerstag, 21. Februar 2013
Sollten die Piraten eine deutsche kulturelle Identität respektieren?
Ich habe gerade einen spannenden
Artikel in der FAZ gelesen
http://pressespiegel.zzf-pdm.de/?q=node/14223
der zu dem Problem passt, den ich mit dem Piraten-liquid Text https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/5711.html
habe: Zitat: “Die nationale Identität ist wiederum nichts anderes als eine
schäbige Ideologie, die regelmäßig zu Kriegen und Verbrechen
wider die Menschlichkeit geführt hat."
Hintergrund ist möglicherweise, dass
nationale Identität rassistisch gemeint ist oder sein könnte. Wir
Piraten lehnen sicher Rassismus ab, offen bleibt dann aber wie wir zu
einer deutschen kulturellen Identität stehen. Lehnen wir auch diese
ab auf Basis unseres eigenen transantionalen Selbstverständisses
oder weil wir uns als progressiv verstehen?
Im Grundsatzprogramm Europa
http://wiki.piratenpartei.de/AG_Europa/Programm
gehen wir zwar auf die kulturelle Vielfalt Europas ein, sprechen
später aber von der Stärkung der Regionen. Da Piraten auch gerne
die Abschaffung der Nationalstaaten bzw. der Nationen fordern (siehe
oben), stellt sich die Frage, ob eine deutsche kulturelle Identität
von den Piraten als solche abgelehnt wird, indem kulturelle Identität
nur der regionalen Ebene in Europa zugestanden werden soll.
Ich persönlich wehre mich
gefühlsmässig dagegen, ich konnte zunächst gar nicht erklären
warum. Ich war mir allerdings sicher, dass meine Gefühle weder
rassistsch motiviert sind, noch dass ich einem übertriebenen
Patriotismus anhänge. Als junger Mann war ich gegenüber Deutschland
eher kritisch eingestellt. Erst nachdem ich zwei Jahre in England
gelebt hatte und erst nachdem ich danach wieder in Deutschland lebte,
entwickelte ich eine positive Einstellung gegenüber Deutschland als
das Land in dem lebe. Ich behielt übrigens auch eine positive
Einstellung gegenüber England und könnte mir auch vorstellen, dort
wieder zu leben. Es geht hier nicht darum ein Land besser oder
schlechter zu bewerten, sondern beide in ihrer jeweiligen kulturellen
Identität wertzuschätzen. Aber auch das heisst nicht widerum, dass
es nicht auch eine europäische Identität gibt, die ich empfinden
kann oder auch regionale oder sonstige Identitäten.
Warum ich mich gegen die Ablehnung
einer deutschen kulturellen Identität wehre:
Zufällig stiess ich in der FAZ auf
eine Rezension zu „Das umstrittene Gedächtnis – Die Einnnerung
an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945 “
von Arnd Bauerkämper. Laut der Rezension und dem Buch hat Europa
keine einheitliche Erinnerungskultur hervorgebracht, sondern sind
diese stark national zentriert. Dabei gibt es zum einen familiäre,
zivilgesellschaftliche Erinnerungskulturen bzw. -diskurse und eine
offiziellere, allgemeinere Erinnerungskultur bzw. -diskurs, die nicht
immer gleich laufen müssen. In Deutschland gab es demnach seit den
frühen 1960er Jahren eine von massgeblichen Politikern und
kulturellen Eliten praktizierte schonungslose Selbstaufklärung, die
sich gesamtgesellschaftlich gegen anderslautende Aussagen aus vielen
familären Diskursen durchsetzte. Das deckt sich mit meiner
Wahrnehmung und ich halte das für einen Erfolg.
Meine Überlegung ist die, dass wenn
man nun die deutsche kulturelle Identität als wertlos und
ablehnenswert („schäbig“) einstufen würde, diese kollektive
Erinnerungskultur damit ebenfalls entwertet würde. Würde man sich damit gesellschaftlich durchsetzen, würde dies Erinnerungskultur abgeschnitten. Das Projekt der
Aufarbeitung der Vergangenheit, um ähnliche Monströsitäten für
die Zukunft zu verhindern, würde damit gefährdet, da es auf
europäischer Ebene noch keine Erinnerungskultur gibt, die diese
Rolle übernehmen könnte. Die Lösung kann eigentlich nur lauten,
dass mit einer deutschen kulturellen Identität und mit der deutschen
Erinnerungskultur als ein Teil von ihr respektvoll umgegangen wird
und man sie peu a peu sich in eine europäische Erinnerungskultur
hineinentwickeln lässt bzw. diesen Prozess mit gestaltet. Ausserdem sind 60
Jahre europäische Integration sicher eine positive Entwicklung, die
auch eine europäische Identität bereits begründet hat, auf der man aufbauen
kann und von der man zuversichtlich sein, kann, dass sie sich positiv
weiter entwickelt, wenn Europa so gestaltet wird, dass es
demokratischer und bürgernäher wird.
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