Mittwoch, 10. August 2022

ergänzende ökonomische Hinweise zu Wohnungsgenossenschaften als Beschaffungsgenossenschaften

Timm Gudehus beginnt sein Buch "Dynamische Märkte, Grundlagen und Anwendungen der analytischen Ökonomie", 2. Auflage 2015, mit einer klaren Einführung zu Märkten in einer freien Marktwirtschaft. Diese ist auch erhellend für die Rolle und Zielsetzung von Wohnungsgenossenschaften als Selbsthilfevereine zur Beschaffung des Gutes Wohnraum für private Haushalte. Gudehus schreibt auf Seite 2: "Mit den monetären Nutzwerten, die das Gut für die einzelnen Nachfrager hat, lassen sich deren individuelle Einkaufsgewinne und in der Summe der Nachfragergewinn berechnen. Der Marktpreis, die Absatzmengen, Umsätze und Gewinne sowie deren Verteilungen sind kollektive Marktergebnisse, die von der Marktordnung,  der Marktkonstellation, der Marktmechanik und vom Verhalten der Akteure bestimmt werden." Wohnungsgenossenschaften sind als Beschaffungsgenossenschaften von und für ihre Mitglieder geschaffen, um als Alternative zu den Märkten gemeinschaftlich Wohnmöglichkeiten zu schaffen, dauerhaft zu bewirtschaften und mit den Mitgliedern abzurechnen. Dies geschieht in Deutschland in einer Situation von rechtlich reglementierten Märkten mit einem gewissen Mieterschutz auch in Bezug auf die Miethöhe über das Mietrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (zB. ortsübliche Vergleichsmiete, Mietpreisbremse) und über die Rechtsprechung und mit öffentlich-rechtlicher Gestaltung von Teilen des Wohnungsmarktes über die Finanzierung und Bezuschussung preisgünstigen Wohnens über staatliche Investitionsbanken und über direkte Angebote von Wohnraum in gewisser Anzahl über öffentlich-rechtliche Wohnungsunternehmen. Bei Gudehus wird ganz generell deutlich, dass es dabei nicht nur um die Versorgung mit dem Wohnraum selbst geht, sondern dass für die Nachfrager der Aspekt des Einkaufsgewinnes und für alle Mitglieder in Summe der Nachfragergewinn eine wesentliche Größe ist. In der Praxis wird das in Deutschland oft nicht mehr gelebt und viele Genossenschaftsmitglieders fällt dies nicht auf. Sie haben  mitunter sogar ein schlechtes Gewisses, wenn sie sich für diese Gewinne interessieren oder tun es ab, weil sie stolz darauf sind, es nicht nötig zu haben, hier genauer zu schauen und es ihnen ausreicht, ihr Nutzungsentgelt mit den Preisen auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt zu vergleichen. 

Die Nennung der Einkaufsgewinne auf der Nachfragerseite fehlen zum Beispiel in dem Artikel über Wohnungsgenossenschaften in Deutschland bei Wikipedia Stand heute und nach meiner Erfahrung auch in der Kommunikation zu diesem Thema des in Deutschland dominierenden Verbandes Gdw., in dem die meisten alten Wohnungsgenossenschaften zusammen mit gewinnorientierten Wohnungsunternehmen und kommunalen Wohnungsunternehmen organisiert sind. Bei Wikipedia heißt es zum Wesen der Wohnungsbaugenossenschaft in Deutschland:

"Die Genossenschaft ist ein gemeinschaftliches Wirtschaftsunternehmen, dessen oberstes Ziel die Förderung seiner Mitglieder z. B. mit gutem und sicherem Wohnraum ist. Es geht darum, die Mitglieder mit dem „Produkt“ des gemeinsamen Unternehmens zu versorgen – bei Wohnungsbaugenossenschaften mit einer guten und sicheren Wohnung – und das auf Dauer. Deshalb ist das Handeln der Genossenschaft auf langfristigen Erfolg und nicht auf kurzfristige Gewinne ausgerichtet."

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wohnungsbaugenossenschaft#Situation_im_21._Jahrhundert_aus_Sicht_des_gr%C3%B6%C3%9Ften_deutschen_Verbandes_GDW

Mit "es geht darum "wird so getan, als ob diese Aussage alles Wesentliche beinhaltet, was wie gezeigt ökonomischer Unsinn ist.

Erstaunlich ist die prominente Platzierung des GDW in dem Wikipedia Artikel ganz am Anfang.

Unter dem Kapitel Schweiz  heißt es dagegen: "Der größte Teil der Genossenschaftswohnungen gehört Mitgliedergenossenschaften (Selbsthilfe; Mieter sind zugleich Mitglied), welche zudem der Gemeinnützigkeit verpflichtet sind (Prinzip der Kostenmiete, dauerhafter Spekulationsentzug)."

Zur Kostenmiete heißt es bei Wikipedis:

"Mit Kostenmiete bezeichnet man in Deutschland einen Mietzins, der zur vollständigen Deckung der laufenden Aufwendungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Finanzierungskosten erforderlich ist (§ 72 Abs. 1 Zweites Wohnungsbaugesetz (2. WoBauG) in Verbindung mit dem Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG), der II. Berechnungsverordnung (II. BV) und der Neubaumietenverordnung (NMV) von 1970)."

und "Damit soll erreicht werden, dass Finanzierungsvorteile, die ein Eigentümer im sozialen Wohnungsbau genießt, ungeschmälert an die Mieter weitergegeben werden. "

Das ist auch der Grundsatz, der  für Beschaffungsgenossenschaften gilt, siehe zB Geschwandtner, Marcus, "Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft: warum früher, warum
heute?", Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 2009, S. 152-163

zitiert hier auf Seite 3 https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2021/02/kostenmiete-oder-wohnwertmiete-in.html

Natürlich kennt die Genossenschaftsidee sowie auch die Wirtschaftswissenschaft keine nationalen Grenzen. Insoweit macht der Wikipedia Artikel deutlich , welches ökonomische Potential viele Wohnungsgenossenschaften in Deutschland noch für ihre Mitglieder entfalten können, wenn sie sich daran erinnern, was in ihnen angelegt ist. Ein erster Schritt wäre vielleicht eine Koalition der Willigen, die Gründung eines bundesweiten Verbandes für Genossenschaften eventuell in Kooperation mit den Schweizer Wohnungsgenossenschaften.

Gudehus schreibt weiter auf Seite 3 und 4: "Mit den Gesetzen der Marktmechanik lassen sich Beschaffungsstrategien entwickeln, nach denen die Käufer ihren Bedarf mit der gewünschten Qualität zu minimalem Preis decken können, und Absatzstrategien, nach denen die Anbieter ihre Güter mit maximalem Gewinn verkaufen und eine optimale Auslastung erreichen können. Veränderungen der Beschaffungs- und Absatzstrategien und deren Rückkopplung auf andere Marktteilnehmer bewirken einen dynamischen Markt." 

Auch die Organisation von Wohnraum innerhalb einer Genossenschaft ist eine Beschaffungsstrategie mit Blick auf bestimmte Bedarfe nach Größe, Lage und Wohnqualität der jeweiligen Mitglieder und dem Ziel eines minimalen Preises für jeden Einzelnen und alle zusammen. Mitglieder können auch immer schauen, ob sie selbst bauen, eine Wohnung kaufen oder anderweitig mieten. Je effizienter und kostenbewusster die Genossenschaft wirtschaftet, umso attraktiver kann ihr Angebot für die Mitglieder sein. 


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