Donnerstag, 25. August 2022

Schmalenbach inspiriert die genossenschaftliche BWL

Zur Fundierung meiner BWL-Kenntnisse lese ich zur Zeit Bücher zur Theoriegeschichte der BWL. Dort nimmt das Werk Eugen Schmalenbachs einen großen Raum ein. Der Artikel "Schmalenbachs Beitrag zur Bilanzlehre" von Hans Münstermann [1]  inspirierte mich heute zu eigenen Überlegungen mit Bezug zu Genossenschaften. Im Verlauf ergaben sich ganz erstaunliche Erkenntnisse und weitreichende Optimierungsvorschläge für Fördergenossenschaften und die Steigerung ihrer positiven gesellschaftlichen Wirkung.

Münstermann zeigt auf, dass der Zweck der Jahresbilanz vom französischen Ordennance du commerce von 1673 über den Code de Commerce von 1807 in das deutsche Handelsgesetzbuch (HGB) von 1861 einfloss und festgelegt wurde auf die Feststellung des Vermögens. (S. 507). Er zitiert das HGB vom 10.5.1897 § 38 Abs. 1: "Jeder Kaufmann ist verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ersichtlich zu machen." und § 39 Abs. 1:"Jeder Kaufmann hat bei Beginn seines Handelsgewerbes seine Grundstücke, seine Forderungen und Schulden, den Betrag seines baren Geldes und seine sonstigen Vermögensgegenstände genau zu verzeichnen, dabei den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände genau anzugeben und einen das Verhältnis der Vermögens und der Schulden darstellenden Abschluß zu machen." Auf Seite 508 zitiert er weiter einen Aufsatz [2], in dem Schmalenbach ein Beispiel niedriger Bewertung des Anlagevermögens aus kaufmännischen Grundsätzen heraus gibt. Schmalenbach folgert:" Das heißt doch, daß die Bilanz eine Vermögensübersicht nicht sein soll. Dieses wenigstens in dem Sinne, in dem man von Vermögen gewöhnlich spricht. Die Bilanz ist nur eine solche Vermögensübersicht, wie man sie haben muß, um den Jahresgewinn zu ermitteln." Schmalenbach löst sich von gesetzlichen Bestimmungen und entwickelt mit seinem Buch "Dynamische Bilanz" die Lehre, die Bilanz zur Steuerung und Optimierung des Betriebes zu verwenden. Es geht ihm also um mehr als um die Gewinnermittlung als Information für die Kapitalgeber und als Basis für zum Beispiel Gewinnausschüttungen. Der Gewinn, der über die Bilanz errechnet wird, ist für ihn Meßgröße der betrieblichen Wirtschaftlichkeit und legt die Basis der Steuerung für künftige Optimierungen. Auf Seite 509 zitiert Münstermann Schmalenbach: "Wenn wir in dieser Abhandlung davon reden wollen, wie die kaufmännische Bilanz als Mittel gebraucht werden könne, um dynamischen Vorgängen innerhalb wirtschaftlicher Betriebe rechnerisch näher zu kommen, so handelt es sich darum, die Bilanz anzusehen als Mittel zur Gewinnberechnung. Es scheint  bei oberflächlicher Betrachtung, daß wir damit nun doch wieder beim Einkommen des Kaufmanns angelangt seien. Das hieße unser Ziel verkennen. Wenn unser Thema die Frage stellt: Wie berechnet man mit Hilfe der Bilanz am besten den Gewinn, so ist der Gewinn die dynamische Erscheinung des Wirtschaftsbetriebes; er ist das Mehr an Betriebsleistung gegenüber dem Betriebsaufwande; er ist das Maß der Wirtschaftlichkeit. Er ist für uns nicht das Maß des Verdienens... Der Gewinn...wird hier als Leistung der Unternehmung untersucht; als solcher ist er eine Erscheinung des Gesamtinteresses [Schmalenbach meint die Gesellschaft insgesamt, Anmerk. von mir]. Denn die Gesamtheit ist darauf angewiesen, daß ihre Betriebe nicht mehr an Stoffen und Kräften verbrauchen, als sie an Leistungen vollbringen; sie muß darauf halten, daß alle Wirtschaftstätigkeit sich im Überschuß vollzieht. In diesem Sinn sprechen wir von Gewinn."  

Auf Seite 510 zitiert Münstermann Schmalenbach erneut:"In welchem Grade ein Betrieb wirtschaftlich ist, ist wichtig; wichtiger aber ist, wie die Wirtschaftlichkeit sich verändert. Und namentlich wichtig ist die erste Umkehr einer steigenden oder fallenden Bewegung in die entgegengesetzte Richtung sicher zu erkennen...Aus dieser Notwendigkeit, die Gewinnbewegung an ihren Kehren zu erkennen, entspringt vor allem die Forderung genauer Periodenabgrenzung....Den Anfang von Siechtum und Wachstum zu erkennen, das ist eigentlich die Hauptaufgabe der Erfolgsrechnung. Frühzeitig erkanntes Siechtum bringt bei frühzeitigem, nachdrücklichem Eingriff den geringsten Schaden; bei verspäteter Erkenntnis treten nicht nur für einzelne...., sondern auch für die Gesamtheit die betrübensten Folgen ein..." [4]. Münstermann kommentiert:"Die Quintessenz ....besteht in der Hauptaufgabe der Dynamischen Bilanz als eines Führungsinstrumentes für die Unternehmensleitung, das heißt in der perioden- und sachgerechten Erfolgsrechnung zum Zwecke richtiger Betriebssteuerung. Diese Hauptaufgabe ist betriebswirtschaftlich und wirtschaftspolitisch wichtig."

Was heißt das für Wohnungsgenossenschaften?

Zunächst ist es auch dort so, dass die Bilanz oft keine richtigen Vermögensverhältnisse mehr angibt, obwohl Wirtschaftsprüfer in den Geschäftsberichten das testieren, zum Beispiel mit dem Satz: "Der Jahresabschluss zum xy ....ist ordnungsgemäß aus der Buchführung entwickelt und vermittelt ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Genossenschaft. In Metropolregionen mit altem Wohnungsbestand kann es leicht passieren, dass eine Genossenschaft in der Bilanz ein Immobilienvermögen von 300 Millionen Euro ausweist, der tatsächliche Marktwert aber fünf mal so hoch ist. Das tatsächliche wirtschaftliche Eigenkapital beträgt dann vielleicht nicht 200 Millionen Euro, wie es die Bilanz ausweist, sondern 1,4 Milliarden Euro. Die Differenz sind die stillen Reserven. Das kann jeder/jede leicht errechnen, wenn er überschlägt, wie viele Quadratmeter Wohnfläche die jeweilige Genossenschaft in der Bewirtschaftung hat und wie hoch die durchschnittlichen Marktpreise für vermietete Wohnungen je Quadratmeter sind. Wenn sie dann noch eine Abschlag vornimmt, soweit die Nutzungsentgelte in der jeweiligen Genossenschaft unter dem Marktniveau liegen, wird sie zu einem wesentlich besseren Ergebnis über die Vermögensverhältnisse kommen, als wenn sie die Angabe der Bilanz für bare Münze nimmt. 

Spannend wird es im weiteren Verlauf, da wie oben gezeigt Schmalenbach die Bilanz ja als Steuerungshilfe sieht. Wenn er außerordentliche Erträge und Aufwendungen separiert, wird über den Vergleich zwei oder mehrerer Rechnungsperioden beim Betriebsergebnis als dem Kern der betrieblichen Leistungserstellung deutlich, ob es Probleme oder Chancen gibt. Dies ist zwar noch keine Produktergebnisrechnung, die in Mehrproduktunternehmen viel genauere Steuerungsmöglichkeiten eröffnet, aber es ergibt doch eine Vorstellung, was man zur Unternehmenslenkung an einer Bilanz hat, gesetzt den Fall, die Abgrenzung von außerordentlichen Erträgen und Aufwendungen orientiert sich an den tatsächlichen Verhältnissen und wird nicht zur Bilanzkosmetik genutzt. 

Münstermann zitiert dazu auf Seite 512 Schmalenbach:"Analog der Aufwandsrechnung soll die Ertragsrechnung aus der Grunde der Vergleichbarkeit die außerordentlichen und betriebszweckneutralen Erträge von den ordentlichen Erträgen abgrenzen, damit die Erfolgsrechnung möglichst gut über die jeweilige Konstitution des Betriebes berichtet, also darüber, wie die Ertragsfähigkeit sich gestaltet."[5]

Was heißt dies wiederum für Wohnungsgenossenschaften? Hier ist ja Gewinn nur eine Nebenbedingung und nicht der unternehmerische Hauptzweck. Es geht viel mehr um Bedarfsdeckung der Mitglieder zu minimalen Kosten, Preisen so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig, also einer Maximierung der Ersparnis gegenüber der Bedarfsdeckung über den Markt und um Bildung von Rücklagen zur weiteren guten Entwicklung der Genossenschaft (siehe meine früheren Artikel in diesem Blog). So gesehen weisen zwar Genossenschaften auch eine Bilanz aus, eine Gewinn- und Verlustrechnung und auch eine Liquiditätsrechnung (Kapitalflussrechnung). Die Genossenschaftswissenschaft fordert allerdings zusätzlich einen Förderbericht mit dem Fokus auf die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder, siehe zum Beispiel Katja Lepper [6]. Dass die Wissenschaft ermittelt hat, dass dies in der Praxis in der Regel in Wohnungsgenossenschaften kaum betrieben wird [7] siehe die Dissertation von Katja Lepper und die Zitierung in meinem Artikel] zeigt, wie weit die Praxis hier hinter dem zurückbleibt, was logisch geboten ist zur bestmöglichen Erreichung der Unternehmensziele. Blickt man auf den Ansatz von Schmalenbach für erwerbswirtschaftliche Unternehmen, der dort seine dynamische Bilanzlehre deshalb so wichtig nimmt, weil sie frühzeitig erlaubt, Probleme zu erkennen und gegenzusteuern, bedeutet die fehlende Quantifizierung der "Förderbilanz" das Fehlen des grundlegenden genossenschaftlichen Zahlenwerkes zur guten Unternehmenssteuerung. Es bräuchte also bei Genossenschaften auch eine dynamische genossenschaftliche Bilanzlehre, die die Schmalenbachsche ergänzt um Nutzen-, Ersparnis- und Förderaspekte. Man hätte ähnlich wie bei der Gewinnrechnung eine Nutzenrechnung zu erstellen, die zwischen Betriebsnutzen im Kerngeschäft und außergewöhnlichen Effekten und/oder Effekten durch externe Faktoren unterscheidet und so über mehrere Perioden die Entwicklung des Nutzens für die Mitglieder deutlich machen und Steuerbedarfe besser erkennen lässt!

Ganz grob ergibt sich für mich der Eindruck, als steht hier sowohl die Praxis als auch die Theorie noch vor einem Durchbruch. Vielleicht will eine Institution wie die DFG mich oder jemand anderes hier mit einem Forschungsstipendium unterstützen. Das wird herauszufinden sein.

Es bräuchte also eine Förderbilanz als Mittel zu Nutzenberechnung., die in der Lage ist zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen zu unterscheiden, womöglich auch zwischen externen und internen Faktoren und einen Vergleich von Rechnungsperioden in allen Aspekten erlaubt. Analog zu Schmalenbach lässt sich dann fragen (siebe oben im Fettdruck): Ist der Nutzen die dynamische Erscheinung der Wirtschaftsgenossenschaft und dass Maß seiner Wirtschaftlichkeit? Noch spannender wird es bei dem gesellschaftlichen Aspekt, den Schmalenbach bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen für ihren Gewinn unterstellt, der so sicher nicht zu halten ist. Schmalenbach sah zumindest in den frühern Ausgaben seiner "Dynamischen Bilanz" eine weitgehende Übereinstimmung der Gewinninteressen der Unternehmer mit dem volkswirtschaftlichen Interesse und rückte erst in späteren Ausgaben davon ab.[Details dazu ganz unten als letzten Absatz unter 5]. Diese Interessensdeckung, die volkswirtschaftliche Wertschöpfung und die Wertschöpfung für die Genossenschaftsmitlicher ist bei Genossenschaften nach meiner Beurteilung möglich und zeigt gerade einen der beiden gesellschaftlichen Vorteile dieses Unternehmenstyps gegenüber erwerbswirtschaftlichen Unternehmensformen wie der Aktiengesellschaft und der GmbH.(der andere ist das Fehlen einer Wachstumsfixierung und einer Orientierung an Bedürfnissen statt an Wünschen (siehe Artikel in meinem Blog), was besser zu einer endlichen Erde, endlichen Ressourcen und dem Teilen der Erde mit anderen Lebewesen passt). Dazu erforderlich ist allerdings, dass man Genossenschaften in ihren Anlagen fördert und weder versucht sie zu Erwerbsunternehmen umzukremplen noch sie zu kommunalen Unternehmen zu instrumentalisieren, die die Öffenlichkeit insgesamt förderen sollen ohne den Fokus auf die bestmögliche wirtschaftliche Förderung der Mitglieder.

weitere Hinweise: 

1 - Inflation

Sollte die Inflation in Deutschland sich auch 2023 fortsetzten, wird die "totale Indexmethode" Schmalenbachs in seiner dynamischen Bilanz wieder aktuell, mit der er verhindern will, dass die Bilanz Scheingewinne ausweist, die mit Realkapitalverlusten einhergehen. Münstermann kommentiert dazu auf Seite 520: "Sofern der Unternehmer bei Währungskrisen nicht durch den Geldschleier zu sehen vermag, hat er seinen Beruf verfehlt."

2 - erweiterter Geschäftsbericht

Münstermann erwähnt auf Seite 516 den Bedarf einer erweiterten Kommentierung der Bilanz in einem internen Geschäftsbericht, also über die Darstellung im offiziellen Geschäftsbericht hinaus. Für Genossenschaften bedeutet das, da ihre Mitglieder Mitunternehmer sind, dass der Geschäftsbericht, der Mitgliedern zur Verfügung gestellt wird, für eine echte Mitbeurteilungs- und Mitwirkungsmöglichkeit diese Kommentierung durch die Unternehmensleitung enthalten muß, sowohl bilanzseitig aber auch in Bezug auf eine Förderbilanz. Dieses Feld ist weiter zu untersuchen in beiden Aspekten. Als Referenz gibt Münstermann die 8. Auflage der Dynamischen Bilanz von 1947 von Schmalenbach, S.177ff. an.

3 - eine Praxis, die hinterherhinkt

Schon Schmalenbach selbst thematisiert, dass Betriebswirtschaft als Wissenschaft unterschiedlich schnell in der Praxis Einzug hält bzw. hielt, am schnellsten in großen Produktionsbetrieben. Wohnungsgenossenschaften sind hier schon aus historischen Gründen heraus Nachzügler. Dies ist jedoch keine Rechtfertigung, dass es so bleiben sollte. Münstermann (S.50) zitiert Schmalenbach:  "Der Übergang des empirischen zu wissenschaftlichen Bewertungswesen, der seinen Niederschlag findet in Schriften über Bewertungs- und Schätzungslehre, in der Entwicklung der Kalkulations- und Erfolgsrechnungslehren und in ihrer Spitze in einer betriebswirtschaftlich gerichteten Werttheorie, geschieht nicht in gerader Front; das Avancieren erfolgt sprunghaft und in gebrochener Linie. Einzelne Teile bleiben zurück, und andere stoßen vor. Das ist sowohl in der Theorie als auch in der Praxis so. Nicht überall wird das Bedürfnis nach exakter Wirtschaftsführung gleichmäßig gespürt; am stärksten in produktiven Wirtschaftskörpern. Es verlohnt sich, den Gründen dieser Erscheinung in Kürze nachzugehen." [8]  In gewisser Weise erschütternd ist, dass nach meiner Wahrnehmung die Wirtschaftsprüfungen der größten Wohnungsunternehmensverbandes GdW hier eher ein Faktor sind, der das Zurückbleiben verstärkt statt es abzubauen. Schon die Verbands-Konstruktion, dass dort auch gewinnorientierte Unternehmen mit organisiert sind, verhindert eine Fokussierung auf eine genossenschaftliche BWL.  Es ist auch nicht so, dass in der Wohnungswirtschaft Besonderheiten vorliegen, die die Schmalenbachsche BWL nicht zulassen würden. Auch das Handbuch "Grundlagen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft"  aus dem Jahr 2005 konstatiert große Defizite in der Kostenrechnung in der wohnungswirtschaftlichen Praxis, wenn es schreibt: "Die herkömmliche Kostenrechnung in der Wohnungswirtschaft ist in der Regel weniger als Planungs- und Controllinginstrument ausgestaltet, sondern diente in erster Linie der Ermittlung des sog. Verwaltungskostensatzes der Hausbewirtschaftung, der wiederum bei Gegenüberstellung mit der aktuellen Verwaltungskostenpauschale der II. Berechnungsverordnung als Indikator für die gemeinnützigkeitsrechtlich gebotene Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung und Angemessenheit der Verwaltungskosten galt. Hierbei wurde das eine betriebswirtschaftliche Kostenverursachungsprinzip häufig einer von der jeweiligen Unternehmenspolitik geleiteten pragmatischen Handhabung der Kostenrechnung geopfert. Durch die Einführung zusätzlicher Kostenträger zur Kostenverrechnung, durch die extensive Belastung des Kostenträgers Instandhaltung oder durch die Anpassung der Gemeinkostenverrechnungsschlüssel versucht man, den Verwaltungskostensatz der Hausbewirtschaftung mehr oder weniger so zu beeinflussen, wie es zur Darstellung der eigenen Unternehmenspolitik und für die Präsentation vor den Aufsichtsgremien zweckmäßig erscheint." [9] und [10]: "Die Kostenrechnung wird in vielen Wohnungsunternehmen auch nach Fortfall des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes [1990, Anmerkung von mir] häufig mehr als lästige Pflichtübung im Zusammenhang mit dem Jahrsabschluss gesehen, denn als echtes Budgetierungs-, Steuerungs- und Controllinginstrument. Dabei sind in der Wohnungswirtschaft hierfür die Voraussetzungen wesentlich günstiger als in den meisten Industrie- und Dienstleistungszweigen. Die angebotene Produkt- und Dienstleistungspalette ist überschaubar und homogen, so dass die sachgerechte Verteilung der Kosten nach dem Verursachungsprinzip im Rahmen einer echten Vollkostenrechnung aus Kostenstellen und Kostenträger keine besonderen Probleme aufwirft, zumal in den Wohnungsunternehmen die entstehenden Personalkosten und Sachkosten zum ganz überwiegenden Teil als Einzelkosten den Kostenträgern direkt zugerechnet werden können. Die nicht direkt zurechenbaren Gemeinkosten bestehen darüber hinaus zum größten Teil aus Personalkosten, deren Verteilung ohne größeren Aufwand und hinreichend genau auf der Grundlage von Arbeitszeitstatistiken vorgenommen werden kann."

Nach meinem zugegeben sehr lückenhaften Eindruck hat sich in Bezug auf größere Wohnungsgenossenschaften hier mit Ausnahme der Investitionsrechnung bei Neubauten und der Wirtschaftsplanung auf der aggregierten Unternehmensebene nicht allzu viel zum Besseren gewendet. Das Beharrungsvermögen bzw. ein gewisses Desinteresse sowohl von einigen Vorständen aber auch von Aufsichtsräten ist enorm.

4 - wie viel Schmalenbach braucht es?

Die Entwicklung der BWL in Deutschland durch Eugen Schmalenbach und Erich Gutenberg, ihre Fortführung durch Günter Wöhe, Horst Albach und vielen anderen ist ein Glücksfall und kann auch für die bedarfswirtschaftliche BWL und die genossenschaftliche BWL nutzbar gemacht werden. Wenn ich einen Rat geben sollte für Menschen, die in irgend einer Weise sich in die Führung von Wirtschaftsunternehmen einzubringen haben oder sich darauf vorbereiten wollen, sei es in der Geschäftsleitung, beratend, in einer Kontrollfunktion oder partizipativ als Mitunternehmer in einer Genossenschaft, so wäre es überspitzt formuliert, lesen sie so viel Schmalenbach, wie sie bekommen können. Haben Sie dafür nicht die Kapazität, dann lesen sie nicht nur aber auch Schmalenbach. Wenn Sie in meinem Artikel so weit gekommen sind, haben sie das in gewisser Weise über einige Zitate bereits getan. Hier ergänzend noch der Anfang eines Kapitels von ihm über die Trennung von Betriebseinflüssen und Außeneinflüssen in der Erfolgsrechnung, das auch heute noch wie ein Leuchtturm wirken kann. [11]

 "I. Die Zweckmäßigkeit der Trennung. 

Viele Umstände sind es in der Praxis, die zu einer mehr oder weniger genauen Trennung der Betriebseinflüsse drängen:

Erstens besteht das Bedürfnis, aus den  Erfolgszahlen den Teil herauszulösen, der der eigentlichen Betriebsleistung zu danken ist. Der Betrieb kann zunehmend unwirtschaftlich arbeiten und der Gewinn kann infolge der Außeneinflüsse sehr gut sein. In diesem Fall muß man durch Zeitvergleiche feststellen, wo die Mängel liegen. Läßt man sie weiter fressen, so wird der Betriebe, wenn die günstigen Außeneinflüsse wegfallen, nicht mehr leistungsfähig sein. 

Zweitens braucht man die Trennung von Betriebseinflüssen zu einer Vertiefung des Zeitvergleichs, damit wird dann ein wesentlicher Zweck des Zeitvergleichs, die Erfolgsrechnung der Jahre vergleichbar zu machen, unterstützt. 

Auch dem Betriebsvergleich bietet die Trennung der Betriebseinflüsse eine Förderung, obwohl die Verschiedenheit der Betriebsstruktur den Betriebsvergleich viel stärker hemmt als man früher angenommen hat.

Die Verbesserung des Zeitvergleichs erlaubt auch die Verbesserung der Möglichkeiten der Prognose und der Budgetierung.

Sodann ist die Trennung von Betriebseinflüssen ein wichtiges Mittel der betriebswirtschaftlichen Denkschulung. Dieser Zweck würde auch dann Bedeutung haben, wenn die Praxis an der Trennung von Betriebseinflüssen und Außeneinflüssen kein Interesse hätte.

Das Problem wird am meisten besprochen unter dem Gesichtspunkt der Trennung von Konjunkturgewinn und Betriebsgewinn. Bei näherem Zusehen ist aber leicht zu erkennen, daß der Konjunkturgewinn nicht der einzige von außen wirkende Einfluß auf den Betrieb ist, den man eliminieren muß, wenn man den Betriebsgewinn rein darstellen will. Das ist der Grund, weshalb ich hier nicht von der Konjunktur allein, sondern allgemeiner von den Außeneinflüssen spreche."

5. Schmalenbachs Auffassungen zur volkswirtschaftlichen Bedeutung von Erwerbsunternehmen

"An sich interessiert den Betriebswirtschaftler der Richtung, der der Verfasser angehört, der wirtschaftliche Betrieb nur als Organ der Gemeinwirtschaft. Ihn fesselt nicht der Betrieb als privatwirtschaftliche Erwerbsanstalt....Der Betriebswirtschaftler dieser Richtung fühlt sich, seiner Bescheidenheit unbeschadet als Staatswirtschaftler." [12]. Die Verbindung, die Schmalenbach zwischen guter betrieblicher Führung und volkswirtschaftlichem Nutzen sieht, wird aus folgender Passage im gleichen Buch auf Seite 93 deutlich:"Um die vielen Güter zu beschaffen, die der Mensch braucht, muß gepflügt, gesät, geerntet, transportiert und produziert, es muß gerechnet, gezeichnet, geschrieben und geredet werden, und auch sonst sonst sind allerlei Umstände mit der Güterbeschaffung verbunden. Daß und in welchem Grade diese ganze Haupt- und Nebenarbeit, die das Beschaffen von Gütern erfordert, sich wirtschaftlich vollzieht, das soll die Erfolgsrechnung feststellen. Der Zweck dieser Feststellung soll sein, daß eine Unternehmung, die sich als unwirtschaftlich herausstellt, entweder wirtschaftlich sich gestalte oder eingestellt werde, daß dem wirtschaftlichen Unternehmen hingegen, dem wirtschaftlichsten unter ihnen an erster Stelle, die Entwicklungsmöglichkeiten geöffnet, insbesondere ihm zuerst vor allen anderen das verfügbare Kapital der Volkswirtschaft zugeleitet werde. Die Wirtschaftlichkeitsmessung soll ferner den Zweck haben, daß wirtschaftlich untüchtige Personen möglichst zurückgedrängt, die wirtschaftlich fähigen nach oben gerückt werden, daß namentlich unter den Wirtschaftsleitern die rechte Auswahl stattfinde. Ob diese Verteilung von Sachen und Menschen richtig vor sich geht, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung; denn wir haben es nicht mit dem Zweck, sondern mit dem Mittel zu tun; aber wir müssen bei der Gestaltung des Rechnungswesens der Zwecke eingedenk sein und die Rechnung ihnen entsprechend zu gestalten versuchen."

Insgesamt mutet das etwas sozialdarwinistisch an, aber es ist doch etwas wahres daran, das zu einem Ordnungsrahlen der sozialen Makrtwirtschaft passt und auch für den einer künftigen ökologisch-sozialen Marktwirtschaft geeignet ist. Man kann allerdings auch sagen, dass eine Ertüchtigung der Betriebsleiter ausreichen würde und diese würde ich einer Auswechslung grundsätzlich vorziehen. Ein Widerspruch wird auf der Aussage Schmalenbachs allerdings deutlich. Ein nach seinen Massstäben ausgebautes Rechnungswesen soll nach ihm dazu führen, dass die Untüchtigkeit von Betriebsleitern deutlich wird. Welcher untüchtige Betriebsleiter würde das Rechnungswesen dann ausbauen? In sehr wettbwerbsintensiven Branchen wird er oder sie es machen, weil sonst vielleicht das Unternehmen nicht überleben kann, in ruhigeren Branchen wird der Anreiz deutlich geringer sein. Ob Raiffeisen das bereits in den 1850er Jahren im Blick hatte, als er für Genossenschaften den "Rechner" als unabhängige Institution in Genossenschaften unabhängig vom Vorstand und Aufsichtrat nur der Mitgliederversammlung verantwortlich zu installieren zu versuchte? [13] Siehe dazu auch mein Artikel hier 

Sönke Hundt konstatiert jedenfalls in seiner Theoriegeschichte der BWL [14]: "In den Auflagen nach 1945 [der Dynamischen Bilanz, Anmerkung von mir] sind die ehemals so vehement vertretenen Gedanken über Gemeinwirtschaft getilgt worden." und zitiert Karl Hax  als Schmalenbachs Schüler": "Es ist nicht exakt feststellbar, was im Einzelfall nützlich für die Allgmeinheit ist. Es gibt keinen exakten Maßstab für das Allgemeinwohl. Was in der Bilanz - auch in der dynamischen Bilanz Schmalenbachs - ermittelt werden kann, das ist die Rentabiliät des eingesetzten Kapitals. Dieses ist aber nicht notwendig identisch mit dem 'gemeinen Nutzen' " [15] 

Literatur

[1] Münstermann, Karl "Schmalenbachs Beitrag zur Bilanzlehre", Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 1973, S. 500-521

[2] Schmalenbach, Eugen, "Die Abschreibung",1909, S.81ff., "Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung"

[3] Schmalenbach, Eugen"Grundlagen der dynamischen Bilanzlehre", "Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung", 1919, Seite 3

[4] Schmalenbach, Eugen, "Die dynamische Bilanz", 8. Auflage, 1947, S.15

[5] wie [4] Seite 40

[6] Lepper, Katja, Schaefer Sigrid, "Co-Operative Social Accounting – Potenziale für Nachhaltigk eit und Controlling in Genossenschaften", in "Handbuch Controlling" Wolfgang Becker · Patrick Ulrich, Herausgeber, Springer-Verlag, 2016.

[7] Lepper, Katja "Social Accounting in der Theorie und der wohnungsgenossenschaftlichen Praxis." Dissertation, Universität zu Köln , 2019

[8] Schmalenbach, Eugen, "Dynamische Bilanz", 5. Auflage, 1931, S.10, zitiert nach Sönke Hundt "Zur Theoriegeschichte der Betriebswirtschaftslehre",1977, S.51)

[9] Kühne-Büning, Lidwina, Nordalm Volker, Steveling Liselotte (alle Hrsg.), "Grundlagen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft", 2005, S. 576)

[10] wie [9] Seite 577

[11] wie [4] Seite 177

[12] wie [8] Seite 94

[13]Raiffeisen, Friedrich Wilhelm, "Die Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter", 1. Auflage, 1866, Seite 39; gefunden bei Koch, Walter, "Der Genossenschaftsgedanke F.W. Raiffeisens als Kooperationsmodell in der modernen Industriegesellschaft", 1991 und näher ausgeführt in Giebel Frank, "einige Hinweise der Soziologie der Genossenschaften für die Praxis in großen Genossenschaften", Blog "liberal und kooperativ, 2022

[14] Hundt, Sönke, "Zur Theoriegeschichte der Betriebswirtschaftslehre",1977, Seite 64

[15] Hax Karl, "Schmalenbach aus der Sicht der neuzeitlichen Betriebswirtschaftslehre", Seite 497, Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 1973, 495ff.

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