Mittwoch, 11. September 2024

Dem GdW fehlt es an genossenschaftlichem Bewusstsein

In einer aktuellen Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen des Genossenschaftsgesetzes durch die Bundesregierung schreibt der GdW als Verband, der die meisten großen Wohnungsgenossenschaften in Deutschland vertritt, und über Tochterverbände auch prüft, unter dem Motto "HIER WOHNT DAS WIR":

"Ein weiterer Vorschlag aus dem Entwurf würde einen massiven und nicht erklärbaren Eingriff in die Struktur der genossenschaftlichen Rechtsform bedeuten: Danach soll die Satzung künftig regeln können, dass der Vorstand an Weisungen der Generalversammlung oder eines aus der Mitte der Generalversammlung gebildeten Entscheidungsgremiums gebunden ist.

Fakt ist: Das Genossenschaftsgesetz enthält seit langem sehr ausgewogene Regelungen zum Schutz der Rechte der Mitglieder. Das ist auch gut so und macht die allseits bekannte Stabilität und Attraktivität der Rechtsform aus. Wenn es aber um die Leitung des operativen Geschäfts geht, dann ist dies die zentrale Aufgabe des Vorstandes. Wenn dies aufgeweicht würde, dann würden die gesamte Rechtsform der Genossenschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit massiv leiden. Alle berechtigten und begrüßenswerten Bemühungen im Referentenentwurf, die Rechtsform attraktiver zu machen, würden so konterkariert und gefährdet. Deshalb darf dieser Vorschlag keinesfalls weiter verfolgt werden.“"

Aus Sicht der genossenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre ist dazu folgendes zu sagen: 

Dass die operative Geschäftsführung in Wohnungsgenossenschaften in den Händen von Angestellten mit einer passenden Ausbildung, viel Berufserfahrung und Fähigkeiten im Management und der Personalführung liegt und es mit dem Aufsichtsrat ein Gremium gibt, das den Vorstand über die Jahre berät, kontrolliert und gemeinsam mit ihm die Unternehmensstrategie festlegt, ist bewährte betriebswirtschaftliche Praxis. Dies bedeutet aber nicht, dass in wichtigen Einzelpunkten nicht auch die Mitglieder als Unternehmenseigentümer Entscheidungen treffen können. Dies ist vergleichbar mit Volksentscheiden in der Schweiz und in Deutschland auf der Ebene der Bundesländer. Genossenschaften sind wie Gemeinwesen demokratische Institutionen und die Mitglieder sind nicht nur mündige Staatsbürger sie sind in ihrer Genossenschaft nicht nur Kapitalgeber und Miteigentümer, sie sind auch Mitunternehmer.

Das, was der GdW als Fakt bezeichnet, ist kein Fakt. Nach § 45 Genossenschaftsgesetz bedarf es mindestens 10% der Mitglieder, damit sie Gegenstände zur Beschlussfassung auf der jährlichen Generalversammlung einbringen können. Mit ist kein Fall bekannt, dass in großen Wohnungsgenossenschaften diese Hürde überwunden wurde. Genossenschaften sollten nach demokratischen Regen funktionieren. In ihnen sollte das demokratische Prinzip gelten, dass der Souverän die Mitglieder sind und dass diese letztlich bestimmen können, welche Entscheidungen sie selbst fällen und welche sie in die Hände von Vertretern und Beauftragten geben. Bei der Festlegung von sinnvollen Quoren, die weder zu einem zu viel noch zu einem völligen Fehlen von direktdemokratischen Entscheidungen führen, könnte man sich an den Erfahrungen und Erkenntnisen aus der Schweiz orientieren und diese auf Genossenschaften übertragen. 

Der GdW versucht in seiner Stellungnahme dagegen, Angst zu schüren. Er traut den Mitgliedern nicht zu, in eigener Sache kompetent zu entscheiden. Dabei sorgt er sich, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit leiden würde. Um hier noch einmal den Vergleich mit der Schweiz zu ziehen: trotz der Möglichkeit der Volksentscheide gilt die Schweiz sogar als das wettbewerbsfähigste Land der Welt! Der GdW schreibt nicht, dass seine Befürchtung eintreten könnte sondern, dass sie eintreten würde, wenn die Gesetzesänderung käme. Damit behauptet er, dass im Falle der Änderung mit einer Wahrscheinlichkeit von 100% die Wettbewerbsfähigkeit jeder Genossenschaft leiden würde. Niemand kann im Vorhinein über die Entscheidungsqualität aller in künftigen Mitgliederversammlungen zustande kommenden Entscheidungen urteilen. Das ist vermessen, überheblich und wirklichkeitsfremd. Es ist unethisch eine solche politische Einflussnahme bei einem Gesetzesvorhanden zu versuchen, das auf einem pauschalen Misstrauen gegen die Mitglieder von Genossenschaften geprägt ist, die man auf dem Papier vertritt. Der GdW hat das Motto gewählt "HIER WOHNT DAS WIR". [Warum er das alles GROSS schreibt bleibt unklar, mir kommt es so vor als will er suggerieren, dass die Leute im WIR einfach gestrickt sind, dass sie Schwierigkeiten damit haben, wann sie groß und wann klein schreiben müssen.]  Das Wir wohnt aber nicht nur, es denkt auch mit, und der GdW stellt sich außerhalb dieses Wir mit seiner Stellungnahme. 

Mangelndes genossenschaftliches Bewusstsein offenbart die Stellungnahme auch, wenn der GdW schreibt, dass die Wettbewerbsfähigkeit leiden würde. Wohnungsgenossenschaften haben überhaupt nicht die Aufgabe sich in ihrem Kern um Wettbewerbsfähigkeit zu kümmern. Das mag manchen überraschen, aber die Aussage des GdW zeigt, dass ihm der genossenschaftliche Kompass abhanden gekommen ist. Genossenschaften sind Selbsthilfevereine zur Deckung von Bedarfen der beteiligten Privatpersonen. Dies gilt auch dann, wenn sie große Betriebe geworden sind. Es geht dabei darum durch Organisation und Durchführung einer eigenen betriebswirtschaftlichen Aktivität die Mitglieder günstiger mit Wohnraum zu versorgen als der Markt das zu tun bereit ist, weil der Güterverkauf über den Markt im Grundsatz für Unternehmen attraktiv ist, die damit eine Rendite für ihre Eigentümer erwirtschaften wollen, je höher umso besser. Wohnungsgenossenschaften sind als Einkäufer von Bauleistungen, Handwerkerleistungen und Krediten mit der Marktwirtschaft verbunden aber auf ihrer Abnehmerseite sind sie mit ihren Mitgliedern als Wohnungsnutzer gerade nicht über den Markt verbunden. Insoweit ist Wettbewerbsfähigkeit zwar nicht ohne Bedeutung in Wohnungsgenossenschaften, da sich Fragen ergeben können, falls sie sich in ihrem Wohnungsangebot zu weit von den Wohnbedarfen anderer Menschen entfernen und es darum geht, ausscheidende Mitglieder zu ersetzen. Aber dies ist eine Nebenbedingung und kein Kernaspekt erfolgreichen genossenschaftlichen Wirtschaftens. Keiner kommt auf die Idee zu fragen, ob die private Eigenheimbesitzerin durch ihre wohnungswirtschaftliche Entscheidung weniger wettbewerbsfähig ist. Sie steht nicht im Wettbewerb mit anderen sondern verfolgt Haushaltsziele im Bereich Wohnen. So ist es auch mit Wohnungsgenossenschaften und ihren Mitgliedern. Der GdW stellt sich mit seiner Stellungsnahme außerhalb dieser Gemeinschaft, behauptet aber, für sie zu sprechen bzw. ihre Interessen zu vertreten. Der GdW vertritt in Wahrheit nicht die Interessen der Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften und damit auch nicht die Interessen der Wohnungsgenossenschaften, denn beide gehören zusammen. Die Wohnungsgenossenschaften haben ja gerade den Zweck nach § 1 GenG die Interessen der Mitglieder zu erfüllen, indem sie deren Wirtschaft fördern. Dieser Mangel an genossenschaftlichem Bewusstsein hat der GdW bereits im Jahr 2006 gezeigt, als er in einer "Arbeitshilfe" für seine Mitgliedsunternehmen schreibt, "dass öffentliche Wohnungsunternehmen zwar einen sozialen Versorgungsauftrag wahrnehmen, ....sie sind dennoch erwerbswirtschaftlich orientiert..." [Arbeitshilfe 51: Unternehmensstrategie und Balanced Scorecard: Strategieimplementierung in Wohnungsunternehmen, GdW, Berlin, 2006, Seite 12]. Mit ist nicht bekannt, dass der GdW dies als Fehler eingestanden hat und seine Auffassung öffentlich und gegenüber seinen Mitgliedsunternehmen korrigiert hat. 

In diesem Zusammenhang ist es äußerst problematisch, dass der GdW nicht nur Wohnungsgenossenschaften vertritt sondern auch Aktiengesellschaften wie das größte deutsche Wohnungsunternehmen, die Vonovia mit mehr als 400.000 Wohnungen.  Es fehlt in Deutschland ein eigenständiger bundesweiter Verband der Wohnungsgenossenschaften, der sich nicht nur klar zu genossenschaftlichen Prinzipien bekannt, sondern sie auch lebt und nach außen und innen vertritt. Denken, Reden und Handeln sollten im Einklang stehen auch im Bereich der Genossenschaften insbesondere bei Personen und Institutionen mit großem Einfluss.





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