Samstag, 12. Juli 2025

Unbewusstheit in unserem wirtschaftlichen Grundverständnis

Als Betriebswirt schreibe ich hier zu bedarfswirtschaftlicher Betriebswirtschaftslehre und wunderte mich über die ablehnende Reaktion einiger Ökonomen auf einige Artikel, zum Beispiel zu meiner Aussage, dass in bedarfswirtschaftlichen Unternehmen keine Eigenkapitalzinsen in die Preise miteinkalkuliert werden müssen, da dort der Opportunitätskostenansatz nicht greifen würde (siehe hier und hier). Es kam die Antwort ohne tiefere Begründung, dass man dann nicht genug investieren könne. Das korrespondierte zu dem Titel eines Buches eines FAZ-Journalisten, Winand von Petersdorff aus dem Jahr 2008, das mit dem deutschen Wirtschaftsbuchpreis ausgezeichnet wurde: "Das Geld reicht nie" Da ich den Autor in der Zeit, als ich noch regelmäßig die FAZ gelesen habe, wegen seiner Artikel zur Politik sehr schätze, habe ich mir das angeschaut. 

Ich war bestürzt: Das Buch deklariert auf seinem Cover "Ein Wirtschaftsbuch für Jugendliche" und will mit prägnanten Beispielen leichtverständlich grundlegende wirtschaftliches Verständnis vermitteln. Vermutlich wurde es auch genau dafür ausgezeichnet, weil es, soweit ich sehen konnte, vom Konzept das auch macht. Allerdings gibt es genau die Einseitigkeiten wieder, die mir auch an anderer Stelle begegnet sind. Von Petersdorffs Eingangsbeispiel ist eine Jugendliche, die 2 Hobbies hat und weitere Interessen und einfach nicht genügend Zeit, alle Interessen in der Woche auszuleben. Und sie habe auch nicht genügend Geld, um sich mit dem Taxi von einem Aktivitätsort zum anderen fahren zu lassen, um hierüber Effizienzgewinne zu erzielen und doch noch den ein oder anderen zusätzlichen Termin wahrnehmen zu können. Dass es auch Situationen oder Menschen gibt, die zu viele Zeit haben, denen langweilig ist oder die sich mit eigentlich unwichtigem ablenken, findet keine Erwähnung. Dass es zu einem reifen Menschsein gehört, das wichtige vom unwichtigen zu scheiden, wird ebenfalls nicht erwähnt. Es geht nur um immer mehr. Die Unterscheidung von Bedürfnis und Wunsch von Goethe, fällt von Petersdorff nicht ein. Goethe lässt den Pastor in Hermann und Doroethea sagen: Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig (ausführlich zitiert hier). Von Petersdorff folgert aus seinem Beispiel wir leben in einer Welt der Knappheit. Ich vermute das geht zurück auf eine kollektive Erfahrung, die noch aus dem Mittelalter herrührt, dass wir noch die Möglichkeit von Hungersnöten als latent möglich in uns tragen. Dass die gesellschaftliche Realität im Westen viel mehr von Übergewicht, von dem Problem auszusortieren und teilweise auch von Bewegungsarmut geprägt ist, ist in unserem wirtschaftlichen Verständnis nicht dominant vorgedrungen. Die Knappheitshypothese gilt immer noch dominant. Ich hatte mich auf diesem Blog mit Alfred Marshalls Principles of Economics befasst, das aus diesem kollektiven Knappheitsbewusstsein heraus geschrieben wurde. Das Buch von Marshall gilt laut UNESCO als Teil des Weltkulturerbes der Menschheit. Als geistiger Meilenstein begrüße ich das. Wir sollten da aber nicht stehen bleiben. Letztlich ist von Petersdorff noch auf dem gleichen Bewusstseinsstand und wollte 2008 genau diesen im FAZ-Verlag an die nächste Generation vermitteln und hat genau dafür noch einen Preis erhalten. Dies bekräftigt meine frühere Thesen, dass wir als Gesellschaft erkennen müssen, dass die BWL neben einer gewinnorientierten eine bedarfsorientierte Säule haben sollte als Teil der allgemeinen BWL (ABWL) und wir in Deutschland dringend ein universitären Institut für Forschung und Lehre für bedarfswirtschaftliche Betriebswirtschaftslehre brauchen, siehe (link).

Fazit 

Mein Vorschlag für die Wirtschaftswissenschaft ist weg von der Absolutheit der Knappheitshypothese zu kommen und statt dessen zu formulieren: Ja, Knappheit gibt es, aber manchmal ist die Antwort nicht die, möglichst viel aufzuhäufen an Kapital oder anderen Ressourcen, um möglichst viele Wünsche vom Tisch zu bekommen im Sinne von mehr ist besser sondern ganzheitlich zu schauen, welche der Bedarfe sind wirklich wichtig und welche sind eher ablenkend. Dazu gehört es, Knappheit auch als Chance zu sehen, Dies kann man nicht pauschal entscheiden, sondern es hat sowohl mit dem jeweiligen konkreten Bedürfnis zu tun, aber auch mit einer gewissen menschlichen Reife bzw. inneren Bewusstheit. So werden viele Menschen irgendwann an dem Punkt sein, zu erkennen, dass qualitätsvolle menschliche Beziehungen und auch intakte "Umweltbeziehungen" wichtiger sind als als ein "dickes" Auto oder ein großes Haus mit einer besonders schönen Lage. Zur wahrscheinlich abnehmenden Bedeutung von großen Autos als Konsumgut siehe auch Christian Rieck, Porsche: das Ende einer Legende". Dies hat wirtschaftspolitisch Nachteile, da viele Arbeitsplätze in Deutschland an der Automobilindistrie hängen und mehr Konsum das Bruttoinlandsprodukt stärkt.  Und es ist verständlich, dass im Nachkriegsdeutschland und nach der Wende in Ostdeutschland die Menschen materiell aufholen wollten, aber in einer nachhaltigen Welt muss man von dieser oberflächlichene Eben auch in den Wirtschaftswissenschaften ein Stück weit wegkommen. Auch wenn in einer globalen  Welt materielle Aufholwünsche sicher noch eine Bedeutung behalten, wird dies von der Gewichtung eher zurückgehen.  

(Der Titel wurde geändert am 09.08.2025 und einige kleine Änderungen im Text vorgenommen. Das Fazit wurde hinzugefügt am 09.11.2025)

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