Dienstag, 29. Oktober 2013

2 Linien einer möglichen Europapolitik bei den Piraten

Das Folgende ist meine subjektive Meinung - ich kann da ziemlich falsch liegen - und richtet sich in erster Linie an Piraten/innen im Rahmen eines parteiinternen Diskurses:

Im Gegensatz zu meinem post "Europa gemeinsam gestalten" http://liberalundkooperativ.blogspot.de/2013/10/europa-gemeinsam-gestalten.html möchte ich hier eine andere politische Linie aufzeigen, die ich bei der Piratenpartei Deutschland wahrnehme:

Die Idee ist wir wollen Demokratie auf allen politischen Ebenen und dabei möglichst viel auf der Europäischen und vielleicht noch auf der regionalen und kommunalen Ebene, die nationale Ebene kann ohne grundsätzliche Vorbehalte ausgedünnt werden.

Ich halte diese Einstellung zwar für verständlich, aber für zu platt. Das Demokratiedefizit in der Europäschen Union http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratiedefizit_der_Europ%C3%A4ischen_Union liegt nicht nur an noch nicht ausreichend demokratischen politischen Institutionen (EU-Kommission, Rat der EU, Parlament), sondern auch daran, dass es noch keine vollwertige europäische Öffentlichkeit gibt, angefangen über eine gemeinsame Sprache bis zu gemeinsamen Medien. Damit fehlt ein gesamteuropäischer Diskursraum und damit auch eine vollentwickelte gesamteuropäische Zivilgesellschaft. Selbst die Piratenpartei als transnationale Bewegung ist parteiintern hier nicht fortschrittlich. Die im September gegründete Europäische Piratenpartei PP-EU hat in ihrer Satzung festgelegt, dass jede nationale europäische Piratenpartei eine Stimme hat, statt des denkbaren Prinzips von one woman one vote europaweit für alle Mitglieder europäischer Piratenparteien. http://ppeu.net/wiki/doku.php?id=statutes:final#art_8_observer_members Das ist hier keine Kritik an der PP-EU, es ist einfach die derzeitige Realität. Deshalb bin ich zwar dafür, die europäischen politischen Institutionen bereits jetzt demokratischer zu gestalten,  aber ich rate zur Vorsicht bei der schnellen Übertragung weiterer Kompetenzen nach Brüssel. Lasst uns erst mit dem europäischen Diskurs weitermachen. Mehr Piraten im Europaparlament sind dafür ein Meilenstein. Ganz gut passt dazu eine Position, die wir schon mal im liquid feedback abgestimmt hatten: https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/4232.html






Montag, 28. Oktober 2013

Europa gemeinsam gestalten

Ich will in einem vereinten Europa leben, das seine Vielfalt bewahrt und eine konstruktive Rolle darüber hinaus spielt.

Dazu gehört für mich, die EU-Institutionen demokratischer zu gestalten und mittelfristig eine europäische Verfassung, die in der Lage ist, das Grundgesetz abzulösen.

Dazu gehört für mich aber auch, bis das mit der Verfassung so weit ist, nicht noch mehr Souveränität „nach Brüssel“ über zwischenstaatliche Verträge abzugeben.

Das mag wie ein Spagat aussehen, ist aber letztlich das Gleiche: Demokratie funktioniert nur, wenn sie auf einer starken Zivilgesellschaft fusst, die sich auf allen Ebenen der politischen Willensbildung einmischt. Auf der gesamteuropäischen Ebene sollte darauf geachtet werden, diese Zivilgesellschaft in ihrem eigenen Tempo zusammenwachsen zu lassen und die Weiterentwicklung der politischen Institutionen in Europa darauf abzustimmen.

Das EU-Parlament ist trotz seiner "Schwächen" gerade dabei, ein eigener Machtfaktor in der europäischen Politik zu werden, es bietet bereits jetzt eine sehr gute Möglichkeit für einen europaweiten Diskursraum, in dem parteiübergreifend Sachpolitik betrieben wird wie zum Beispiel aktuell in der Flüchtlingspolitik http://www.sven-giegold.de/2013/lampedusa-resolution-des-europaparlaments .Es ist damit ein ideales Betätigungsfeld für uns Piraten.

Ich will, dass diese Linie im Europäischen Parlament, im Ausschuss für konstitutionelle Fragen vertreten und im Dialog mit den Piraten und den Bürgern Europas ausgestaltet wird.

Anmerkung: der Text hat sich nach der Erstveröffentlichung noch ein paar mal verändert; letzter Stand 29.10.2013 9:18

Dienstag, 22. Oktober 2013

Optionen für eine nachhaltige europäische Geldpolitik

Anlässlich des Gespräches der Piraten mit dem Grünen Finanzexperten aus dem Europaparlament Sven Giegold http://www.geldsystempiraten.de/wp/sven-giegold-kommt-zum-podiumsgesprach/ möchte ich hier einige sehr "grobe" Optionen einer nachhaltigen europäischen Geldpolitik auflisten und kurz kommentieren:

Aktuell leidet inbesondere Südeuropa unter sehr hoher Arbeitslosigkeit als Folge der Finanzkrise seit 2008, einer strikten Sparpolitik und fehlender Währungsflexibilität.

Problemfelder im Einzelnen:
1. Störanfälligkeit der Realwirtschaft durch die Finanzwirtschaft

2. hohe möglicherweise nicht nachhaltige Staatsschulden/Bankschulden in Südeuropa im Vergleich zur Wirtschaftsleistung

3. stark ungleiche Vermögensverteilung der Privathaushalte

4. Defizite staatlicher Institutionen in Südeuropa und daraus resultierend Wettbewerbsdefizite der südeuropäischen Wirtschaft bei fehlender Währungsflexibilität

Lösungen:
Regulierung des Finanz-und Bankensektors um Schieflagen zu bereinigen und zukünftig zu vermeiden (z.B. Trennbankensystem) -> auf jeden Fall gut, ändert aber nichts an der Wettbewerbsproblematik der südeuropäischen Wirtschaft.

grundlegende Neugestaltung des Geldsystems -> ein sehr dickes Brett, bei dem sich noch nicht abzeichnet, welche Alternativen in eine engere Wahl kommen könnten. Außerdem wird ein Systemwechsel gesellschaftlich nur akzeptiert werden, wenn das derzeitige System deutlich gescheitert ist. Das ist bis jetzt trotz aller Probleme nicht der Fall.

Staatliches Europäisches Invesititionsprogramm -> kann nur eine Ergänzung sein, da es die Ursachen nicht wesenlich verändert.

Refinanzierung marroder Banken über Gläubigerbeteiligung -> eine gute Lösung.

Entlastung der Südeuropäischen Staatshaushalte durch Schuldenschnitte oder durch Überleitung der Staatsschulden an die europäische Zentralbank, letzteres wirft ordnungspolitische Fragen auf -> ich halte Schuldenschnitte für die derzeit beste Variante: über die Gläubigerbeteiligung bei der Bankenrekapitalisierung kann man den Teufelskreis von der gegenseitigen Gefährdung von Bankenbilanzen und Staatshaushalten durchbrechen und der von der Bankenlobby an die Wand gemalte allgemeine Finanzkollaps, wenn sie nicht mit Steuergeldern gerettet würden, wäre wenig wahrscheinlich.

einheitliche europäische Wirtschaftspolitik Voraussetzung: demokratische Strukturen auf europäischer Ebene, europäische Verfassung -> geht nur mittelfristig, ich fände es falsch die Krise zu nutzen, um neue Strukturen durchzusetzen, die die Macht der Parlamente weiter beschneiden, ohne eine von den Europäern in Referenden bestätigte neue Verfassung.

Transferzahlungen innerhalb Europas zugunsten der derzeit schwachen Wirtschaftsregionen
-> auf Dauer nicht nachhaltig und für die Emfängerländer als Dauerlösung auch nicht angenehm.

Parallelwährungen: Antwort auf die Wettbewerbsproblematik, begegnet aber viel Skepsis,-> sollte man näher prüfen.

Vermögenssteuer, um die Ungleichverteilung von Vermögen direkt anzugehen -> halte ich ergänzend für notwendig.

weiteres Vorgehen:
Vielleicht sollten die Piraten für jedes Problemfeld zwei oder drei Optionen in die politische Diskussion einbringen, die nachhaltig sind. Wichtig ist es, diese Diskussion auf europäischer Ebene zu führen und dabei keine Optionen auszuklammern aus Angst die europäische Idee zu gefährden: Wenn ein vereintes Europa eine Zukunft hat, dann hält es solche Diskussionen nicht nur aus, sondern wächst daran.


Mittwoch, 16. Oktober 2013

Der jetzige Euro ist nicht plattformneutral

Das Folgende ist meine subjektive Meinung, ich kann da ziemlich falsch liegen und richtet sich in erster Linie an Piraten im Rahmen eines parteiinternen Diskurses:

Viele Piraten sind nach meiner Vermutung für den Euro, weil es auf den ersten Blick so aussieht, als sei er eine gute Idee, weil er eine neutrale Bezahl-Plattform für alle bietet. Aus Verbrauchersicht kann das so aussehen. Der Euro ist in seiner jetzigen Form aber gerade nicht plattformneutral, weil er Teil eines komplexen Wirtschafts- und Währungssystems ist, das immer noch von vielen nationalen Komponenten dominiert wird. Das kann man natürlich bedauern und auch politisch ändern wollen - was ich befürworte - aber es ist die Realität, von der wir ausgehen müssen.

Angestrebte Plattformneutralität ist nichts Neues. Eine unabhängige Justiz ist eine neutrale Plattform, die wir für eine gerechte Gesellschaft brauchen, genauso wie zum Beispiel freie, geheime, allgemeine und gleiche Wahlen, Bürgerrechte oder wie ein Bildungssystem, das allen gute Bildung ermöglicht.

Um Plattformneutralität für die Menschen und Unternehmen im Währungs- und Wirtschaftsbereich in Europa herzustellen, braucht es langfristig - wenn man den Euro in seiner jetzigen Form erhalten will - statt einer völkerrechtlich basierten EU eine verfassungsbasierte wirklich demokratische europäische Föderation mit sehr viel Entscheidungsmacht auf der Zentralebene. Die Piraten konnten sich dazu bisher noch nicht durchringen. Die Vorschläge in der Initiative gemeinsames Wahlprogramm (29,31,36,51,52) inklusive meiner eigenen http://wiki.piratenpartei.de/Initiative_gemeinsames_Europawahlprogramm/Antr%C3%A4ge_f%C3%BCr_die_Umfrage_2013#Zukunft_Europa_-_Europa_in_20_Jahren kamen auf Zustimmungsquoten von 36-52%.

Kurzfristig braucht es entweder große Transferleistungen, um die fehlende Plattformneutralität auszugleichen, was aus “systemischer” Sicht nicht sehr befriedigend ist oder Parallelwährungen als Ergänzungen zum Euro, um die Plattformneutralität doch noch hinzubekommen. Letzteres solle man nicht aus rein ideologischen Gründen ablehnen oder weil Leute, deren sonstigen politischen Einstellungen man schlimm findet, ähnliche Lösungsvorschläge machen. Ein solches Verhalten wäre gerade nicht plattformneutral, das es Informationen nicht nach ihrer Informationsqualität bemisst, sondern nach ihrem Absender.

Wenn man nichts dergleichen macht, so wie jetzt, leiden sehr viele Menschen in Südeuropa unter den Defiziten.

Donnerstag, 19. September 2013

eine Wegmarke hin zu einer europäischen Außenpolitik

Ich hatte vor fast drei Wochen in einer mail bei den Piraten unter dem Titel "Ein Sieg für den Parlamentarismus" die Ablehnung eines Militärschlages gegen Syrien durch das Britische Unterhaus gegen Premierminister Cameron kommentiert, dass ich das klasse finde, da

- anscheinend Inhalt vor Parteiraison geht.
- anscheinend auch nicht gleich gefragt wird, ob Cameron deshalb als Regierungschef wackelt.
- in der Begründung auch auf die Meinung der Bevölkerung Bezug genommen wurde.


Erst mit etwas Abstand ist mir die mögliche historische Tragweite dieser Entscheidung klar geworden:

Im Gegensatz zur Frage der Beteiligung am Irakkrieg hat sich Großbritannien hier gegen seinen engsten strategischen Verbündeten, die USA, gestellt  und eine eigene Position eingenommen, auf der Seite der Mehrheitsmeinung der eigenen Bevölkerung. 2003 war Robin Cook als amtierender Aussenminister unter Tony Blair wegen dem Kriegseintritt Großbritanniens als Außenminster zurückgetreten, ebenfalls an der Seite der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung. In seiner damaligen Begründung http://news.bbc.co.uk/2/hi/2859431.stm, finden sich sehr viele Parallelen zu heute, mit dem einzigen Unterscheid,  dass diesmal das britische Parlament entsprechend abgestimmt hat. Seine Rede wurde als eine der besten Reden im Unterhaus bezeichnet, angeblich hat er sogar ein Art standing ovations dafür bekommen, was es so im Unterhaus noch nicht gegeben haben soll, er hat also wohl einen Eindruck hinterlassen, aber die Entscheidung verlief anders. Vielleicht muss man die jetzige Entscheidung des Parlaments in diesem Zusammenhang sehen.

Ich glaube, wir sind in Europa an einem Punkt angekommen, dass wichtige politische Positionen mehr hinterfragt und neu gedacht werden können, dass Sachpolitik vor Ideologie geht. In Europa haben wir die Chance, dass sich mehr und mehr wirklich eine gemeinsame europäische Außenpolitik entwickeln kann, die auf gemeinsamen Werten basiert und darauf, sich als Teil Europas zu verstehen. Robin Cook zeigt in seiner chicken tikka masala Rede http://www.theguardian.com/world/2001/apr/19/race.britishidentity, dass britische Identität und Europäische Identität (neben einer kosmopolitischen Identität :) ) nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich ergänzen. Wasser auf meine Mühlen :)

Vielleicht bleiben diese positiven Entwicklungen noch lange eher die Ausnahme, ein Selbstgänger sind sie sicher nicht und eine Bewegung wie die Piratenpartei, die basisdemokratisch und im Diskurs europa- und kosmopolitisch fundierte Positionen entwickelt, kann hier sicher wertvolle Beiträge leisten, auch wenn das breite Kreise der Bevölkerung derzeit nicht wahrnehmen.

Dennoch..., dass solche Entscheidungen bereits heute ab und an getroffen werden, macht Lust auf mehr.

Dienstag, 30. April 2013

Ralf Dahrendorf über Kapitalismus

was für eine Wohltat: Ralf Dahrendorf in Bezug auf Karl Marx et al.:

"Karl Popper hat das Historizismus genannt. Analytische Begriffe werden hypostasiert (d.h. zu einer Sache gemacht). Sie werden nicht benutzt, um Aspekte und Elemente wirklicher Gesellschaften mit dem Scheinwerfer der Theorie zu erhellen; sie werden vielmehr mit der Wirklichkeit selbst verwechselt. Tatsächlich hat es so etwas wie Kapitalismus natürlich nie gegeben, sondern immer nur Wirtschaften und Gesellschaften, die mehr oder minder ausgeprägt als kapitalistisch definierbare Züge tragen. Das Elend des Historizismus liegt darin, daß er seine Anhänger blind macht für die Phantasie der wirklichen Welt."

zitiert aus Ralf Dahrendorf: "Der moderne soziale Konflikt. Essay zur Politik der Freiheit" dtv wissenschaft, 1994, S.18

Sonntag, 28. April 2013

Europa, werde erwachsen!

Bundeskanzlerin Merkels Diktum http://de.wikipedia.org/wiki/Diktum „Scheitert der Euro scheitert Europa“ , geäußert in ihrer europapolitischen Grundsatzrede im Deutschen Bundestag am 26.Oktober 2011 http://www.euractiv.de/finanzen-und-wachstum/artikel/merkels-euro-rede-scheitert-der-euro-dann-scheitert-europa-005550 ist ein fataler Satz: 

Er ist gefährlich, weil er ein Körnchen Wahrheit enthält und doch grundlegend falsch ist. Deshalb hat er bei den meisten Hörern wohl den Gedanken ausgelöst, er könnte vielleicht richtig sein, ohne dass sie selbst davon überzeugt waren. Der Satz hat Überrumpelungspotential und hat durch seine Kürze und Prägnanz eine ideale massenmediale Transportfähigkeit. Dadurch ist er wahrscheinlich Teil des kollektiven Bewusstseins in Deutschland, vielleicht sogar in Europa geworden. 

Das Körnchen Wahrheit ist, dass Europa als politisches Gebilde noch nicht so gefestigt ist, dass die Mehrheit den Menschen den Satz ganz entspannt als unsinnig von sich weisen können. 

Die Wirkung des Satzes ist deshalb fatal: Er verstärkt die Vorstellung, dass Europa als politisches Gebilde gefährdet und sehr verletzlich ist. Er behauptet, dass Europa so schwach ist, dass am Euro als Währung festgehalten werden müsste, selbst wenn er aus ökonomischen Gründen für die Europäer für ihr Wohlergehen eigentlich schädlich ist, was ja auch der Fall ist. Er manövriert Europa damit in eine Sackgasse, aus der es kein Entrinnen gibt.

Zum Glück ist der Satz Unsinn. Die Alternative lautet:

Wenn der Euro scheitern wird, wird Europa die Erfahrung machen, dass die Befürchtung, daran selbst als politisches Gebilde zu scheitern, unbegründet war und wird statt dessen eine neue Qualität von Identität und Selbstvertrauen aufbauen.

Es wird sich zeigen, dass Europa eben nicht nur ein Projekt von Politikern ist, abgehoben von den Menschen, ein Zug unterwegs nach nirgendwo http://www.youtube.com/watch?v=NFNtPyvvXBI dessen Fahrplan und Route an keiner Stelle hinterfragt werden darf, sondern viel eher mit einem lebendigen Baum vergleichbar ist, der Stürme übersteht und aus sich heraus weiter wächst.

Interessant an Merkels Diktum ist auch, dass er in einer sehr langen faktenreichen Rede fast ganz am Schluss (im drittletzten Absatz) als persönliches Wort angekündigt wurde. Er fusst offensichtlich nicht auf den Fakten, sondern ist eine persönliche Bewertung und lebt von der Kraft der Autorität der Kanzlerin, also sowohl dem Ansehen ihres ganzes politischen Lebens als auch der Tatsache, dass sie sich offensichtlich ausführlich mit dem Thema beschäftigt hat, was die lange Rede belegt.
Psychologisch gedeutet nimmt Merkel mit ihrem Satz eine mahnende und schützende Mutterrolle für Europa ein, der in seinem Inhalt aber völlig an der Realität vorbeigeht.

Es ist deshalb an Europa als gelebter Idee für ein politisches Gebilde, aus kindlicher Unselbständigkeit herauszuwachsen und erwachsen zu werden und gut gemeinte aber falsche und ängstliche "mütterliche" Vorstellungen, wie es sich organisieren soll, abzuschütteln.

Samstag, 27. April 2013

Euroaustritte sind europaweit gemeinsam anzugehen

Im Zusammenhang mit der Frage, warum Spanien sich von der mit 57% extremen Jugendarbeitslosigkeit nicht durch einen Euroaustritt erlöst schrieb mit ein Bekannter:

"Leider ist es ausserdem auch so, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht  aus dem Euro will. Die Bevölkerung hat nicht begriffen, dass dies eine Chance für Spanien wäre. Die Bevölkerung denkt eher Spanien würde durch einen Austritt aus dem Euro von Europa abgetrennt. Insofern ist  die jahrelang eingetrichterte Lektion: der Euro ist unser  Integrationstool für Europa hier bereits erfolgreich implementiert worden."

Ich glaube der Mann hat recht. Das heist es wäre gut, wenn wir diese Entscheidung in Europa gemeinsam und solidarisch träfen und nicht ein einzelnes Land damit alleine lassen, also alle gemeinsam den Schritt zurück in allen Ländern gehen und die Kosten einer Umstellung gemeinsam tragen. Das wäre möglich, wenn wir mutig sind und an  Europa glauben. Es wäre nicht nur fair gegenüber allen beteiligten Ländern, dieses Experiment auch solidarisch zu beenden, es würde von vornherein klarmachen, dass allen Ländern die Möglichkeiten einer künftigen politischen Integration weiterhin gleichberechtigt offenstehen, unabhängig von ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen in Bezug auf eine eigene Währung.

Ansonsten sehe ich praktisch nur zwei Möglichkeiten:

Entweder geht irgend ein Land aus dem Euro raus, bei denen es halt gar nicht mehr geht und die anderen sehen, dass es dem Land danach besser geht und werden ermutigt den gleichen Weg zu gehen, oder

alle Länder bleiben im Euroraum und die Südländer und Frankreich leiden noch viele Jahre über an extremer bis hoher Arbeitslosigkeit, die Spannungen und Unzufriedenheiten mit Europa werden fast überall hoch sein und global wird Europa wirtschaftlich und politisch an Boden verlieren.
 

Euro und Arbeitslosigkeit

Die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien beträgt jetzt über 57%, die Gesamtarbeitslosigkeit über 27%.

http://www.comdirect.de/inf/news/detail.html?ID_NEWS=272823904&NEWS_HASH=21a151da2b86b18ceac0ced251e5724780784028&RANGE=2Y&OFFSET=0&BLOCKSIZE=20&NEWS_CATEGORY=POLITIK

Ich begreife nicht wie man nicht endlich ich den sauren Apfel beisst und sich vom Euro befreit. Das ist doch reine Realititätsverweigerung. Das ist weder durch Konjunkturprogramme noch durch Arbeitsmarktreformen (Lockerung des Kündigungsschutzes) noch durch so absurde Vorhaben wie ein Gesetz gegen Jugendarbeitslosigkeit zu beheben (Beschluss der europäsichen Arbeitsminister vor ca 8 Wochen wenn ich mich recht erinnere).

Montag, 8. April 2013

Die Metaebene: Ein Blick auf die politische Praxis bei den Piraten und darüber hinaus:


Auf Mailingslisten und bei Diskussionen bin ich immer wieder verblüfft; wie viel wir aneinander vorbeireden/schreiben und uns gegenseitig missverstehen. Es scheint fast als lebt jeder in seinen eigenen Illusionen und sucht sich halt die paar Leute, deren Illusionen einigermassen Überschneidungen aufweisen. Deshalb ist auch Vertrauen so wichtig. Ist das erst mal zerstört, werden die Leute eigentlich nicht mehr angehört, man stellt innerlich auf Durchzug; egal was auf der Sachebene kommt. Oder es dauert sehr lange, bis das Vertrauen wieder aufgebaut ist. Das gilt wohl für Einzelpersonen wie auch für Gruppen oder Institutionen (z.B. Prof. Schachtschneider, der Pirat xy, die AG xyz, die Piraten von aussen gesehen, die EU, die Banken) Ich bin da keinen Deut besser als irgend jemand sonst und das ist sicher nichts typisch Piratiges, aber wir sind dafür eben auch nicht weniger anfällig als andere.

Mir liefen vor kurzem 2 Sprüche über den Weg, die dazu passen könnten:

"Es ist unmöglich nicht zu glauben was Du siehst, aber es ist genauso unmöglich zu sehen was Du nicht glaubst."

Mein Interpretationsvorschlag: gerade wir Piraten als Mitmachpartei sollten versuchen unsere jeweiligen inneren Vorfestlegungen gegenüber Personen, Institutionen oder Sachzusammenhängen immer wieder auch zu hinterfragen. Dann könnten vielleicht Antworten formuliert werden, die auf einem breitem Wissensfundament basieren bzw. bei dem die realitätsfernsten Illusionen abgebaut werden konnten.

"Niemand kann Illusionen entkommen, wenn sie sie nicht anschaut, denn sie nicht anzuschauen ist der Weg wie sie geschützt werden."

Letzlich ist unsere Art Programmatik niederschwellig und im Diskurs zu entwickeln eigentlich ganz gut geeignet, dass jeder häufig mit seinen eigenen Grenzen konfrontiert wird etwas zu verstehen. Wahrscheinlich müssten wir uns deshalb gar nicht gegenseitig so sehr die jeweiligen Illusionen um die Ohren schlagen wie wir es manchmal tun, mich eingeschlossen :)
Manchmal bin ich dann einfach überrascht wie plötzlich "aus einer Ecke" unerwartet Lösungen kommen die gut und konsensfähig sind, oder den Anschein haben es zu sein :) So war es letzten Herbst mit dem Schuldenschnittantrag der Projektgruppe ESM https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/4672.html, oder aktuell mit dem Sammelantrag der Ini GWP  http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2013.1/Antragsportal/WP088  und auch dem SixPack von Nico https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/6110.html.

Donnerstag, 21. Februar 2013

Sollten die Piraten eine deutsche kulturelle Identität respektieren?

Ich habe gerade einen spannenden Artikel in der FAZ gelesen http://pressespiegel.zzf-pdm.de/?q=node/14223 der zu dem Problem passt, den ich mit dem Piraten-liquid Text https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/5711.html habe:  Zitat: “Die nationale Identität ist wiederum nichts anderes als eine schäbige Ideologie, die regelmäßig zu Kriegen und Verbrechen wider die Menschlichkeit geführt hat."

Hintergrund ist möglicherweise, dass nationale Identität rassistisch gemeint ist oder sein könnte. Wir Piraten lehnen sicher Rassismus ab, offen bleibt dann aber wie wir zu einer deutschen kulturellen Identität stehen. Lehnen wir auch diese ab auf Basis unseres eigenen transantionalen Selbstverständisses oder weil wir uns als progressiv verstehen?

Im Grundsatzprogramm Europa http://wiki.piratenpartei.de/AG_Europa/Programm gehen wir zwar auf die kulturelle Vielfalt Europas ein, sprechen später aber von der Stärkung der Regionen. Da Piraten auch gerne die Abschaffung der Nationalstaaten bzw. der Nationen fordern (siehe oben), stellt sich die Frage, ob eine deutsche kulturelle Identität von den Piraten als solche abgelehnt wird, indem kulturelle Identität nur der regionalen Ebene in Europa zugestanden werden soll.

Ich persönlich wehre mich gefühlsmässig dagegen, ich konnte zunächst gar nicht erklären warum. Ich war mir allerdings sicher, dass meine Gefühle weder rassistsch motiviert sind, noch dass ich einem übertriebenen Patriotismus anhänge. Als junger Mann war ich gegenüber Deutschland eher kritisch eingestellt. Erst nachdem ich zwei Jahre in England gelebt hatte und erst nachdem ich danach wieder in Deutschland lebte, entwickelte ich eine positive Einstellung gegenüber Deutschland als das Land in dem lebe. Ich behielt übrigens auch eine positive Einstellung gegenüber England und könnte mir auch vorstellen, dort wieder zu leben. Es geht hier nicht darum ein Land besser oder schlechter zu bewerten, sondern beide in ihrer jeweiligen kulturellen Identität wertzuschätzen. Aber auch das heisst nicht widerum, dass es nicht auch eine europäische Identität gibt, die ich empfinden kann oder auch regionale oder sonstige Identitäten.

Warum ich mich gegen die Ablehnung einer deutschen kulturellen Identität wehre:

Zufällig stiess ich in der FAZ auf eine Rezension zu „Das umstrittene Gedächtnis – Die Einnnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945 “ von Arnd Bauerkämper. Laut der Rezension und dem Buch hat Europa keine einheitliche Erinnerungskultur hervorgebracht, sondern sind diese stark national zentriert. Dabei gibt es zum einen familiäre, zivilgesellschaftliche Erinnerungskulturen bzw. -diskurse und eine offiziellere, allgemeinere Erinnerungskultur bzw. -diskurs, die nicht immer gleich laufen müssen. In Deutschland gab es demnach seit den frühen 1960er Jahren eine von massgeblichen Politikern und kulturellen Eliten praktizierte schonungslose Selbstaufklärung, die sich gesamtgesellschaftlich gegen anderslautende Aussagen aus vielen familären Diskursen durchsetzte. Das deckt sich mit meiner Wahrnehmung und ich halte das für einen Erfolg.

Meine Überlegung ist die, dass wenn man nun die deutsche kulturelle Identität als wertlos und ablehnenswert („schäbig“) einstufen würde, diese kollektive Erinnerungskultur damit ebenfalls entwertet würde. Würde man sich damit gesellschaftlich durchsetzen, würde dies Erinnerungskultur abgeschnitten. Das Projekt der Aufarbeitung der Vergangenheit, um ähnliche Monströsitäten für die Zukunft zu verhindern, würde damit gefährdet, da es auf europäischer Ebene noch keine Erinnerungskultur gibt, die diese Rolle übernehmen könnte. Die Lösung kann eigentlich nur lauten, dass mit einer deutschen kulturellen Identität und mit der deutschen Erinnerungskultur als ein Teil von ihr respektvoll umgegangen wird und man sie peu a peu sich in eine europäische Erinnerungskultur hineinentwickeln lässt bzw. diesen Prozess mit gestaltet. Ausserdem sind 60 Jahre europäische Integration sicher eine positive Entwicklung, die auch eine europäische Identität bereits begründet hat, auf der man aufbauen kann und von der man zuversichtlich sein, kann, dass sie sich positiv weiter entwickelt, wenn Europa so gestaltet wird, dass es demokratischer und bürgernäher wird.
 






Mittwoch, 6. Februar 2013

2 Fragen zum künftigen Europa

Nach einer Diskussion der britischen Piratenpartei mit Piraten der deutschen Piratenpartei in einer Telefonkonferenz, die gestern von der Arbeitsgemeinschaft Europa der Piratenpartei Deutschland veranstaltet wurde

https://dl.dropbox.com/u/79834285/Mumble-2013-02-05-20-03-39-discussion-ppuk.ogg

stellen sich 2 Fragen:

1. Wie müsste eine künftige europäische Verfassung konstruiert werden, damit Länder, die zunächst nicht teilnehmen, eine spätere Teilnahme nicht von vornherein verbaut wird?

2. Wie wäre das gemeinsame künftige Europa mit den europäischen Ländern zu gestalten, die sich gegen die Teilnahme an einem verfassungsbasierten Europa entscheiden?

Begründung:

Auf der gestrigen Telefonkonferenz mit den britischen Piraten hat sich gezeigt, dass die Aussichten, dass Grossbritannien sich auf ein verfassungsbasiertes Europa - wie es die deutsche Piratenpartei in ihrem Grundsatzprogramm anstrebt - einlässt, doch leider sehr gering sind.

Dies hat wahrscheinlich vielfältige Gründe: zum einen wäre damit wohl nicht ausdrücklich aber doch von der Tendenz eine stärkere europäische Integration verbunden, als die Mehrheit zumindest der Engländer dies wollen. Zum anderen ist die Vorstellung einer Verfassung, die sozusagen die Strukturen und Regeln festschreibt politikwissenschaftlich ausgesdrückt eine eher konstruktivistische Ausrichtung, die wir in Deutschland zwar vom Grundgesetz her kennen und gut finden, die aber in Grossbritannien mit seinem Pragmatismus und seiner Geschichte so nicht üblich und naheliegend ist. Zum dritten ist die Vorstellung einer europäischen Verfassung durch den gescheiterten Versuch einer europäischen Verfassung http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ische_Verfassung in Grossbritannien politisch stark vorbelastet, auch wenn die deutschen Piraten nach meinem Verständnis ja eine "echte" Verfassung im Sinne des Grundgesetzes, die auch durch Referenden legitimiert wird, wollen im Gegensatz zu einem völkerrechtlichen Vertrag, der nur Verfassung genannt wird.

Das heist, dass ein demokatisches, rechtsstaatliches und verfassungsbasiertes Europa, wie es die Piratenpartei Deutschland in ihrem Grundsatzprogramm anstrebt Seite 71 hier http://www.piratenpartei.de/wp-content/uploads/2013/01/Piratenpartei_Grundsatzprogramm_Dezember_2012.pdf, voraussichtlich so nicht für ganz Europa umgesetzt werden wird. Ich finde das sehr bedauerlich. Das heist, dass wir uns entweder von der Aussicht eines verfassungsbasierten Europas verabschieden müssen oder von der Aussicht, innerhalb der nächsten 5-10 Jahren in diesem verfassungsbasierten Europa alle europäischen Staaten mit an Bord zu haben.

Gibt es einen Dritten Weg?

Falls nicht wie entscheiden wir uns?

Ich persönlich würde, falls es keinen dritten Weg gibt, derzeit an der Idee eines verfassungsbasierten Europas festhalten und die Nicht-Teilnahme Grossbritanniens schweren Herzens in Kauf nehmen. Ich würde damit die Hoffnung verknüpfen, dass Grossbritannien vielleicht später diesem verfassungsbasierten Europa beitreten würde.

Daraus ergeben sich die obigen 2 Fragen.