Samstag, 15. August 2020

Wie sollen norddeutsche Wohnungsgenossenschaften mit Überflutungscenarios aufgrund der Klimakrise umgehen?

Wenn Sie diesen Artikel gelesen haben, werden Sie eine Idee davon haben, ob und wenn ja wie von einem künftigen Meeresspiegelanstieg betroffene Wohnungsgenossenschaften (Woges) auf dieses Scenario antworten können.

Gestern wies Prof. Quaschning auf eine neue Studie von Klimaforschern der Ohio State University hin, nach der der Kipppunkt überschritten wurde, dass das grönländische Eis unabänderbar abschmelzen wird. https://twitter.com/VQuaschning/status/1294252887044915202 Die Forscher drücken das nicht so explizit aus und machen aus der Prognose auch keine Überschrift. Ihnen ist es wohl wichtiger als wissenschaftlich wahrgenommen zu werden. Sie beschränken sich auf die Beschreibung ihrer Messergebnisse. Im Kern sagen Sie jedoch, dass selbst wenn das Abtauen an der Gletscheroberfläche abnehmen würde - zum Beispiel weil einige Jahre das Wetter wieder kälter würde -, der Grundprozess des Abfließens ins Meer bereits eine Dynamik erreicht hat, die dennoch weitergehen wird. https://www.nature.com/articles/s43247-020-0001-2 . Die Aussage von Prof. Quaschning von einem Anstieg von 7 Metern findet sich auch hier https://de.wikipedia.org/wiki/Kippelemente_im_Erdklimasystem . Damit muss davon ausgegangen werden, dass bereits zwei Kippelememte überschritten sind, denn zum westantarktischen Eisschild wurde bereits 2014 ein entsprechendes Ergebnis veröffentlicht. Dafür wurde ein Meeresspiegelanstieg von 3 Metern prognostiziert. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Kippelemente_im_Erdklimasystem#Abschmelzen_des_Westantarktischen_Eisschildes

Diese beiden Effekte allein führen damit zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 10 Meter, wobei alles dafür spricht, dass dies zu einer weiteren Beschleunigung und weiteren Effekten führen wird, die aber noch nicht seriös quantifiziert werden können.

Es ist merkwürdig, dass dies bisher noch nichts an der allgemeinen Auffassung geändert hat, daß wir versuchen sollten den Prozess aufzuhalten. Offenkundig fällt es Politik, Medien und Zivilgesellschaft schwer, sich das eigene Scheitern einzugestehen. Populär ist es sicher nicht, man kann mit solchen Aussagen kaum etwas gewinnen. Ein Wissenschaftler für Nachhaltigkeit, Prof. Jem Bendell, hat 2018 einen je nach Bewertung pessimistischen oder realistischen Artikel vorgelegt, dessen Veröffentlichung die zuständige Fachzeitschrift (Sustainability Accounting, Management and Policy Journal) abgelehnt hatte und der dann nur über eine Direktveröffentlichung im Internet bekannt wurde. Wenn die Probleme zu groß werden, dann wollen manche es einfach nicht wahrhaben und verweigern den weiteren Umgang damit, wie diese Fachzeitschrift. Für eine verantwortliche Unternehmensführung ist das aber keine Option. Der Artikel und seine Wirkung und Einordnung findet sich hier https://en.wikipedia.org/wiki/Deep_Adaptation

Leider passen die obigen Ergebnisse zu einer Anfang August bekannt geworden Studie, nach der wir am nähsten beim schlimmsten IPCC Sencario liegen, RCP 8.5, siehe https://www.heise.de/tp/features/Auf-dem-Pfad-zu-einer-Erwaermung-um-3-3-bis-5-4-Grad-4867455.html Diese neuen Erkennntise sind dort aber noch gar nicht eingerechnet.

Da es viele weitere Kippelemente gibt und diese sich gegenseitig verstärken, sollten Immobilienunternehmen, deren größtes finanzielles Vermögen aus dem Wert ihrer Grundstücke besteht, sich auf ein worst case scenario vorbereiten. Auch wenn dieses Scenario wahrscheinlich frühestens in 150 oder 200 Jahren voll zum tragen kommen wird, sollte man sich fragen, ob und gegebenfalls welche Massnahmen jetzt zu ergreifen sind. Hintergrund ist, dass Woges nachhaltig ausgerichtet sind und eine Auflösung in 200 Jahren nicht zum Unternehmenszweck passt, da bei einer harmonischen Weiterentwicklung es auch in 200 Jahren Mitglieder geben wird, die irgend wo wohnen wollen. 

worst case scenario

Anstieg des Meeresspiegels in 150-200 Jahren um 30 Meter. Pläne Ost- und Norseee durch Küsten- und Flussdämme aus der norddeutschen Tiefebene fernzuhalten scheitern, ebenfalls Pläne die Nord- und Ostsee komplett über zwei Dämme vom Atlantik abzuschotten (Frankreich-England und Schottland-Norwegen https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/klimawandel-forscher-planen-gigantischen-damm-fuer-die-nordsee-a-74c7c8ef-e362-46df-91b0-a181dc1ee963). Städte wie Bremen, Hamburg, Kiel, Lübek, Lüneburg wären überflutet. Hannover und Berlin blieben trocken (da sie bei circa 38 bis 55 Meter Meereshöhe liegen), jedenfalls solange bis das ganze antarktische Eis abschmelzen würde.

Umgang

Menschen wollen da wohnen, wo sie arbeiten. Mittlerweile kann man aber mehr und mehr zu Hause arbeiten. Ist es für Woges eine realistische und verantwortbare Option in höher gelegenen Gebieten Grundstücke zu kaufen, um Vorsorge zu treffen für ihre Mitglieder? Kann es sein, daß der Mensch beginnt das Meer zu besiedeln? Können auf dem Meer lebenswerte und wirtschaftlich erfolgreiche Städte entstehen? Würden da ausreichend viele Menschen leben wollen, dass es ein massgeblicher Faktor ist, der Landverluste ausgleichen kann? Wie hoch wären die Kosten des Lebens auf dem Wasser statt auf dem Land? Vergleicht man die Baukosten eines Kreuzfahrtschiffes mit dem eines Hochhauses und unterstellt deutlich geringere Kosten bei einer stationären Wasserwohnplattform so ist eine Wasserlösung nach meiner Schätzung um den Faktor 6-7 teurer. Weiter stellt sich die Frage, ob in einer solchen Situation es verantwortlich ist für den aktuellen Bedarf in einem Gebiet zu bauen, das vielleicht einmal überflutet sein wird.

Lösungsvorschlag

Was würde ich tun als Vorstand einer Wohnungsgenossenschaft in einer der oben genannten norddeutschen Städte? Ich würde alle Regionen ermitteln, die langfristig sicher über dem Meeresspiegel liegen werden (ca. 70 Meter Meereshöhe Stand jetzt). Ich würde Land kaufen, das noch kein Bauland ist aber in der Nähe von Städten, die das Potential haben im Falle größerer Bevölkerungswanderungen neue Wachstumscluster zu bilden und dieses weiter zur Agrarnutzung verpachten. Insoweit wäre Land um Mittelstädte Land um Kleinstädten vorzuziehen und Land um Kleinstädten Land um Dörfer und Land am Rand von Dörfern Land mitten in der Pampa. Ich würde das mit den Mitglieder besprechen und mir Rückendeckung holen und falls notwendig der Vertreterversammung bzw. der Generalversammlug vorschlagen, die Satzung dafür zu ändern. Ich würde die Mitglieder bei der Auswahl der Regionen bestimmen lassen, wo Land gekauft werden soll. Ich würde schauen, ob ich bereits Kontakte in die jeweilige Region aufbauen kann. Vielleicht macht es sogar Sinn nach lokalen Woges Ausschau zu halten, mit denen man kooperieren oder sogar fusionieren kann. Wie viel müsste für so eine Versicherung in Boden ausgegeben werden? Als Beispiel kann man sich Oberbillwerder ansehen. Hier sollen auf 124 Hektar bis zu 15000 Menschen wohnen. Will eine große Woge so viele Menschen gegen Überflutung ihrer Grundstücke absichern und würde der Hektar Land in der Nähe geeigneter Städte 30.000 € kosten, ergäben sich 3,72 Mio €. Das wäre eine Größenordnung, die im Vergleich zur Größenordnung der Probleme, um die es geht und im Anbetracht der voraussichtlichen Werthaltigkeit der Grundstückskäufe sicher angemessen wäre. Interessanter würde sich wohl der Prozess der Auswahl der passenden Regionen gemeinsam mit den Mitglieder gestalten und vor allem die Frage, inwieweit diese bereit sind, sich mit der Situation auseinander zu setzen. Wahrscheinlich wäre auch hier die Einberufung einer repräsentativen, losbasierten Mitgliederjury die beste Wahl, um die Mitglieder gut einzubinden. Dies hat gegenüber einer offenen Einladung den Vorteil, dass nicht nur ein bestimmte Gruppe am Klimaschutz interessierter Mitglieder kommen und mitreden würde, sondern dass eine größere Ausgewogenheit der Meinungsbilder der Mitglieder zum tragen käme und die gefundenen Ergebnisse einer solchen Gruppe ein gewichtigeres Votum bedeuten würden.

Zur Frage der Errichtung von Neubauten in norddeutschen Städten würde ich grundsätzlich dies weiter befürworten, wenn Mitglieder hier einen zusätzlichen Bedarf haben, da die Zeit bis zu einer möglichen Überflutung deutlich nach dem üblichen Abschreibungszeitraum von Wohnhäusern liegt (70 Jahre). Bevor ich aber über den Bedarf der eigenen Mitglieder hinaus expandieren würde - selbst wenn sie von den eigenen Mitglieder explizit gewünscht wird -  hätte eine Versicherung gegen Überflutung eine höhere Priorität. Die Situation müsste aber weiter beabachtet werden und zwar sowohl die Aussagen der Klimawissenschaft, die über die Jahre erwartbar immer genauer werden, ebenso wie die Bewertung des Mißerfolges oder Erfolges der Weltgemeinschaft, klimaneutral zu werden, als auch die Realisierbarkeit von Küstenschutzmassnahmen. Je nach Ergebnissen wäre vielleicht in 10 oder 20 Jahren auch über eine Stopp von Neubaumassnahmen nachzudenken.

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