Samstag, 13. August 2022

Sind die Vorteile niedriger Mieten Schweizer Wohnungsgenossenschaften auf deutsche Verhältnisse übertragbar?

Ein veränderungsunwilliger Aufsichtsrat einer traditionellen deutschen Wohnungsgenossenschaft lehnte es einmal mir gegenüber ab, sich die niedrigen Nutzungsentgelte Schweizer Wohnungsgenossenschaften zum Vorbild zu nehmen mit dem Hinweis, die Schweizer Verhältnisse seien nicht mit den deutschen vergleichbar. Das nehme ich zum Anlasse etwas genauer zu schauen:

Der Wikipedia-Artikel zu Wohnungsgenossenschaften Stand 13.08.2022 nennt im Kapitel Schweiz Ersparnisvorteile beim Wohnen für die Mitglieder gegenüber dem Marktpreis von 15%. Der Schweizer Verband wohnbaugenossenschaften schweiz schreibt in seiner Informationsbroschüre  "Leben in einer Genossenschaft - Ein Leitfaden der Schweizer Wohnbaugenossenschaften" von 2012 auf Seite 5: "Die Mietzinse von Genossenschaftswohnungen sind im Durchschnitt tatsächlich zwanzig Prozent tiefer als im übrigen Wohnungsmarkt. In grossen Städten wie Zürich bezahlt man bei Genossenschaften sogar bis zu einem Drittel weniger Miete. Dabei sind die Wohnungen nicht schlechter, im Gegenteil Sie werden sogar besser unterhalten, als diejenigen vieler anderer Immobilienverwaltungen." Nach meiner Erfahrung und ganz grob geschätzt sind in Deutschland Genossenschaftswohnungen im Durchschnitt circa 5% günstiger als der durchschnittliche angemessene Marktpreis. Nach meiner Einschätzung ist es nicht mehr, weil die im GDW organisierten Woges sich nicht mehr an der Kostenmiete orientieren, wie es die Schweizer tun. Dies wird deutlich am Wikipedia Artikel Wohnungsbaugenossenschaft, wo nur unter Schweiz auf die Kostenmiete als genossenschaftlichem Grundprinzip verlinkt wird. Auf der anderen Seite sind in der Schweiz Wohnungsgenossenschaften [abgekürzt ab jetzt hier als Woges] in der Regel sehr viel kleiner als in Deutschland. Kann es sein, dass sie zwar günstigere Mieten hinbekommen, aber nicht so viele Wohnungen anbieten wie das deutsche Woges leisten? Dann wären sie volkswirtschaftlich vielleicht sogar weniger hilfreich als die deutschen Woges. Wenn auch dies nicht das Problem der einzelnen Woge und ihrer Mitglieder wäre, könnte es auch Woges geben, die tatsächlich mit der Mehrheit der Mitglieder gemeinnützig zulasten der Ersparnis ihrer selbst so agieren wollen. Ein interessanter historischer Hintergrund ist, dass in Deutschland mit dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz aus den 1930er Jahren Woges ein Stück weit für staatliche baupolitische Zwecke instrumentalisiert wurden. Es war zum Beispiel bis zur Beendigung dieses Gesetzes Ende 1989 verbindlich, dass Genossenschaften, falls sie sich auflösen, ihr Vermögen mit Ausnahme des Nennkapitals nicht an die Mitglieder ausschütten, sondern an eine gemeinnützige Stiftung überführen, wenn sie von Gewinnsteuern befreit sein wollten. Der Genossenschaftswissenschaftler Karl Hildebrand meinte bereits in seinem Hauptwerk "Die betriebswirtschaftlichen Grundlagen der genossenschaftlichen Unternehmen" 1927, dass das Recht auf den Liquidationserlös einer von drei Genossenschaften "konstituierenden" [ausmachenden bzw. ihr Wesen festlegenden] Aspekte sei. Insoweit hatte der Gesetzgeber in Deutschland die Mitunternehmereigenschaft der Mitglieder von Genossenschaften auf Jahrzehnte seinen eigenen politischen Zielen geopfert, und sie in ihrem Potential verstümmelt, um es einmal drastisch auszudrücken. Der Verband Gdw und sein Vorläuferverband Ggw kommt aus dieser Geschichte und hatte sogar entgegen der Politik den Status Quo zu erhalten wie siehe. Viele Woges in Deutschland haben dieses Passus für den Fall einer Auflösung immer noch in ihrer Satzung stehen und führen diese Selbstschädigung der Mitunternehmereigenschaft ihrer Mitglieder wahrscheinlich mehr unbewusst als willentlich fort.

Die enge und selbstgewisse Verbindung von Politik und Genossenschaften in Deutschland über den Gdw und seine Unterverbände wird exemplarisch deutlich an einer Pressemitteilung des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen, einem Tochterverband Gdw. Dort heißt es unter der Überschrift "VNW und IFB Hamburg feiern gemeinsame Erfolgsgeschichte": "Ohne die Zusammenarbeit zwischen der Bank, der Stadt und den sozialen Vermietern wäre Hamburg heute eine sozial gespaltene Stadt“, sagte VNW-Direktor Andreas Breitner am Rande der Ausstellung über die mehr als 100-jährige Geschichte des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). „Viele Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen könnten sich ohne die IFB und die sozialen Vermieter das Leben in einer prosperierenden Metropole wie Hamburg nicht leisten.“ Die IFB ist im Eigentum der Stadt Hamburg und ihre Förderbank. Hier wird mit dem Szenario der Spaltung bewusst oder unbewusst Angst erzeugt. Das kann den freien Blick auf Alternativen, wie sie die Schweiz bietet, behindern. Ich persönlich habe nicht den Eindruck, dass die Schweiz insgesamt oder Zürich gespalten sind. Die Schweiz liegt nach dem Index der menschlichen Entwicklung  der Vereinten Nationen mit 0,955 vor Deutschland mit 0,947 siehe hier und hier jeweils in der rechten Spalte. Die Schweiz trägt als "Eidgenossenschaft" das Genossenschaftliche im Namen und lebt mit ihrer Konkordanzdemokratie und ihrer Direkten Demokratie das Genossenschaftliche im Alltag.

Kann man also aus wohnungspolitischer gemeinnütziger Sichtweise argumentieren, dass deutsche Woges der einzelnen Wohnungsnutzerin zwar weniger Ersparnis bringen, aber die volkswirtschaftliche Wirkung über die größere Anzahl von Wohnungen in dieser Bewirtschaftungsform ausgeglichen wird? Hintergrund ist, dass in Deutschland viele Woges viele Wohnanlagen im Rahmen staatlicher Förderprogramme des sozialen Wohnungsbaus gebaut haben.

Dies ist eine volkswirtschaftliche Fragestellung und der Schwerpunkt dieses Blogs liegt auf betriebswirtschaftlichen Fragestellungen. Ich will hier Antworten geben für Woges, die  weniger Politik machen als gemeinsam bestmöglich ihre Ziele erreichen wollen. Da Woges aber nicht im luftleeren Raum operieren, sondern Teil unserer Gesellschaft sind, ist es auch als Betriebswirt und Leiter, Aufsichtsrat oder Mitglied einer Woge gut, ab und an die volkswirtschaftliche Brille aufzusetzen. So verstanden stellen sich betriebswirtschaftlich bestmöglich geführte Woges ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. 

Die Frage stellt sich also, gibt es in Deutschland vergleichsweise mehr Genossenschaftswohnungen als in der Schweiz und wie hoch ist jeweils der volkswirtschaftliche Nutzen zu bewerten bzw. ergäbe es einen zusätzlichen Wohlstandsgewinn in Deutschland, wenn es deutsche Woges insbesondere gelingen würde, ähnlich niedrige Nutzungsentgelte anzubieten wie die Schweizer Woges? Wenn dem so wäre, könnte das ja an der anderen Preispolitik vieler deutscher Woge liegen, dass sie zwar weniger Ersparnis für den Einzelnen bringen, aber mehr bauen und mehr neue Mitglieder aufnehmen können.

Nach meiner vorläufigen Schätzungen, deren Annahmen und Quellen ich in einem Anhang unten erläutere, ergibt sich:

Ergebnis:

In der Schweiz schätze ich 5,1% aller Wohnungen als Genossenschaftswohnungen, in Deutschland 5,8%. Eine Ersparnis von 5% in Deutschland je Wohnung entspricht für alle In Summe aller genossenschaftlichen Wohnungsnutzer 682 Millionen € pro Jahr. Würden deutsche Woges ähnlich günstig werden wie Schweizer Woges, könnten sie die Ersparnis für ihre Mitglieder um 1007 Mio € steigern. Betrachtet man es je Wohnungsnutzer,,ist die Ersparnis pro Jahr bei deutschen Woges bei 273 €. Dies wäre erhöhbar auf 1092 €. In Metropolen wären entsprechend der Aussage von wohnbaugenossenschaften schweiz auch höhere Ersparnisse möglich.

Bewertung:

Sind 1092 € jährliche Ersparnis für Mitglieder individuell und volkswirtschaftlich eine relevante Größe?  Da gehen vermutlich die Meinungen auseinander. Selbst bei einem unterdurchschnittlichen Einkommen von zum Beispiel jährlich netto 25.000 € entsprechen 1092 € nur 4,4 % des Haushaltseinkommens. Dennoch, würde 1092 €  jedes Jahr angespart oder in einem Aktienfonds oder in einer Genossenschaft investiert werden, könnte es über Jahrzehnte einen guten Beitrag zur Altersvorsorge leisten. Meine Bewertung ist deshalb, ja, es ist eine relevante Größe, noch verstärkt dann, wenn Woges Wege finden, Mitglieder gut zu unterstützen, auf diesem Weg Vermögen aufzubauen, denen dies eigenlich nicht so liegt.  Eigentlich  gehört nach meiner Einschätzung ein gewisses "bürgerliches Mindset" dazu, dass so zu sehen:

Zum einen mag es Menschen mit einem soziologischen Hintergrund geben, die es ablehnen so langfristig zu denken und denen es unangenehm ist überhaupt "Geldfragen" so viel Gewicht zu  geben. Wenn man diese Einschätzung teilt, wären Woges auch Institutionen, die eine gewisse Bildungsarbeit leisten und diese Dinge in der Kommunikation mit Mitgliedern, zum Beispiel in Mitgliederzeitschriften thematisieren. Nach meinem Eindruck liegt dies in Deutschland bei den im Gdw organisierten Woges eher brach. Es gibt zwar Mitgliederzeitschriften mit einem sehr professiollen Layout und Redakteuren aber eher im Sinne marktwirtschaflticher Kundenbindungsstrategien.  

Zum anderen sind Woges als Selbsthilfevereine Einzelinteressen von Menschen verpflichtet, wenn diese auch gemeinschaftich behandelt werden und nicht einem gesamtgesellschaftlichen Interesse verpflichtet sindüber die Grundsätze guter Unternehmensführung hinaus. Dieses Missverständnis hat die Genossenschaftswissenschaft eindeutig geklärt und die mangelhafte praktische Umsetzung des Fördergedankens in der Praxis in Deutschand auch ausreichend deutlich benannt. Es gibt oft Mitglieder in Genossenschaften, die davon nicht wissen und es gibt Mitglieder, die gar nicht mehr selbst in Genossenschaftswohnungen wohnen, die Woges für gesellschaftliche Zwecke nutzen wollen und deshalb nicht nur ein Steigern der Ersparnis als Ablenkung und Schwächung ihrer gesellschaftlicher Ziele verstehen können, sondern es auch ihren Wertvorstellungen widersprechen kann. Diese Wertvorstellungen sind gerade im linken politischen Spektrum grundsätzlich an Kollektivität orientiert. Dann wird versucht Genossenschaften als Möglichkeit der Kollektivierung zu organisieren entgegen der eigentlichen genossenschaftlichen Idee der Hilfe zur Selbsthilfe. Gerade bei den in Deutschland häufigen sehr großen Woges, wo viele Mitglieder gar nicht mehr bewusst ist, dass es ein Erparnispotential gibt oder wo viele Mitglieder den Eindruck haben, sie können sich nicht einbringen oder es ist zu schwer gehört zu werden, kann dies eine Thema sein.

Abhilfe können hier losbasierte, repräsentative, themenspezifische, neutral moderierte und ergebnisoffene Mitgliederjurys schaffen, bei denen normale Mitglieder auf Augenhöhe mit einer Aufwandsentschädigung und unter Anhörung von Experten partizipativ einen guten Input geben können. siehe https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2019/11/es-ist-der-zeit-fur-mitgliederjurys-in.html

Hinsichtlich der Erderhitzung, in der wir uns befinden und der noch nicht co2-neutralen Bauweise ist eine  Zurückhaltung beim Neubau notwendig und sollten Dachaufstockungen und bessere Wohnflächennutzung bevorzugt werden. Auch das zeigt, dass die starke Tendenz zum Bauen wie sie in Deutschland in Metropolen von Politik und Verbänden gewählt wurde, nicht der optimale Weg ist.

Letztlich kann man auch fragen, wie zeitgemäss ist der Eigeninteressen verfolgende, rational denkende Mensch überhaupt noch angesichts von sozialen Problemen, der Klimakrise und Artensterben. In seiner  "Theoriegeschichte der Betriebswirtschaftslehre", 1977 erwähnt Sönke Hundt ein Buch von Werner Sombart "Der Bourgeois - Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen", 1923. Mir sind ab und an Menschen begegnet, für die "bürgerlich" etwas sehr Negatives im Sinne von sozialen Egoisten ausdrückte. Ich denke Menschen, dürfen individuell und kollektiv sein und sind es auch immer beides. Das belegt zum Beispiel Rutger Bregmann mit seinem Buch "Im Grunde gut". Wir können also zuversichtlich, gemeinsam und kooperativ Genossenschaften und unsere Gesellschaft insgesamt gestalten und sollten dabei lernen zu verstehen, dass auch Pflanzen und Tiere unsere Mitgeschöpfe sind und uns bemühen auch mit ihnen zu einem Interessensausgleich zu kommen bzw. die gemeinsamen Interessen besser wahrzunehmen und in unser Handeln besser zu integrieren. Insoweit sind wir alle eine Weggemeinschaft.

Anhang  

Annahmen: 

Wohnungen in Deutschland insgesamt 42.803.737.Stand 2020, Wohnfläche 3.937.971.000, je Wohnung 92,04 qm, je Einwohner, 47,32 qm, 2700 Woges, Anzahl Genos.wohnungen 2.500.000, durchschnittliche Wohnfläche von Genos.wohnungen 70 qm, durchschnittlicher Miete nettokalt 6,5€, Einwohner in Deutschland 83.237.124

Schweiz , 1500 Woges, Anzahl Genos.wohnungen160.000, Einwohner 8.606.033

Quellen :

Statistisches Bundesamt     https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/07/PD21_326_31231.html;jsessionid=A5C0353682BBBB1D2CA5810F6FF925F8.live732

https://de.wikipedia.org/wiki/Wohnungsbaugenossenschaft 

Bei Fragen zur genauen Berechnung der Schätzung email an frankgiebel[at]web.de 




Donnerstag, 11. August 2022

Wohnungsgenossenschaftliches aus der Schweiz und Deutschland berührt sich

Was für eine spannende Entwicklung: als Intendant der Stuttgarter Internationalen Bauausstellung 2027 wurde der Schweizer Genossenschaftsexperte und Architekt Andreas Hofer ausgewählt, unter dessen Beteiligung das nachhaltige und genossenschaftliche Züricher Hunziker Areal entwickelt wurde. Die Ausstellung kommt genau 100 Jahre nach der Ausstellung von 1927, als die heute noch spannende Weißenhofsiedlung konzipiert wurde.

 
Hofer ist Mitgründer einer Züricher "Genossenschaft der Genossenschaften" mit dem Namen mehr als wohnen. An dieser sind 55 Züricher Wohnungsgenossenschaften beteiligt, aber auch rund 1400 Menschen direkt als dort wohnende Mitglieder. Hier kommt nach meinem Eindruck Nachhaltigkeit, Genossenschaft, lebenswerte Quartiere und echte Partizipation zwischen Experten und der "normalen" Bevölkerung auf Augenhöhe zusammen.
 
Ich habe etwas auf der Seite der Genossenschaft gestöbert und bin auf ein spannendes Leitbild gestossen (siehe https://www.mehralswohnen.ch/dokumente/ ). Sie fordern dort einiges von den Genossenschaftsmitgliedern, aber bieten für diese auch viel. Und sie bekennen sich sowohl zur Kostenmiete als auch zu solidarischen Rücklagen für die gemeinsame Weiterentwicklung der Genossenschaft. Zur mangelhaften Anwendung der Kostenmiete in Deutschland im Unterschied zur Schweiz hatte ich gestern gebloggt.
 
Sehr gut hat mir auch gefallen das Vorhandensein einer Ombudsstelle bei mehr als wohnen. Das kann besser funktionieren als zum Beispiel ein Schlichtungsausschuss eines Aufsichtsrates einer Genossenschaft, wenn dort über die Jahre zu viel Nähe zum Vorstand entstanden ist und kein echter Intergrationswillen bezüglich Kritik oder Vorschlägen von Mitgliedern vorhanden ist.
 
Das scheint mir viel Anschauungsmaterial und Inspiration für deutsche Wohnungsgenossenschaften in Metropolen und verdichteten Räumen zu bieten, dahingehend wie man Themen wie Quartiersentwicklung, genossenschaftliche Potentialentfaltung, Mitgliederbeteiligung und Nachhaltigkeit und auch lokale baupolitische und entwicklungspolitische Aspekte integrieren kann.
 
Gestossen bin ich auf die Seite über einen Newsletter des Genossenschaftsforums Berlin.
 
Quellen:
 

Mittwoch, 10. August 2022

ergänzende ökonomische Hinweise zu Wohnungsgenossenschaften als Beschaffungsgenossenschaften

Timm Gudehus beginnt sein Buch "Dynamische Märkte, Grundlagen und Anwendungen der analytischen Ökonomie", 2. Auflage 2015, mit einer klaren Einführung zu Märkten in einer freien Marktwirtschaft. Diese ist auch erhellend für die Rolle und Zielsetzung von Wohnungsgenossenschaften als Selbsthilfevereine zur Beschaffung des Gutes Wohnraum für private Haushalte. Gudehus schreibt auf Seite 2: "Mit den monetären Nutzwerten, die das Gut für die einzelnen Nachfrager hat, lassen sich deren individuelle Einkaufsgewinne und in der Summe der Nachfragergewinn berechnen. Der Marktpreis, die Absatzmengen, Umsätze und Gewinne sowie deren Verteilungen sind kollektive Marktergebnisse, die von der Marktordnung,  der Marktkonstellation, der Marktmechanik und vom Verhalten der Akteure bestimmt werden." Wohnungsgenossenschaften sind als Beschaffungsgenossenschaften von und für ihre Mitglieder geschaffen, um als Alternative zu den Märkten gemeinschaftlich Wohnmöglichkeiten zu schaffen, dauerhaft zu bewirtschaften und mit den Mitgliedern abzurechnen. Dies geschieht in Deutschland in einer Situation von rechtlich reglementierten Märkten mit einem gewissen Mieterschutz auch in Bezug auf die Miethöhe über das Mietrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (zB. ortsübliche Vergleichsmiete, Mietpreisbremse) und über die Rechtsprechung und mit öffentlich-rechtlicher Gestaltung von Teilen des Wohnungsmarktes über die Finanzierung und Bezuschussung preisgünstigen Wohnens über staatliche Investitionsbanken und über direkte Angebote von Wohnraum in gewisser Anzahl über öffentlich-rechtliche Wohnungsunternehmen. Bei Gudehus wird ganz generell deutlich, dass es dabei nicht nur um die Versorgung mit dem Wohnraum selbst geht, sondern dass für die Nachfrager der Aspekt des Einkaufsgewinnes und für alle Mitglieder in Summe der Nachfragergewinn eine wesentliche Größe ist. In der Praxis wird das in Deutschland oft nicht mehr gelebt und viele Genossenschaftsmitglieders fällt dies nicht auf. Sie haben  mitunter sogar ein schlechtes Gewisses, wenn sie sich für diese Gewinne interessieren oder tun es ab, weil sie stolz darauf sind, es nicht nötig zu haben, hier genauer zu schauen und es ihnen ausreicht, ihr Nutzungsentgelt mit den Preisen auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt zu vergleichen. 

Die Nennung der Einkaufsgewinne auf der Nachfragerseite fehlen zum Beispiel in dem Artikel über Wohnungsgenossenschaften in Deutschland bei Wikipedia Stand heute und nach meiner Erfahrung auch in der Kommunikation zu diesem Thema des in Deutschland dominierenden Verbandes Gdw., in dem die meisten alten Wohnungsgenossenschaften zusammen mit gewinnorientierten Wohnungsunternehmen und kommunalen Wohnungsunternehmen organisiert sind. Bei Wikipedia heißt es zum Wesen der Wohnungsbaugenossenschaft in Deutschland:

"Die Genossenschaft ist ein gemeinschaftliches Wirtschaftsunternehmen, dessen oberstes Ziel die Förderung seiner Mitglieder z. B. mit gutem und sicherem Wohnraum ist. Es geht darum, die Mitglieder mit dem „Produkt“ des gemeinsamen Unternehmens zu versorgen – bei Wohnungsbaugenossenschaften mit einer guten und sicheren Wohnung – und das auf Dauer. Deshalb ist das Handeln der Genossenschaft auf langfristigen Erfolg und nicht auf kurzfristige Gewinne ausgerichtet."

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wohnungsbaugenossenschaft#Situation_im_21._Jahrhundert_aus_Sicht_des_gr%C3%B6%C3%9Ften_deutschen_Verbandes_GDW

Mit "es geht darum "wird so getan, als ob diese Aussage alles Wesentliche beinhaltet, was wie gezeigt ökonomischer Unsinn ist.

Erstaunlich ist die prominente Platzierung des GDW in dem Wikipedia Artikel ganz am Anfang.

Unter dem Kapitel Schweiz  heißt es dagegen: "Der größte Teil der Genossenschaftswohnungen gehört Mitgliedergenossenschaften (Selbsthilfe; Mieter sind zugleich Mitglied), welche zudem der Gemeinnützigkeit verpflichtet sind (Prinzip der Kostenmiete, dauerhafter Spekulationsentzug)."

Zur Kostenmiete heißt es bei Wikipedis:

"Mit Kostenmiete bezeichnet man in Deutschland einen Mietzins, der zur vollständigen Deckung der laufenden Aufwendungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Finanzierungskosten erforderlich ist (§ 72 Abs. 1 Zweites Wohnungsbaugesetz (2. WoBauG) in Verbindung mit dem Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG), der II. Berechnungsverordnung (II. BV) und der Neubaumietenverordnung (NMV) von 1970)."

und "Damit soll erreicht werden, dass Finanzierungsvorteile, die ein Eigentümer im sozialen Wohnungsbau genießt, ungeschmälert an die Mieter weitergegeben werden. "

Das ist auch der Grundsatz, der  für Beschaffungsgenossenschaften gilt, siehe zB Geschwandtner, Marcus, "Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft: warum früher, warum
heute?", Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 2009, S. 152-163

zitiert hier auf Seite 3 https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2021/02/kostenmiete-oder-wohnwertmiete-in.html

Natürlich kennt die Genossenschaftsidee sowie auch die Wirtschaftswissenschaft keine nationalen Grenzen. Insoweit macht der Wikipedia Artikel deutlich , welches ökonomische Potential viele Wohnungsgenossenschaften in Deutschland noch für ihre Mitglieder entfalten können, wenn sie sich daran erinnern, was in ihnen angelegt ist. Ein erster Schritt wäre vielleicht eine Koalition der Willigen, die Gründung eines bundesweiten Verbandes für Genossenschaften eventuell in Kooperation mit den Schweizer Wohnungsgenossenschaften.

Gudehus schreibt weiter auf Seite 3 und 4: "Mit den Gesetzen der Marktmechanik lassen sich Beschaffungsstrategien entwickeln, nach denen die Käufer ihren Bedarf mit der gewünschten Qualität zu minimalem Preis decken können, und Absatzstrategien, nach denen die Anbieter ihre Güter mit maximalem Gewinn verkaufen und eine optimale Auslastung erreichen können. Veränderungen der Beschaffungs- und Absatzstrategien und deren Rückkopplung auf andere Marktteilnehmer bewirken einen dynamischen Markt." 

Auch die Organisation von Wohnraum innerhalb einer Genossenschaft ist eine Beschaffungsstrategie mit Blick auf bestimmte Bedarfe nach Größe, Lage und Wohnqualität der jeweiligen Mitglieder und dem Ziel eines minimalen Preises für jeden Einzelnen und alle zusammen. Mitglieder können auch immer schauen, ob sie selbst bauen, eine Wohnung kaufen oder anderweitig mieten. Je effizienter und kostenbewusster die Genossenschaft wirtschaftet, umso attraktiver kann ihr Angebot für die Mitglieder sein. 


Samstag, 6. August 2022

verblüffende Unwirtschaftlichkeit in Wohnungsgenossenschaften

Vorbemerkung (Achtung lang, wen das Umfeld weniger interessiert als die Frage selbst, kann  direkt zum Sachverhalt springen)

In der Praxis vieler Unternehmen hat die Betriebswirtschaftslehre als normative Wissenschaft oft einen geringeren Stellenwert als es sinnvoll ist. Dies gilt sowohl für erwerbswirtschaftliche Unternehmen als auch für bedarfswirtschaftliche wie öffentlich-rechtliche und Beschaffungsgenossenschaften. Die Klagen darüber in der Literatur in beiden Bereichen sind zahlreich (zB. Bestmann, Henseler, Blome-Drees). Wenn sich aber in einer Branche ein unwirtschaftliches Prinzip wenn nicht zum Branchenstandard so doch zu einer weit verbreiteten Praxis herausgebildet hat, ist das schon sehr verblüffend. Im Bereich traditioneller, im Verband GdW organisierter Wohnungsgenossenschaften könnte dies der Fall sein. Inwieweit der GdW Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen oder seine Vorgängerorganisation der GGW Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen diese Entwicklung mit verursachte, welche Rolle die vom Verband gegründete  EBZ Business School Bochum spielte, soll hier genausowenig untersucht werden wie die Frage, ob die dem Verband zugehörigen Prüfverbände diese Unwirtschaflichkeiten im Rahmen ihrer Prüfungen eigentlich hätten beanstanden müssen und ob hier wie schon andernorts Schwächen des staatlich verordneten Prüfwesens zu Tage treten zulasten der Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften. Das Genossenschaftsgesetz macht den Prüfern in §58 (1) folgende Vorgabe: " Im Prüfungsbericht ist Stellung dazu zu nehmen, ob und auf welche Weise die Genossenschaft im Prüfungszeitraum einen zulässigen Förderzweck verfolgt hat." Dies gebietet Hinweise auf unwirtschaftliche Praktiken zu Lasten der Mitgliederförderung, wenn man denn das methodische Rüstzeug hat, sie selbst zu erkennen. Dieser Artikel will dieses Rüstzeug für bedarfswirtschaftliche Wohnungsunternehmen darlegen.und zeigen inwieweit eine derzeit häufig zu beobachtende Praxis unwirtschaftlich ist und damit den jeweiligen Unternehmenszielen als abträglich zu beurteilen ist.

Anknüpfungspunkt dieses Artikels ist die sogenannte Wohnwertmiete oder Unternehmenskostenmiete, wie sie der Jurist Prof. Volker Beuthien in seinem Buch 1992 den Wohnungsgenossenschaften  anempfohlen hat unter Verwerfung des genossenschaftlich eigentlich angezeigten Nutzungsentgeltes der Basis Selbstkosten. Näheres siehe Beuthien, Volker, "Wohnungsgenossenschaften zwischen Tradition und Zukunft - Rechtsfragen der genossenschaftlichen Wohnungswirtschaft nach Wegfall des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes", Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1992 und meine erste Beurteilung dazu an Hand zweier Fallstudien unter https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2021/02/kostenmiete-oder-wohnwertmiete-in.html

Das Buch Beuthiens basierte wie er selbst im Vorwort schreibt auf einer Auftragsarbeit für den Verband der südwestdeutschen Wohnungswirtschaft eV, Frankfurt, einem Tochterverband des GdW. Dass ein Verband, der Wirtschaftsunternehmen vertritt, sich an einen Juraprofessor wendet, um Orientierung zu erlangen zu Fragen der unternehmerischen Preisgestaltung, dem Kern unternehmerischen Handelns statt an einen Fachmann für Betriebswirtschaft, wirft die Frage auf, ob das betriebswirtschaftliche Verständnis allgemein und im Sinne einer genossenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre in diesem Verband eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Eine spätere betriebswirtschaftliche Publikation des GdW zu balanced Scorecards lässt hier ebenfalls noch erstaunliche Defizite erkennen, obwohl es dort mittlerweile einen "Fachbeirat" gibt, in dem neben Praktikern auch einige Vertreter von Hochschulen zu finden sind. siehe

Gewinnorientierung als Zeitgeistsaspekt in der Fachliteratur zur Wohnungswirtschaft

 http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2022/05/

Eine positive Entwicklung war mit der Besetzung des Gdw finanzierten Stiftungslehrstuhls Wohnungsgenossenschaften an der EBZ mit  Katja Lepper zu verzeichnen. Es war aber anscheinend nur ein leichtes Aufflackern. Ihr Beitrag zum Fördercontrolling in Wohnungsgenossenschaften zusammen mit der EBZ-Rektorin Sigrid Schaefer ist inhaltlich wertvoll und nach meiner Einschätzung konsequent wissenschaftlich ausgerichtet und zeigt keine Kompromisse gegenüber Geldgebern. siehe "Co-Operative Social Accounting – Potenziale für Nachhaltigkeit und Controlling in Genossenschaften" Sigrid Schaefer, Katja Lepper, in "Handbuch Controlling" Wolfgang Becker · Patrick Ulrich, Herausgeber, Springer-Verlag, 2016. Seltsam ist, dass in obigem Buch sie bereits 2016 als Professorin geführt wird, dann aber 2019 zum Thema Social Accounting in Wohnungsgenossenschaften an der Universität Köln eine Dissertation vorlegt. Dieses kommt zu einem negativen Ergebnis zur Praxis wenn sie schreibt in ihrer Zusammenfassung "Im Ergebnis zeigt die Arbeit eine Diskrepanz zwischen der seit Jahrzenten in der Genossenschaftswissenschaft geforderten genossenschaftsadequaten, d.h. mitglieder- und sozialraumförderlichen, Berichterstattung und deren Umsetzung in der wohnungsgenossenschaftlichen Berichtspraxis."  Sehr merkwürdig oder vielleicht auch gar nicht merkwürdig ist, dass Frau Leppers Tätigkeit bei der vom Gdw finanzierten EBZ endete zu einer Zeit als sie zu negativen Ergebnissen bezüglich der Praxis der Mitgliedsunternehmen des gdw kam im Kern dessen was Genossenschaften eigentlich ausmacht. 

Laut einem newsletter der EBZ war die Arbeit Ergebnis eines Forschungsstipendiums Frau Leppers in Kanada: "An dieser Stelle setzt das Forschungsprojekt von Katja Lepper an. Sie erhielt dafür ein Forschungsstipendium vom Centre of Excellence in Accounting and Reporting for Co-operatives (CEARC) der Sobey Business School an der Saint Mary’s University Halifax (Kanada). Das CEARC verfolgt das Ziel, die finanzielle und nichtfinanzielle Berichterstattung von Genossenschaften unter Einbezug der aktuell angewandten Praxis weiter zu entwickeln und vergibt daher jährlich bis zu 4 Stipendien und Forschungsvorhaben in diesem Bereich zu unterstützen. Die Projektlaufzeit des Vorhabens beträgt zwei Jahre." 

https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwi8pNHLztn4AhUIwAIHHeVEAYcQFnoECAMQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.ebz-business-school.de%2Ffileadmin%2Febz-bs%2Fpublikationen%2Fskill%2FSkills_eG_GenossenschaftsNewsletter_A4_300dpi_SEP2015_WEB2.pdf&usg=AOvVaw0TEk4OC7k2ybPJSQoUJ-2D

Mittlerweile ist dieser Lehrstuhl mit Katharina Böhm von einer Juristin besetzt https://www.ebz-business-school.de/forschung/professoren.html 

Diese Hinweise sind erlaubt, da Wissenschaft sich nicht kontextlos irgendwo manifestiert, sondern in einem konkreten Umfeld und es wichtig ist, dies transparent zu machen. Auch ich nehme als Berater entgeltlich Aufträge von Wohnungsgenossenschaften entgegen, um sie in ihrer Arbeit zu unterstützen, insbesondere in den Bereichen Betriebswirtschaft, Kostenrechnung, Mitgliederförderung, Nachhaltigkeit und partizipative und deliberative Mitgliederbeteiligung.

weitere Hintergrund: https://www.konii.de/news/stiftungsprofessur-wohnungsgenossenschaften-ebz-business-school-beruft-prof-dr-jurgen-kessler-201212035072  auch die Bundesregierung steckt viel Geld in die EZB, 2020 über eine Million Euro laut https://www.energieforum-west.de/news.html , dort unter "Große Potenziale: CO2-Emissionen senken durch „betreutes Heizen“"  in ein Projekt namens BaltBest (auch das sehe ich sehr kritisch, da man mit Heizungsoptimierung nicht von fossilen Brennstoffen wegkommt. Auch hier wird wieder der Gdw an erster Stelle genannt).

Nun zum eigentlichen Sachverhalt

In der wohnungsgenossenschafltichen Praxis wird oft ein Preismodell gewählt, bei dem das Nutzungsentgelt (die Nettokaltmiete) für eine Wohnung sich am Mietenspiegel bzw. an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientiert. Mitunter wird der Mittelwert des Mietenspiegels gewählt und um Auf-und Abschlagsfaktoren ergänzt, um eine sogenannte "Wohnwertmiete" zu erhalten, mitunter wird einfach ein gewisser Abschlag oder Aufschlag kalkuliert oder man gibt sich mit Blick auf die zu fördernden Mitglieder zufrieden, indem man die obere Spanne des Mietenspiegels nicht überschreitet. Dem Autor ist ein besonders eindrückliches Beispiel bekannt, in dem in der Satzung einer Wohnungsgenossenschaft sich noch eine Formulierung findet, die eine Selbstkostenmiete vorgibt, diese aber von der Leitungsebene interpretiert wird als "Unternehmeskostenmiete" dh. dass um die Satzung einzuhalten nur das Erfordernis bestünde, dass in Summe über das ganze Unternehmen Kostendeckung und weitere Kriterien erfüllt sein müssten.

Ausgangsfrage

Wie ist die Praxis einer Unternehmenskostenmiete in Wohnungsgenossenschaften betriebswirtschaftlich zu bewerten?

In diesem Zusammenhang wird es nicht darum gehen, das Buch von Beuthien in seiner juristischen Argumentation zu hinterfragen. Rechtsaspekte sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht hilfswissenschaftlichen Charakters und können betriebswirtschaftliche Vorgaben per se nicht aushebeln. Sie können nicht dazu führen von wirtschaftlichen Unternehmen zu verlangen sich unwirtschaftlich zu verhalten, soweit dies nicht durch konkrete gesetzliche Vorschriften unabdingbar ist. Dazu schreibt Gerhard Weisser "Soweit theoretische Grundlegungen erforderlich sind, betreffen sie die wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Grundlagen und nicht die (logisch nachgeordneten)  rechtswissenschaftliche Frage, in welcher Weise die zu erörternden Ordnungsgedanken in Rechtsvorschriften verwirklicht werden sollen. In der überaus wichtigen Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftswissenschaftlern (ggf. Soziologen) und Rechtswissenschaftlern hat regelmäßig aus logischen Gründen zunächst der Sozialwissenschaftler und erst dann der Jurist das Wort." (zitiert aus Weisser, Gerhard, "Genossenschaft und Gemeinschaft - Bemerkungen zum 'Kulturellen Optimum'
der Genossenschaftsgröße", Gemeinnütziges Wohnungswesen Organ des Gesamtverbandes
Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, Dezember 1954, Heft 12, Seite 565-572)

betriebswirtschaftliche Bewertung 

Erich Gutenberg schreibt, dass in wirtschaftlichen Betrieben (wozu auch Wohnungsgenossenschaften gehören) das Unternehmensziel Vorrang vor dem Wirtschaftlichkeitsprinzip hat. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip hat also keinen Selbstzweck, sondern dient der bestmöglichen Erreichung des Unternehmenszieles. Es ist also mehr ein Prinzip, das möglichst immer zur Anwendung kommen soll, um das Unternehmensziel zu erreichen und ist kein Selbstzweck. Unwirtschaftlichkeit ist also nur insoweit ein Problem, soweit es dazu führt, dass das eigentliche Ziel weniger gut erreicht wird.

Untersuchung selbst

Wöhe (1959 S.199) formuliert für erwerbswirtschaftliche Unternehmen: "Wir sehen also: Zwischen Rentabilität und Wirtschaftlichkeit bestehen enge Beziehungen. Das Ziel der Unternehmung  - das zeigt die Erfahrung - ist Maximierung des Gewinns, ausgedrückt durch die relative Maßgröße der Kapitalrentabilität. Dieses Ziel wäre aber nicht zu erreichen ohne die genaue Kenntnis und Beachtung der Probleme der Wirtschaftlichkeit und der Wirtschaftlichkeitsmessung. Denn der praktische Betrieb weiß ja nicht, wann er das Gewinnmaximum erreicht  hat (das lässt sich exakt doch nur im theoretischen Modell feststellen). Folglich muss der Betrieb bestrebt sein, durch Verbesserung seiner Wirtschaftlichkeit seinen Gewinn zu erhöhen. Er kann den Gewinn außerdem durch Erringen einer Machtstellung am Markt vergrößern. Das ändert aber nichts daran, daß der Gewinn in jedem Fall relativ größer wird, wenn es gelingt, die Wirtschaftlichkeit zu vergrößern."  Hier wird zu zeigen sein, dass auch bei bedarfswirtschaftlichen Unternehmen ein analoger Zusammenhang besteht, wenn man im Sinne der unternehmerischen Zwecksetzung optimale Bedarfsdeckung und damit Nutzenmaximierung für die Kunden durch das Minimalkostenprinzip bzw. das Selbstkostenprinzip erstrebt.

Wie aber misst man Wirtschaftlichkeit in Produktionsunternehmen wozu auch Wohnungsunternehmen gehören? Technisch-physikalisch wird Wirtschaftlichkeit definiert als das maximal mögliche Verhältnis von Output zu Input. Betriebswirtschaftlich als maximal mögliches Verhältnis von in Geld bewertetem Output zu Input oder anderes ausgedrückt Erreichen eines bestimmten gewünschten Outputs zu minimalen Kosten. Dies nennt man Minimalkostenprinzip. Wird ein Produkt nach diesem Preis Kunden angeboten, spricht man von Selbstkostenprinzip. 

Die Wirtschaftlichkeit ergibt sich also vom Ergebnis des betrieblichen Leistungsprozesses her. Das heist alle Produkte, die das Unternehmen als Absatz verlassen sind auf ihre Wirtschaftlichkeit hin zu optimieren. Dazu gehört, dass man versucht zu minimalen Kosten herzustellen und das Ergebnis im Rahmen einer Kostenträgerrechnung ermittelt. Dazu genügt es weder eine Gesamtkostenbetrachtung also über das gesamte Unternehmen anzustellen, noch im Rahmen eines abteilungsbezogenen Denkens alle möglichen Kostenstellen anzusehen und zu versuchen die Kosten dieser Kostenstellen zu minimieren. Das kann deshalb kein Ersatz für eine Kostenträgerrechnung bzw. Produkterfolgsrechnung sein, weil der Output von Kostenstellen ja nicht unbedingt einen direkten Bezug zum Output des Unternehmens hat. Es ist ja gerade Aufgabe der Kostenträgerrechnung diesen Bezug bestmöglich im Rahmen einer Vollkostenrechnung und einer Teilkostenrechnung herzustellen.

Das Gesagte ist eigentlich von ganz allein einsichtig. Es besteht deshalb keine Notwendigkeit nach analogen Aussagen in der betriebswirtschaftlichen Literatur zu suchen. Zur allgemeinen Orientierung quasi im Rahmen der Geschichte des Faches kann geschaut werden, ob diese oder ähnliche Aussagen früher bereits getätigt wurden. 

Etwas konkreter als bei Wöhe 1959 wird bei Wöhe Einführung in die allgemeine BWL in Anlehnung an Gutenberg dies ausgeführt, wenn die Produktionskostenfunktion entwickelt wird, zum einen als technische input-output Funktion und anschließend als Kostenfunktion. (zum Beispiel 27. Auflage, Einführung in die allgemeine BWL, 2020, dort S. 16/17, Produktivitätsorientierter Ansatz von Erich Gutenberg [der konzeptionelle Kern der BWL in Deutschland]. Kapitel 2.2. Grundlagen der Produktionstheorie und 2.3. Grundlagen der Kostentheorie S.275-294 oder auch in der 15. Auflage Zitat von 1984 im Kapitel C I. "Aufgaben, Teilgebiete, Systeme der Kostenrechnung": "Theoretisch einwandfrei ist allein das Kostenverursachungsprinzip: jeder Kostenbereich (Kostenstelle) und jeder Kostenträger ist mir dem Kostenbetrag zu belasten, den er verursacht hat. Nur wenn eine kausale Beziehung zwischen angefallenen Kosten und einer Kostenstelle bzw. einem Kostenträger nicht feststellbar ist, kommen die anderen Zurechnungsprinzipien [wie das Prinzip der Kostentragfähigkeit oder das Prinzip der Durchschnittsbildung] zur Anwendung." S.1135)

zum Unterschied zwischen bedarfswirtschaftlichen und erwerbswirtschaftlichen Unternehmen

Der Einfachheit halber wird mit Bezug auf den Wohnungsmarkt von einem Markt vieler Anbieter und Nachfrager ausgegangen mit hoher Konkurrenz (Polypol). Hier besteht der einzige Unterschied darin, dass bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen für alle Produkte Kostenminimierung angestrebt wird, um bei gegebenem Marktpreis bzw. reguliertem gedeckeltem Marktpreis insgesamt Gewinnmaximierung zu erreichen, während bei bedarfswirtschaftlichen Unternehmen grundsätzlich Ersparnismaximierung für die Produktnutzer möglich ist, indem bei Kostenminimierung und einer Preisgestaltung orientiert an den Selbstkosten also den langfristig notwendigen Kosten dies dazu führt, dass der Nutzen für die Nutzer maximiert wird unter Beachtung der Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens und seiner gesellschaftlichen Verantwortung im Rahmen guter Unternehmensführung (good governance). 

Wäre es ein gültiges Gegenargument zu sagen, dass insoweit zwar eine Kostenträgerrechnung auf Ebene der Wohnanlagen betriebswirtschaftlich als betrieblich Steuerungspraxis gerechtfertigt ist, dass dies nicht aber automatisch bedeuten muss, dass nicht auch die Kalkulation und Preissetzung mittels einer Wohnwertmiete betriebswirtschaftlich akzeptabel ist? Wenn das stimmt, dann würde sich die Kritik an der Praxis darin erschöpfen dass bzw. insoweit gar keine Kostenträgerrechnung durchgeführt wird, also gar keine Kostensteuerung und Kostenminimierung als Managementfunktion erfolgen kann, nicht aber, dass das Preissystem Wohnwertmiete generell abgelehnt wird.

Selbst dann würde eine Wohnwertmiete dazu führen, dass Preise unter den Selbstkosten lägen bei Wohnanlagen mit hohen Kosten und und Preise über den Selbstkosten bei Wohnanlagen mit sehr niedrigen Kosten. Das Kostenverursachungsprinzip würde also verletzt. Es würden also Verlustbringer dauerhaft und langfristig im Portfolio der Wohnanlagen belassen. Dies widerspricht der grundlegenden Ausrichtung von Wirtschaftsunternehmen nur Projekte zu betreiben, die sich selbst tragen. Die dauerhafte und wissentliche Nichtbeachtung des Kostenverursachungsprinzips führt letztlich dazu, dass die Grenze eines wirtschaftlich handelnden Unternehmens verlassen wird.

Die Bereitschaft der Praxis sich zu ändern ist manchmal sehr gering ausgeprägt, die Suche nach Argumenten kann mitunter sehr kreativ werden, um ja nichts ändern zu müssen. Wäre es ein mögliches Argument der Praxis zu sagen, dass auch ohne Kostenträgerrechnung und mit Wohnwertmiete die Gewinnsituation des Unternehmens sehr gut ist und dies Indiz genug ist, dass das Unternehmen wirtschaftlich geführt wird? Dem wäre zum einen entgegenzuhalten, dass ohne Kostenträgerrechnung gar keine eindeutigen Informationen über die Wirtschaftlichkeit aller Produkte vorliegen und deshalb keine Beurteilung der Einsparungsmöglichkeiten erfolgen kann. Zum anderen geht es in bedarfswirtschaftlichen Unternehmen ja gerade nicht um die Gewinnsteigerung, sondern um die Nutzensteigerung bzw. Ersparnismaximierung und diese bleibt bei einer Wohnwertmiete und ohne eine Kostenträgerrechnung ohne spezifische Förderung und in ihrem Potential im Dunkeln. Zum Dritten liese sich der Verzicht auf eine Kostenträgerrechnung wohl nur rechtfertigen, wenn man glaubt, dass die Erkenntnisse nicht dazu führen würden, dass im Anschluss Kosten da gesenkt werden könnten, wo sie überproportional hoch sind. Man würde also den eigenen Managementfähigkeiten absolut keinen Einfluss auf die künftige Kostenminimierung zubilligen. Dies wäre sicher keine akzeptable Haltung für einen betriebswirtschaftlich ausgebildeten Manager. Die einzige wissenschaftlich begründbare Begrenzung einer Kostenträgerrechnung in der Praxis liegt in den Kosten, die durch die Berechnung selbst erfolgt. Eine Kostenträgerrechnung sollte also wahrscheinlich eher jährlich als monatlich durchgeführt werden und nicht bis in alle Details exakt ausgearbeitet werden, sondern es ist legitim, ja notwendig, bei der Ausführung Aufwand und Ergebnisbeiträge von Nebenrechnungen zu beurteilen. Sicher ist es aber nicht gerechtfertigt, sich gar nicht erst auf den Weg zu machen.

positive Ansätze in der Praxis

Mir ist ein Fall einer großen, traditionsreichen deutschen Wohnungsgenossenschaft bekannt, bei der sich die Geschäftsführung gründlich mit den betriebswirtschaftlichen Fragen beschäftigt hat und bereit ist, ihre eigenen Ansätze der Preissetzung und Kostenrechnung weiterzuentwickeln. In der Praxis ergibt sich auch für den wissenschaftlich gebildeten Betriebswirt die Herausforderung, ob die Theorie nicht mitunter über das Ziel hinausschießt: was ist zum Beispiel, wenn in einer Metropole eine Wohnanlage sehr niedrige Kosten hat und eine frei werdende Wohnung tatsächlich zu Selbstkosten einem neuen Mitglied zur Verfügung gestellt würde, das dann ohne großes Eigenkapital und ohne besonders genossenschaftliches Engagement in eine eigentümerähnliche Position käme? Wäre dies nicht ungerecht? Wäre es da nicht besser, das Ersparnispotential in der Genossenschaft gleichmässiger zu verteilen oder mehr zu bauen und/oder an künftige Generationen zu geben? Dazu lässt sich sagen, dass solche Fragen wenigstens zum Teil über das betriebwirtschaftliche hinausgehen und eher Verteilungsfragen sind, während die Betriebswirtschaft dazu beiträgt, dass überhaupt erst einmal möglichst viel zu verteilen ist. Zum anderen ist es in einer Genossenschaft tatsächlich so, dass man hier gemeinsam für sich entscheiden kann, wie man die Ersparnis verteilen möchte. Betriebswirtschaftlich spricht viel dafür, dem Kostenverursachungsprinzip einen erheblichen Stellenwert zuzubilligen. Kompromisspielräume bieten sich zum Beispiel bei all den Kosten, die nicht direkt der jeweiligen Wohnanlage zuordenbar sind wie zum Beispiel Rückstellungen für unvorhersehbare Ereignisse wie Schäden durch Starkregen oder geänderte Kosten wegen geänderten technischen Anforderungen wie zum Beispiel beim Brandschutz. Hier wäre es denkbar, dass die Wohnanlagen, die sehr niedrige Kosten haben, einen größeren Anteil übernehmen. Falsch wäre es dagegen, die Förderung grundsätzlich an künftige Generationen zu übertragen, die real noch gar nicht Mitglied sind. Das widespräche dem Prinzip der Mitgliederförderung. Man kann nur Mitglied sein oder eben nicht. Das gilt übrigens auch für die Vergangenheit. Man sollte nicht eine Politik hoher Rücklagen fortführen aus Respekt und Dankbarkeit vor bereits verstorbenen Generationen von Mitgliedern, zu deren Zeit dies vielleicht erforderlich war, weil damals noch wenig Eigenkapital verfügbar war. In der Praxis gibt es solches irrationales Verhalten tatsächlich. Insgesamt wird hier vielleicht klar, dass normative betriebswirtschaftliche Aussagen nicht in Stein gemeiselt sind, sondern ein wichtiger Teil eines breiten Gestaltungsprozesses in ganz konkreten Unternehmen mit konkreten Situationen sind. Sie sind Teil der Lösung aber nicht die Lösung schlechthin. Sie können und sollten einen guten Gestaltungsprozess nicht ersetzen, sondern sind Teil davon.

 

Freitag, 22. Juli 2022

Umgang mit Irrationalität in der Betriebswirtschaftslehre (BWL)

aktualisert 28.7.2022

Die BWL versucht sinnvolle, normative Antworten für die Praxis zu geben im Rahmen des produktivitätsorientierten Ansatzes nach Erich Gutenberg. Auf dieser Basis kann sie sich für erwerbswirtschaftliche Unternehmen an der langfristigen Gewinnmaximierung für die Gesellschafter orientieren und vermutlich an der Nutzenmaxmierung der Kunden für bedarfswirtschaftliche Unternehmen. Die englischsprachige mikroökonomische Theorie differenziert hier bereits früh und versuchte einen Abgleich mit einer Realität, die der Theorie nicht entsprach. So postulierte Higgins, dass Gewinnmaximierung in einen Umfeld perfekten Wettbewerbs überlebensnotwendig für ein Unternehmen sei (siehe unten Hinweis 3.), dass aber in einem imperfekten Wettbewerbsumfeld dieser Druck sehr viel geringer sei und dort andere Ziele mehr Raum einnehmen könnten wie als Unternehmer ein ruhiges Leben zu führen, also weniger zu produzieren als die Menge, die zu einem maximalen Gewinn führen würde oder mehr zu produzieren, um an gesellschaftlichem Ansehen und Bedeutung zu gewinnen oder einfach nichts zu ändern, weil man Experimenten generell widerstrebt oder einen besimmten Preis für fair hält und ihn deshalb beibehalten will (Benjamin Higgins "Elements of Indeterminacy in the Theory of Non-perfect Competition" Am. Econ. Review, Sept. 1939, XXIX. 468-79). Heinen zitiert Parsons, "dass Erfolgs- Prestige- und Machtstreben fundamentale Ziele der Geschäftswelt darstellen..." (Edmund Heinen,"Die Zielfunktion der Unternehmung, 1962, S. 24 in "Zur Theorie der Unternehmung (Hrsg. Helmut Koch) zitiert T. Parsons, "The Motivation of Economic Activites", Canadian Journal of Economics and Political Sciences, Vol VI, 1940, S.187-202, hier S. 199ff.). Heinen greift das auf, wenn er unter der Überschrift nicht-montetäre Zielvorstellungen schreibt "Solche Vorstellungen äußern sich z.B. im Streben anch Prestige und Macht, nach Unabhängigkeit, nach Sicherung des Betriebsinteresses, nach Ansehen in der Öffentlichkeit, nach gutem sozialem Klima und anderem mehr" (S.24). Er schreibt weiter "Das Streben nach sozialem Ansehen, nach Prestige und Macht entspringt den gesellschaftlichen Bedürfnissen des Unternehmers. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe führt zu dem Verlangen, in dieser Gruppe eine geachtete oder gar hervorragende Stellung einzunehmenm, der die anderen Gruppenmitglieder Anerkennung und Beifall zollen. Die Wertschätzung anderer ist im allgemeinen eng mit der Stellung einer Unternehmung innerhalb ihrer Branche, mit dem absoluten Wert ihres Vermögens oder Kapitals und ihrem Wachstum verknüpft." Dies kann beispielsweise in der Praxis von Wohnungsgenossenschaften dazu führen, dass sie sich von der Förderung ihrer Mitglieder abkoppelt und eine Art Eigenleben führt und Vorstände von Wohnungsgenossenschaften in größerer Anzahl auf Wachstum und Rendite aus sind, wo es gar nicht angezeigt ist. Heinen erwähnt explizit "Zu zahlreich sind die Fälle des Bauens über die Verhältnisse hinaus, des reinen Prestigeaufwandes,..."(S.25). Heinen schreibt dies 1962. Es gibt sicher auch Vorstände und Unternehmen, die eher bescheiden auftreten und nicht den großen Auftritt lieben und es lassen sich sicher Firmenzentralen finden, die baulich die jeweilige Motivation ausdrücken.

Wo ist hier Handeln von Entscheidern noch rational, wo fängt es an irrational zu werden? Und welche Rolle soll die BWL einnehmen? Soll sie theoretisch-normativ bleiben oder empirisch werden und konstatieren, wer wo über all nicht maximierend handelt? Soll sie zum Beispiel mit spieltheoretischen Analysen sowohl Entscheidungsspielräume der handelnden Akteure abstecken und auf Optimierungsmöglichkeiten hin untersuchen als dritten Weg zwischen theoretischen Normen, um die sich die Praxis zu wenig kümmert und einem Fatalismus, der die Realität in ihrer Banalität oder Komplexität wie auch immer man das bewertet des Nicht-Rationalen zur Kenntnis nimmt?

Erstaunlich ist jedenfalls, dass auch in den USA nicht-rationales Verhalten aus Unternehmenssicht schon früh Thema war. So schreibt M.W.Reder 1947 über Führungskräfte großer Unternehmen, dass sie Gewinnmaximierung oft deshalb vermeiden würden, um ihren Untergebenen  die Änderung ihrer gewohnten Abläufe nicht zumuten zu müssen und dass es noch viel häufiger vorkommen würde, dass Untergebene ihre Vorgesetzten nicht auf Gewinnsteigerungsmöglichkeiten hinweisen würden, um diese nicht mit der Unzulänglichkeit ihrer Entscheidungen bzw. vorgegebenen Abläufen zu konfrontieren. [frei übersetzt] ("A Reconsideration of the Marginal Productivity Theory"The Journal of Poltical Economy, 1947. S450-459). Mich hat das an einen mir bekannten Fall aus der Gegenwart erinnert. Eine Wohnungsgenossenschaft, die nebenbei eine Spareinrichtung betrieb als zweites Standbein zur Immobilienfinanzierung stand vor der Frage, ob dies angesichts niedriger Zinsmargen und hoher Personalkosten betriebswirtschaftlich noch Sinn machte, sprich ob die Kosten die Vorteile bei der Finanzierung nicht auch mittelfristig überwiegen würden. Betriebswirtschaftlich hätte man sich genauer anschauen sollen wie weit Aufwand und Ertrag auseinander lagen und wie hoch das Risiko war, dass durch die sogenannte Fristeninkongruenz entstand, also potentiell kurzfristig kündbare Spareinlagen zur Finanzierung langfristiger Immobilienprojekte einzusetzen. Statt dessen wurde von einem Mitglied des Leitungskreises die Befürchtung geäußert, dass wenn man die Spareinrichtung schließen würde, die Mitglieder der Genossenschaft das als Indiz verstehen könnten, dass die Genossenschaft kurz vor der Insolvenz stünde. Damit war das Thema der Schließung vom Tisch. Das erstaunliche war, dass die betroffene Wohnungsgenossenschaft vor Ertragskraft und Eigenkapital nur so strotzte und nichts ferner lag, als dass sie Solvenzprobleme hätte bekommen können. Jedes Mitglied bekam jedes Jahr den Geschäftsbericht zugesendet und ein kurzer Blick in die Bilanz hätte ihm/ihr gezeigt, dass alles sehr gut stand. Im Ergebnis kann es also passieren, dass ein Unternehmen nicht optimal handelt, weil es den Anteilseignern nicht zumuten will ihre Rolle auszufüllen. Hier stand also Angst einer klugen Entscheidung im Sinne der BWL entgegen. Auch Leonid Hurwicz thematisiert bereits 1946 nicht-rationales Verhalten in der Wirtschaft, wenn er schreibt, dass es a priori nicht undenkbar sei, dass Unternehmen mehr mittels Routine als mittels Rationalität geleitet würden. (Leond Hurwicz, "Theory of the Firm and of Investment", Econometrica, 1946, Vol. 14 No 2, S 109-139, hier S. 110)

Ein anderer Grund gegen gute BWL-Entscheidungen kann Opportunismus sein. Wenn heute einige junge Startup-Unternehmen versuchen ihr Unternehmen so zu entwickeln, dass es von einem großen Techkonzern aufgekauft wird mit zweifelhaftem Ausgang für die Zukunft des Unternehmens aber sehr lukrativem Ausgang für die Firmengründer, dann ist das aus BWL-Sicht fatal, aber aus finanzieller Sicht der Unternehmer kurzfristig ein sehr sicherer und sehr hoher finanzieller Erfolg. Menschen sind nicht unbedingt Egoisten per se, aber eine sehr gute finanzielle Gelegenheit nicht wahrzunehmen, fällt vielen sehr schwer. Langfristig vermute ich, dass sinnvolle Arbeit und gute Teams für viele Menschen so wichtig werden, dass sie sich gegen große finanzielle Anreize besser abgrenzen können. Wird dann nicht die Gutenbergsche BWL mit ihrem Maximierungsansatz selbst überflüssig? Ist sie nicht sogar zu ignorant, was diese Werteebene angeht? Gewinn- und Nutzenmaximierung können einhergehen mit sinnvoller Arbeit und guten Teams, bedarfswirtschaftliche Nutzenmaximierung wahrscheinlich noch mehr als Gewinnmaximierung, weil sie vom Ansatz her nachhaltiger ist. Ich vermute diese Frage muss an konkreten Fallkonstellationen untersucht werden und nicht so allgemein. Allgemein kann man immerhin sagen, dass wenn es richtig ist, dass Gewinnmaximierung für erwerbswirtschaftliche Unternehmen in wettbewebsintensiven Märkten überlebensnotwendig ist, es unklug ist, darauf zu verzichten in Märkten, die zu einem Zeitpunkt x noch wenig wettbwerbsintensiv sind, weil diese durch neue Entwicklungen wie neue Technologien oder andere Produkte unvermutet viel wettbewerbsintensiver werden können.

Edmund Heinen führt H.A.Simon zitierend drei weitere Aspekte auf, die in der Praxis zu irrationalen bzw aus BWL-Sicht suboptimalen Entscheidungen führen: 1. Routine und gewohnheitsmässige Reaktionen, der mit Entscheidungen betrauten Personen, 2. mangelnde Kenntnisse und Informationen, die diesen Personen zur Verfügung stehen, 3. Interesssen- und Zielkonflikte der einzelnen Entscheidungsträger. (Edmund Heinen, "Die Zielfunktion der Unternehmung"1962, S. 59 in "Zur Theorie der Unternehmung" Helmut Koch (Hrsg.) und H.A.Simon "Administrative Behavior" S.39ff, New York, 1956)

Ich denke allgemein ist eine BWL in Fortführung des Ansatzes von Gutenberg ein Denkrahmen, eine Denkschule für die Praxis, der mit ökonomischem Augenmaß in Bezug auf den Aufwand, der betrieben wird, vor Ort angewendet werden muss und je nach Situation ausgebaut werden kann. 

Hilfreich finde ich es zu sehen, dass das Normative der Gutenbergschen BWL auch ein Pendant in der amerikanischen mikroökonomischen Theory of the firm hat. So zählt Andreas G. Papandreou bei diesem entscheidungsorientierten Ansatz folgende Cf. Talco, Parsons zitierend fünf grundlegende Konzepte auf (the action frame of reference consists of five basic concepts): die Handlung (the act), den Agenten (the agent) , das Ziel  (the end), die Situation, die sowohl steuerbare Mittel (means) als auch hinzunehmende Bedingungen (conditions) enthält und schließlich die Norm, d.h. "das Prinzip, das die Mittel mit dem Ziel in Beziehung setzt" und "Die Norm, die der Ökonom probagiert ist die der Rationalität."[übersetzt durch mich](Andreas G. Papandreou, "Some basic problems in the theory of the firm" S,183 in " A survey of contemporary economics" Bernard F. Haley (Hrsg), 1952 zitierned Cf. Talcott Parsons "The structure of social action" New York, 1937 2nd ed. Glenoe 1949 Ch. 2 for a discussion of the action frame of reference)


weitere Hinweise (ergänzt am 26.7.22)

1. Ein Beispiel für Irrationalität bei Kunden aufgrund fehlender Information mit Auswirkungen auf die Entscheidungen von Unternehmen gibt Günter Wöhe bereits 1959, wenn er schreibt:"Ein Senken des Preises muß bei Markenartikeln nicht zu erhöhtem Abasatz führen, da die Kunden oft mit der Marke und ihrem Preis eine bestimmte Qualiätsvorstellung verbinden, die durch eine Preissenkung erschüttert werden kann."(Günter Wöhe, "Methodologsiche Grundprobleme der Betriebswirtschaftslehre", 1959, S. 203)

2. ein mögliche Kritik an obigem Ansatz ist die Feststellung, dass die langfristige Gewinnmaximeriung der Gesellschafter zwar theoretisch einleuchtet, dass er aber ausblendet, dass dahinter immer Menschen mit bestimmten Einkommensbedarfen stehen. Die Frage ist, wenn das Unternehmen prosperiert und gute Gewinne macht, sodass die Bedarfe an Einkommen gedeckt sind, ob dann nicht das Interesse an weiteren Einkommenssteigerungen der Gesellschafter sinkt (abnehmender Grenznutzen), insbesondere wenn ein großer Teil ihres Einkommen aus dieser Quelle stammt und es ökonomisch für sie ist weniger Zeit und Ernergie in das Unternehmen zu stecken und anderen Interessen nachzugehen. Insoweit wäre die weitere Gewinnsteigerung eigentlich eine Merkwürdigkeit soweit die Gesellschafter sie nicht aus kluger Voraussicht betreiben, um die Konkurrenzsituation und damit die Nachhaltigkeit künftiger Geldflüsse abzusichern. Wenn allerdings die Geldflüsse so hoch waren, dass sie den Bedarf einen ganzes denkbaren Lebens bereits abgedeckt hätten aus Sicht des Gesellschafters dann würde er wahrscheinlich nicht mehr aus ökonomsichen Interesse sondern eher aus der Freude am Schaffen sich weiter in dem Unternehmen einbringen soweit wie es ihm/ihr angenehm ist. Hier wird deutlich dass neben Ertragszielen Gesellschafter weitere Ziele haben, die in bestimmten Konstellationen dominierend für sie werden können. Gegen die Vorstellung ist, dass es ökonomisch für Gesellschafter ist nicht Gewinnmaximierung zu betreiben spricht, dass sie grundsätzlich die Möglichkeit haben für die weitere Gewinnsteigerungsmöglichkeit einen Manager/Agenten anzustellen und dass dies ja in der Praxis auch geschieht, sicher mit gemischtem Erfolg. Mitunter steigen Unternehmensgründer später erneut in ihr Unternehmen ein, um es wieder auf die richtige Spur zu springen wie zum Beispiel Steve Jobs 1997 als Apple kurz vor dem Bankrott stand

https://en.wikipedia.org/wiki/Apple_Inc.#1990%E2%80%931997:_Decline_and_restructuring

Im Fazit wird es in der Praxis deshalb zum Nicht-Ausschöpfen von Gewinnmaximierungspotentialen kommen und dennoch ist das Potential vorhanden Gewinne zu steigern durch kluges Delegieren an fähige Manager.

siehe auch Leonid Hurwicz 1946 noch auszuführen

3. Warum ist bei vollkommener Konkurrenz Gewinnmaximierung notwendig?

Wenn ein Unternehmen seine Preise nicht anpasst, wird es auf Dauer vom Markt verdrängt: Ist sein Preis zu hoch wird es nicht mehr genug Umsatz erwirtschaften, ist sein Preis zu gering wird es nicht mehr genug Gewinn machen, um genügend in das Unternehmen reinvestieren zu können um den status quo aufrecht erhalten zu können.


Mittwoch, 20. Juli 2022

einige Hinweise der Soziologie der Genossenschaften für die Praxis in großen Genossenschaften

Der Soziologe Prof. Friedrich Fürstenberg hat 1995 die Schrift "Zur Soziologie des Genossenschaftswesens" (Duncker & Humblot, Berlin) vorgelegt, die auch heute noch hilfreiche Aussagen für die Praxis in großen Genossenschaften bereithält. Ergänzt werden die Hinweise um Zitate aus einem weiteren soziologischen Buch "Der Genossenschaftsgedanke F.W. Raiffeisens als Kooperationsmodell in der modernen Industriegesellschaft" von Walter Koch, Creator Verlag, 1991.

Auf Seite 22 schreibt Fürstenberg über die Sozialstruktur in Genossenschaften:"Die Interessen der Beteiligten umschließen in einer Genossenschaft mindestens drei Personenkreise: Die Mitglieder, die Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung und die Führungsspitze. Für die Konsensusbildung im Sinne der genossenschaftlichen Zielsetzung sind insbesondere die Einstellungen und Verhaltensweisen der Mitglieder entscheidend. Insoweit kommt dem Ausmaß der Mitgliederintegration eine für die Genossenschaft konstitutive Bedeutung zu."

Hinweis zur Zielsetzung und zur Führungsspitze

In der Praxis von Großgenossenschaften kann es vorkommen, dass die Ziele gar nicht auf die Mitgliederförderung fokussiert sind und /oder dass der Aufsichtsrat sich als Teil der Führungsspitze versteht, der Ansprüche der Mitglieder auf Förderung eher abwehrt als dass er sich erinnert,  dass er die Mitglieder repräsentiert und vertritt und seine Aufgabe darin besteht, die Geschäftsführung danach zu kontrollieren, ob sie bestmöglich die Mitglieder fördert. Im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsformen werden in Genossenschaften die Aufsichtsräte nur von den Mitgliedern gewählt und mit Mitgliedern besetzt, nicht mit Mitarbeitern im Rahmen der Mitbestimmungsgesetze. Mir ist ein Fall bekannt, dass einem kritischen Aufsichtsrat von einem Kollegen vorgehalten wurde er würde durch seine Kritik einen Keil zwischen Vorstand und Aufsichtsrat treiben wollen. Für diesen Aufsichtsrat waren beide Gremien bereits zu einer Einheit verschmolzen. Im Gegensatz dazu gibt das Genossenschaftsgesetz in Deutschland vor in §38(1): " Der Aufsichtsrat hat den Vorstand bei dessen Geschäftsführung zu überwachen."

Schon Raiffeisen fiel in den von ihm gegründeten Hilfsvereinen auf, dass die Kontrolle seitens der Aufsichtsräte in der Regel zu gering ausfiel. Er schuf deshalb eine eigenständige Position des "Rechners" der Genossenschaft, der für Bilanzierung und Kontrollrechnungen zuständig war.  So schreibt Koch auf Seite  198: "Da Raiffeisen die Erfahrung gewonnen hatte, daß in vielen Darlehenskassen-Vereinen die Kontrollaufgabe vom Verwaltungsrat [anderer Name für Aufsichtsrat] sehr nachlässig ausgeübt wurde, nahm er in seinen Statuten die Bestimmung auf, in regelmäßigen Zeitabständen Revisionen durchzuführen" und auf Seite 199 zitiert Koch Raiffeisen: "Die Stellung des Rechners ist für das gute Bestehen des Vereins eine sehr wichtige, eigentlich die wichtigste. Wenn der Rechner seinen Verpflichtungen nachkommt, und, wie man zu sagen pflegt, ganz an seinem Platz ist, so bildet er gleichsam die Seele des Vereins." (Friedrich Wilhelm Raiffeisen:"Die Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter", 1. Auflage, 1866, Seite 39)

In gewisser Weise ist dies vergleichbar mit dem Institut von Bundes- und Landesrechnungshöfen. Es könnte ein interessanter Ansatz sein in großen Genossenschaften eine professionelle Position unabhängig von Weisungsbefugnissen des Vorstandes zu schaffen, die zu Revision und Rechnungskontrolle direkt an die Generalversammlung berichtet und ein eigenes Budget hat. Gerade im Hinblick auf die Sicherstellung einer bestmöglichen wirtschaftlichen Förderung könnte hier eine unabhängige Berechnung viel zu besserer Transparenz und letztlich zu einer höheren Förderung der Mitglieder beitragen, gerade wenn in der jeweiligen Genossenschaft das genossenschaftliche nur noch eine Art Unternehmensmantel ist. Es gibt zwar auch Pflichtprüfungen durch Wirtschaftsprüfer, diese prüfen jedoch in der Regel nur die Wirtschaftlichkeit der Unternehmensführung und nicht, ob das Förderpotential für die Mitglieder ausgeschöpft wird. Insoweit sind sie gerade nicht "ganz an ihrem Platz".

Zur besonderen Stellung des Bundesrechnunghofes zwischen den Gewalten Exekutive, Legislative und Judikative siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesrechnungshof#Stellung

Hinweis Konsensbildung

Fürstenberg macht deutlich, dass es in Genossenschaft um die Herstellung eines Konsens geht, bei dem alle Mitglieder vom Grundsatz her beteiligt sind. Wikipedia definiert Konsens als die übereinstimmende Meinung von Personen zu einer bestimmten Frage ohne verdeckten oder offenen Widerspruch. Eine gute Genossenschaft zeichnet sich also dadurch aus, dass sie Widerspruch von Mitgliedern aufgreift und bereit ist, eigene Positionen weiterzuentwickeln. Sie orientiert sich dabei an der gemeinsamen Zielsetzung.

Hinweis 1 zur Mitgliederbeteiligung

In Großgenossenschaften ist  die Bereitschaft von Mitglieder sich einzubringen oft nur gering, Schon Raiffeisen stellte 1866 fest, "daß ein großer Theil der Mitglieder sich mit den Vortheilen begnügen, welche ihnen die Vereine in Bezug auf die Darlehn gewähren, daß sie aber an den Versammlungen und überhaupt an den Vereinsangelegenheiten wenig Antheil nehmen" (zitiert von Raiffeisen s.o. Seite 37 bei Koch S. 194). Dies geht einher mit einem Strukturproblem, das Fürstenberg benennt als "die Oligarchisierung der Willensbildung und damit einhergehend der wachsende Einfluß hauptberuflich tätiger Experten." (Seite 24). Hier würden moderne Formen der Beteiligung wie losbasierte repräsentative Mitgliederjurys Abhilfe schaffen. Denn dort kann unter einer neutralen, ergebnisoffenen Moderation bei Zahlung einer Aufwandsentschädigung an die Teilnehmer ein echter Austausch auf Augenhöhe und in ausreichender Zeit stattfinden, bei dem auch unterschiedliche Experten gehört werden.

Hinweis 2 zur Mitgliederbeteiligung

Wenn man Fürstenberg ernst nimmt, sind viele Großgenossenschaften derzeit nur noch der Form nach Genossenschaften. Wie der Ansatz Mitgliederjury zeigt, ist dieser Zustand aber nicht in Stein gemeiselt. Vielmehr ist es so, dass Genossenschaften von ihren Strukturmerkmalen immer offen für die Mitwirkung einzelner Mitglieder sind. So ist  Druck auf eine Reform von innen immer möglich. Koch zitiert passend A. de Meuron von mir frei übersetzt mit " Eine Genossenschaft ist ein Haus aus Glas. Da kann nichts versteckt werden, keine Gewinne, keine Verluste, keine dubiosen Geschäfte und auch nicht die Verfolgung von Partikularinteressen." (Koch Seite 192) (A. de Meuron, "le Role moral de la Cooperation", Bale, 1923, S4 das Zitat im Orginal:"La cooperative est une maison de verre. On n'y peut rien cacher, ni benefices, ni pertes, ni operations douteuses, ni poursuite d'interets particuliers." (ohne Sonderzeichen zitiert)).

Dienstag, 19. Juli 2022

Notizen zu "Neue Wohnungsgemeinnützigkeit - Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum" von Jan Kuhnert und Olof Leps

2017 erschien eine hoch spannende Studie, die die Geschichte der Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland inklusive der Phase nach Beendigung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) 1989 und die Etablierung der Vermietungsgenossenschaft ab 1990 ausführlich beschreibt.

https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-17570-2

Wer sich für Wohnungsgenossenschaften in Deutschand interessiert, für den ist es gut zu verstehen, was damals passierte und wie das heute noch nachwirkt. So besteht bis heute die nachteilige Situation fort, dass Wohnungsgenossenschaften sich im Gegensatz zur Schweiz nicht in einem eigenen Verband organisieren, sondern im Gesamtverband der Wohnungsunternehmen (GdW) als einem Mischverband mit vielen Wohnungsunternehmen, die andere Interessen haben.

In der Studie (die Autoren stehen den Grünen und der Linkspartei nahe) wird außerdem Wohnungsgemeinnützigkeit in den Niederlanden und in Österreich betrachtet, nicht aber die Schweiz. Auffällig ist, dass Genossenschaften bei ihnen nur als Umsetzungsvariante politischer Ziele vorkommen. Das Besondere von Genossenschaften tritt zurück bzw. bleibt unbeachtet. Hier besteht immer die Gefahr, dass Genossenschaften für politische Ziele instrumentalisiert werden. Man beachtet nicht, dass Genossenschaften Selbsthilfevereine für die Mitglieder sind, die darauf angelegt sind, autonom zu handeln.
 
Sehr spannend ist der Vergleich mit Österreich, dessen Wohnungsgemeinnützigkeit die Autoren gut finden und die dort eine sehr große praktische Bedeutung hat. Dabei arbeiten sie eine wichtige Leitidee linker Wohnungspolitik heraus: "Der Gedanke der Verbindung von Wohnraumförderung und Gemeinnützigkeit war darin begründet, dass Erträge, welche mithilfe der Wohnbauförderung erwirtschaftet wurden, im Vermögen der gemeinnützigen Bauvereinigungen gebunden bleiben bzw. reinvestiert werden müssen und somit langfristig den öffentlichen Förderaufwand reduzieren." Das widerspricht § 19(1) Genossenschaftsgesetz wo es heißt " Der bei Feststellung des Jahresabschlusses für die Mitglieder sich ergebende Gewinn oder Verlust des Geschäftsjahres ist auf diese zu verteilen." Mitunter sieht man in der Praxis eine Rücklagenpolitik in traditionellen großen Wohnungsgenossenschaften, die in diesem falschverstandenen-politisch-gemeinnützigen Sinn unterwegs sind. Die Genossenschaftswissenschaft hat dem schon lange widersprochen und erklärt, dass in Genossenschaften Gemeinnützigkeit über die Förderung der Mitglieder zu funktionieren hat, auch wenn das oberflächlich betrachtet ein Widerspruch zu den landläufigen Verständnis von Gemeinnützigkeit zu sein scheint [Keßler 2015]
 
Das Buch geht auch auf die NS-Zeit ein, bleibt aber aus genossenschaftlicher Sicht zu unkritisch. So erwähnt es zum Beispiel den Aspekt, dass ab 1940 über das Gesetz über die Gemeinützigkeit im Wohnungswesen (Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz) die deutsche Familie gefördert werden sollte (S.78) beachtet aber nicht, dass Genossenschaften nur dem Zweck dienen, ihre Mitglieder zu fördern, egal ob sie in Familien leben oder nicht. Der Passus zur Familie war selbst in der letzten Fassung des WGG noch enthalten(!) und wurde erst im letzten Kommentar zum Gesetz von 1988 krititisiert, aber auch nur in Bezug auf das Grundgesetz, nicht im Hinblick auf die Genossenschaftsidee. 
 
Die Studie erwähnt auch den Aspekt, dass bei Auflösung eines Unternehmens nach dem WGG nur der Nominalwert, nicht der Realwert an die Mitglieder fliesen darf (S.106). Das ist ein riesiger Unterschied, fast ein alles oder nichts. Bei einem dem Autor bekannten Beispiel einer Wohnungsgenossenschaft wären das zum Beispiel 150,- € statt circa 6.000 € je Anteil. Bei 20 Anteilen je Mitglied entspricht das 3000,- € statt 120.000 €.  Die Autoren bleiben aber auch hier unkritisch und erwähnen nicht, dass es zum Wesen einer Genossenschaft als Gesellschaft gemeinsamer Unternehmerschaft gehört, im Falle einer Auflösung die Liquidationserlöse unter den Mitglieder anteilsmässig aufzuteilen. Pikant ist der Falle Neue Heimat, den die Studie erwähnt. Dort hat sich der Staat aus Eigeninteresse anscheinend nicht an das eigene Gesetz gehalten (S. 107)
 
Dazu stehen die Überlegungen der CDU Regierung im Kontrast unter Kanzler Helmut Kohl,
 
 
die in Deutschland das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz abschafften, aber die Wohnungsgenossenschaften durch die Schaffung der Instituts der Vermietungsgenossenschaft erhalten haben. 1984 wurde unter Finanzminister Stoltenberg eine Kommision ("Hofbauer-Kommision") einberufen, die zur WGG unter anderem feststellte: "Einzig die Wohnungsgenossenschaften, beschränkt auf die Vermietung an die eigenen Mitglieder, wären als bestandsverwaltende Selbsthilfeorganisationen förderungwürdig und sollten wie privat genutzer Wohnraum steuerbefreit sein" (S.146) Der Vorgängerverband des GdW, der GGW, argumentierte dagegen (S.146). 
 
zu den Autoren der Studie:
Kuhnert studierte Erziehungswissenschaften, Soziologie und Politik
Der zweite Autor Olof Leps ist Berater für den öffentlichen Sektor, hat also auch kein spezielles berufliches Interesse an Genossenschaften
 
Das erklärt vielleicht, warum sie die genossenschaftliche Betriebswirtschaft so wenig beachten. Dennoch ist das Buch sehr lesenswert, nicht zuletzt, weil es ausführlich über die Diskussion berichtet und auch Literaturhinweise nennt, die mehr an Genossenschaften interessiert sind als die Autoren selbst.
 
Wichtig ist es, denke ich, zu erkennen, dass Genossenschaften zum einen von vielen Interessenskreisen für eigene Zwecke als nutzbar und attraktiv angesehen werden, dass sie aber per se überparteilich sind und nach Regeln funktionieren, die für alle Demokraten akzeptabel sind, also neben bürgerlich-liberalen Kreise auch für linke Kreise, soweit sie die soziale Marktwirtschaft als Ordnungsrahmen akzeptieren und nicht doch die Produktionsmittel verstaatlichen wollen oder Unternehmen ihre Autonomie nehmen wollen (letzteres hat viele Graustufen, auch im Bereich Bauen und Wohnen, wie das Bündnis für Wohnen in Hamburg zeigt, bei dem Einfluß genommen wird auf die "Produktionspläne" eigentlich autonomer privatwirtschaftlicher Unternehmen). Sozial ausgerichtete Politiker müssen, denke ich, lernen, dass sie Genosseschaften nicht mit kommunalen Wohnungsunternehmen gleichsetzen können, sondern dass Genossenschaften eigene Stärken haben und es für alle am besten ist, wenn man Genossenschaften nach ihrer eigenen Facon glücklich werden lässt. So können sie am meisten zu einer guten Gesellschaft beitragen. Was das für einzelne Wohnungsgenossenschaften bedeutet, kann am besten in jedem Fall indivduell herausgefunden werden in der gemeinsamen Beratung und im Konsens der Mitglieder.
 
Nachbemerkung: Ich konnte das Buch nur am Rande und auszugsweise lesen, weil ich keine Forschungsmittel zur Verfügung habe. Wer meine Arbeit finanziell unterstützen möchte, kann sich gerne mit mir in Verbindung setzen.

Literatur

Keßler, Jürgen, Kommentar zur Gemeinnützigkeit von Genossenschaften, Skills Eg, Newslwetter der EBZ, 2/2015 Seite 4, https://www.e-b-z.de/presse/publikationen.html

Mittwoch, 29. Juni 2022

Einzelkritik: Dieter Schneider, Betriebswirtschaftslehre, Grundlagen 2. Auflage 1995

Wer sich ernsthaft mit der allgemeinen  BWL befasst, kann die Beiträge von Dieter Schneider als kritischem und eigenständigen Autor nicht ignorieren. Deshalb hier meine Kritik zu seinem Grundlagenbuch zur BWL.

Dieter Schneider empfiehlt "den Untersuchungsbereich der Betriebswirtschaftslehre zu kennzeichnen als Erwerb und Verwendung von Einkommen unter Unsicherheit und ungleich verteiltem Wissem" (S.25). Unter Einkommen versteht Schneider dabei den "Reinvermögenszuwachs während eines Zeitraums" (S.5) und weiter "Einkommen als periodenwiese Änderung des Reinvermögens berechnet sich nach dem Reinvermögen am Ende eines Abrechnungszeitraums abzüglich des Reinvermögens zu Beginn zuzüglich des während dieser Periode Konsumierten." und weiter "Den Begriff des Einkommens beziehen wir stets auf einen Menschen bzw. einen Haushalt, den mehrere Menschen gemeinsam bilden". Wenn also Johanna am 1.1.2022 ein Gesamtvermögen von 250.000 € hatte und am 31.12.2022 ein Gesamtvermögen von 190.000 €, weil ihr Aktiendepot deutlich an Wert verloren hat und sie ihre Einkünfte aus Berufstätigkeit für Miete Urlaub und Lebenshaltung verbraucht hat und die Summe ihres Konsums bei 25.000 € lag, war ihr Einkommen 2022 laut Schneider minus 35.000 €.

190.000 - 250.000 + 25.000 = - 35.000

Während zum Beispiel Wöhe als Erfahrungsobjekt den Betrieb auswählt, der eine Leistung erstellt und absetzt, ist für Schneider eine Leistungserstellung zumindest zunächst unerheblich. 

["Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre", Günter Wöhe , Ulrich Döring, Gerrit Brösel, 27. Auflage, 2020: "Als Betrieb bezeichnet man eine planvoll organisierte Wirtschaftseinheit, in der Produktionsfaktoren kombiniert werden, um Güter und Dienstleistungen herzustellen und abzusetzen", Seite 27]

Schneider geht es um das Einkommen des einzelnen Menschen oder des Haushaltes als Erfahrungsobjekt. Immerhin kommen Unternehmen bei Schneider indirekt ins Spiel, wenn er schreibt: "Das Handeln einzelner Menschen in Märkten, Unternehmungen und weiteren Organisationen (wie Parlamenten, Verbänden) sowie die Regeln für das Handeln des einzelnen und das möglichst konfliktarme Zusammenleben mit anderen bilden den Ausgangstatbestand der Forschung, das Erfahrungsobjekt" [der BWL]. Als Erkenntnisobjekt der BWL sieht Schneider "Gefragt wird nach Begründungen (Erklärungen) dafür, ob und wann dieses Handeln zu voraussichtlich geringeren Abweichungen zwischen beabsichtigter Zielerreichung durch Erwerb und Verwendung von Einkommen und später tatsächlich erreichter führt. Die Betriebswirtschaftslehre im hier verstandenen Sinne erforscht also Institutionen in Form von Ordnungen (Regelsystemen) und Institutionen in Form von Organisationen (Handlungsystemen) daraufhin, ob bzw. wie sie in der Lage sind

(1) Menschen jenes Einkommen erreichen zu lassen, das sie erwerben wollen,

(2) das zu verwirklichen, was sie mit der Verwendung des Einkommens bezwecken, und

(3) inwieweit Institutionen dazu beitragen, die Abweichung zwischen der in einem Planungszeitpunkt beabsichtigten Zielverwirklichung durch Erwerb und Verwendung von Einkommen und der tatsählich später erreichten zu verwirklichen." und weiter "Als sprachliches Kürzel für diese Forschungsaufgaben wird der Name "Verringerung von Einkommensunsicherheiten" übernommen. Verringerung von Einkommenunsicherheiten ist hierbei nicht mehr (nur) als von einzelnen zu bewältigendes Problem zu verstehen, sondern als Leitbild des Forschens für die Bildung betriebswirtschaftlicher Theorien".

Statt also die betriebliche Leistungserstellung in den Mittelpunkt der BWL zu stellen, stellt Schneider Einkommen von Menschen und seine Unsicherheit in den Mittelpunkt. Geht man davon aus, dass Betriebe Teil eines gesellschaftlichen Gefüges sind, konkret einer Marktwirtschaft (liberal, sozial oder ökologisch-sozial) kann es gesellschaftliche Instrumente geben, die Einkommensunsicherheiten abfedern wie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Es fragt sich, ob diese gesellschaftlich gemildeteren Einkommensunsicherheiten nicht schon stark genug sind, um Einkommen als zentralen Ausgangspunkt für eine Betriebswirtschaftslehre nutzlos zu machen. Würde es irgendwann ein bedinungsloses Grundeinkommen für alle geben, müsste das der Schneiderschen BWL sogar vollständig den Boden unter den Füssen wegziehen, weil ja dann ein Großteil dieser Unsicherheit den Akteuren genommen wäre. Müsste, wenn Schneider recht hätte, dies nicht bedeuten, dass jede wirtschaftliche Tätigkeit dann sofort vollständig zum Erliegen käme? 

 Schneider will im übrigen sogar nicht explizit erwerbswirtschaftliche sondern bedarfswirtschaftliche Unternehmen wie zum Beispiel öffentliche Unternehmen allein unter dem Aspekt untersuchen, inwieweit Handelnde (also wohl Mitarbeiter dieser Unternehmen) damit ein sicheres Einkommen erzielen. Das in den angebotenen Produkten ein bestimmter Nutzen steckt und der unter möglichst effizientem Mitteleinsatz erbracht werden soll, ist dann ein Aspekt, der im konkreten Einzelfall eine Rolle spielen kann oder auch nicht. 

Fazit

Als Grundlage einer Theorie der Unternehmung bzw. der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre scheint mir ein solcher Ansatz völlig verfehlt. Er blendet den Kern dessen, was Betriebe machen, aus und ignoriert, dass es bedarfswirtschaftliche Unternehmen gibt (öffentliche Unternehmen, Beschaffungsgenossenschaften und Stiftungsunternehmen), die einen konkreten Zweck haben in einer bestimmten Leistungserstellung, die nichts mit dem möglichen Erwerbseinkommen von angestellten Mitarbeitern zu tun hat.

Ausblick

Warun Schneider diesen extrem weit hergeholten Ansatz gewählt hat, weiss ich nicht. Vielleicht war er auf der Suche nach einem guten Ansatz für eine Theoriebildung. Ich vermute seinem Ansatz lag die Annahme zugrunde, dass Unsicherheiten starke Motivatoren und damit auch "Handlungserklärer" sind. Gerade seine Forschungsfrage (2) halte ich für völlig verfehlt. Ich glaube der Mensch macht primär was ihn interessiert unabhängig davon wie viel Einkommen er damit erwirtschaftet. Dass zum Beispiel soziale Berufe oft schlechter bezahlt sind als Berufe in anderen Branchen kann daran liegen, dass mehr Menschen diese Stellen nachfragen weil sie etwas sinnvolles tun wollen und nicht bereit sind höher bezahlte Stellen, die aber fragwürdig sind, anzunehmen.

Dienstag, 7. Juni 2022

Gedanken zu Horst Albachs "Gutenberg und die Zukunft der Betriebswirtschaftslehre"

 Text in Arbeit noch nicht fertig!

 Horst Albach schreibt in "Gutenberg und die Zukunft der Betriebswirtschaftslehre", 1997, über das Solidaritätsaxiom in der BWL [Betriebswirtschaftslehre] Erich Gutenbergs und dass es sich in der Empirie nicht durchgängig halten lässt. Dabei bedeutet Solidaritätsaxiom laut Albach "Jeder Mitarbeiter im Betrieb verfolgt solidarisch dasselbe Ziel, nämlich das Unternehmensinteresse zu maximieren." [Anmerkung: das Unternehmensinteresse besteht dabei darin, die Unternehmensziele bestmöglich zu erreichen dh. zu maximieren. Unternehmen haben anders als Menschen keinen Selbstzweck. In der Praxis geht diese Unterscheidung mitunter verloren.]  Neue Ansätze der BWL sind laut Albach seitdem entstanden, insbesondere die entscheidungsorientierte, die systemorientierte, die verhaltensorientierte und die handlungsorientierte BWL. Auch die institutionenökonomische BWL wäre hier zu nennen. Albach schreibt zurecht, dass es genauso unrealistisch wäre anzunehmen, dass das Axiom der verhaltensorientierten BWL immer richtig ist, dass Akteure in Unternehmen immer primär ihre eigenen Interessen verfolgen wie es unrealistisch wäre anzunehmen, dass sie primär das Teaminteresse verfolgen. Um aus diesem Bewertungsdilemma herauszukommen, sehe ich folgenden Pfad: Die Frage lässt sich klären bzw. in ein einziges Denksystem integrieren, wenn man versteht, dass in Entscheidungsystemen, in denen Menschen beteiligt sind, es neben der Rationalität auf der Sachebenee , das heist bei der Disposition innerhalb des Unternehmens in den Bereichen Unternehmensplanung und bei den operativen Ebenen Bereitsstellung der Produktionsfaktoren (Einkauf, Finanzierung, Personalwesen), Leistungserstellung, Leisterungsverwertung (Absatz) immer auch um Leitideen, Bewusstheit, Kapazitäten und Kommunikationsakte geht. Meine These ist, dass eine neue BWL, die diese Faktoren integriert ohne ihre Grundlagen zu vernachlässigen, normativ sinnvolle Aussagen treffen kann, die in der Praxis dann auch tatsächlich angewandt werden, soweit der diese neue BWL bekannt ist bzw sie sie an sich heranlässt und sie an den Universitäten gelehrt wird. Auf der Metaebene, also bei der Reflexion der BWL über sich selbst, sollte ihr bewusst sein, dass sie mit der Praxis eine Einheit bildet, eine Welt, und sie sich nicht darin erschöpfen kann, von außen auf ein Erfahrungs- und Erkenntnisobjekt zu blicken, sondern dass sie ein Teil davon ist und sie diese Welt neu gestaltet. Albach schreibt dazu "Man kann eben nicht betriebswirtschaftliche Steuerlehre unterrichten, ohne auch Unternehmen steuerlich zu beraten. Man kann nicht Investitionstheorie lehren, ohne auch in Unternehmen Systeme der Investitionsrechnung einzurichten. Man kann nicht über Führungsorganisation im Unternehmen forschen, ohne an Hauptversammlungen teilzunehmen oder Erfahrungen im Aufsichtsrat von Unternehmen gesammelt zu haben." (Seite 12,13) Bei Albach ist die Relevanz von Bewusstheit bereits angelegt, wie ich unten aufzeigen werde.

 1. Leitideen

In der BWL Gutenbergs sind  Leitideen vorhanden und werden ausreichend weit ausgeführt, allerdings mit dem Fokus auf gewinnmaximierende Unternehmen. Dies ist aber auch ohne weiteres möglich für  bedarfswirtschaftliche Unternehmen wie Genossenschaften, öffentliche Unternehmen und Stiftungsunternehmen über das Nutzenmaximierungskalkül mit Blick auf  die Abnehmer der Produkte oder Dienstleistuungen der jeweiligen bedarfswirtschaftlich konstituierten Unternehmens. Es ist deshalb sinnvoll in die BWL eine 2. Säule einzuführen. Ich habe dazu bereits häufig hier gebloggt.

2. Bewusstheit

Meine These ist, dass sowohl die gute Anwendung einer BWL in der Praxis als auch die Qualität der BWL selbst von der Qualität der Bewusstheit der Protagonisten abhängt. Sehe ich zum Beispiel mich selbst oder andere als ein Mensch an, der nur ganz eng indivduelle Ziele ohne Rücksicht auf andere verfolgt, ist das mein Menschenbild, werde ich eher einer BWL zuneigen, die auf Dauer sich mit Konflikten auch innerhalb von Unternehmen befassen muss. Albach spricht in diesem Zusammenhang von der möglichen Zukunft der BWL als Konfliktlehre. Dann wären zum Beispiel Ansätze wie Mediation in den Werkzeugksten der BWL zu integrieren und es ginge darum standardmässig bei Entscheidungsituationen die möglichen Interessen derjenigen im den Blick zu bekommen, die an der Entscheidung beteiligt sind. [Gute Mediation basiert darauf die Interessen mit den Konfliktparteien herauszuarbeiten, siehe zum Beispiel Silke Freitag, Jens Richter (Hrsg.) Mediation - das Praxisbuch - Denkmodelle, Methoden und Beispiele, Beltz Verlag 2015.] Sehen Protagonisten in Wissenschaft und Praxis bei sich selbst, dass sie sowohl Eigeninteressen haben als auch, dass sie es gut finden, wenn sie etwas für andere tun können, ist das ihr Menschenbild, werden sie mehr dem Solidaritätsaxiom zuneigen und nur am Rande auf mögliche Egoismen von anderen Protogonisten achten. Das scheint mit einer möglichen Zukunft der BWL zu korrespondieren, die Albach als Harmonielehre bezeichnet. Historisch kommen wir im "Westen" von einer individualisierten Selbst- und Fremdwahrnehmung [siehe zB die protestantische Gnadenlehre und ihr Einfluss in der Wirtschaft ausgeführt von Max Weber in "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus", 1904/1905]  Allerdings hat der Historiker Rutger Bregmann in seinem bahnbrechenden Buch "Im Grunde gut" 2020 belegt, dass dies eine falsche Selbst- und Fremdwahrnehmung ist. Im "Osten" war eher ein kollektives Selbstverständnis vorherrschend und dort geht es vielleicht mehr darum, dass sich Menschen bewusst werden, dass sie auch indiviudell das Recht auf freie Entfaltung und eigene Interessen haben. Die bisherige wirtschaftliche Leitidee des Westen zeigt sich vielleicht am deutlichsten in dem Satz von Thomas Jefferson "Every man has the right to persue his own happiness" in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Auch wenn dieser Satz richtig ist, kann man ihn unterschiedlich verstehen. Ein Mensch, der sich als isoliertes Individuum versteht, wird dabei rücksichtsloser vorgehen als ein Mensch , der sich als Individuum und zugleich als Teil eines oder eher viele Kollektive auf unterschiedlichen Aggregationstufen erlebt und sich dieser Ebenen bewusst ist. Das geht bis dahin, dass er sich als Teil des Erdsystems wahrnimmt und deshalb auch Ziele wie Klimaschutz und Artenschutz bei seinen Handlungen berücksichtigt.

Die Frage der Bewusstheit hat auch eine ökologische Dimension. Sind Menschen  noch kollektiv von Mangelerfahrungen geprägt, werden stark wachsende persönliche Konsummöglichkeiten für sie attraktiver sein als für Menschen im Gesellschaften, in denen die Erfahrung zu bekommen, was man braucht, das Normale ist. Menschen schauen dann genauer, was sie brauchen und konsumieren dann möglicherweise weniger aber bewusster, oder sie fokussieren nicht so sehr darauf, noch mehr Geld zu verdienen, noch mehr Rendite zu erwirtschaften, als sie eh schon haben, sondern arbeiten lieber für Unternehmen, die wirklich nachhaltig agieren und investieren lieber in entsprechende Unternehmen oder beteiligen sich lieber an Genossenschaften. Siehe zum Beispiel https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2021/02/mehr-zu-marshall-ii-inklusive-einer.html oder auch Binswanger zum Beispiel https://www.metropolis-verlag.de/Die-Wachstumsspirale/956/book.do

Bewusstheit bei Albach

Albach prognostiert, dass die künftige BWL entweder eine Konfliktlehre oder eine Harmonielehre sein wird. Er selbst neigt der Harmonielehre zu, wenn er schreibt "Ich sehe die Zukunft der Betriebswirtschaftslehre in der Entwicklung einer Theorie der Unternehmung, die auf den Prinzipien des Harmoniemodells beruht." (Seite 34). Er gibt aber auch dem Konfliktmodell seine Daseinsberechtigung, wenn er schreibt: "Solange sich Vertrauen und Loyalität noch nicht haben entwickeln können und solange Institutionen außer der Privatautonomie noch nicht entwickelt sind, liefert das Konfliktmodell wichtige Einsichten in die Entwicklung von höheren gesellschaftlichen Institutionen, wie z.B.das römische Recht mit seiner Idee der juristischen Person. Die Vertragstheorie
ist, so gesehen, eine ökonomische Theorie von Einschwingvorgängen." (Seiten 34). Vielleicht kann man sagen, dass über die erfolgreiche Austragung von Konflikten Vertrauen in und Loyaliät zu dem  jeweiligen Unternehmen und der an ihm beteiligten Menschen entsteht. Das ist dann eine hohe Bewusstheit. Das Albachsche Konfliktmodell wäre dann ein Submodell innerhalb des Harmoniemodells. Oder in Beherzigung eines Postulates der Themenzentrierten Interaktion [TZI - eines Konzept zur Arbeit in Gruppen, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Themenzentrierte_Interaktion ] "Störungen haben Vorrang" werden solange Konflikte erfolgreich ausgetragen und Interessen zusammengeführt bis ein hohes Harmonielevel erreicht wird.   

3. Kapazitäten

In einem Interview stellt Miki Kashtan einen Ansatz vor, der in Prozessen bzw. Entscheidungssituationen in Organisationen oder Gesellschaften die Orientierung an Kapazitäten als Alternative zu dem Konzept der Fairness vorstellt. 

https://lesen.oya-online.de/texte/3734-vom-vermoegen-grenzen-zu-wahren-zu-erweitern.html




Montag, 6. Juni 2022

Anmerkungen zu Ralf Antes Habilitationsschrift "Nachhaltigkeit und Betriebswirtschaftslehre"

Rolf Antes Kritik an der herkömmlichen BWL

Antes schreibt auf Seite 26 [Ralf Antes "Nachhaltigkeit und Betriebswirtschaftslehre - Eine wissenschafts- und institutionentheoretische Perspektive, 2014], dass "wirtschaftswissenschaftliche Modellierung mitursächlich für nicht nachhaltiges Wirtschaften zunächst sei, wenn die Wissenschaft normativ, also gestaltungsorientiert betrieben wird und gleichzeitig soziale und ökologische Knappheiten und deren Treiber ausgeblendet werden. Und weiter: "Die Irrelevanz in Gestaltungsempfehlungen präjudiziert [dh. vorwegentscheidet] das Entstehen ebensolcher Knappheiten (negative externe Effekte, soziale Kosten), ob intendiert oder nicht. Es wird in dieser Arbeit deutlich werden, dass dies auf weite Teile der Ökonomik und der Betriebswirtschaftslehre zutrifft".

Hier bin ich skeptisch bzw. es sieht für mich nach einem falschen Ansatz aus bzw. nach einem logisch unzulässigen Umkehrschluss:

Die auf der Mikroökonomie basierende Betriebswirtschaftslehre in der Ausprägung von Gutenberg und dargestellt von Wöhe ist ja angelegt als funktionierend innerhalb einer sozialen Marktwirtschaft. Das heißt die Internalisierung nicht quantifizierter sozialer externe Kosten muss vom gesellschaftlichen Ordnungsrahmen geschaffen werden, zum Beispiel über Kündigungschutzgesetze, Gesetze der Mitbestimmung und über das Aushandeln von Tarifverträgen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Genauso ist es in einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft und in darüber angesiedelten Wirtschaftsräumen eine gesellschaftliche Aufgabe einen entsprechenden Ordnungsrahmen zu schaffen. So müssten weltweit zum Beispiel die Emission von CO2 mit hohen Kosten belegt werden und die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle am sichersten bis 2025 spätestens bis 2035 vollständig verboten werden, wollte man die Erhitzung auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen. [siehe zum Beispiel https://www.sueddeutsche.de/wissen/hochwasserkatastrophe-schaeden-kosten-klimawandel-co2-preis-hurrikan-1.5402770 ] Einer BWL in diesem Sinn vorzuwerfen, dass sie externe Kosten nicht zum Teil ihres eigenen Entscheidungskalküls macht, hiese von ihr etwas zu verlangen was sie so nicht leisten kann. Letztlich wäre damit eine Gewinnmaximierung nicht mehr möglich.

Die überlegende Alternative ist eine ABWL die zwei Säulen hat, die bedarfswirtschaftliche, die auf Gewinnmaximierung verzichtet und die gewinnorientierte erwerbswirtschaftliche, die zwar Gewinnmaximierung betreibt, allerdings sich zu Prinzipien guter Unternehmensführung verpflichtet und selbst fordert, dass sie in einem ökologisch-sozialen Ordnungsrahmen operieren darf und sich auch dafür ausspricht, dass ein solcher global etabliert wird. Barack Obama führte die Idee des "even  playing field", ein ebenerdiges Spielfeldes ein für alle auf dem Markt agierende Unternehmen. [aus Anlass von unfairen Handelspraktiken seitens Chinas zum Beispiel in der state-of-the-union adress von 2012 https://obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2012/01/24/remarks-president-state-union-address ]

Maja Göpel fordert seit längerem eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Ist feststellbar ob ihr Ansatz "The great Mindshift" zu einer auf der Mikroökonomie basierende ABWL kompatibel ist?

https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-319-43766-8

Soweit ich das sehe, schreibt Göpel in diesem Buch nicht innerhalb der ABWL, sondern gibt Anregungen für "Pionierunternehmen" und "Pionierverhalten " von Regierungen. Dies wären dann Aspekte, die zum einen innerhalb der ABWL im bedarfswirtschaftlichen Teil abgedeckt wären (zum Beispiel bei der BWL von Genossenschaften, von öffentlichen Unternehmen und von Stiftungsunternehmen oder aber innerhalb der staatlichen Ordnungsvorgaben einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft.

Ich halte deshalb die konzeptionelle Erweiterung der auf der Mikroökonomik berufende ABWL um eine bedarfswirtschaftliche Komponente weiterhin für ein sinnvolles Unterfangen.

Zusatzfrage:

Macht es Sinn, sich weiter mit dieser klassischen ABWL zu befassen wo doch schon systemische, entscheidungsorientierte und insitutionenökonomisch orientierte Ansätze vorliegen? Ich denke ja. Alle diese drei neueren Ansätze haben ihre Berechtigung und ihren Sinn und sollten bei der Beantwortung von konkreten Fragen hinzugezogen bzw. auf Nützlichkeit abgeklopft werden. Sie können aber die Basisanalyse nicht ersetzen.

Ergänzung:

Argumentiert man von der Empirie her, dass die Ergebnisse des sozialen Ausgleichs der sozialem Marktwirtschaft zu gering seien und die Ergebnisse einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft vermutlich auch zu gering seien werden, und dass dies auch der ABWL anzulasten sei, kann man antworten, dass zum einen dann die ordnungspolitischen Maßnahmen erhöht werden müssen und dies ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess ist und kein Manko der ABWL, und dass zum zweiten bei einem Anstieg des gesellschaftlichen Bewusstsein immer weniger Menschen für gewinnmaximierende Unternehmen arbeiten wollen werden und in sie investieren wollen werden und statt dessen Unternehmen bevorzugen werden, die bedarfswirtschaftlich agieren und von sich aus neben Renditezielen eine ökologische Ausrichtung verfolgen. Das können zum Beispiel Genossenschaften sein, es können aber auch Aktiengesellschaften oder GmbHs sein. Großunternehmen wie Microsoft, die sich das sicher relativ leicht leisten können machen dies bereits aus eigenem Antrieb und werden damit von Seiten ihrer Aktionäre toleriert.

Gibt man sich damit nicht zufrieden, bleibt nur die Aufgabe der Gewerbefreiheit und damit die Staatswirtschaft. Dies halte ich für den falschen Weg.

Nachsatz: 

Das Buch von Antes beginnt im Vorwort mit dem Satz "Institutionen prägen das Verhalten von Menschen". Ich denke tatsächlich, dass sowohl Ideen als auch das Bewusstsein wer man ist, wo man sich befindet und was potentiell möglich ist noch stärker das Verhalten von Menschen prägen kann und auch prägen sollte als man dies Institutionen zubilligt bzw. sie dies praktisch oft tun.


Donnerstag, 19. Mai 2022

Gewinnorientierung als Zeitgeistsaspekt in der Fachliteratur zur Wohnungswirtschaft

Ich hatte in der Vergangenheit mehrmals über den Ansatz der Nutzenmaximierung bei bedarfswirtschaftlichen Unternehmen als 2. Säule der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre neben der Säule der Gewinnmaximierung in erwerbswirtschaftlichen Unternehmen gebloggt. Ein großes Anwendungsfeld dieses Ansatzes sind öffentliche und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen. Im Rahmen der Sichtung von Literatur zum Thema untersuche ich heute einen Beitrag von Mathias Hain darauf, ob mein Ansatz der Nutzenmaximierung dort bereits erfasst wurde. Das Buch heist "Die Perfomance von öffentlichen Unternehmen am Beispiel von Wohnungsunternehmen in Deutschland", Gabler, Wiesbaden, 2008, Herausgeber Roland Berger Strategy Consultants. Es gibt einen umfassenden Überblick zur Fachliteratur zu öffentlichen Unternehmen im allgemeinen und öffentlichen Wohnungsunternehmen im besonderen bis zum Jahr 2008.


Unter dem Begriff Performance wird in dem Buch der Versuch unternommen, eine Leistungsmessung von Unternehmen nach mehreren Paramentern vorzunehmen. Im Einzelnen sind dies

- die Profitabilität (u.a. Umsatzrendite, Gesamtkapitalrendite)

- die operative Effizienz (u.a. Umsatz pro Mitarbeiter)

- Investitionen (u.a. Investitionen pro Umsatz)

- Beschäftigung (Anzahl der Mitarbeiter)

- Verschudlung (ua Fremdkapitalquote

- Dividenden (u.a. Dividende pro Umsatz)

(Hain S. 47f.)

Es fällt auf, dass fast alle Paramenter steigen, wenn Gewinn und/oder Umsatz steigen. Damit stehen sie im Widerspruch zu einem Ansatz, bei dem die Erfüllung von Bedarfen der Kunden der jeweiligen Unternehmen zu möglichst niedrigen Kosten und deren Weitergabe an die Kunden über niedrige Preise bestmöglich erfüllt d.h. maximiert werden. Dass man die "Perfomance" eines Unternehmens daran misst, was als Bedarfsdeckung bei den Kunden herauskommt, scheint dem Autor nicht in den Sinn zu kommen. Der bedarfswirtschaftlich-nutzenmaximierende Ansatz wird damit in dieser Untersuchung nicht als eine Möglichkeit der Leistungserbringung erkannt. Damit bleiben auch die Vorteile dieses Ansatzes mit potentiell geringerem Ressourceneinsatz und höherer Nachhaltigkeit genauso unbeachtet wie die Erkenntnis, dass er die effiziente und preiswerte Bedarfsdeckung für große Nutzergruppen erreichen kann.

Es ist für mich erstaunlich, dass der Autor und die sehr vielfältig von ihm zitierte Fachliteratur dies nicht erkannt bzw. vergessen hat. In den 1920er Jahren war das spezifische Potential bedarfswirtschaftlicher Unternehmen noch allgemein bewusst, zum Beispiel bei Max Weber oder Karl Hildebrandt (siehe frühere Blogbeiträge). Ein Problem scheint darin zu liegen, dass bei der Abgrenzung von öffentlichen Unternehmen die zitierten Autoren sich hauptsächlich auf die Eigentumsverhältnisse der Unternehmen beziehen und die Ziele im Bereich der Leistungserstellung der Unternehmen so gut wie keine Rolle spielen. Beachtet man die Ziele nicht, können sich aus ihnen auch keine Erkenntnisse zur bestmöglichen Betriebsführung ableiten lassen. So zitiert Mathias Hain Günter Püttner "Auf die Unterschiedlichkeit der Zwecksetzung, der Wirtschaftsführung und überhaupt der Unternehmenspolitik kann es nicht ankommen; auch ein öffentliches Unternehmen, das sich völlig wie ein privates verhält... bleibt im Verhältnis zur privaten Wirtschaft ein öffentliches Unternehmen, vielleicht ein schlechtes oder ein unzulässiges, aber eben doch ein öffentliches Unternehmen. Günter Püttner "Die öffentlichen Unternehmen: Handbuch zu Verfassungs- und Rechtsfragen der öffentlichen Wirtschaft, "2. Auflage, 1985, S. 21 zitiert nach (Hain S.12). Mit einer solchen Einstellung kommt man sicher nicht zu sinnvollen normativen Aussagen über Grundsätze guter Betriebsführung in bedarfswirtschaftlich-nutzenmaximierden Unternehmen.

Insgesamt scheint in 2008 der Zeitgeist vorgeherrscht zu haben, dass öffentliche Unternehmen ineffizienter sind als private und versuchen müssten ihrer Defizite auszugleichen, indem sie sich möglichst wie private erwerbswirtschaftliche Unternehmen verhalten, statt dass man erkannt hätte, dass in ihnen, wie in allen bedarfswirtschaftlichen Unternehmen, strukturell bzw. morphologisch (d.i. ihrer Wesensart innewohnend) ein anderes Potential angelegt ist, das es lohnt zu entfalten.

So schreibt Hain im Zusammenhang mit der Abschaffung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes Ende 1989 "Die Zielfunktion von öffentlichen Wohnungsunternehmen unterscheidet sich somit nicht mehr grundsätzlich von der privater Wohnungsunternehmen." Er zitiert dabei ein Buch des GdW, der als Bundesverband öffentliche und private Wohnungsunternehmen vertritt "dass öffentliche Wohnungsunternehmen zwar einen sozialen Versorgungsauftrag wahrnehmen, ....sie sind dennoch erwerbswirtschaftlich orientiert...".[Arbeitshilfe 51: Unternehmensstrategie und Balanced Scorecard: Strategieimplementierung in Wohnungsunternehmen, GDW, Berlin, 2006, Seite 12].