Freitag, 18. April 2025

Kommentar zu Günther Ringle "Investition und Investitionspolitik genossenschaftlicher Wirtschaftsgebilde"

1968 erstellte Günther Ringle, der von 1995 bis 2003 an der Universität Hamburg den Lehrstuhl für Genossenschaftswesen am Institut für Geld- und Kapitalverkehr innehatte, mit dem obigen Titel (1) seine Dissertation (siehe Nachruf). Ich kommentiere diese hier dahingehend, welche Aussagen sich dafür heute für die genossenschaftliche BWL und damit auch für die bedarfswirtschaftliche BWL gewinnen lassen und welche noch fehlen insbesondere im Vergleich zu meinen eigenen Artikeln.

Die Text weist ein sehr großes Literaturverzeichnis auf und macht auf interessante Artikel aufmerksam, die nicht so leicht zu finden sind, wie zum Beispiel der Artikel seines Doktorvaters Prof. Reinhold Henzler "Der Genossenschaftliche Grundauftrag und seine Erfüllung" (2). Ringle findet klare Worte im Sinne der bestmöglichen Mitgliederförderung: "Genossenschaftliches Wirtschaften muß dem Zwecke dienen, die in den Erwerbsunternehmen oder Haushaltungen der Mitglieder von Einzelgenossenschaften auftretenden Bedürfnisse bestmöglich zu befriedigen. Mit der gemeinschaftlichen Errichtung eines Geschäftsbetriebes wird die Verpflichtung eingegangen, sich um die bestmögliche Erfüllung dieser Verhaltensmaxime zu bemühen. Sobald die Genossenschaft andere Belange in den Vordergrund stellt, geht sie ihres genossenschaftlichen Wesens verlustig." (S. 86) Bei der Frage, wie dies zu konkretisieren ist, wiederholt er mit Verweis auf den obigen Artikel von Henzler, dass "unter den gegebenen Bedingungen insbesondere in Anpassung an die Marktverhältnisse stets so zu handeln sei, wie es den Genossenschaftsmitgliedern und deren Wirtschaften auf Dauer am besten zum Nutzen gereicht".  An dem Satz ist alles richtig und wichtig mit Ausnahme der Einfügung der "Anpassung an die Marktverhältnisse". Bei Beschaffungsgenossenschaften ist es gerade kein Automatismus sich an den Markt anzupassen sondern man deckt die Bedarfe der Mitglieder jenseits des Marktes ab. Und bei Verwertungsgenossenschaften sollte man sich auch nicht unbedingt an andere Erzeuger anpassen. Aus dem Satz von Ringle spricht ein Eindruck, dass Genossenschaften ggü. Marktangeboten in die Defensive geraten sind. Diese Aussage hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Weiter führt Ringe widerum Henzler (3) folgend aus, dass bei der Frage, ob sich Mitglieder ihrer Genossenschaft bedienen oder Marktangebote annehmen, es bei rationalem Verhalten der Mitglieder nur um die Mehrförderung geht für eine Beurteilung der genossenschaftstypischen Vorteilsgewährung"(S. 88). Er greift also das Delta zum Marktangebot auf. Dies entspricht der Aussage von Gerhard Weisser von der Ersparnismaximierung ( "Je niedriger auf Dauer der Preis ist, um so erfolgreicher haben sie gewirtschaftet." (4) (siehe auch hier) und bildet einen Grundstein des von mir formulierten Nutzer-Nutzenmaximierungskalküls (5).

Im weiteren befasst sich Ringle auch mit Fördereffizienz und Fördermessung. Als quantitative Messgrößen der Mitgliederförderung nennt Ringle zum einen Preisvorteile als maßgebliches Kriterium aus Sicht der Mitglieder, zum anderen die Höhe der Rück-und Nachvergütung. Damit ist eine umsatzproportionale Auszahlung nach Ende des Geschäftsjahres an die Leistungsabnehmer (die Mitglieder der Gen. sind)  gemeint, die zustande kommen kann, weil aus preiskalkulatorischer Vorsicht die Preise etwas höher als nötig angesetzt wurden in Beschaffungsgenossenschaften und etwas niedriger als möglich in Verwertungsgenossenschaften. 

Insgsamt stellt die Arbeit in einer Gesamtschau vieles klar und richtig dar insbesondere was die genossenschaftliche Förderzielsetzung angeht. Er forumliert aber auch wichtige Aussagen zur Fördereffizienz und Fördermessung und schafft damit eine Basis, die für das Konzept einer Förderbilanzierung dienen können.  Allerdings schöpft er dabei stark von Henzler (3), der sogar noch weiter in diesem Bereich differenziert zwischen Förderungspotenz, Förderungskapazität und Förderungseffizienz (S. 210 f.) Wo die Arbeit ggü. meinem Erkenntnisstand zurückbleibt, ist zum einen, dass sie den von Goethe entdeckten Unterschied von Wunsch und Bedürfnis nicht erkennt (6), (7), (8)  und deshalb nicht versteht, dass Genossenschaften als Bedarfsdeckungswirtschaften nicht jedem Wunsch ihrer Leistungsabnehmer hinterherlaufen müssen und damit auch nicht jedem Marktangebot sondern, dass die Stärke von Genossenschaften darin besteht, soweit sie Beschaffungsgenossenschaften sind, Grundbedarfe von Haushalten ökonomisch effizient zu befriedigen. Genossenschaften sind damit für Menschen interessant, die über Produkte und Diesntleistungen nicht ihren gesellscahftlichen Status hervorkehren wollen oder ihre individuellen Geschmack ausdrücken wollen sondern die sei es weil, sie aus unteren oder mittleren Einkomenschichten stammen und darauf angewiesen sind oder weil sie aus eigener Präferenz sparsam sind, sich mit Standardware zufrieden geben. Ringle kommt ebenfalls nicht zur vollständigen Ausformulierung des Nutzer-Nutzenmaximierungskalküls der Ersparnismaximierung über Kostenminimierung bei Beschafftungsgenossenschaften. Warum das nicht geschieht wie auch schon bei Schultz, verblüfft mich.

Der Schwerpunkt seiner Arbeit handelt von Investition in Genossenschaften. Hier behandelt er vieles korrekt und ausführlich. Er geht auf Beschaffungsgenossenschaften ein als auch auf Verwertungsgenossenschaften, als auch auf einzelne Untergruppen wie Wohnungsgenossenschaften und auf Verbünde von Genossenschaften. Aber es ist soweit ich das übersehe weitgehend deskriptiv. Soweit ich sehe wurden hier nicht konseqent die Unterschiede zwischen einer bedarfswirtschaftlichen und einer erwerbswirtschaftlichen Investitonstheorie herausgearbeitet. Vielleicht lag dies auch daran, dass bei Produktivgenossenschaften und Vermarktungsgenossenschaften (Erzeugergenossenschaften/Verwertungsgenossenschaften) und auch bei Einkaufsgenossenschaften für Gewerbetreibende das so gar nicht möglich ist. Dann würde sich zeigen, dass die rein organisationsformspezifische Abgrenzung "genossenschaftlich" betriebswirtschaftlich-methodisch weniger fruchtbar ist als die Unterscheidung zwischen erwerbswirtschaftlich/Eigentümer-Gewinn-maximierend  und bedarfswirtschaftlich/Nutzer-Nutzen-maximierend (siehe auch (9)). Den spannenden Aspekt, ob und inwieweit  in Genossenschaften für Investitionen benötigtes Eigenkapital bei der Preiskalkulation verzinst werden sollte und was hierbei als Opportunität zu betrachten ist im Rahmen der genossenschaftlichen Zielsetzung, behandelt er nicht (siehe meine Artikel dazu (5), (10)).

Querverweise

Zum Thema Förderoptimierung gibt Volker Beuthien eine Fülle interessanter Hinweise, die zum Ansatz von Ringle und Henzler passen. Beuthin stellte im Jahr 1989 fest: "Gemessen an der Idee der Selbsthilfe der ihre förderwirtschaftlichen Unternehmen selbstverwaltenden und selbstverantwortenden Genossen erreicht die besondere Rechtsform der eG derzeit nicht die höchstmögliche Genossenschaftlichkeit." (11) (Seite 40) und "Entschieden verbessert werden muß der Förderzweck- und die Fördererfolgskontrolle. Deshalb gilt es vor allem das genossenschaftliche Nebenamt nicht nur im Aufsichtsrat sondere gerade auch im Genossenschaftsvorstand zu erhalten und zu stärken. Ein Weg dazu wäre, daß die Generalversammlung zwingend dazu verpflichtet ist, jedenfalls ein nebenamtliches Vorsandsmitglied zum Förderobmann zu wählen, der (unter Umständen neben anderen Leitungsaufgaben) ein besonderes Förderressort zu verwalten und zu verantworten hat." (Seite 45) Das passt gut zu dem Vorschlag von Friedrich Wilhelm Raiffeinen eines "Rechners" als Ergänzung zu mitunter passiven bzw. überforderten Aufsichstsräten (näheres dazu siehe (12)). Weitere Vorschläge, die Beuthein macht, sind eine Begrenzung der Amtszeit von Aufsichrsräten um "auszuschließen, dass Vorstand und Aufsichtsrat im Laufe der Zeit allzu einheitliche Auffassungen entwickeln" (S.46), ein Mitgliederförderausschuß (S.45), besondere Förderberichtspflichten für Vorstand, Aufsichtsrat und Prüfer, das Recht auf eine Sonderprüfung für die Genossen unter dem Gesichtspunkt der Fördererfolgskontrolle, ein stärkerer Kontakt der Prüfer zu Genossen und ein bestimmter Prozentsatz von Basisgenossen auf Sitzen der Genossenschaftsverbände (alles S. 46). Neuere Literaur zum Tehme Födercontrolling siehe Katja Lepper (13), zum dazu gehörenden Prinzipal-Agenten-Dilemma siehe 7 Artikel mit Bezug darauf hier im Blog (als Schalgwiort einzugeben) aber auch das Thema Emotionen im Accounting (14).

Literatur

(1) Ringle Günther, Investition und Investitionspolitik genossenschaftlicher Wirtschaftsgebilde, Hamburg, 1968 

(2) Henzler, Reinhold, Der Genossenschsftliche Grundauftrag uns seine Erfüllung", in: Der Verrbaucher, 9.Jg. , 1955

(3) Henzler, Reinhold, Die Genossenschaft eine fördernde Betriebswirtschaft, Essen, 1958. Dort heißt es auf Seite 20: "Bei dem Wettbwerb, der sich bei der Förderung der Mitglieder von Genossenschaften abspielt [gemeint ist, dass Mitglieder frei sind, auch Marktangebote anzunehmen], kommt es für die Genossenschaften darauf an, daß sie einen Vorsprung erzielen; nur in der Mehrförderung, in einem Förderungsplus, liegt die genossenschaftstypische und wettbewerblich bedeutsame Förderung."

(4) Weisser, Gerhard, Genossenschaft und Gemeinschaft - Bemerkungen zum 'Kulturellen Optimum' der Genossenschaftsgröße, in: Gemeinnütziges Wohnungswesen Organ des Gesamtverbandes Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, Dezember 1954, Heft 12, Seite 565-572 , dort S. 565 

(5) Giebel, Frank,  Kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung und Opportunitätskosten im Kontext einer bedarfswirtschaftlichen Investitionstheorie, Munich Person RepEc, 2025, https://mpra.ub.uni-muenchen.de/124086/

(6) Giebel Frank. Die Fallstricke der Indifferenzkurve - ein Pläydoyer zwischen Bedürfnissen und monetarisierbaren Wünschen zu unterscheiden, blog liberal und kooperativ, 2021

(7) Giebel Frank, Mehr zu Marshall II - inklusive einer Rezeption bei Karl-Heinz Brodbeck, blog liberal und kooperativ, 2021

(8)  Giebel Frank, Das zwei-Klassen-System von staatlichen Bahnunternehmen wie der Deutschen Bahn ist nicht mehr zeitgemäß, blog liberal und kooperativ, 2021

(9)  Giebel, Frank, Vorschlag zur Systematisierung des Untersuchungsgegenstandes der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (ABWL), 2022

(10) Giebel Frank, Betriebswirtschaftliche Beurteilung der Eigenkapitalverzinsung im Rahmen der Preiskalkulation von Wohnungsgenossenschaften als bedarfswirtschaftliche Unternehmen, blog liberal und kooperativ, 2024

(11) Beuthien Volker, Genossenschaftrecht woher - wohin ? Hundert Jahre Genossenschaftgesetz 1889 - 1989, Göttingen, 1989

(12) Giebel Frank  einige Hinweise der Soziologie der Genossenschaften für die Praxis in großen Genossenschaften, blog liberal und kooperativ, 2022

(13) Lepper, Katja, Social Accounting in der Theorie und der wohnungsgenossenschaftlichen Praxis, Dissertation, Universität zu Köln, 2019

(14) Repenning, Nathalie und Löhlein, Lukas and Schäffer, Utz, Emotions in accounting : a review to bridge the paradigmatic divide, The European accounting review, Bd. 31.2022, 1, S. 241-267


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