Mittwoch, 24. November 2021

Dem öffentlichen Rundfunk würde eine bedarfswirtschaftliche Ausrichtung helfen

Nachdem dieser Blog sich häufig mit Wohnungsgenossenschaften befasst hat und dabei die Verbindung zur bedarfswirtschaftlichen Betriebswirtschaftslehre aufgezeigt hat, ergaben sich in letzter Zeit Verbesserungsvorschläge für andere bedarfswirtschaftliche Wirtschaftsbereiche. So befasste ich mich mit kommunalen Wohnungsunternehmen (GWG-Saga in Hamburg) und schrieb Artikel zu öffentlichen Büchereien und staatlichen Eisenbahnen. Aktuell kam es zu einer Begebenheit, die aufzeigt, dass auch für den öffentlichen Rundfunk die bedarfswirtschaftliche Betriebswirtschaftslehre eine gute Quelle ist, um Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen.

Kürzlich fiel mir ein Lieferwagen des NDR auf mit seinem Slogan "NDR Das Beste am Norden". Ich fand den Spruch unpassend. Warum sollte der NDR das Beste an Norddeutschland sein? Ich rief beim NDR an und teilte mein Unbehagen mit. Mein Interesse sei, dass der öffentliche Rundfunk bescheiden und realistisch sei. Am nächsten Tag rief die Pressestelle des NDR zurück und erklärte, dass der Slogan eigentlich anders gemeint gewesen sei, nämlich, dass der NDR als Rundfunk über das Beste im Norden berichten würde. Im übrigen gäbe es dazu kurze Werbefilme von Detlef Buck, die spielerisch mit dem Satz umgehen würden. Die Filme sind witzig und drücken Aspekte einer mehr oder weniger realen norddeutschen Mentalität aus. Ein bisschen erinnern sie an die Werbung von Flensburger Pilsener.

Wenn man den Slogan nicht auf den NDR bezieht, bleibt mit "das Beste" der Aspekt, dass da ja jemand Dinge vergleicht und eine Rangordnung schafft und sie in Konkurrenz zueinander setzt dahingehend, ob über sie berichtet wird oder nicht, ob ihnen Aufmerksamkeit gegeben wird oder nicht. Was wäre dabei die Rolle des NDR? Geht es darum als Bestes Erkanntes zu fördern und anderes eben nicht? Ist so ein Auftrag vereinbar mit gutem Journalismus? Laut Wikipedia ist es die Aufgabe von Journalismus, die Öffentlichkeit mit relevanten Information zu versorgen. Eine Fokussierung auf das vermeintlich Beste wäre da sicher falsch, da gesellschaftliche Missstände und eine kritische Kontrolle der Politik dann unter den Tisch fallen würden. 

Insoweit läuft der Slogan des NDR Gefahr, die journalistische Aufgabe des öffentlichen Rundfunks herunterzuspielen zugunsten einer Art Selbstvergewisserung einer öffentlichen Meinung oder angenommenen Identität mit einem gewissen Unterhaltungscharakter. Da der Satz "das Beste am Norden" im Slogan direkt auf das Wort NDR folgt, wird klar, dass der NDR sich zumindest als Teil vielleicht sogar als hervorgehobenen Ausdruck dieser Identität des Nordens sieht. Das wäre ebenfalls kritisch, da er dann den journalistischen Abstand zu dem, was er berichtet, verloren hätte. Zur Erläuterung hier passende und wichtige Zitate zur Aufgabe des Journalismus aus dem Wikipedia-Artikel:

"Wolf Schneider und Paul-Josef Raue zufolge sei sowohl Aufgabe, durch den Dschungel der irdischen Verhältnisse eine Schneise der Information zu schlagen, als auch den Inhabern der Macht auf die Finger zu sehen.[6] Hanns Joachim Friedrichs fasste seine Lehren bei der BBC zusammen, man habe Distanz zu halten, sich nicht gemein zu machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, und nicht in öffentliche Betroffenheit zu versinken.[7] Nach Ulrich Wickert sei gemäß der Definition der Aufklärung des Philosophen Immanuel Kant die Aufgabe, Wissen so zu vermitteln, dass sich Lesende kraft ihres Verstandes selbst eine Meinung bilden können. Dinge seien klar zu benennen, ohne zu überlegen, ob man damit irgendwem schade oder bestimmten Gruppen Argumente liefere.[8]"

Was hat das nun alles mit der bedarfswirtschaftlichen Betriebswirtschaftslehre (bBWL) zu tun? Was soll und kann sie hier gutes beitragen?

In der bBWL geht es nicht um Gewinnmaximierung sondern um die Deckung von Bedarfen oder Grundbedürfnissen. Den Unterschied formulierte der Soziologe Max Weber so:"Gegenüber der Wirtschaft zur Deckung des eigenen Bedarfs ist die zweite Art des Wirtschaftens Wirtschaft zum Erwerb: die Ausnutzung des spezifisch ökonomischen Sachverhalts: [der] Knappheit begehrter Güter, zur Erzielung eigenen Gewinns an Verfügung über diese Güter." (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft 1922), (siehe auch mein Artikel dazu) Beim öffentlichen Rundfunk geht es also darum, den eigenen Bedarf einer Gesellschaft zu decken an relevanten Informationen. Es soll damit kein Gewinn erzielt werden, sondern allenfalls Kostendeckung erreicht werden. Sinn macht es dabei, sich auf Grundbedürfnisse zu fokussieren orientiert an Goethe, von dem der Satz stammt, "Vieles wünscht sich der Mensch, doch bedarf er nur wenig" (ausführlich hier). Die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen bedarfswirtschaftichen Unternehmen und erwerbswirtschaftlichen Unternehmen sieht dann im bestmöglichen Fall so aus, dass man es letzteren überlässt, mit Kaufkraft aussgestatteten Wünschen von Verbrauchern nachzuspüren, und danach Produkte und Dienstleistungen auszurichten. Erstere konzentrieren sich auf die wenigen, wirklich wichtigen Bedürfnisse und bieten die standardmässig in guter Qualität an. Dadurch können sie hohe Skaleneffekte erreichen, was sehr effizient ist und dazu führen kann, dass sie zu sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnissen angeboten werden können. Der Vorteil für die Abnehmer ist, dass sie vergleichsweise wenig Geld für gute Qualität ausgeben müssen. Dass bedeutet, sie erreichen eine Ersparnismaximierung bzw. Nutzenmaximierung. Sie können ihre Haushaltseinkommen anderweitig ausgeben, Vermögen aufbauen, für spätere Zeiten vorsorgen oder für eine guten Zweck Geld spenden. Vielleicht kann man sogar sagen, dass immer dann, wenn die Preisgestaltung eines bedarfwirtschaftlichen Unternehmens nicht mehr auffällig niedrig ist im Vergleich zu erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, das ein Indiz dafür ist, dass die Unternehmensgestaltung deutlich verbessert werden kann, indem man sie konsequent bedarfswirtschaftlich ausrichtet.

Insgesamt spricht viel dafür, dass der öffentliche Rundfunk in Deutschland den Bereich der Abdeckung von Grundbedürfnissen verlassen hat und damit kostspieliger als nötig ist. Der Slogan des NDR legt außerdem nahe, dass die journalistische Distanz nicht mehr gegeben ist. Soweit der Slogan in Kauf nimmt so verstanden zu werden, dass der NDR das Beste am Norden sei, frönt er dem Konkurrenzgedanken. Auch das passt nicht zu einem bedarfswirtschaftlichen Unternehmen. Noch deutlicher wird dieser Aspekt bei dem Slogan des ZDF "Mit dem zweiten sieht man besser". Auch hier gibt es wieder ein Rangfolge, an deren Spitze sich das ZDF setzt. Auch hier scheinen Bescheidenheit und Realismus verloren gegangen und ein konkurrierendes Selbstverständnis dominant.

Noch einmal ergänzend zurück zum NDR Slogan. Warum braucht der NDR überhaupt einen Slogan als bedarfswirtschaftliches Unternehmen? Warum muss für Werbung in eigener Sache und evtl. Marketing und eine Presseabteilung Geld ausgegeben werden? Der NDR schreibt die Werbeclips in eigener Sache würden in der Fachsprache "Station-Idents" genannt. Auf deutsch heist dies Quellenkennung und ist letztlich ein Logo, das beim Senden eingeblendet wird, damit der Zuschauer mitbekommt, welchen Sender er gerade sieht. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber dafür würde das Logo "NDR" sicher ausreichen. Warum der NDR einen Slogan braucht, erklärt sich so nicht. In dem Wikipedia-Artikel zur Quellenkennung wird allerdings auf ein Gutachten des ZDF "Styleguide" verwiesen (Einzelnachweis 4 Stand 24.11.2021). Dort heist es auf Seite 5:"Wir haben hierbei festgestellt, dass unsere „visuelle Markenpräsenz“ im Wettbewerbsvergleich unterentwickelt, die Designmerkmale für eine erfolgreiche Kommunikation nach außen nicht prägnant genug waren. Hier sahen wir ein erhebliches Potenzial, das ZDF durch ein neues Signet und ein auffälliges, einheitliches Erscheinungsbild stärker im Bewusstsein der Zuschauer zu verankern."

Offenkundig sieht sich das ZDF im Wettbebwerb mit privaten Fernsehsendern und nicht als bedarfswirtschaftliche Grundversorgung, die den Privatsendern deren sturkturelle Vorteile aufgrund deren anderem Unternehmenstypus gönnt. Das legt nahe, dass es in neuen Internetformaten und -Akteuren ebenfalls eine Konkurrenz sieht bzw. sich dadurch zusätzlich unter Druck fühlt. Wenn sich das ZDF seiner potentiellen strukturellen Stärken als bedarfswirtschaftliches Unternehmen bewusst wäre, hätte es das nicht nötig. Dann würde es sich auch nicht zum Ziel setzen, sich "stärker im Bewusstsein der Zuschauer" zu verankern, sondern es diesen überlassen, was sie in ihrem Bewusstsein verankern wollen und darauf vertrauen, dass sie zum ZDF finden bzw. bei ihm bleiben werden. Das obige Gutachten schreibt auf Seite 5 dass "die Zuschauer im 24-Stunden-Dschungel von Informationen und Unterhaltung ...wiedererkennbare Marken erwarten dürfen, zu denen sie Vertrauen aufbauen können". Vertrauen ist immer etwas gegenseitiges und es fragt sich, ob das ZDF genug Vertrauen in die Bevölkerung hat. In Zeiten mit so großen Turbulenzen und Spaltungstendenzen wie heute ist das sicher nicht selbstverständlich. Die Verwendung des Begriffes Marke des ZDF für sich selbst ist kritisch, da dieser Begriff zu einem kompetitiven Selbstverständnis passt und nicht zu einem öffentlichen Unternehmen der Grundversorgung: Wikipedia erläutert die Funktion einer Marke wie folgt: "Für Produktionsunternehmen und Dienstleistungsunternehmen bieten  (Hersteller-)Marken bzw. Dienstleistungsmarken die Möglichkeit, die Eigenschaften der eigenen Produkte oder Dienstleistungen deutlicher hervorzuheben, ihnen ein Profil (Image) zu geben und sie somit von vergleichbaren Produkten anderer Anbieter abzuheben." Ein öffentlicher Versorger hat es nicht nötig sich von anderen Anbietern aktiv abzuheben. Es sollte einfach das machen, was es aus sich heraus für angemessen hält und was dem eigenen Potential am besten entspricht.

Es wäre außerdem spannend herauszufinden, ob bei der Stelle, die die Rundfunkgebührenhöhe begutachtet, der KEF, der "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten" bedarfswirtschaftliche Zusammenhänge bekannt sind und die Rolle spielen, die ihnen zukommen müsste. Außerdem sollten öffentliche Rundfunkanstalten sich ihres bedarfswirtschaftlichen Potentials bewusst werden und sich aus eigenem Antrieb konsequent bedarfswirtschaftlich ausrichten. Auch die Öffentlichkeit sollte das im eigenen Interesse einfordern. 

offene Punkte:

näher beleuchtet werden müsste noch

- inwieweit Unterhaltung ggü Journalismus im Rundfunk eine Rolle spielt bzw spielen sollte und wenn ja wie dies bedarfswirtschaftlich direkt oder indirekt abzudecken wäre

- wie stark die Passung von Bedarfswirtschaft und Kooperation ggü Erwerbswirtschaft und  Konkurrenz ist und ob es doch Situationen gibt, wo Konkurrenz in der Bedarfswirtschaft sinnvoll ist.

Mittwoch, 20. Oktober 2021

Das zwei-Klassen-System von staatlichen Bahnunternehmen wie der Deutschen Bahn ist nicht mehr zeitgemäß

Die Deutsche Bahn ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht als staatliches Unternehmen der Bedarfswirtschaft zuzurechnen im Gegensatz zu Unternehmen, die auf Gewinnerzielung und Rendite ausgerichtet sind. Während gewinnmaximierende, ertragswirtschaftliche Unternehmen davon leben, Produkte und Dienstleistungen entsprechend den mit Kaufkraft ausgestatteten Wünschen von Kunden herzustellen und zu vermarkten, geht es bei bedarfswirtschaftlichen Unternehmen darum, Grundbedarfe abzudecken. Goethe sagte in Hermann und Dorothea "Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig" (ausführlich hier) 

Hinweis: Die Betriebswirtschaftslehre muss sich hier noch weiterentwickeln, siehe auch mein Artikel hier. Die Maslowsche Bedürfnispyramide, die in den Wirtschaftswissenschaften weitgehend anerkannt ist, fällt hinter Goethe insoweit zurück, dass sie den Unterschied zwischen Wünschen und Bedürfnissen verwischt statt ihn deutlich zu machen. Zudem ist das Bild einer Pyramide mit einer breiten Basis für Grundbedürfnisse und einer Spitze für die Erfüllung individueller Selbstverwirklichungsbestrebungen unpassend für die Wirklichkeit sehr vieler Menschen in ökonomisch weit entwickelten Gesellschaften, die den größten Teil ihrer Zeit und Energie im Bereich der oberen Pryamidenhälfte aufwenden.

Der wirtschaftliche Vorteil von bedarfswirtschaftlichen Unternehmen ist, dass sie relativ leicht Effizienzgewinne über economies of scale erzielen können, da Grundbedarfe Goethe folgend quasi alle Menschen teilen und deshalb danach eine potentiell sehr hohe Nachfrage besteht, wenn sie in ausreichender Qualität zu leistbaren Preisen angeboten wird.  

Wenn die Deutsche Bahn, die SBB in der Schweiz oder die SJ in Schweden als staatseigene Bahnunternehmen 1.Klasse-Bereiche anbieten, verlassen sie den Bereich der Erfüllung von Grundbedürfnissen und betreiben Produkt- und Preisdifferenzierung. So kann unterschiedliche hohe Kaufkraft abgeschöpft werden. Die besonderen ökonomischen Vorteile von economies of scale werden damit verlassen. Beispielsweise ist das Design und die Herstellung der Züge aufwendiger, da beim Zughersteller und dessen Lieferanten - zum Beispiel beim aktuellen ICE4 Siemens  - 2 unterschiedliche Sitze geplant und hergestellt werden müssen. 

Gerade in der aktuellen Zeit mit Klimakrise und Artensterben sollten Staatsbahnen sehr ernsthaft prüfen, ob 2 Klassen noch zeitgemäß sind. Züge sollten sowohl im Betrieb als auch in der Herstellung so schnell wie möglich CO2 neutral werden und natürliche Ressourcen sparsam einsetzen. In 1.-Klasse-Großraumwagen von zum Beispiel dem ICE4 (Siemens) oder dem schwedischen X55 (Bombardier) sind nur 3 Sessel je Wagenbreite platziert statt 4 in der 2. Klasse. Da vermutlich auch der Reihenabstand in der 1. Klasse größer ist, bedeutet das einen schlechteren Ressourceneinsatz von über 25%, vermutlich circa 30%. Solange erneuerbare Energien knapp sind, sollten staatliche Unternehmen durch ihre Nachfrage nicht mehr als nötig von ihr beanspruchen. Es wäre gesellschaftlich fahrlässig, ein Verbesserungspotential in dieser Größerordnung vorschnell zur Seite zu schieben und sich darauf zu verlassen, ein Mehrklassensystem sei unverzichtbar, da "man es ja schon immer so gemacht hat".

Bei einer genaueren Betrachtungsweise wäre gegebenenfalls herauszuarbeiten, inwieweit die Entwicklung moderner Gesellschaften aus Stände- bzw. Klassengesellschaften mit ein Grund dafür sind, warum sich bei Bahnen mehrere Beförderungsklassen bis heute gehalten haben. Junge Unternehmen wie der Anbieter des Flixtrain haben diese Klasseneinteilung bei ihren Zügen und Bussen nicht. Es spricht weniger dagegen, dass auf einem gemeinsam genutzten Schienennetz gewinnorientierte Zugunternehmen mehrere Komfort-Klassen anbieten, aber eben keine gemeinnützigen öffentliche Unternehmen. Sicher gibt es auch psychologische Aspekte, die einer genaueren Betrachtung wert sind. Kunden können die 1. Klasse bevorzugen nicht nur weil die Sitze bequemer sind und sie dort mehr Platz haben, sondern weil sie die Wahrscheinlichkeit höher einschätzen, nicht mit ihnen unangenehmen Zeitgenossen konfrontiert zu werden. Auch das ist nicht verboten, passt aber ebenfalls nicht wirklich zur Auffassung eines öffentlichen Unternehmens in einer demokratischen Gesellschaft. Ein staatliches Unternehmen sollte und hat ja vermutlich auch eine positive Grundeinstellung gegenüber den Bewohnern des Landes, in dem es wirkt, und teilt nicht die Einschätzung, dass Bürger vor einander geschützt werden müssen. Gerade der potentielle  Austausch aller mit allen hilft, die Gesellschaft zusammen zu halten und im politischen Diskurs die besten Antworten zu finden. Staatsbahnen sind Teil des öffentlichen Raums und ihr Potential als Begegnungsraum zwischen Menschen sollte positiv und nicht negativ gesehen werden und deshalb nicht eingeschränkt werden.

Mein Fazit ist, dass fast alles dafür spricht, dass Staatsbahnen ab sofort keine Züge mit mehreren Klassen mehr einkaufen, ihre Anforderungskataloge an und ihre Kommunikation mit Zugherstellern aktualisieren und auch einen Umbau vorhandener Züge unvoreingenommen prüfen.

 

 

sinnvolle Erweiterung der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, zur Habilitationsschrift von Michaela Haase - Institutionenökonomische Betriebswirtschaftstheorie

Zur Frage einer zweiten bedarfswirtschaftlich-nutzenmaximierenden Säule in der ABWL ergänzend zu einer erwerbswirtschaftlich-gewinnmaximierenden war es für mich inspirierend, in die Habilitationsschrift von Michaela Haase "Institutionenökonomische Betriebswirtschaftstheorie: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre auf sozial- und institutionentheoretischer Grundlage" zu sehen [Gabler Verlag, 2000]:

Haase schildert im Kapitel 2  "Ausgangssituation" eine Krise in der ABWL unter anderem dahingehend, dass in der Lehre und Forschung Spezialisierungen nach Branchen und betrieblichen Funktionen dominieren, aber auch hinsichtlich der Frage, ob sie Teil der Wirtschaftswissenschaft sei oder  Teil einer Verhaltenswissenschaft, welche selbst wieder in ihrer Ausrichtung umstritten sei.

Sieht man die ABWL als Teil der Wirtschaftswissenschaft an, die Theoriebildung betreibt, um der Praxis relevante normative Aussagen zur Verfügung stellen zu können, kann man fragen, zu welchen Aussagen die ABWL seit und mit Erich Gutenberg gefunden hat und ob diese den Aufwand lohnen, wozu diese dienen können als allgemeiner Orientierungsrahmen und/oder weitergehend, ob sie immer noch eine gewisse Originalität haben. Eine Aussage bei Gutenberg war zum Beispiel, dass, wenn in einer Marktwirtschaft Produktionsfaktoren relativ breit verfügbar sind, und es viele potentielle Konkurrenten gibt, der Engpass zur Gewinnerzielung weniger in der Leistungserstellung als beim Absatz der Leistung an die Kunden liegt und dass deshalb das Produktionsprogramm dem Absatzplan folgen sollte und nicht umgekehrt. Dies gilt aber nur insoweit die Produkte verschiedener Unternehmen sich nur wenig unterscheiden und auch durch eine weitere Entwicklung wenig unterscheidbar gemacht werden können. Aktuell gibt es sicher wieder sehr viele Chancen, Produkte dadurch unterscheidbar zu machen, dass sie klimaneutral hergestellt werden und sichergestellt wird, dass in Vorstufen der Herstellung ebenfalls Klimaneutralität, sorgsamer Umgang mit Ressourcen, hohe Umweltschutzstandards aber auch gute Arbeitsbedingungen erfüllt werden. Bei der bei Haase diskutierten Spannung zwischen einer relativ aussagearmen ABWLund deren Verdrängung durch funktionale und sektorale BWLs fehlt erstaunlicherweise die Beobachtung, dass es unternehmensmorphologische unterschiedliche Verhältnisse in der BWL gibt, nämlich ob eben Unternehmen hauptsächlich auf Gewinnerzielung und Rendite ausgerichtet sind wie normale GmbHs und Aktiengesellschaften oder einen eher gemeinnützigen Charakter haben wie öffentliche Unternehmen, Stiftungsunternehmen, Unternehmen sozialer Träger wie zum Beispiel von Kirchen oder auch Genossenschaften als Selbsthilfevereine. Dass dies in der Diskussion in obigem Buch nicht vorkommt, könnte darauf hindeuten, dass die mögliche Stärkung der ABWL durch ein Zwei-Säulen-Modell hier auch in Bezug auf inhaltliche Aussagen wieder mehr Gewicht verleiht, weil sowohl die Gewinnmaximierung als auch die Nutzenmaximierung aus Nutzersicht zwei gleichberechtigte Zielgrößen darstellen, an der sich dann weitere normative Aussagen der ABWL orientieren können. 






Sonntag, 15. August 2021

Meine Auseinandersetzung mit dem Buch "Auf dem Weg zu einer Green Economy"

Zunächst hatte ich das Buch "Auf dem Weg zu einer Green Economy - Wie die sozialökologische Transformation gelingen kann" von Walter Kahlenborn, Jens Clausen, Siegfried Behrendt, Edgar Göll (Hg.) mit großen Interesse gelesen. Besonders gefiel mir die Entdeckung, dass es drei Grundprinzipien gibt, die die Basis bilden können, um Wirtschaft und Ökologie zu integrieren: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz, siehe mein Blog-Artikel hier. Vielen Dank auch an die Autoren, dass sie das Buch kostenlos online verfügbar gemacht haben.

Ich wunderte mich allerdings, dass ich darin nichts dazu fand, dass Genossenschaften Nachhaltigkeit leichter fällt als Aktiengesellschaften, da ihnen der Druck zu Rendite und Gewinnmaximierung fehlt. Ihr Zweck ist ja die Förderung der Wirtschaft ihrer Mitglieder durch das Angebot von Produkten und Dienstleistungen.

Das Buch will Antworten geben, wie eine gute Umweltpolitik aussieht, die zu einer Transformation der Wirtschaft in die Nachhaltigkeit führt. Da erscheint es mir naiv und unwissenschaftlich, gar nicht auf des Grund-Paradigma der Gewinnmaximierung der Betriebswirtschaftslehre und der Wirtschaftswissenschaft insgesamt einzugehen. Eigentlich müsste man darlegen, inwieweit es zu ändern ist. Oder man hofft, dass die Unternehmen schon mitspielen im Rahmen von Prinzipien guter Unternehmensführung und ansonsten über harte Regulierung dazu gezwungen werden. Hier wäre das Buch dann aber widersprüchlich, da es viel davon handelt, wie Transformationen ganzheitlich angestossen werden können. Die Forschung, die hierzu dargelegt wird, ist sehr interessant und die Erfolgsfaktoren für funktionierende Veränderungsprozesse ebenso, aber das derzeit in der Betriebswirtschaftslehre und in Bezug auf "normale" Unternehmen in der Mikroökonomie  dominierende Gewinnmaximierunspostulat (Ausnahmen können müssen aber nicht sein Genossenschaften, Stiftungsunternehmen, kirchliche oä Unternehmen und öffentliche Unternehmen) wird nur als ein Faktor unter vielen erwähnt im Gegensatz zur Ökonomie, wo es als das einzige gängige Ziel zugrunde gelegt wird.

Das Buch erklärt, dass und wie Pfadabhängigkeiten Veränderungen oft sehr erschweren. Es scheint aber  zu ignorieren, dass aktuelle Unternehmen in ihren jeweiligen Unternehmensformen und Zielausrichtungen damit selbst gravierende Pfadabhängigkeiten darstellen.

Es wäre gut, wenn ein Buch über die nachhaltige Transformation der Wirtschaft auch theoretisch zeigen kann, wie zum einen nachhaltigere Unternehmensformen wirtschaftlich erfolgreich und besser in einer neuen ökologischen Welt agieren können und wie eine Transformation von herkömmlichen Unternehmensformen möglich ist. So waren Aktiengesellschaften ursprünglich eine Art wirtschaftlicher Renditeverein und Kapitalsammelstellen. Über Crowdfunding gibt es heute eine andere Möglichkeit,  Kapital für Unternehmen zu sammeln, die Rendite und Nachhaltigkeit ausgewogen berücksichtigen wollen oder noch überzeugender in Form von Genossenschaften gar nicht auf Gewinnmaximierung ausgelegt sind. Dieses Feld genauer zu untersuchen, halte ich für geboten in der derzeitigen Situation und das hätte ich erwartet von einem Buch mit dieser Themensetzung.

Ein Gegenargument zu meiner Kritik könnte sein, dass es ja Aktiengesellschaften gibt, die deutlich auf Nachhaltigkeit setzen wie zum Beispiel Unternehmen, die am The Climate Pledge teilnehmen wie Amazon, die bis 2040  (immer noch deutlich zu spät aber besser als 2050, 2040 enstpricht dem Ziel von Österreich ggü Deutschland und USA mit 2050 und China mit 2060) klimaneutral sein wollen oder Microsoft, die laut eigener Aussage seit 2012 als klimaneutral gelten und es bis 2050 hinbekommen wollen, alle CO2 Emmissionen ihrer Unternehmensgeschichte nachträglich zu kompensieren. Ökonomisch ist das schwer herleitbar und deshalb bleibt unklar, ob bei weniger in der Öffentlichkeit exponierten Unternehmen auf breiter Linie ebenso gehandelt würde. Es kann natürlich immer Unternehmer/innen geben, die ein Unternehmen mit ihren persönlichen Priortäten dominieren, auch Aktiengesellschaften über entsprechende Mehrheitsverhältnisse oder informell, aber dies ist willkürlich. 

Blicke in die Praxis zeigen zum einen, dass viele Unternehmen von sich aus klimaneutral werden wollen wenn auch eine Minderheit. In Deutschland sind es laut bitcom 46%, davon 33% rechtzeitig (bis 2030; genauer 22% dieser 46% bis 2025 und 50% der 46% in 2026-2030). Eine andere Untersuchung zeigt dagegen, dass Mitarbeiter bei klein- und mittelständischen Unternehmen auf dem Land zwar Klimaschutz wichtig finden, in ihren Entscheidungen aber eigene Interessen bei der Wahl eines Arbeitgebers im Zweifel dominieren. Selbst bei jungen Menschen (Auszubildende und Studenten/innen seien es eine Minderheit (37%), denen ökologisches Engagement ihres Arbeitsgebers wichtig oder sehr wichtig sei. Ein Negativ-Beispiel ist die Unternehmensberatung Accenture, 569.000 Mitarbeiter, die zwar viele Worte macht und anscheinend auch Unternehmen zu Nachhaltigkeit beraten will sogar unter der Überschrift "Path to net zero", also der Pfad zu nettonull, aber für sich kein Ziel nennt, bis wann sie Klimaneutralität erreichen will. Dass dies nicht nur der Branche geschuldet ist mit einer hohen Reisefrequenz mit Flügen von Beratern/innen zeigt der Konkurrent Cap Gemini, 270.000 Mitarbeiter, der Klimaneutralität 2030 erreichen will.

Fazit: Insgesamt halte ich das Buch für sehr lesenswert aber in einem zentralen Punkt für unfertig.

 

Samstag, 14. August 2021

Fallstrick gemeinwohlökonomischer Betrachtungen

Ohne hier darauf einzugehen, was unter Gemeinwohlökonomie verstanden werden kann, bekam ich beim Querlesen eines Sammelbandes (1) zum Thema aus den 1970er Jahren eine Idee, welcher Fallstrick bei dem Thema lauert.

Ich vermute viele Autoren und Aktivisten damals und heute (2) hoffen, einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu finden oder suchen eine Möglichkeit einen funktionierenden Sozialismus zu finden. Sie suchen Gestaltungsmöglichkeiten und wollen dazu konzeptionelle Grundlagen schaffen.

Das Problem scheint mir zu sein, dass sie dabei übersehen, dass es bereits einen dritten Weg gibt, der funktioniert: bedarfswirtschaftlich ausgerichtete Genossenschaften, die keine Gewinn- und Renditemaximierung betreiben, sondern sich am Nutzen ihrer Abnehmer ausrichten (ausführlich siehe zum Beispiel hier). Ich glaube es ist beim Prüfen von Konzeptionen zur Gemeinwohlökonomie oder Gemeinwirtschaft wichtig zu verstehen, ob die jeweiligen Autoren/innen die Potentialentfaltung einer bestimmten Unternehmensform ermöglichen wollen unter Einhaltung des Prinzips der Gewerbefreiheit oder von außen regeln oder Druck aufbauen und auf Unternehmen Einfluss nehmen wollen. Es steht ja bereits jedem frei gemeinwohlökonomische Unternehmen zu gründen und sich dazu mit anderen zusammen zu schließen oder das eigene Investitions- und Kaufverhalten danach auszurichten. Und auch Staaten und Kommunen können Unternehmen für bestimmte Zwecke gründen und tun dies ja auch insbesondere in Bereichen in denen das Sinn macht weil ein Monopol ökonomisch und gesellschaftlich sinnvoll ist solange es nicht auf der Preisseite die Nutzer ausnutzt (hohe Kosten für Infrastruktur, bei denen mehrere parallele Strukturen unökonomisch wären).

Ein mögliche Kritik an meiner Behauptung mit Genossenschaften gäbe es bereits einen dritten Weg könnte sein, dass dieser offenkundig noch nicht breit genug gegangen wird, um massive gesellschaftliche Auswirkungen zu haben. Ich denke tatsächlich, dass Genossenschaften erst am Anfang ihres Aufstieges als sinnvolle weil nachhaltige und sozial positive Unternehmensform stehen und man auch nicht den Anspruch haben sollte, alles über Unternehmensformen zu lösen. Der Schutz der Umwelt und soziale Ausgewogenheit sollte in einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft über die Parlamente als Gesetzgebungsinstitutionen erfolgen.

(1) "Gemeinwirtschaft" im Wandel der Gesellschaft, Festschrift für Hans Ritschl u.a. mit Beiträgen von Theo Thiemeyer, Burkhardt Röper und Gisbert Rittig

(2) am populärsten Christian FelberGemeinwohl-Ökonomie ab circa 2010

Donnerstag, 10. Juni 2021

Warum die liberale Genossenschaftsidee besser ist als eine vergemeinschaftende/staatliche/sozialistische

In seiner Dissertation über die genossenschaftliche Rückvergütung in Wohnungsunternehmen grenzt Klaus-Peter Hillebrand deutsche Genossenschaften "vom Modell der economie sociale romanischer Provenienz" ab (S. 97 bzw. S. 149). Ein Blick in das französische Wikipedia zeigt, dass es in Frankreich tatsächlich eine weitreichende, wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Ansatz von Sozialunternehmen gab, die sich von der deutschen liberaleren Prägung der Genossenschaftswissenschaft deutlich unterscheidet. Ich möchte hier auf zwei Unterschiede aufmerksam machen zwischen beiden Ansätzen und Aussagen machen, was wir jeweils daraus lernen und nutzbar machen können für die Praxis in Genossenschaften.

1. von Frankreich lernen: sinnvolle Leitprinzipien

Ein Vorteil des französischen Ansatzes liegt darin, dass er klare Prinzipien benennt, die in der Praxis immer wieder als Leitlinien herangezogen werden können. Etwas Ähnliches ist in Deutschland nicht gesetzlich verankert. Ich selbst habe zwar ebenfalls Prinzipien (für Wohnungsgenossenschaften) benannt mit der Hamburger Erklärung; diese haben aber keine Gesetzeskraft erlangt und sind soweit ich weiß auch nicht in einen Corporate Governance Kodex für Genossenschaften eingeflossen (noch nicht;)) und werden auch von der Genossenschaftspraxis bisher wenig diskutiert.

Bei Wikipedia wird für den französischen Ansatz als Prinzip benannt, dass "das Menschliche Vorrang vor dem Kapital haben soll" [la primauté de l’humain sur le capital]. Dass dies in der Praxis in Deutschland mitunter unter die Räder kommt, zeigt das Beispiel einer Wohnungsgenossenschaft, das mir zugetragen wurde. Dort wurde vom Vorstand das Ziel einer Eigenkapitalrendite von 4% vorgegeben auch in Zeiten, als das allgemeine Zinsniveau für Immobilienkredite unter 2% fiel. Hintergrund war, dass in der Satzung eine angemessene Eigenkapitalrentabilität gefordert wurde, etwas was nach meiner Einschätzung in der Satzung einer Genossenschaft mit Privathaushalten als Mitgliedern und Nutzern nichts zu suchen hat. Im konkreten Fall der Genossenschaft bestand bereits über 60% der Bilanzsumme aus Eigenkapital. Da satzungsgemäß nur 4% Dividende auf das Nennkapital, nicht das bilanzielle Eigenkapital an die Mitglieder ausgeschüttet werden konnte, führte das zu der erstaunlichen Situation, dass Jahr für Jahr 90% der Jahresgewinne als weitere Rücklagen dem Eigenkapital zugeführt wurden. Da der Vorstand an seiner Bewertung festhielt, dass die Angemessenheit konstant bei 4% läge und Aufsichtsrat und Vertreterversammlung ihm mehrheitlich folgten, stieg damit die Anforderung an den neuen Jahresgewinn von Jahr zu Jahr. Die Mitglieder mussten also jedes Jahr mehr Einnahmen aus Nutzungsbeiträgen (Mieten) erwirtschaften, obwohl die Fremdkapitalzinsen immer niedriger wurden und eigentlich Nutzungsbeitragsenkungen möglich gewesen wären.  Das führte dazu, dass das Unternehmen begann in Geld zu schwimmen und in Immobilien investierte, die für die eigenen Mitglieder wenig attraktiv waren.

 In Artikel 1 des französischen Gesetzes heißt es zu Prinzipien:

"La coopérative est une société constituée par plusieurs personnes volontairement réunies en vue de satisfaire à leurs besoins économiques ou sociaux par leur effort commun et la mise en place des moyens nécessaires.

Elle exerce son activité dans toutes les branches de l'activité humaine et respecte les principes suivants : une adhésion volontaire et ouverte à tous, une gouvernance démocratique, la participation économique de ses membres, la formation desdits membres et la coopération avec les autres coopératives."

in meiner Übersetzung mit Hilfe von google translator und deepL

"Die Genossenschaft ist eine Gesellschaft, die von mehreren Personen gegründet wird, die sich freiwillig zusammengeschlossen haben, um ihre wirtschaftlichen oder sozialen Bedürfnisse durch gemeinsame Anstrengungen und die Schaffung der erforderlichen Mittel zu befriedigen. Sie übt ihre Tätigkeit in allen Bereichen der menschlichen Tätigkeit aus und respektiert folgende Grundsätze: freiwillige Mitgliedschaft und Offenheit für alle, demokratische Leitung, wirtschaftliche Beteiligung ihrer Mitglieder, Ausbildung dieser Mitglieder und Kooperation mit anderen Genossenschaften."

Ich weiß nicht inwieweit diese Prinzipien tatsächlich durchsetzbar sind und ob dies durch ihre Nennung im Gesetz beabsichtigt war. So bekommen sie auf jeden Fall mehr Gewicht und sind besonders für alle Mitglieder von Genossenschaften als Orientierung sichtbar und können helfen, Genossenschaften wieder dahin zu bringen, das zu machen, wofür sie einmal gegründet wurden. Man sollte jedoch auch bereit sein im Einzelfall zu schauen, inwieweit ein Prinzip hilfreich ist oder schadet. Wenn eine Wohnungsgenossenschaft zum Beispiel bereits viele Mitglieder hat, die noch eine Wohnung benötigen, macht es wenig Sinn weitere Mitgliedschaften zuzulassen. Oder ein Softwareberatungs- und Unternehmensberatungsunternehmen, das als Produktivgenossenschaft geführt wird, wird sich nicht unbedingt für andere Mitglieder öffnen können, die nicht auch auf der Arbeitsebene eine gute Ergänzung sind. Gut  gefällt mir die Idee der Ausbildung der Mitglieder. Das heißt, man versucht sie ins Boot zu bekommen nicht nur als formale Mitentscheider sondern ihre Kompetenz zu erhöhen. Auch wenn sie in Deutschland Mitunternehmer sind kann das motivieren der Tendenz entgegenzuwirken für sie alles zu regeln, so dass sie sich in einer passiven Rollen finden und sich gar nicht mehr zutrauen, unternehmerisch mit zu entscheiden. Auch die Idee mit anderen Genossenschaften zu kooperieren, auch in der gleichen Branche, ist gar nicht so selbstverständlich. In einem konkreten Fall sprach sich ein Mitglied einer Genossenschaft dagegen aus, dass ein anderes Mitglied einer sich neu gründenden Genossenschaft beratend zur Seite stand.

 2. von Deutschland lernen: das Minimalkostenprinzip im deutschen Genossenschaftsverständnis ist im Gegensatz zum französischen Gießkannenprinzip wirtschaftlich effizient und damit nutzenmaximierend und nachhaltig

In einem sehr empfehlenswerten Buch über nachhaltiges Wirtschaften [Walter Kahlenborn u.a. "Auf dem Weg zu einer Green Economy : wie die sozialökologische Transformation gelingen kann"] wird benannt, dass umweltfreundlich/nachhaltig agierende Unternehmen drei Kriterien erfüllen müssen: Sie müssen 1. effizient, 2. suffizient und 3. konstistent/widerspruchsfrei sein. Dabei geht es nicht um Perfektion aber darum, in allen drei Bereichen so gut wie möglich zu werden.

Bei Wirtschaftsunternehmen heißt effizient, dass mit eingesetzten Ressourcen nach dem ökonomischen Prinzip umgegangen wird. Bei Genossenschaften als bedarfsdeckenden Unternehmen bedeutet das die Erfüllung von Grundbedarfen nach dem Minimalkostenprinzip/Haushaltsprinzip anzustreben. So wird der Ressourceneinsatz minimiert und die Ersparnisse für privaten Haushalte maximiert. Dabei sind die Mitglieder der Genossenschaft Mitunternehmer, Teilhaber, Nutzer und Kapitalgeber und decken ihre Grundbedarfe in einem bestimmten Produktbereich durch die selbstorganisierte und selbstverwaltete Organisation eines Geschäftsbetriebes.

Im Deutschen Genossenschaftsgesetz kommt dies unter anderem dadurch zu Geltung, dass §19 regelt, dass alle Überschüsse am Ende einer Rechnungsperiode, die jährlich ist" an die Mitglieder auszuschütten bzw. defakto zurückzuzahlen ist (mit der Einschränkung, dass die Satzung etwas anderes regeln kann). Dafür eignet sich inbesondere die Form der genossenschaftlichen Rückvergütung. Im Französischen Genossenschaftsgesetz ist es genau umgekehrt. Hier gilt der Grundsatz, dass etwaige Überschüsse im Unternehmen als Rücklagen verbleiben sollen mit der Möglichkeit in der Satzung etwas anders zu regeln [eine ausführlichere Darstellung der französischen Ideen und gesetzlichen Regelungen zu Genossenschaften findet sich bei Beuthien Volker, Klappstein, Verena "Sind genossenschaftliche Rücklagen ein unteilbarer Fonds?", S. 77-79]. In Frankreich wird also angenommen, dass mehr Rücklagen mehr Unternehmensaktivität in der Zukunft erlaubt und das vorzuziehen ist. Das ist ein expansiver und letztlich sogar unendlich expansiver Ansatz. Er ist damit grundsätzlich auf eine unendlich hohen Ressourcenverbrauch angelegt und widerspricht dem Minimalkostenprinzip. Diese expansive Ausrichtung ist zur Deckung von Grundbedarfen wenig sinnvoll. Wie schon Goethe sagte in Hermann und Dorothea "Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig" siehe auch mein Artikel zu Brodbeck und Marshall. Der Deutsche Ansatz nimmt von Mitgliedern so wenig wie möglich und so viel wie nötig und maximiert das Ihnen verbleibende Haushaltseinkommen und überlässt es ihnen, was sie damit machen wollen. Sie können es immer noch für wohltätige Zwecke spenden wenn Ihnen ihre Genossenschaft zu mitgliederorientiert handelt, sie können es ansparen oder für Dinge ausgeben, wo sie einen anderen Grundbedarf haben oder um sich Wünsche zu erfüllen, die weiter oben in ihrer individuellen Zielhierarchie angesiedelt sind, siehe Maslowsche Bedürfnisshierachie (Ausdruck ist ungenau, da hier Wünsche als Bedürfnisse bezeichnet werden).

Da Genossenschaften für Privathaushalte von ihrer Grundstruktur her bedarfswirtschaftlich sind, sind sie tatsächlich eine Form von Subsistenzwirtschaft im Sinne des oben verlinkten Wikepiedia-Artikels.

Was ich hier in meinem Blog zu leisten versuche und was die genossenschaftliche Betriebswirtschaftslehre und die bedarfswirtschaftliche Säule innerhalb der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre leisten können, ist Effizienz und Sufizienz widerspruchsfrei zusammen zu bringen bzw. die Widersprüche so klein wie möglich zu bekommen, ohne die Handlungsfreiheit in der Praxis über Gebühr zu beschränken, eben Theorie und Praxis als Teil eines Ganzen zu sehen und fortzuentwickeln bzw. sie weiter zu entfalten zum dem, was in der Genossenschaftsidee und dem Ansatz von öffentlichen Unternehmen und Stiftungsunternehmen  angelegt ist.



Freitag, 4. Juni 2021

Wohnungsgenossenschaftliche Fingerübung 1

Viele traditionsreiche Wohnungsgenossenschaften in Deutschland (hier im weiteren als Woges abgekürzt) haben sich über Jahrzehnte zu normalen gewinnorientierten Unternehmen entwickelt und dabei besondere Potentiale von Genossenchaften wie die bestmögliche wirtschaftliche Förderung ihrer Mitglieder aus den Augen verloren. Genossenschaften sind vom Ansatz her bedarfswirtschaftliche Unternehmen, die darauf angelegt sind, Grundbedarfe zu decken, statt immer neue Möglichkeiten zu entdecken über besondere Angebote höhere Nachfrage und höhere Preise zu erzielen und damit hohe Gewinne und Renditen zu erwirtschaften. Damit sind Genossenschaften potentiell  besser geeignet zu einer umweltfreundlichen Wirtschaft beizutragen, die langfristig das Überleben der Menschheit und anderer Lebensformen auf der Erde sichert, als gewinnorientierte Unternehmen.

Hier soll ein aus der Praxis kommendes Gegenargument gegen eine "streng" genossenschaftliche Unternehmenspolitik in Woges aufgeführt und widerlegt werden:

Argument:

Eine echte Kostenmiete auf Selbstkostenbasis führt dazu, dass Wohnungen in Altbauten sehr niedrig Genossenschaftsmitgliedern zur Nutzung überlassen werden können und neuere Wohnungen bei den heutigen Grundstückspreisen und Baukosten vergleichsweise teuer angeboten werden müssen. Das ist ungerecht und kann dazu führen, dass Mitglieder, die noch keine Wohnung haben, sich gar keinen genossenschaftlichen Wohnraum leisten können oder eben sehr viel mehr zahlen müssen als Genossen, die in alten Wohnungen wohnen. Es entsteht eine Zweiklassengesellschaft.

Hintergrund und Widerlegung:

Menschen, die im Eigentum wohnen, sind Preissteigerungen im Bausektor naturgemäß weniger stark ausgesetzt als Menschen, die zum Beispiel neu in eine Stadt kommen und Wohnraum suchen. Genossenschaften als Teilhabegemeinschaften am Eigentum vieler Wohnungen haben eine Stellung, die näher bei Eigentümern von Häusern und Eigentumswohnungen steht als bei Mietern. Wer in Wohneigentum zieht, nimmt damit aber auch Nachteile in Kauf. 

In der Regel akzeptiert ein Haus- oder Wohnungseigentümer einen bestimmten Wohnstandard als gegeben und akzeptiert, dass dieser sich über die Zeit nicht weiter verbessert, während neuere Häuser komfortabler sind. Auch hat er Unwägbarkeiten, wann er wie viel in Instandhaltung und energetische Sanierung investieren muss. Außerdem geht er bei Einzug oft an seine finanzielle Belastungsgrenze durch Aufnahme eines Kredites, wird dann aber damit belohnt, auf sehr viele Jahre die Sicherheit zu haben, keiner Steigerung seiner monatlichen Ausgaben für sein Wohnen ausgesetzt zu sein. Woges können diese Vorteile grundsätzlich ähnlich bzw sogar noch besser anbieten: kauft jemand eine neue Eigentumswohnung oder ein neues Haus, muss er auch die Gewinnmarge des Vermarkters bezahlen. Woges können dadurch, dass sie eigenes Immobilien-Know-How aufbauen, sowohl im Bereich Neubau als auch im Bereich Wohnungsinstandhaltung, diese Leistungen effizient und zu Selbstkosten realisieren und müssen darauf keine Rendite erwirtschaften. 

 Traditionsreiche Woges können beides anbieten, 

- sehr günstige Altbauwohnungen mit bescheidenem Wohnkomfort und dem Risiko, dass das niedrige Niveau nicht dauerhaft gehalten werden kann weil energetisch saniert werden muss und 

- Neubauwohnungen, die sehr viel teurer sind aber immer noch leicht unter den Marktpreisen für Neubauten liegen, weil sie damit ja keine Rendite erzielen wollen wie gewinnorientierte Vermieter. 

Durch Versterben von Mitgliedern oder Wegzug werden immer wieder Altbauwohnungen frei für unversorgte Mitglieder. Dass Neubauwohnungen leicht unter Marktpreisen angeboten werden können, also auf der Nachfrageseite es offenkundig sehr viele Menschen gibt, die genügend Einkommen haben, ist zumindest ein Indiz dafür, dass für einen Teil der Mitglieder der jeweiligen Woge auch Neubauten eine interessante Option sind.  

Betriebswirtschaftlich führt dabei die Kalkulation der Nutzungsentgelte für alle Wohnanlagen auf Basis der Selbstkosten dazu, dass keine Wohnanlage Verluste macht und keine das Risiko für die Genossenschaft erhöht. Schafft man hingegen einen permanten Ausgleich, indem alte günstige Wohnungen teurer als nötig vermietet werden und neuere subventioniert werden, handelt man betriebswirtschaftlich fahrlässig und entgegen dem Prinzip des vorsichtigen Kaufmanns: dann würde eine weitere Bautätigkeit immer riskanter, weil immer mehr Wohnanlagen als Verlustbringer ins Wohnungsportfolio hereingenommen werden. Fallen dann bisherige Gewinnbringer (Cash cows) weg, weil Altbauten zum Beispiel aufgrund gesetzlicher Vorgaben und angesichts einer drohenden Klimakatastrophe CO2-neutral saniert werden müssen, kann das ganze Unternehmen in die Verlustzone geraten, von Insolvenz bedroht sein bzw. davon bedroht sein, ein Teil des Wohnungsbestandes zum Nachteil der dort wohnenden Mitglieder verkaufen zu müssen.

Ergänzung zum 05.06.2021

Gestern merkte ein Leser mir gegenüber an, dass das Risiko der Insolvenz theoretisch richtig sei aber praktisch keine Relevanz habe, da die betroffene Genossenschaft ja die Nutzungsbeiträge erhöhe könne. Spannend bei Neubaunutzungsbeiträgen in Genossenschaften ist es, auf die Perspektive der Nutzer zu schauen. Sie haben als Miteigentümer das Potential ihre Haushaltsausgaben im Bereich Wohnen auf lange Sicht konstant zu halten. Indem sie eine Immobilie nutzen, die auf der Höhe der Zeit ist, wäre es normal, wenn diese Ausgaben für 10, 15 ja vielleicht sogar 20 Jahre nicht weiter steigen würden. Kalkulieren Genossenschaften Preise unter den tatsächlichen Selbstkosten und müssen sie diese erhöhen, um eine Insolvenz zu vermeiden, wird den Mitgliedern dieser Vorteil genommen. Man hat ihnen eine Möglichkeit angeboten, die gar nicht langfristig sicher durchhaltbar war. Wichtig ist hier Transparenz der tatsächlichen Selbstkosten für die Mitglieder, die ja auch Mitunternehmer sind. Außerdem kann sich auch in der Praxis die Nachfragesituation auf Wohnungsmärkten ändern. Sollte die Nachfrage nach Wohnraum auf einem bestimmten Wohnungsmarkt sinken, zum Beispiel wegen einer großen Wirtschaftskrise mit Unternehmensinsolvenzen und Wegzug von Bewohnern und/oder wegen einer Pandemie mit stark ansteigenden Sterbezahlen in der Bevölkerung, kann es passieren, dass im Neubaubereich die Marktmieten sogar sinken. 

Hier wird eine weitere interessante Frage deutlich. Genossenschaften haben bei der Kalkulation der Nutzungsbeiträge von Neubauten zwei Möglichkeiten: Sie können nach dem Selbstkostenprinzip alle erkennbaren Kosten einkalkulieren oder sie beginnen mit niedrigeren Beiträgen und planen nach ein paar Jahren Steigerungen ein, wie sie sie für den allgemeinen Mietmarkt erwarten. Aus Nutzersicht hat letzteres den Vorteil, dass die Beiträge am Anfang niedriger sind. Dafür müssen sie danach aber deutlich gesteigert werden. Man muss ja das wieder aufholen, was man sich erlaubt hat, vorher nicht einzunehmen. Nutzer und Genossenschaft können nun argumentieren, dass sie künftig wahrscheinlich höhere Einnahmen haben werden, weil Gehälter oder Renten steigen werden. Das setzt Menschen unter Druck, da es nicht sicher ist, dass es so kommt. Es gab bei Renten Zeiten (zum Beispiel um 2010), als mehrere Jahre hintereinander die Renten konstant blieben. Das passiert gerade wieder und kann weiter vorkommen. Und auch Gehaltsteigerungen sind nicht sicher. Wenn ich eine Arbeitsstelle verliere oder selbst kündige, weil ich unglücklich bin und mich umorientieren will, ist es eine zusätzliche Belastung, wenn in dieser Zeit die Nutzungsbeiträge erhöht werden. Eine solide Haushaltswirtschaft würde hier keine Risiken eingehen und will von Beginn an wissen, was etwas kostet und will, dass dies in den Preisen, hier den Nutzungsbeiträgen, auch transparent wird. Wenn mein Einkommen dann steigt schön, aber ich will mich nicht davon abhängig machen später höhere Einnahmen erzielen zu müssen. Deshalb glaube ich, dass für Genossenschaften auch hier das Selbstkostenprinzip nicht verwässert werden soll und die Nutzungsbeiträge von Anfang an alle erkennbaren Kosten abbilden sollte. In der Praxis bedeutet das, dass die Anforderungen an die Genossenschaft steigen, einen guten Mix zu finden für ihre Mitglieder an einem bestimmten Wohnungsangebot zu attraktiven Kosten. Sie muss sich womöglich viel Arbeit machen und in einen engen Austausch mit Mitgliedern gehen, um das Niveau an Bauleistungen zu finden, das die Mitglieder mit einem Wohnungsbedarf sich dauerhaft leisten wollen und können und Bauunternehmen finden, die dies kosten- und qualitätsseitig realisieren können. 

Mir ist derzeit nicht bekannt, ob es eine Ausformulierung einer guten Privathaushalts-Wirtschaftslehre gibt, die in die Wirtschaftswissenschaften, genauer die Mikroökonomie, integrierbar ist. Dort gibt es ja bisher Ansätze wie consumer choice theory, mathematische Modelle wie die Budgetgerade usw. Die genossenschaftliche Betriebswirtschaftslehre - und mit ihr die allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit einer bedarfswirtschaftlichen Säule - würde, denke ich, davon profitieren, sich mit einer lebensnahen aussagekräftigen, aber auch theoretisch fundierten Privathaushalts-Wirtschaftslehre zu koordinieren, da auch sie die Nutzenmaximierung der Haushalte der Mitglieder verfolgen sollte. Letztlich müssen wir auch als Menschheit auf diesem Planeten mit seinen endlichen Ressourcen haushalten. Hierin liegt vielleicht das große Geschenk, das Genossenschaften der Welt neben ihrem eigentlichen Zweck machen können, dass sie mit allen diesen Bereichen kompatibel sind und mit Kooperation und Selbstorganisation selbst Prinzipien verkörpert, die auch im kleineren (Privathaushalt) und größeren Ganzen (Planet) langfristig sinnvoll sind und das Potential in sich tragen ihn und uns auf einen höheren Entwicklungsstand zu heben, uns voll zu entfalten, zu dem was wir sind bzw. was in uns schon immer angelegt war.