Montag, 28. September 2020

ökologisch-soziale Marktwirtschaft von innen UND außen entfalten

Eigentlich wollte ich in diesem Beitrag nur auf einen lesenswerten Artikel von Hermann Simon in der Frankfurter Allgemeinen vom 21.09.2020 antworten. Jetzt sehe ich, dass der Anlass es wert ist, den Blick zu weiten auf die Frage, wie wir als Menschheit weiter auf diesem Planeten existieren können, ohne das Leben darauf an die Wand zu fahren. 

Wenn Sie meinen Text gelesen haben, werden Sie zwei wichtige Schritte in die richtige Richtung besser kennen und einschätzen können.

Hermann Simon, ein emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaft und renommierter Unternehmensberater, schreibt in seinem Artikel "Es gibt nur einen richtigen Gewinn

Gewinnmaximierung sei nichts anderes als das Gegenteil von Verschwendung. "Denn sie strebt an, eine bestimmte Leistung mit minimalem Ressourceneinsatz, also möglichst ohne Verschwendung oder "Blindleistung" zu erbringen. Oder bei umgekehrter Betrachtung, aus einem gegebenen Ressourceneinsatz die größtmögliche Leistung herauszuholen." Er führt weiter aus: "Nichts anderes besagt die theoretische Grenzerlös=Grenzkosten-Bedingung für den maximalen Gewinn. Gewinnmaximierung ist Minimierung von Verschwendung und insofern vom Ansatz her resourcenschonend, nicht Resourcen verschwendend und führt damit gleichzeitig zur optimalen Wohlstandsleistung". 

Gut und richtig an dieser Aussage ist es, Gewinnmaximierung in den Dienst einer bestmöglichen Resourcennutzung zu stellen. Thomas Sowell hat in seinem Buch Basic Economics eindrücklich beschrieben, dass in einer staatlich-zentralen Planwirtschaft mit Preisvorgaben von oben nach unten genau dies nicht passiert und dadurch ein massive Blockierung von Ressourcen stattfindet. Wenn die Preisentdeckungsfunktion von Angebot und Nachfrage auf Märkten nicht genutzt wird, passiert genau das, Produktionsunternehmen kaufen um ihre Planungssicherheit zu optimieren zu viele Roh-und Hilfsstoffe ein und legen sie auf Halde, während sie an anderen Stelle fehlen und Produktion verhindert wird. 

Bei aller Kritik am Kapitalismus kann man sagen, dass nach der derzeitigen Empirie nur Marktwirtschaften vom Ansatz her in der Lage sind zu einer effizienten Ressourcenallokation zu kommen. Auch bei Wikipedia lässt sich das bündig nachlesen siehe Ressourcenallokation.

Allerdings führt eine Marktwirtschaft in die Katastrophe, wenn sie nicht in einem politischen Rahmen gezügelt wird, der für zwei Dinge sorgt: Zum einen gilt es für sozialen Ausgleich zu sorgen, damit öffentliche Güter wie Bildung, Existenzsicherung, politische Teilhabe allen zugänglich sind und  Vermögen und Einkommen fair verteilt sind und Ungleicheiten sich nicht aufschaukeln. Zum zweiten muss es möglich sein, für allgemeine externe Qualitäten wie Artenvielfalt und Güter wie Luft, Wasser, Klima Nutzungsverbote und soweit möglich Preise vorgegeben werden, damit diese nicht übernutzt oder zerstört werden.

Auf die Gefahren in diesem Bereich hatte der Mikrobiologe und Ökologe Garrit Hardin bereits 1968 hingewiesen in der Zeitschrift Science unter dem Titel die Tragik der Allmende. Hier werden die Grenzen individueller Gewinnmaximierung überdeutlich. Letztlich ist diese Frage so alt wie die Wirtschaftswissenschaft selbst. Deren Begründer, Adam Smith, hat in "Wohlstand der Nationen" schlüssig belegt, dass individueller Egoismus das Wohl aller mehrt. Er konnte das allerdings tun zu einer Zeit, 1776,  als die Menschheit noch nicht den ganzen Planeten an den Rand seiner Fähigkeiten gebracht hatte menschlichen Egoismus auszugleichen. 

So weit so gut. Heißt das nun, dass Hermann Simon zu folgen ist, dass indivduelle Gewinnmaximierung und die von Unternehmen im Rahmen einer öko-sozialen Marktwirtschaft unser Weg sein wird und sein sollte? 

Dies wäre nur die halbe Antwort. 

Bevor ich diese Antwort um wichtige Teilbereiche ergänze, möchte ich den Blick auf problematische Aspekte der Gewinnmaximierung richten, wie Hermann Simon sie beschreibt. Sein Artikel beginnt mit dem Satz: "Kaum jemand dürfte bestreiten, dass Gewinn die wichtigste Messgröße für unternehmerischen Erfolg darstellt." Und im zweiten Absatz:"Für mich gibt es nur eine relevante Gewinndefinition. Gewinn ist, was der Unternehmer (Eigentümer, Aktionär) behalten darf, wenn er alle vertraglich vereinbarten Ansprüche seiner Mitarbeiter, Zulieferer, Banken und sonstigen Gläubiger sowie des Staates erfüllt hat. Nur der Gewinn nach Steuern ist Gewinn". Dies sind klare Worte und es ist gut, dass sie so klar formuliert werden. Ein guter Teil unserer Entwicklung als Menschheit rührt aus einem Innovationsgeist, der auch von dieser Faszination beflügelt wurde, etwas zu unternehmen und dafür einen großen Rückfluss an Wohlstand für sich und seine Familie zu erreichen und daraus noch mehr gestalten zu können. Offenkundig problematisch daran ist, dass maximaler Gewinn keine natürliche Grenze hat und auch Attraktität von maximalem Gewinn nicht. Der Mensch ist kreativ genug, dass er auch mit einem Vermögen von 10 Milliarden oder 100 Milliarden oder 1000 Milliarden Euro noch etwas anzufangen wüsste, nicht mehr für sich indivduell, aber in der Form, dass er sich bestimmte Zwecke herausgreift, die er über Mäzenatentum unterstützt. Gewinnmaximierende Unternehmen sind deshalb darauf angelegt, Nachfrage zu vervielfältigen, selbst wo sich diese ihrer selbst gar nicht bewusst ist. Der oben von Hermann Simon zitierte Grenzerlös eines Produktionsunternehmens ist also keine feste Größe, sondern kann durch Produktioinnovationen und Produktvariationen, Marketing und Werbemassnahmen massiv erhöht werden. In einer perfekten ökosozialen Marktwirtschaft könnte der Ressourcenverbrauch, der damit einhergeht, vielleicht in ein vollständiges Stoffrecycling überführt werden, aber solange das nicht erfüllt ist, kann ein solches System dazu führen, dass wir die meisten Lebewesen auf diesem Planten uns eingeschlossen zu Tode wirtschaften.

Meine ergänzende Antwort zu Hermann Simon ist, dass es neben gewinnmaximierenden Unternehmen wie Aktiengesellschaften und GmbHs auch Genossenschaften gibt, die darauf angelegt sind, für ihre Mitglieder Nutzenmaximierung zu betreiben und keine Gewinnmaximierung,. Sie sind nicht auf Rendite ausgelegt, sondern sollten nur so viel Gewinn machen, dass sie nachhaltig weiterbestehen können (not-for-profit). Gerade in Bereichen der normalen Daseinsvorsorge wie Wohnen, Lebensmittelerzeugung und -bereitstellung, Energieversorgung und Pflege im Alter gibt es einen relativ klaren Grundbedarf bzw. Grundnutzen. Wird dieser nach dem genossenschaftlichen Selbstkostenprinzip im Rahmen einer Selbstorganisation zur Verfügung gestellt, ist es nach dem Minimalprinzip wirtschaftlich geboten, dies zu möglichst niedrigen Kosten zu realisieren. Auch dies führt demnach zu einer effizienten Resourcenallokation. Es gibt hier aber keinen systemimmanenten Expansionsdruck und somit auch keinen Wachstumsdruck wie in Aktiengesellschaften oder GmbHs.

Meine These ist somit, dass man zweigleisig fahren sollte und kann, um das Klima, die planetaren Ressourcen, die Artenvielfalt und damit das menschliche Leben künftiger Generationen zu schützen. Man sollte zum einen unsere Marktwirtschaft zu einer echten ökosozialen Marktwirtschaft ausbauen, die Grundfreiheiten wie Gewerbefreiheit, freie Berufswahl und die Tarifautonomie erhält und zum zweiten mehr Forschen und Fördern im Bereich von wirtschaftlichen Nutzergemeinschaften wie Genossenschaften, wirtschaftlichen Vereinen, Mietshaussyndikaten und Organisationen wie Buurtzorg. Ein Beispiel, wo dies nach meiner Einschätzung relativ gut gelingt, ist Zürich im Bereich Wohnen. Hier werden alle Wohnungsunternehmen bevorzugt behandelt, die sich an das Prinzip der Selbstkostennmiete halten. Dadurch bleibt privatwirtschaftliche Innovation weiter möglich, aber es gibt eine breite Basis für gemeinwohlorientiertes Wohnen, das dies auch inhaltlich und nicht nur dem Namen nach ist.

Zitat Stadtverwaltung Zürich:
" Als gemeinnützige Wohnungen im engeren Sinne werden gemäss Definition der Gemeindeordnung jene «Wohnungen im Eigentum von gemeinnützigen Wohnbauträgerinnen oder Wohnbauträgern» gezählt, «die ohne Gewinnabsichten dem Prinzip kostendeckender Mieten verpflichtet sind».
 
Quelle
 
Ausblick 1
 
Vielleicht finden sich ja ein paar Mäzene, die ein Forschung-, Beratungs- und Bildungsinstitut in diesem Bereich fördern wollen :) Ein linkes Forschungsinstitut hat vorgemacht, wie das gehen kann, das Frankfurter Institut für Sozialforschung , das von einem kapitalistischen Mäzen finanziert wurde ;)

Ausblick 2

Zur Frage, wie wir zu einer ökosozialen Marktwirtschaft gelangen, sehe ich als einzigen Weg, dass wir ergänzend zu unserem parlamentarischen System Bürgerinnenversammlungen durchführen, um im ersten Schritt die Klimakreise abzumildern und im zweiten Schritt einen Ökozid zu verhindern. Wolfgang Schäuble hat das Potential dieses Instrumentes mittlerweile erkannt und setzt sich dankenswerterweise als Bundestagspräsident dafür ein, siehe Bürgerräte.

Ausblick 3

Entsprechend der neueren Institutionenökonomik, dem Prinzipal-Agenten-Dilemma und der Tragik der Allmende maximieren große Genossenschaften nicht selbstverständlich den Nutzen ihrer Mitglieder. Elisabeth Voss als erfahrene Publizistin und Praktikerin spricht dies in Ihrem Video bei min 21:12 klar an. Nach meinem Eindruck am intensivsten hat sich die Wirtschafts-Nobelpreisträgerin Elinor Ostram mit diesen Fragen befasst. Dies verdient einen eigenen Blogpost. Auch hier werden analog zu Bürgerräten in Demokratien Mitgliederräte ins Spiel kommen.

Ausblick 4

Neben den beiden oben genannten Schritten gibt es einen weitergehenden Schritt. Es ist an der Zeit dass sich individuell und kollektiv das menschliche Bewusstsein erweitert und wir zu einem tieferen Verständis kommen wer wir sind und wie wir mit allen und allem verbunden sind. Daraus werden bessere Antworten auf aktuelle Herausforderungen formuliert werden als das früher der Fall war, individuell und kollektiv. Friday for Future ist dafür ein Beispiel. Die Corona Pandemie war für viele Anlass Dinge in ihrem Leben anderes zu bewerten. Otto Scharmer vom MIT mit seinem Presencing Institute, mit Theory U und deep listening ist in dieser Richtung unterwegs aber auch Ansätze die auf Ken Wilber basieren wie Soziokratie und Holokratie oder die Arbeit von Bernd Österreich mit seinem Ansatz der kollegialen Unternehmensführung und der systemischen Organisationsentwicklung.



Mittwoch, 19. August 2020

Ein wichtigter Meilenstein für deutsche Wohnungsgenossenschaften auf dem Weg zur vollen Potentialentfaltung der Genossenschaftsidee

Wenn Sie diesen Artikel gelesen haben, werden Sie verstehen, warum es ein wichtiger Meilenstein für eine gute wohnungsgenossenschaftliche Praxis ist, das Prinzip der Kostenmiete grundsätzlich anzuerkennen und welcher Schritt erforderlich ist, falls man damit weitere ideele Ziele in Einklang bringen will.

Korrektur vom 20.08.2020: Der Passus mit der Intergration um weitere ideele Ziele hat sich als falsch erwiesen und wird korrgiert, Details siehe unten

Ich hatte das Prinzip der Kostenmiete im  März 2019 allgemein für Genossenschaften benannt als Verursacherprnizip http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2019/03/ und war davon ausgegangen, dass dies allgemein akzeptiert wird. In Diskussionen mit Mitgliedern von Genossenschaften zeigt sich jedoch, dass dieses Prinzip nicht nur Fürsprecher hat.

Außerdem gibt es Anzeichen, dass viele große deutsche Wohnungsgenossenschaften (Woges) im Gegensatz zu ihren Schweizer Pendants weniger stark auf die wirtschaftliche Förderung ihrer Mitglieder ausgerichtet sind. Dafür haben sich aber in Deutschland viel mehr große Woges mit über 1000 Wohnungen herausgebildet und es gibt kaum das Problem vieler Schweizer Genossenschaften, dass sie so klein sind, dass sie ehrenamtlich geführt werden und letztlich nicht so effizient wirtschaften können wie größere Unternehmen.

weniger konsequente wirtschaftliche Förderung in Deutschland statt in der Schweiz

Laut diesem Artikel bei Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Wohnungsbaugenossenschaft#Eigenschaften_von_Wohnungsbaugenossenschaften liegen in der Schweiz die Nutzungsentgelte von Woges 15% unter den Marktmieten. Die Daten stammen aus dem Jahr 2000 aber auch neuere Zahlen weisen in diese Richtung. 2014 sanken in Zürich im Durchschnitt aller Genossenschaftswohnungen die Mieten um 10% innerhalb von 2 Jahren während die Marktmieten stiegen. Dies war möglich, weil die Zinsen für Immobilienkredite gesunken waren. Ähnliche Entwicklungen sind mir in Deutschland nicht bekannt. https://www.wohnungspolitik-schweiz.ch/data/Wohnen_3-2016_Mieten_um_10_Prozent_gesunken_markant_t_2733.pdf

stärkere Orientierung an einer staatlichen Wohnungsbaupolitik

Im obigen Wikipedia-Artikel  steht unter anderem zur Historie von Woges in Deutschland: "Der NS-Staat bedient sich der genossenschaftlichen Unternehmen als Organe staatlicher Wohnungspolitik im Rahmen seines Siedlungsbaus". Das 1930 geschaffene Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz wurde erst Ende 1989 aufgehoben und prägte die Woges in Deutschland über viele Jahrzehnte.  Es würde sich lohnen, Inhalt und Wirkung des Gesetzes genauer zu beleuchten. Dafür ist hier nicht der Rahmen. Aber nach meiner Einsichtnahme vermute ich stark, dass das Gesetz ein Grund war, warum es in Deutschland viel mehr große und sehr große Woges gibt als in der Schweiz.

Der obige Wikipedia Artikel, Stand 19.08.2020, macht in der Passage zu Deutschland "Wesen der Wohnungsbaugenenossenschaft" auf mich den Eindruck, als ist er eher aus Sicht von leitenden Angestellten von Woges geschrieben ist  statt von einem unabhängigen Standpunkt aus:

Zum einen wird nicht explizit erwähnt, dass Woges Wirtschaftsgenossenschaften sind. Statt dessen wird darauf abgehoben, dass es um die Lieferung eines Produktes gehen würde. Das machen aber alle Unternehmen und ist insofern nichts genossenschaftsspezifisches. Wenn ich ein Fahrrad oder ein Auto bei einem lokalen Händler kaufe, ist es nicht falsch zu sagen, dass er mich damit fördert, aber es wird dem Potential des Genossenschaftsgedankens bei Wirtschaftsgenossenschaften nicht gerecht. Die Grundidee von Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ist, dass es sich lohnen kann, wenn man sich zusammenschließt und gemeinsam ein Produkt erstellt und den eigenen Mitgliedern anbietet. Indem man den Preis auf Basis dessen berechnet, was es einem selbst kostet. Im Wikipedia-Artikel-Kapitel zur Schweiz taucht deshalb zurecht der Begriff Kostenmiete auf. Er ist Teil der Genossenschaftsidee in seiner Anwendung bei Woges.

Ich sehe somit, es ist erforderlich in Wikipedia einen Artikel zu Wirtschafts- und Erwerbsgenossenschaften zu schreiben, auf den dann der Artikel zu Wohnungsbaugenossenschaften Bezug nehmen kann. Teil dieses Artikel muss das Selbstkostenprinzip sein.

In http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2020/08/nutzenmaximierung-in.html hatte ich  argumentiert, dass man repräsentativ die Meinung der Mitglieder ermitteln sollte, wie viel Altruismus sie praktizieren wolle. Mittlerweile will ich das konkreter fassen. Nach meinem jetzigen Stand würde es nicht ausreichen, damit eine bestimmte Unternehmenspraxis zu legitimieren, selbst dann nicht, wenn eine dahingehende Aussage von der General- oder Vertreterversammlung per Beschluß gebilligt würde. Zum Beispiel wenn Mitglieder mehrheitlich der Meinung sind, dass sie nicht nur für eigene Mitglieder sondern zu einem gewissen Teil auch für die lokale Bevölkerung bauen wollen und damit verbunden stärker wachsen wollen. Besinnt man sich auf den Grundgedanken einer Wirtschaftsgenossenschaft, ist dies nicht möglich. Eine Genossenschaft, die das macht, ist dann zu einem gewissen Teil ideel aktiv. Dies geht nach meiner Einschätzung nur, wenn dies in der Satzung konkret benannt wird: Zum Beispiel könnte eine feste Quote benannt werden, dass bei der jährlichen Bauleistung bewusst 10% oder 20% der Bauleistung für die allgemeine Öffentlichkeit ausgelegt wird und dass die Mitglieder bereit sind dafür die notwendigen Rücklagen aus den Gewinnen zu bilden und deshalb zum Beispiel einen bis zu 10% oder 20% über der eigentlichen Plankostenmiete1 liegendes Nutzungsentgelt zu aktzeptieren, soweit ein gewissener Abstand zur örtlichen Vergleichsmiete gewahrt wird. Hier wäre also eine Satzungsänderung durch Beschluß der Generalversammlung bzw. der Vertreterversammlung (bei größeren Genossenschaften) notwendig.

Korrektur Einschub vom 20.08.2020 zur Frage, ob es in Woges möglich ist, in größerem Umfang auch für Nichtmitglieder zu bauen:

Die ist eindeutig mit Nein zu beantworten: selbst wenn eine Wirtschaftsgenossenschaft sich in der Satzung ein soziales Ziel setzt, siehe zum Beispiel hier https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/erwerbs-und-wirtschaftsgenossenschaften-36223 , kann es auf diesem Weg nicht für Nichtmitglieder bauen, da auch bei sozialen oder kulturellen Zielen der Zweck darin besteht, die Mitglieder zu fördern. Will man wirklich alle Menschen fördern, muss man entweder eine Stiftung gründen oder dies als öffentliche Aufgabe angehen wie es ja mit kommunalen Wohnungsunternehmen geschieht.

Die heist nicht, dass es verboten ist, bei Neubaumassnahmen oder auch im Altwohnungsbestand neue Mitglieder aufzunehmen, wenn es nicht genügend Nachfrage von Mitgliedern gibt. Grundsätzlich muss sich die Neubautätigkeit aber am Bedarf der Mitglieder ausrichten.





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1bei potentiellen variierenden Kosten kann es betriebswirtschaftlich sinnvoll sein statt der tatsächlichen Kosten (Istkosten) Plankosten zu berechnen und diese zur Basis für die Preisfestsetzung zu nutzen, damit die Mitglieder eine größere Preissicherheit haben.





Samstag, 15. August 2020

Wie sollen norddeutsche Wohnungsgenossenschaften mit Überflutungscenarios aufgrund der Klimakrise umgehen?

Wenn Sie diesen Artikel gelesen haben, werden Sie eine Idee davon haben, ob und wenn ja wie von einem künftigen Meeresspiegelanstieg betroffene Wohnungsgenossenschaften (Woges) auf dieses Scenario antworten können.

Gestern wies Prof. Quaschning auf eine neue Studie von Klimaforschern der Ohio State University hin, nach der der Kipppunkt überschritten wurde, dass das grönländische Eis unabänderbar abschmelzen wird. https://twitter.com/VQuaschning/status/1294252887044915202 Die Forscher drücken das nicht so explizit aus und machen aus der Prognose auch keine Überschrift. Ihnen ist es wohl wichtiger als wissenschaftlich wahrgenommen zu werden. Sie beschränken sich auf die Beschreibung ihrer Messergebnisse. Im Kern sagen Sie jedoch, dass selbst wenn das Abtauen an der Gletscheroberfläche abnehmen würde - zum Beispiel weil einige Jahre das Wetter wieder kälter würde -, der Grundprozess des Abfließens ins Meer bereits eine Dynamik erreicht hat, die dennoch weitergehen wird. https://www.nature.com/articles/s43247-020-0001-2 . Die Aussage von Prof. Quaschning von einem Anstieg von 7 Metern findet sich auch hier https://de.wikipedia.org/wiki/Kippelemente_im_Erdklimasystem . Damit muss davon ausgegangen werden, dass bereits zwei Kippelememte überschritten sind, denn zum westantarktischen Eisschild wurde bereits 2014 ein entsprechendes Ergebnis veröffentlicht. Dafür wurde ein Meeresspiegelanstieg von 3 Metern prognostiziert. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Kippelemente_im_Erdklimasystem#Abschmelzen_des_Westantarktischen_Eisschildes

Diese beiden Effekte allein führen damit zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 10 Meter, wobei alles dafür spricht, dass dies zu einer weiteren Beschleunigung und weiteren Effekten führen wird, die aber noch nicht seriös quantifiziert werden können.

Es ist merkwürdig, dass dies bisher noch nichts an der allgemeinen Auffassung geändert hat, daß wir versuchen sollten den Prozess aufzuhalten. Offenkundig fällt es Politik, Medien und Zivilgesellschaft schwer, sich das eigene Scheitern einzugestehen. Populär ist es sicher nicht, man kann mit solchen Aussagen kaum etwas gewinnen. Ein Wissenschaftler für Nachhaltigkeit, Prof. Jem Bendell, hat 2018 einen je nach Bewertung pessimistischen oder realistischen Artikel vorgelegt, dessen Veröffentlichung die zuständige Fachzeitschrift (Sustainability Accounting, Management and Policy Journal) abgelehnt hatte und der dann nur über eine Direktveröffentlichung im Internet bekannt wurde. Wenn die Probleme zu groß werden, dann wollen manche es einfach nicht wahrhaben und verweigern den weiteren Umgang damit, wie diese Fachzeitschrift. Für eine verantwortliche Unternehmensführung ist das aber keine Option. Der Artikel und seine Wirkung und Einordnung findet sich hier https://en.wikipedia.org/wiki/Deep_Adaptation

Leider passen die obigen Ergebnisse zu einer Anfang August bekannt geworden Studie, nach der wir am nähsten beim schlimmsten IPCC Sencario liegen, RCP 8.5, siehe https://www.heise.de/tp/features/Auf-dem-Pfad-zu-einer-Erwaermung-um-3-3-bis-5-4-Grad-4867455.html Diese neuen Erkennntise sind dort aber noch gar nicht eingerechnet.

Da es viele weitere Kippelemente gibt und diese sich gegenseitig verstärken, sollten Immobilienunternehmen, deren größtes finanzielles Vermögen aus dem Wert ihrer Grundstücke besteht, sich auf ein worst case scenario vorbereiten. Auch wenn dieses Scenario wahrscheinlich frühestens in 150 oder 200 Jahren voll zum tragen kommen wird, sollte man sich fragen, ob und gegebenfalls welche Massnahmen jetzt zu ergreifen sind. Hintergrund ist, dass Woges nachhaltig ausgerichtet sind und eine Auflösung in 200 Jahren nicht zum Unternehmenszweck passt, da bei einer harmonischen Weiterentwicklung es auch in 200 Jahren Mitglieder geben wird, die irgend wo wohnen wollen. 

worst case scenario

Anstieg des Meeresspiegels in 150-200 Jahren um 30 Meter. Pläne Ost- und Norseee durch Küsten- und Flussdämme aus der norddeutschen Tiefebene fernzuhalten scheitern, ebenfalls Pläne die Nord- und Ostsee komplett über zwei Dämme vom Atlantik abzuschotten (Frankreich-England und Schottland-Norwegen https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/klimawandel-forscher-planen-gigantischen-damm-fuer-die-nordsee-a-74c7c8ef-e362-46df-91b0-a181dc1ee963). Städte wie Bremen, Hamburg, Kiel, Lübek, Lüneburg wären überflutet. Hannover und Berlin blieben trocken (da sie bei circa 38 bis 55 Meter Meereshöhe liegen), jedenfalls solange bis das ganze antarktische Eis abschmelzen würde.

Umgang

Menschen wollen da wohnen, wo sie arbeiten. Mittlerweile kann man aber mehr und mehr zu Hause arbeiten. Ist es für Woges eine realistische und verantwortbare Option in höher gelegenen Gebieten Grundstücke zu kaufen, um Vorsorge zu treffen für ihre Mitglieder? Kann es sein, daß der Mensch beginnt das Meer zu besiedeln? Können auf dem Meer lebenswerte und wirtschaftlich erfolgreiche Städte entstehen? Würden da ausreichend viele Menschen leben wollen, dass es ein massgeblicher Faktor ist, der Landverluste ausgleichen kann? Wie hoch wären die Kosten des Lebens auf dem Wasser statt auf dem Land? Vergleicht man die Baukosten eines Kreuzfahrtschiffes mit dem eines Hochhauses und unterstellt deutlich geringere Kosten bei einer stationären Wasserwohnplattform so ist eine Wasserlösung nach meiner Schätzung um den Faktor 6-7 teurer. Weiter stellt sich die Frage, ob in einer solchen Situation es verantwortlich ist für den aktuellen Bedarf in einem Gebiet zu bauen, das vielleicht einmal überflutet sein wird.

Lösungsvorschlag

Was würde ich tun als Vorstand einer Wohnungsgenossenschaft in einer der oben genannten norddeutschen Städte? Ich würde alle Regionen ermitteln, die langfristig sicher über dem Meeresspiegel liegen werden (ca. 70 Meter Meereshöhe Stand jetzt). Ich würde Land kaufen, das noch kein Bauland ist aber in der Nähe von Städten, die das Potential haben im Falle größerer Bevölkerungswanderungen neue Wachstumscluster zu bilden und dieses weiter zur Agrarnutzung verpachten. Insoweit wäre Land um Mittelstädte Land um Kleinstädten vorzuziehen und Land um Kleinstädten Land um Dörfer und Land am Rand von Dörfern Land mitten in der Pampa. Ich würde das mit den Mitglieder besprechen und mir Rückendeckung holen und falls notwendig der Vertreterversammung bzw. der Generalversammlug vorschlagen, die Satzung dafür zu ändern. Ich würde die Mitglieder bei der Auswahl der Regionen bestimmen lassen, wo Land gekauft werden soll. Ich würde schauen, ob ich bereits Kontakte in die jeweilige Region aufbauen kann. Vielleicht macht es sogar Sinn nach lokalen Woges Ausschau zu halten, mit denen man kooperieren oder sogar fusionieren kann. Wie viel müsste für so eine Versicherung in Boden ausgegeben werden? Als Beispiel kann man sich Oberbillwerder ansehen. Hier sollen auf 124 Hektar bis zu 15000 Menschen wohnen. Will eine große Woge so viele Menschen gegen Überflutung ihrer Grundstücke absichern und würde der Hektar Land in der Nähe geeigneter Städte 30.000 € kosten, ergäben sich 3,72 Mio €. Das wäre eine Größenordnung, die im Vergleich zur Größenordnung der Probleme, um die es geht und im Anbetracht der voraussichtlichen Werthaltigkeit der Grundstückskäufe sicher angemessen wäre. Interessanter würde sich wohl der Prozess der Auswahl der passenden Regionen gemeinsam mit den Mitglieder gestalten und vor allem die Frage, inwieweit diese bereit sind, sich mit der Situation auseinander zu setzen. Wahrscheinlich wäre auch hier die Einberufung einer repräsentativen, losbasierten Mitgliederjury die beste Wahl, um die Mitglieder gut einzubinden. Dies hat gegenüber einer offenen Einladung den Vorteil, dass nicht nur ein bestimmte Gruppe am Klimaschutz interessierter Mitglieder kommen und mitreden würde, sondern dass eine größere Ausgewogenheit der Meinungsbilder der Mitglieder zum tragen käme und die gefundenen Ergebnisse einer solchen Gruppe ein gewichtigeres Votum bedeuten würden.

Zur Frage der Errichtung von Neubauten in norddeutschen Städten würde ich grundsätzlich dies weiter befürworten, wenn Mitglieder hier einen zusätzlichen Bedarf haben, da die Zeit bis zu einer möglichen Überflutung deutlich nach dem üblichen Abschreibungszeitraum von Wohnhäusern liegt (70 Jahre). Bevor ich aber über den Bedarf der eigenen Mitglieder hinaus expandieren würde - selbst wenn sie von den eigenen Mitglieder explizit gewünscht wird -  hätte eine Versicherung gegen Überflutung eine höhere Priorität. Die Situation müsste aber weiter beabachtet werden und zwar sowohl die Aussagen der Klimawissenschaft, die über die Jahre erwartbar immer genauer werden, ebenso wie die Bewertung des Mißerfolges oder Erfolges der Weltgemeinschaft, klimaneutral zu werden, als auch die Realisierbarkeit von Küstenschutzmassnahmen. Je nach Ergebnissen wäre vielleicht in 10 oder 20 Jahren auch über eine Stopp von Neubaumassnahmen nachzudenken.

Freitag, 14. August 2020

Nutzenmaximierung in Wohnungsgenossenschaften neu gedacht

Im folgenden Beitrag werde ich zeigen, wie die genossenschaftliche Nutzenmaximierung für die Mitglieder so erweitert werden kann, dass damit soziale Aspekte besser integriert werden können. Der Konflikt zwischen einer parternalistischen, sozialdemokratischen Interpretation der Genossenschaftsidee bzw. deren Umsetzung in einer Wohnungsgenossenschaft und ihrer sozialliberalen Verwirklichung, wie ich ihn hier http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2020/08/was-genossenschaften-von-der-schweizer.html beschrieben habe, kann damit aufgehoben werden.

genossenschaftliche Nutzenmaximierung

Wohnungsgenossenschaften sind Wirtschaftsunternehmen, deren Zweck nach § 1 Genossenschaftsgesetz es ist, die Wirtschaft ihrer Mitglieder zu fördern. Da sie keinem anderen Zweck dienen, ist dieser bestmöglich zu erfüllen. Das heißt, es sollte eine Nutzenmaximierung für die Mitglieder stattfinden im Rahmen guter Unternehmensführung, also unter einer fairen Berücksichtigung der Interessen betroffener Gruppen wie Mitarbeiter, Lieferanten, der Gemeinde, des Staates und der natürlichen Umwelt und aller Lebenwesen.

sozialdemokratische Genossenschaft versus sozialliberale Genossenschaft

In der Praxis kann es vorkommen, dass sich eine "sozialdemokratische Unternehmenskultur" herausbildet, die die Genossenschaft wie eine Stiftung betreibt und zum Beispiel höhere Nutzungsentgelte verlangt und höhere Gewinne erwirtschaftet als es betriebswirtschaftlich erforderlich wäre und auf dieser Basis mehr baut und schneller wächst als diese eine konsequent an den Interessen der Mitglieder ausgerichtete Genossenschaft tun würde. Sie baut dann für die lokale Bevölkerung statt für den engeren Kreis der eigenen Mitglieder. 1

Wie man diesen Gegensatz auflösen kann

Die klassische Vorstellung, die der Wirtschaftswissenschaft in ihrem Hauptstrom zugrunde liegt, geht vom homo ökonomicus aus, das heißt der Vorstellung, dass dieser rational handelt und wirtschaftswissenschaftlich formuliert "seinen Nutzen maximiert".2

Allerdings hat die Ökonomie wie auch die Gesellschaft insgesamt mehrheitlich angenommen, dass der Mensch im Grund egoistisch ist und seinen Nutzen nur auf sich selbst und sein engstes persönliches Umfeld bezieht.3  Dass ist eine Fehlannahme, die empirisch nicht belegt ist. Empirisch belegbar ist, dass der Mensch im Grunde gut ist. Das zeigt der niederländsiche Historiker in seinem Buch "Im Grunde gut." https://www.amazon.de/Im-Grunde-gut-Geschichte-Menschheit/dp/3498002007/ref=sr_1_1?dchild=1&keywords=im+grunde+gut&link_code=qs&qid=1597389798&sourceid=Mozilla-search&sr=8-1&tag=firefox-de-21 . Dies entspricht auch meiner eigenen Lebenserfahrung in vielen Zusammenhängen. 4 Auch in  Genossenschaften nehme ich das im Grunde gutmütige Verhalten als das Normale wahr. Geht man vom Menschen aus als einem Wesen, das sich zugleich als Individuum (the right to persue its own happiness) als auch als Kollektivwesen versteht, kann man ermitteln, wie seine Präferenzen bei der Gestaltung der Geschäftspolitik einer Wohnungsgenossenschaft sind: Wie viel des jährlichen Aufwandes und seines Anteiles daran möchte er verwenden, um über seinen individuellen Nutzen und den seiner Familie hinauszugehen, um über den mehr oder weniger großen Kreis der Genossenschaftsmitglieder hinaus Wohnungen für die lokale Bevölkerung zur Verfügung zu stellen? Dies gilt es repräsentativ zu erheben und in geeigneter Form zusammenzufassen (zu aggregieren) und in angemessenen Abständen, zum Beispiel alle 10 Jahre, zu überprüfen, ob es noch die Präferenzen der Mitglieder richtig erfasst. Auf dieser Basis lässt sich dann die Unternehmenspolitik grundsätzlich ausrichten. 

Korrektur Einschub vom 20.08.2020 zur Frage, ob es in Woges möglich ist, in größerem Umfang auch für Nichtmitglieder zu bauen:

Die ist eindeutig mit Nein zu beantworten: selbst wenn eine Wirtschaftsgenossenschaft sich in der Satzung ein soziales Ziel setzt, siehe zum Beispiel hier https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/erwerbs-und-wirtschaftsgenossenschaften-36223 , kann es auf diesem diesem Weg nicht für Nichtmitglieder bauen, da auch bei sozialen oder kulturellen Zielen der Zweck darin besteht, die Mitglieder zu fördern. Will man wirklich alle Menschen fördern, muss man entweder eine Stiftung gründen oder dies als öffentliche Aufgabe angehen wie es ja mit kommunalen Wohnungsunternehmen geschieht. Der folgende Abschnitt Reflektion verliert damit an Aktualität und wird von mir aus dokumentarischen Gründen als älterer Diskussionsstand stehen gelassen.

Reflektion

Wenn man im Wesen einer Wirtschaftsgenossenschaft die Förderung der Wirtschaft der Mitglieder akzeptiert, ist es dann nicht schon eine Zumutung für die Mitglieder, ihre Präferenzen zu erfragen hinsichtlich der Entscheidung, ob sie altruristisch handeln wollen? Grundsätzlich würde ich sagen ja, außer, wenn es in der Praxis Hinweise gibt, dass der Altruismus mehrheitlich gewollt ist, zum Beispiel entsprechende Aussagen im Rahmen der Gründung getroffen wurden oder weil sich eine entsprechende Geschäftspolitik über die Jahre herausgebildet wird, die mehrheitlich gebilligt wird. Dreh-und Angelpunkt wird allerdings sein, den tatsächlichen Willen der Mitglieder korrekt zu ermitteln und sich hier nicht auf Interpretationen oder Wunschdenken zu verlassen. Oder anders ausgedrückt: solange Mitglieder nicht sicher mehrheitlich ihren Nutzen  altruristisch erweitern, ist in Wirtschaftsgenossenschaften die Förderung der Wirtschaft der Mitglieder das Ziel des Unternehmens und sollte nur in Bezug auf den Rahmen gute Unternehmensführung ganzheitlich ausgestaltet werden. Die Chancen, dass sich eine gewisse altruistische Komponente ermitteln lässt, stehen aber nicht schlecht und es kann sehr viel Spaß machen und zu einem Zusammenwachsen führen und zu einem  belebendem Faktor werden für die eigene Identität als Genossenschaft, wenn man diesen Prozess angeht.

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1 Durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz von 1930 -1989 habe viele deutsche Woges eine Prägung in diese Richtung erfahren, während ich zum Beispiel in der Schweiz insgesamt eine stärkere Orientierung am direkten Mitgliedernutzen wahrnehme. So ist zum Beispiel das Prinzip der Nutzungsentgelte auf Basis der tatsächlichen Kosten der Wohnanlagen in der Schweiz der Regelfall, während dies in Deutschland deutlich weniger Gewicht hat. Die Züricher Wohnungsgenossenschaften senkten zum Beispiel 2016 ihre Nutzungsentgelte (Nettokaltmieten) im Durchchnitt um 10%, weil niedrige Kapitalmarktzinsen dies möglich machten. In Deutschland sind mir ähnliche Fälle nicht zu Ohren gekommen.

2 Zum Beispiel Frank H Knight in "Risk, Uncertainty and Profit", 1921. S.25ff.: Das Gebahren des Menschen (conduct) gehe dahin, seine Bedürfnissse zu befriedigen. Darin liegt eine gewisses Benehmen und innere Führung und Gestaltung, die über Verhalten (behavior) und die reine impulshafte Reaktion auf äußere Reize hinausgeht, obwohl natürlich über Werbung, Verpackung und Warenpräsentation versucht wird, auf Kaufentscheidungen Einfluss zu nehmen. George J. Stigler führt zum Beispiel in "The Theory of Price" 1987 S.1 ff. eine empirische Messung an, dass Menschen im Durchschnitt bei höherwertigen Gütern (Autos) mehr unterschiedliche Angebote einholen als bei günstigeren (Waschmaschinen) und damit rational handeln, da das Verhältnis von Suchaufwand und Geldersparnis hier vielversprechender ist. (Mit dem Internet hat sich die "Ökonomie der Suche" massiv verändert und viele Geschäftsmodelle massiv gestört und viele neue gebohren). Einen exzellenten Vortrag zur Auflösung der Dichotomie von quantitativer mathematischer Ökonomie und ethisch- politischer Ökonomie hat Karl-Heinz Brodbeck gehalten, in dem er die der mathematischen Ökonomie impilizite d.h nicht direkt erkennbare Ethik erkennbar macht, siehe https://www.youtube.com/watch?v=6Q1lAQFWe74&t=4527s

4 Zwei Beispiele aus meinem Leben: in meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als von Amtsgerichten bestellter rechtlicher Betreuer für Menschen mit Behinderung kenne ich viele Kolleginnen und Kollegen, die über Jahre sehr gute Arbeit leisten und ist mir kein grobes Versagen bekannt geworden. Dennoch werde ich aus meinem Bekanntenkreis immer mal wieder auf Berichte aus den Medien angesprochen, dass irgendwo ein rechtlicher Betreuer grob gegen den Willen der betreuten Person gehandelt hätte und eigene Interessen verfolgt hätte. Es bedient Ängste von Menschen, wenn sie ein Stück ihrer Autonomie teilen müsssen und erzielt hohe Aufmerksamtkeit wenn Medien über solche Skandale berichten. Bei allen hitzigen Diskussionen im Rahmen von Corona/Covid19 zwischen Leugnern der Pandemie und übertriebener Vorsicht erlebte ich, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung eine mittlere Position einnahm vorsichtig war und gelassen blieb.

 

 






Dienstag, 11. August 2020

Wohnraum ökologisch besser nutzen in Wohnungsgenossenschaften und anderen Wohnungsunternehmen

Wenn sie diesen Artikel gelesen haben, werden Sie Ideen haben, wie Sie als Wohnungsunternehmen oder als aktives Mitglied bei knappem Wohnraum Raumpotentiale heben können und dabei noch etwas für den Klimaschutz tun.

aktuelle Situation

Auch in Wohnungsgenossenschaften (Woges) sind Vier-Zimmer-Wohnungen in Großstädten mit niedrigen Nutzungsentgelten (Mieten) knapp. Das macht es gerade für Familien mit Kindern schwierig, die sich kein Eigentum außerhalb von Genossenschaften leisten können. Die vorhandenen Wohnungen werden oft von älteren allein oder zu zweit lebenden Menschen belegt. Dies ist ökologisch nicht sinnvoll, da neuer Wohnraum in Ballungsgebieten nicht nur knapp und teuer ist, sondern dabei auch viel Kohlendixoid emittiert wird,  soweit wie heute noch üblich viel normaler Beton beim Bau neuer Häuser verwendet wird.

Ältere Menschen überlegen zwar auch umzuziehen, doch wird oft nichts daraus. Zum einen verwenden Woges oft Berechnungsmodelle für ihre Nutzungsentgelte (Mieten), die bei Wohnungswechseln zu Anhebungen führen. Damit lohnt es sich für ältere Menschen wirtschaftlich nicht, in kleinere Wohnungen umzuziehen. Deshalb ist eine Umstellung auf eine Kostenmiete (Nutzungsentgelte so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig) gerade in Genossenschaften angemessen. Zusätzlich  sind zwei weitere Faktoren wichtig, um "Downsizing" zu erleichtern und Wohnraum für Familien frei zu machen:

1. Ein Umzug fällt älteren Menschen leichter, wenn Sozialkontakte und eine vertraute Umgebung erhalten werden können.

2. Ältere freuen sich in der Regel über den Besuch von Kindern und Enkeln und eine Option, dass diese unkompliziert in Gästezimmern übernachten können.

Deshalb ist es zum einen gut, wenn im gleichen Quartier, also innerhalb weniger hundert Meter, Wohnungen in allen nachgefragten Größen vorhanden sind und dies bei der Konzeption von Quartieren von Genossenschaften entsprechend geplant wird. Dies heist insbesondere für größere Genossenschaften, dass sie sich auf  die Entwicklung von Quartieren konzentrieren sollten mit einer großen Anzahl von Wohnungen (mindestens 50). Dort können sie ihre Stärken einer effizienten Verwaltung anwenden und die Kosten für die Instandhaltung vergleichsweise niedrig halten. Nach meiner Erfahrung hat es sich nicht bewährt sogenannte Mehrgenerationenhäuser zu konzipieren, also den Anpruch zu verfolgen, dies innerhalb einer Gebäudehülle zu versuchen. Oft ist das Ruhebedürfnis bei älteren Menschen stärker und für alle Beteiligtern ist es besser, wenn Familien nebeneinander wohnen.

Zum anderen kann man prüfen, ob als Teil des Quartiers eine kleine Anzahl von Gästezimmern geplant und vorgehalten werden, die bei Besuchen von allen genutzt werden können, statt dass viele dies innerhalb ihrer Wohnung tun. So kann man eine deutlich bessere Auslastung hinbekommen. Noch besser ist es, wenn sich vor Ort eine so gute genossenschaftliche Gemeinschaft über die Jahre entwickelt, dass es keine Besonderheit ist, wenn der Besuch in einem überzähligen Zimmer beim Nachbarn übernachtet.Wichtig dafür ist, dass beim Einzug neue Mitglieder diese ausführlich über das Besondere von Genossenschaften informiert werden und der Genossenschaftsgedanke in allen Facetten gelebt wird. Dazu hilft es zum Beispiel, wenn er von den Leitungsgremien der Genossenschaft vorgelebt wird, auch wenn das nicht einfach ist, denn dazu gehört Verantwortung zu teilen, Kontrolle abzugeben, Selbstorganisation und Kritik willkommen zu heißen und Vertrauen in gemeinsame offene Prozesse zu entwickeln.

Auch Angebote wie Airbnb sind in diesem Zusammenhang nicht pauschal von der Hand zu weisen und können Teil einer resourcenbewussten Raumnutzung sein, solange Wohnraum nicht bewusst aus finanziellen Gründen dauerhaft zweckentfremdet wird und seinem eigentlichen Wohnzweck entzogen wird.

 


Freitag, 7. August 2020

Was Genossenschaften von der Schweizer Demokratie lernen können

Wenn Sie diesen Text gelesen haben, werden Sie Wege verstehen und anwenden können, um mit auftretenden Impulsen für Kursänderungen konstruktiv umzugehen und Spaltungen innerhalb von Genossenschaften zu vermeiden. Dies ist interessant für Mitglieder von Genossenschaften, Vereinen oder anderen Organisationen, egal ob sie ohne weitere Funktion sind oder Mitgliedervertreter, Aufsichtsrat oder Vorstand sind.

Große Genossenschaften mit hunderten oder sogar tausenden von Mitgliedern neigen wie alle Organisationen dazu, über die Jahre oder Jahrzehnte informelle Strukturen herauszubilden. Dabei können die Grundlagen der gewählten Unternehmenspolitik für die handelnden Akteure so selbstverständlich geworden sein, dass es ihnen schwer fällt diese geradeheraus und konkret zu benennen. Kommen dann Impulse für Veränderungen von Mitgliedern, fällt es Organisationen oft schwer, diese zu integrieren. In den Wirtschaftswissenschaften befasst sich die neue Institutionenökonomik mit derartigen Phänomenen. Prinzipiell ist es in Genossenschaften als demokratischen Organisationen vorgesehen, dass Mitglieder mitgestalten und Impulse einbringen. Sie können sich anbieten, Verantwortung zu übernehmen und zum Beispiel als Aufsichtsrat kandidieren. Bei einem begründeten Impuls und fehlender Integrationskraft der Organisation wird dieser Impuls in der Organisation wachsen und es können sich zwei Fraktionen bilden. Dann besteht die Herausforderung darin, diese konstruktiv zusammenzuführen. Der ideale Weg hierfür ist eine kooperative Unternehmenskultur, die sich an den gemeinsamen Zielen ausrichtet. In der Praxis heist das, dass zum Beispiel im Aufsichtsrat man sich nicht darauf ausruht, dass eine Mehrheit eine Minderheit regelmässig überstimmt, sondern dass man nach dem Konsentverfahren die Lösungen weiterverfolgt, die tatsächlich das Potential haben, das Unternehmen als Ganzes voranzubringen, unabhängig davon wer sie einbringt. Informationen zu dem extrem konstruktiven Konsentverfahren als Entscheidungsfindungswerkzeug in Gruppen verlinke ich am Ende des Textes. 

Selbst wenn es keine so weitgehende kooperative Führungs- und Entscheidungspraxis gibt, zeigt das Schweizer Demokratiemodell Wege auf, wie mehrere Meinungen mittelfristig zusammengeführt und Spaltungen vermieden werden können:

Im Falle der Schweiz und großer Genossenschaften soll hier eine Analogie gewählt werden, um zwei Punkte klar zu machen, ohne dass diese Analogie überinterpretiert werden soll:

Die Aussagen sollen am Beispiel eine großen Wohnungsgenossenschaft gemacht werden mit mehreren tausend Mitgliedern, die deshalb über eine jährliche Vertreterversammlung verfügt. Das heist, statt einer jährlichen Generalversammlung aller Mitglieder werden für eine Wahlperiode Vertreter gewählt, die die Interessen der Mitglieder vertreten und den Aufsichtsrat wählen. Dieser widerum bestimmt den Vorstand. Es wird hier keine bestimmte Genossenschaft beschrieben, sondern es fließen Kenntnisse aus der Praxis von vielen großen deutschen Wohnungsgenossenschaften ein. Dies heißt nicht, daß alle großen Wohnungsgenossenschaften so handeln wie hier dargestellt.

In demokratischen Staaten hat sich die Gewaltenteilung zwischen Exekutive (Regierung), Legislative (Parlament) und Judikative (Gerichte) als Erfolgsrezept erwiesen. Bei großen demokratisch aufgebauten Organisationen wie Genossenschaften kann man die Geschäftsführung bzw den Vorstand mit der Regierung vergleichen und den Aufsichtsrat und die Vertreterversammlung mit zwei aufeinander aufbauenden Kammern der Gesetzgebung. Der Aufsichtsrat berät und beschließt über die Grundlinien der Unternehmenspolitik. Die Vertreterversammlung beschließt über die Satzung, quasi  das Grundgesetz einer Genossenschaft,  über Satzungsänderungen und spricht über die Entlastung Vorstand und Aufsichtsrat als Leitungsgremien das Vertrauen aus oder verweigert dieses.

Als konkretes Beispiel aus der Praxis würden bei einer Wohnungsgenossenschaft der Aufsichtsrat über Durchführungsrichtlinien beschließen zum Beispiel zur Festsetzung der Nutzungsentgelte (Mieten) oder zur Neubautätigkeit.

Wie bei Staaten gibt es es auch in Genossenschaften Personengruppen, die unterschiedliche Auffassungen haben, welche Politik, sprich welche Art, die Geschäfte zu führen, die beste ist. In unserem Fall stehen zum Beispiel zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder maximiert die Wohnungsgenossenschaft den wirtschaftlichen Nutzen für ihre Mitglieder und setzt die Nutzungsentgelte so niedrig wie möglich und so hoch wie nötig fest und richtet bei Neubauten konsequent die Menge, die Preise und die Wohnlagen nach der Nachfrage ihrer eigenen Mitglieder aus oder sie versteht sich als gemeinwohlorientiert in dem Sinne, dass sie für die Bevölkerung in einer Region insgesamt baut und dafür höhere Nutzungsentgelte nimmt, um mehr Gewinne machen zu können, mehr Rücklagen aufbauen zu können und so schneller und stärker wachsen zu können. In der Analogie gibt es dafür beispielhaft zwei "Parteien", eine sozialdemokratische und eine sozialliberale. Die sozialdemokratische Gruppe traut den Genossenschaftsmitgliedern nicht allzu viel unternehmerisches Mitdenken zu und will sie gut versorgen und möglichst umfangreich den Wohnungsbau in der Region mitgestalten. Die sozialliberale Fraktion traut den Mitgliedern zu unternehmerisch mitzudenken und mit zu entscheiden und ihre Rolle als Miteigentümer ernst zu nehmen und aus der gewonnenen Kaufkraft durch die deutlich niedrigeren Nutzungsgelte Vermögen aufzubauen und insoweit gesellschaftlich positiv zu wirken und die Schere zwischen arm und reich zu vermindern.

Was kann hier nun von der Schweiz gelernt werden?

Die Schweiz ist im Gegensatz zu Deutschland eine Konkordanzdemokratie https://de.wikipedia.org/wiki/Konkordanzdemokratie und keine Konkurrenzdemokratie https://de.wikipedia.org/wiki/Konkurrenzdemokratie . Es gibt zwar in beiden Systemen Parteien, aber in einer Konkordanzdemokratie werden an der Regierung alle wichtigen Strömungen beteiligt.  Dies führt dazu, dass alle Beteiligten grundsätzlich versuchen, miteinander auszukommen  und es gewohnt sind alles wichtige miteinander ausführlich zu bereden. Ich erinnere mich gut wie überrascht ich war, als ich auf der Schweizer Föderalismuskonferenz in Montreux 2017 eine Podiumsdiskussion erlebte, bei der die Vorsitzende der sozialdemokratischen Jugendorganisation bei allem Reformeifer das Wirtschaftssystem der Schweiz grundsätzlich akzeptierte und der Arbeitgeberpräsident gleichzeitig zum Thema Mindestlohn zwar betriebswirtschaftliche Aspekte anprach, aber zugleich deutlich machte, dass er mit Mindestlöhnen leben könne, weil es den Arbeitern und Angestellten dadurch besser ginge und davon auch die Unternehmen profitieren würden. Im Parlament einer Konkordanzdemokratie geht es also nicht darum, die Vertreter anderer Parteien abzuwerten, sondern das Gemeinsame in den Blick zu nehmen und zu versuchen bei der Lösungsfindung alle Interessen zu hören und miteinzubringen.

Übernehmen Genossenschaften diesen Denkrahmen, hilft ihnen das mit unterschiedlichen Meinungen wertschätzend umzugehen und offen zu kommunizieren und sich an den gemeinsamen Zielen auszurichten.

Existiert im konkreten Fall eine deutliche Mehrheit und eine deutliche Minderheit wird dann die Mehrheit bereit und in der Lage sein, ihre Ziele klar zu benennen und ihre Hauptüberlegungen transparent zu machen. Und sie wird ein Interesse daran entwickeln zu schauen, was sie von neuen Impulsen für die gemeinsame Sache aufgreifen und nutzen kann. Besteht im Beispielfall eine sozialdemokratische Mehrheit gegenüber über einer sozialliberalen Minderheit würde die Mehrheit vermutlich besser benennen können,  dass vom alleinigen Zweck einer Genossenschaft wie es das Genossenschaftsgesetz benennt, die Mitglieder zu fördern, abgewichen wird und in der Praxis eine breitere Förderung stattfindet. Vielleicht wäre sie auch bereit, die eigene Position zu erweitern oder ein Referendum quasi einen "Volksentscheid" bei den Mitgliedern der Genossenschaft einzuholen. Es ist vermutlich kein Zufall, dass in der Schweiz als Konkordanzdemokatie Volksentscheide eine große Rolle spielen, da Mehrparteienregierungen in ihrer Lösungsfindung ja weniger ideologisch festgelegt sind und es deshalb Sinn macht bei zentralen, langfristigen Festlegungen beim Souverän, dem Staatsvolk nachzufragen, ob es einverstanden ist.
 
Exisitieren im konkreten Fall zwei ungefähr gleich große Strömungen, wäre der Weg vorgezeichent auch im Vorstand beide Strömungen zu berücksichtigen. Die Schweiz zeigt, dass dies in der Praxis ohne Blessuren funktioniert. In der Schweiz nennt sich diese Mehrparteienregierung Bundesrat und ist kollegial ausgerichtet https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesrat_(Schweiz). Statt eines Bundeskanzlers gibt es sieben Bundesräte, die kollegial regieren. Grundsätzlich passt dieses Prinzip ideal zu Genossenschaften, da auch diese auf Kooperation ausgelegt sind. Ein anderes Wort für Genossenschaft ist Kooperative. https://de.wikipedia.org/wiki/Genossenschaft
 
Links zum Konsent-Verfahren:
 
 
Hintergrund:
 
Die deutschen Wohnungsgenossenschaften waren über Jahrzehnte durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz 1930-1990 geprägt, das zum einen genossenschaftliche Prinzipen übernahm wie die Kalkulation der Leistungen auf Basis der Selbstkosten, aber auch genossenschaftliche Rechte beschnitt, wie zum Beispiel, dass bei einer eventuellen Auflösung der Genossenschaft das Vermögen nicht an die Mitglieder verteilt werden durfte, sondern an eine gemeinnützige Stiftung übertragen werden musste. Statt der Förderung der Wirtschaft der Mitglieder als Zweck von wirtschaftlich ausgerichten Genossenschaften wie es Wohnungsgenossenschaften sind und  wie es in § 1 des Genossenschaftsgesetzes festgelegt wurde, wurde in diesem Gesetz festgeschrieben, dass die "deutsche Familie" gefördert werden sollte. Damit wurde bis 1990 nicht nur eine gesellschaftspolitisch fragwürdige Bevorzugung von Familien gegenüber anderen Formen des Zusammenlebens durch ein Gesetz verstärkt - noch dazu mit einem sehr bedenklichen Ausschluss von Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit -, sondern es wurde der Genossenschaftsgedanke in seinem Kern ignoriert, da nicht mehr die Mitglieder gefördert werden sollten, sondern pauschal eine  bestimmte gesellschaftliche Gruppe. Dass sich das Gesetz mit diesen Formulierung bis 1990 halten konnte, zeigt wie wenig politisches Gewicht und wie wenig durchsetzungsstarke Fürsprecher der Genossenschaftsgedanke in Deutschland in dieser Zeit im Bereich Wohnen hatte bzw. wie sehr sein Potential unterschätzt wurde, gesellschaftlich positiv zu wirken wenn er sich ganz entfalten könnte. Historisch war wahrscheinlich Herman Schulze-Delitisch der überzeugteste und wirkmächtigste Fürsprecher der Genossenschaftsidee in Deutschland , da er die Gewerbefreiheit für Genossenschaften ohne staatliches Reinreden in die Geschäftsführung durchsetzen konnte gegen den Widerstand des damaligen Vorsitzenden des deutschen Arbeitervereins, Ferdinand Lasalle (der Vorläuferorganisation der SPD). Insoweit hat der Auffassungsunterschied zwischen eher autoritär geprägter Sozialdemokratie und  sozialem Liberalismus eine große historische Tiefe, siehe https://www.pt-magazin.de/de/wirtschaft/unternehmen/genossen-gegen-genossen_6cp.html. Damit kommen deutsche Wohnunsgenossenschaften aus einem deutlich anderen historisch-gesellschaftlich-kulturellen Umfeld als Schweizer Wohnungsgenossenschaften. Auffällig ist auch, dass in der Schweiz die liberale Partei über Jahrzehnte die stärkste Partei war, in Deutschland dagegen liberale Aspekte in der Politik zwar immer auch eine Rolle spielten, entweder in der FDP oder bei Politikern wie Willy Brandt in der SPD ("Im Zweifel für die Freiheit" https://www.amazon.de/Zweifel-f%C3%BCr-Freiheit-sozialdemokratischen-Willy-Brand-Dokumente/dp/380120426X ) oder als ein Aspekt unter vielen in der CDU aber insgesamt nicht das politische Gewicht hatten wie in der Schweiz.


Samstag, 4. Juli 2020

Lehre aus dem Beschluss des Klimaverkohlungsgesetzes

Gestern hat der Bundestag das Klimaverkohlungsgesetz beschlossen. Deutschland wird damit so gut wie sicher es nicht mehr schaffen, seine CO2 Emissionen so weit zu begrenzen, dass das Pariser Klimabkommen eingehalten werden kann und  die Erwärmung der Erde unter 2 Grad Celsius gehalten werden kann. Die Menschheit steuert sehenden Auges auf ein Fiasko zu. Das politische System ist zu träge, um angemessen darauf zu reagieren. Auch Frau Merkel reiht sich hier bei aller Aktivität und allem Reden stumm ein.

Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern hat die Bundeskanzlerin bei uns weder den Klimanotstand ausgerufen, bekennt sich also nicht zur ganzen Wahrheit der Klimakrise, noch wurde von der Bundesregierung eine klares Ziel benannt, bis wann Deutschland nettonull kein CO2 mehr emittiert, zum Beispiel bis 2028, noch beruft die Regierung eine repräsentative, losbasierte Bürgerinnenversammlung ein, um sich von der Bevölkerung Rückendeckung dafür zu holen, mit welchen Massnahmen sie die CO2 Neutralität umsetzen soll. Das jetzige System  - in der Politik mit seinen Komissionen, Ausschüssen, Parteiendominanz und dem Schielen darauf, ob man wiedergewählt wird und in der Wirtschaft mit der Dominanz der Gewinnmaximierung - ist dazu nicht in der Lage.

Damit ist die Menschheit am Arsch. Wie soll, wie kann man mit einer solchen Situation umgehen?

Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt gewesen, dass die Menschheit erwachsen wird, dass sie vollständig die Verantwortung für ihr Handeln übernimmt und akzeptiert, dass es mittlerweile so viele Menschen auf diesem Planeten gibt und es noch mehr werden werden und wir so viele Resourcen beanspruchen, dass wir das nur dann hinbekommen, wenn wir mit den Resourcen schonend umgehen und unser Handeln und unsere Lebenspraxis umstellen, auch im Bezug auf die Regeln, die wir uns als Gemeinwesen geben.

Darin haben wir versagt, jedenfalls in Deutschland. Einige Länder machen es besser, einige wie Brasilien und die USA schlechter. Insgesamt wird es nicht reichen.

Wie soll man mit einer solchen Situatuion umgehen?

Die Pandemie Covid19 hat gezeigt, dass die Menschenheit mehrheitlich handeln kann, wenn die Gefahr unmittelbar klar ist und viele haben durch Corona Erfahrungen gemacht, die sie als Menschen weitergebracht haben. Sie haben sich von oberflächlichem Konsum und Aktivitis emanzipiert und den Wert von Beziehungen und auch den Kontakt mit der Natur im Kleinen und bei ihnen vor Ort, von Innenschau und Muse mehr zu schätzen gelernt.

Es sieht so aus, als hat die Menschheit kollektiv die Entscheidung gefällt, dass es diese harten Erfahrungen, dieses Leid braucht und will, um in diesem Leid sich tiefer und klarer selbst zu begegnen und zu erfahren, was im Leben wichtig ist. Anscheinend will die Menschheit die Klimakatastrophe für künftige Generationen auf den Weg bringen, keine Tiefen und Herausforderungen auslassen wie den massiven Rückgang der für Menschen bewohnbaren Zonen, ein menschengemachtes Massenaussterben von Tierarten und eine großflächige Überflutung von Landgebieten durch den Anstieg des Meeresspiegels.

Wir werden in der Geschichte der Menschheit die Generation sein, die diese Entscheidung an dieser Weggabelung gefällt hat, ihren nachfolgenden Generationen dieses Vermächtnis mitgibt: Wir sind die Generation, die mit ihrem Wunsch nach Erfahrung immer weiter in die Krise steuern will, um sich selbst zu begegnen und werden von unseren Nachfahren diese Begegnung mit sich selbst in dann deren Krise einfordern. Vielleicht gehört die Krise zum Erwachsen werden dazu. Vielleicht sind wir trotz zweier Weltkriege und der furchbaren Erfahrungen von Holocaust und dem kommunistschen Totalitarismus noch nicht da angekommen, dass wir als Kollektiv glauben, schon die Synthese bilden zu können. Anscheinend will die Menschheit künftigen Generationen weitere Bürden auftragen, um daran zu wachsen. Sie werden die Bürde haben zu wissen, dass sie von einer Generationen abstammen, die zu egoistisch war, um den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, die noch nicht reif geworden waren, um für ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen. Die nächsten Generationen werden es schwer haben, weil wir ihnen Krisen so gut wie sicher mitgeben werden, wie keine Generatiuon vor uns das getan hat.

Gibt es doch einen Ausweg? Was soll, was kann der Einzelne heute tun?, der sich ja nicht einmal in einer Minderheit befindet, denn die Mehrheit der Menschen haben ein klares Empfinden wo wir stehen. Es ist ja das System, das Miteinander, das versagt hat.

Ich glaube jeder kann einfach heute schon der/die sein, die er/sie ist, ganz konsequent in jedem Moment und nicht hinter sein Bewusstsein zurückfallen und in seinen Mitmenschen diese Qualität warhnehmen. Dann kann sich ein neues System selbstverstärkend manifestieren, dann schaffen wir im hier und jetzt eine neue Welt. Wahrscheinlich sind in dieser neuen Welt nach 100 Jahren die habitablen Zonen deutlich kleiner als heute, Norddeutschland bis zum Harz überflutet und Tausende heute noch lebender Tierarten ausgestorben. Aber wir haben dennoch die Chance in einem größer gewordenen Bewusstsein zu leben, wer wir sind und besser miteinander und der Erde als Ganzes umzugehen, das Leben auf der Erde in allen seinen Formen zu schätzen und zu achten und zu einem besseren System, zu einem besseren Miteinander zu finden, wie wir damit umgehen.


Sonntag, 5. Januar 2020

Vorschlag für eine(n) Genossenschaftsbeauftragte(n) der Bundesregierung

Ich schlage hiermit vor, dass die Bundesregierung eine(n) Genossenschaftsbeauftragte(n) bestellt. 

Zuständig sollte das Ministerium für Wirtschaft und Energie sein. Die Ministerien des Innern für Bau und Heimat, M. der Justiz und für Verbraucherschutz, M. für Arbeit und Soziales sollten in die Ausgestaltung und Besetzung einbezogen werden, da Genossenschaften in all diesen Bereichen eine konstruktive Rolle spielen können. Damit würde die Bundesregierung dem gesellschaftlichen Potential, das im Genossenschaftsgedanken liegt, Gewicht geben und könnte die Entfaltung dieses Potentials konkret fördern, in dem es personelle Resourcen und Know How zur Verfügung stellt.

Das Potential von Genossenschaften liegt im Bereich Wohnen 

- in niedrigen Mieten auch in angespannten Wohnungsmärkten, bei geringem Einsatz staatlicher Mittel, da Menschen im gemeinschaftlichem Geschäftsbetrieb betriebliche Leistungen dauerhaft organisieren, 

- in Unterstützung der Kaufkraft und dem Aufbau von Vermögen von breiten Bevölkerungsschichten als Mitunternehmer und Eigentümer

- in der Stärkung der demokratischen Praxis in der Gesellschaft, da Genossenschaften demokratisch organisiert sind.

Hintergrund: Eine wichtiger Bereich genossenschaftlicher Aktivität sind Wohnungen. Es gibt zwar erste Bestrebungen von Wohnungsgenossenschaften einen bundesweiten Verband zu gründen und auch erste Gedanken für eine europaweite gegenseitige Förderung, dennoch hat sich über Jahrzehnte mit dem GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen und seinen Unterverbänden eine Verbandsstruktur entwickelt, die allein wohnungswirtschaftlich ausgerichtet ist und bei der das besondere gesellschaftliche Potential von Wohnungsgenossenschaften nicht berücksichtigt werden kann. Im Hinblick auf bezahlbare Wohnungen sind in der Schweiz und Österreich derzeit klarer Vorteile gegenüber Deutschland erkennbar: In der Schweiz sind Genossenschaften per se stärker gesellschaftlich verankert. Dies zeigt sich zum einen im Bekenntnis des Verbandes Schweizer Wohnungsgenossenschaften zum Prinzip der Kostenmiete, d.h. je Wohnanlage wird nur das verlangt, was die jeweilige Wohnung kostet.

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Zum anderen hat die Schweiz für sich insgesamt das Prinzip der Kostenmiete entdeckt. Das heißt, dort sind auch gewinnorientierte Vermieter verpflichtet, bei Zinssenkungen auf den Kapitalmärkten diese Kostenvorteile an die Mieter auf Verlangen weiterzugeben.


Auch Österreich lässt mit niedrigen Mieten selbst bei Neubauten in guten Lagen und einem anderen Ansatz im sozialen Wohnungsbau aufhorchen. siehe zum Beispiel aktuell Salzburg mit Nettokalt-Neubaumieten unter 5 ,- € je Quadratmeter.


Auch in anderen Feldern wie zum Beispiel bei der Energieerzeugung und -verteilung, der ambulanten Pflege und im kulturellen Bereich bieten Genossenschaften viele Möglichkeiten gesellschaftlich nachhaltig zu wirken.

Ein künftiger Genossenschaftsbeauftragter sollte glaubwürdig dafür stehen, das Potential, das im Genossenschaftsgedanken liegt, zu erkennen und sich dafür einzusetzen, es zu befördern und voll zur Entfaltung zu bringen. Sie sollte nach Möglichkeit parteiunabhängig sein und sowohl praktische Erfahrungen mit und in Genossenschaften haben, als auch in der Lage sein, wissenschaftliche Ergebnisse zu rezipieren und anzuwenden. Und sie sollte bereit sein, sich mit allen Akteuren in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu vernetzen und zu kooperieren.




Donnerstag, 2. Januar 2020

Ausrichtung auf Renditen bei Wohnungsgenossenschaften, macht das Sinn?

Welche Rolle sollte Rendite in Wohnungsgenossenschaften spielen? Betriebswirtschaftlich bedeutet Rendite den Gewinn, den eine bestimmte Investition im Betrachtungszeitraum abwirft, also Gewinn in Prozent der eingesetzten Summe. Ist es das eigene Kapital, das eingesetzt wird, spricht man von Eigenkapitalrendite, ist es aufgenommenes Kapital, also Kredite, spricht man von Fremdkapitalrendite und betrachtet man beides zusammen, addiert es also, ergibt sich die Gesamtkapitalrendite. Insoweit kann man sowohl Einzelinvesitionen wie zum Beispiel den Bau einer Wohnanlage betrachten als auch ganze Unternehmen, diese mittels Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung.

Da Gewinnerzielung in Genossenschaften kein Selbstzweck ist und nicht gleichrangig mit dem Ziel der Nutzenmaximierung für die Mitglieder ist, machen Gewinne nur insoweit Sinn, wie Sie für die langfristige wirtschaftliche Förderung der Mitglieder sinnvoll sind, indem sich das Unternehmen durch Aufbau von zusätzlichem Eigenkapital - also der Zuführung von Gewinnen eines Jahres in die Bilanz - so gut weiterentwickeln kann, dass der langfristige Nutzen für die Mitglieder maximiert wird. Mitglieder sind dabei jeweils die aktuellen Mitglieder, keine fiktiven, künftigen. Würde man zum Beispiel die Expansion in andere geographische Regionen damit rechtfertigen, dass die künftigen Wohnungsnutzer ebenfalls Mitglieder würden, würde das bedeuten, dass man bereits jetzt Geld nicht mit Blick auf die eigenen Mitglieder ausgibt bzw. auszugeben plant. Dies ist grundsätzlich nicht möglich. Würde es doch getan, wäre das ein sicheres Zeichen, dass die jeweilige Genossenschaft keine Genossenschaft mehr im Sinne des Genossenschaftsgesetzes und vor allem der Genossenschaftsidee ist, sondern nur noch dem Anschein nach.

Die Höhe der Beträge, die jährlich als Gewinne erwirtschaftet und in die Eigenkapital-Rücklagen eingestellt werden, sollten sich daran orientieren, wie viel Eigenkapital für künftige Bautätigkeiten benötigt wird. Dazu muss man den konkreten Bedarf der eigenen Mitglieder kennen hinsichtlich Menge an nachgefragtem Wohnraum, Lage, Ausgestaltung und Preis. Als Erfolgskontrolle sollte die Quote der Wohnungen, die von eigenen Mitgliedern bei Erstbezug eines Neubaus angemietet werden, ermittelt und im folgeden jährlichen Geschäftsbericht veröffentlicht werden.

Mitunter ist das Argument zu hören, dass es wohnungswirtschaftlich geboten sei, mit einer bestimmten Eigenkapitalrendite zu rechnen und dass diese bei mindestens 4,5% läge und sich auch Wohnungsgenossenschaften danach ausrichten müssten, weil sie ja auch wohnungswirtschaftlich solide agieren müssen. Gerade in den aktuellen Zeiten, wenn die Zinsen für Fremdkapital in Europa unter zwei Prozent gefallen sind, macht es einen großen Unterschied, ob ich Nutzungsentgelte (Mieten) so kalkuliere, dass beim Eigenkapital 4,5% erwirtschaftet werden müssen oder 2-2,5%. Mir selbst liegt keine betriebswirtschaftliche Herleitung vor, die zum Ergebnis kommt, dass 4,5% Eigenkapitalrendite wohnungswirtschaftlich geboten ist. Falls jemand eine kennt, wäre ich sehr interessiert, sie inhaltlich zu prüfen. Ein Blick in die Schweiz zeigt allerdings, dass dort eine gesetztliche Regelung existiert, die von allen Vermietern, seien es gewinnorientierte oder gemeinwohlorientierte, verlangt, dass sie Wohnungen zu einer sogenannten Kostenmiete anbieten. Diese wird so kalkuliert, dass zum einen natürlich die Zinsen für aufgenomme Kredite in Ansatz genommen werden dürfen und dass analog dazu Erträge für bereitgestelltes Eigenkapital in Ansatz gebracht werden darf. Dieses muss sich aber in der Höhe am üblichen Marktzins für Fremdkapital orientieren und darf diesen nicht um mehr als 0,5 Prozentpunkte übersteigen:

"Der zulässige Mietzins ergibt sich aus den durch die vermietende Partei zu tragenden Liegenschaftskosten (Fremdkapitalkosten, Unterhaltskosten und Betriebskosten) und der Nettorendite auf dem eingesetzten Eigenkapital. Das Eigenkapital entspricht der Differenz zwischen den Anlagekosten und dem Fremdkapital. Auf dem jeweils aktualisierten Eigenkapital darf nach geltender Rechtspraxis eine Rendite erzielt werden, die den mietrechtlichen Referenzzinssatz um nicht mehr als ein halbes Prozent übersteigt. "

Quelle:

Aus wohnungsgenossenschaftlicher Sicht ist dies der maxmiale Prozentsatz, der für eine Eigenkapitalrendite angesetzt werden sollte. Kann und darf eine Genossenschaft darunter bleiben? Grundsätzlich ja. Letztlich handelt es sich ja um eine Eigentümergemeinschaft, die sich nur auf ein sinnvolles Verfahren einigen muss, zu welchen Beträgen sie die Nutzung der Wohnungen an ihre Mitglieder innerhalb eines gemeinsamen Geschäftsbetriebes möglich macht, so, dass sie dies auch langfristig gut tun kann. Hierfür ist wie oben hergeleitet Rendite keine sehr sinnvolle Kennzahl und es ist viel sinnvoller, darauf zu achten, dass jedes Jahr in absoluten Beträgen so viel Eigenkapital gebildet wird, dass künftige Bautägigkeiten in einem sinnvollen Mix von Fremd- und Eigenkapital finanziert werden können. Dazu bedarf es neben einer sehr genauen Kenntnis der Bedarfe der eigenen Mitglieder einer ausreichend genauen Liquiditätsplanung über einen längeren Zeitraum, der auch quantitativ Neubauvorhaben und gebenenfalls Ersatzbauten berücksichtigt. Ich halte hier einen Zehnjahreszeitraum für nicht übertrieben. Selbst ein 20-Jahreszeitraum wäre etwas, was eine  Unternehmensführung dahingehend prüfen sollte, ob sie damit zu sinnvollen, d.h. ausreichend genauen Aussagen zu einem vertretbaren Aufwand kommt.
Noch zwei weitergehende Hinweise:

Es wäre interessant zu erfahren, wie der wichtigste Prüfungsverband von Wohnungsgenossenschaften, der GDW und seine Unterverbände zur Frage der Rendite, auch zu den 4,5% stehen.

Im Zusammenhang mit der Diskussion über den Berliner Mietendeckel, scheint mir die Schweizer Lösung der Kostenmiete vom Grundsatz her viel geeigneter, zu nachhaltig verträglichen Entwicklungen im Bereich Wohnen in Metropolen zu kommen, als die Preishammermethode der staatlichen Preisbestimmung, wie er mit dem Berliner Mietendeckel versucht wird. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich gerne mehr über das Schweizer System lernen, was daran gut funktioniert, was nicht und im Austausch mit anderen schauen, was man für andere Metropolen übernehmen kann. Es ist schade, dass von Seiten des GDW hier kein Initiative kam, die Kostenmiete ins Spiel zu bringen. Da der GDW aber eben nicht nur Genossenschaften vertritt, ist dies letztlich verständlich. Dies zeigt einmal mehr, dass es wichtig wäre, wenn Wohnungsgenossenschaften sich bundesweit in einem eigenen Verband vernetzen und eigenes Know How aufbauen. Letztlich heist dass ja nicht, dass sie nicht auch im GDW Mitglied sein können mit Blick auf Fragen, die alle Wohnungsunternehmen gleichermassen betreffen. Ein solcher Verband könnte zum Beispiel zu Fragen wie dem Mietendeckel oder auch zum Thema Erbaugrundstücke und Vergabe öffentlicher Grundstücke eigene Akzente setzen, die uns als Gesellschaft insgesamt deutlich weiter bringen.

Samstag, 28. Dezember 2019

Für Genossenschaftsmitglieder lohnt ein Blick über den Tellerrand: credit unions in den USA

Ich führe hier 4 Zitate über credit unions aus dem englischen wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/Credit_union auf und zeige, wie man damit genossenschaftliche Prinzipien insbesondere in Wohnungsgenossenschaften klarer herausarbeiten und stärker anwenden kann. Um den Lesefluss nicht zu behindern, füge ich die Übersetzungen der 4 Zitate ganz unten an:

1.

In Deutschland nimmt der GDW https://de.wikipedia.org/wiki/GdW_Bundesverband_deutscher_Wohnungs-_und_Immobilienunternehmen als größter Verband von Wohnungsunternehmen Einfluss auf die Gesetzgebung, auch im Genossenschaftsrecht. Da in ihm sowohl gewinnfokussierte Unternehmen als auch Genossenschaften organisiert sind, besteht das Problem, dass er gegensätzliche Interessen vertreten muss und grundsätzlich nicht die bestmögliche Position vertritt, die im Sinne der Mitglieder von Genossenschaften ist.

Dass diese Gegensätze in der unterschiedlichen Natur der Unternehmensformen liegen also struktureller Art sind und nicht im bösem Willen oder Unvermögen der Führungskräfte des Verbandes liegen, zeigt der Blick auf credit unions:

Tension has always existed between member-owned cooperative credit unions and for-profit banks in the United States. When credit unions were first organizing in the US in the early 20th century, the banking industry was opposed, remaining so ever since. Banks and bank trade associations consistently put anti-credit union legislation at the top of their agendas.[39]
 
D.h. für gewinnmaximierende Unternehmen sind mitgliederfokussierte Unternehmen grundsätzlich eine Bedrohung. Da ist es sicher ein Gewinn, sie innerhalb eines gemeinsamen Verbandes einbinden zu können. Schaut man sich die Mietenpolitik der meisten großen Wohnungsgenossenschaften an, ist dies insoweit gelungen, dass diese meistens Mietsteigerungen lokaler Mietmärkte mitvollziehen und sich vom genossenschaftlichen Prinzip von Nutzungsentgelten auf Selbstkostenbasis seit den 1990er Jahren abgewendet haben. Auch das Bemühen der Vorgabe von Mustersatzungen durch den GDW - siehe http://www.genossenschaft-von-unten.eu/zu-satzungsaenderungen-gdw-2019-05.html - oder der Einsatz einer intransparenten Kampagne anlässlich des Berliner Mietendeckels - siehe https://www.heise.de/tp/features/Immobilienlobby-Mit-Geo-Targeting-gegen-den-Mietendeckel-4557668.html - sind nach meiner Wahrnehmung Belege dafür, dass die Interessen von Mitgliedern von Wohnungsgenossenschaften beim GDW nicht das Gewicht haben, das sie in einem Verband hätten, der allein die Interessen von Wohnungsgenossenschaften und deren Mitglieder vertritt. In einem dritten Fall recherchiere ich noch zur Rolle des GDW: In Deutschland haben wir ein Genossenschaftsrecht, das "bei mitgliederstarken Genossenschaften das Minderheitsrecht praktisch ausschließt "(Zitat Referententwurf der Bundesregierung zur Änderung des Genossenschaftsgesetzes aus 2006, Seite 88  http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/010/1601025.pdf  ) Es geht dabei um die Regel unter welchen Voraussetzungen Mitglieder Tagesordnungspunkte auf Generalversammlungen (alle Mitlieder) oder auf Vertreterversammlungen (Delegiertenversammlungen in Genossenschaften über 1500 Mitgliedern) einbringen können und ob statt 10% 150 Mitglieder ausreichen sollen. Bei einer Genossenschaft mit 10.000 Mitlgiedern wären dass statt 1000 nur 150. Die Option von 150 Mitgliedern aus dem Novellierungsentwurf wurde wieder gestrichen und wurde nicht Gesetz. Ich habe derzeit beim Deutschen Bundestag angefragt, wer alles 2006 als Sachverständige im Rechtsausschuss zu dieser Frage Stellung genommen hat, um hier am Einzelfall beurteilen zu können, ob sich der GDW für die Stärkung der Minderheitsrechte eingesetzt hat.


 2. Due to their status as not-for-profit, member-owned financial institutions with no source of secondary investment capital, credit unions in the US are exempt from federal and state income taxes[40]

Der Ausdruck not-for-profit passt auch für Genossenschaften. Er zeigt, es ist nicht falsch Gewinne zu machen, aber sie sind nicht das, das Genossenschaften primär motivieren sollte. Motivation sollte der Nutzen für die Mitglieder sein. Da es keinen anderen Unternehmenszweck gibt, sollte der bestmöglich erfolgen, also eine Nutzenmaximierung statt eine Gewinnmaximierung stattfinden, allerdings nicht absolut gesetzt, sonderm im Rahmen guter Unternehmensführung (corporate governance) also zugleich Rücksicht auf die anderen vom Unternehmenshandeln Betroffenen genommen werden wie Mitarbeiter, Lieferanten, Kommune,Staat und Umwelt. Nach meiner Wahrnehmung steht es noch aus, ein betriebswirtschaftliches Grundkonzept auf Basis von Nutzenmaximierung an Stelle der gängigen Gewinnmaximierung zu formulieren (siehe zB Wöhe Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 15. Auflage, Kapitel: Die Produktion als betriebliche Hauptfunktion Seite 401). Dieses könnten zum Beispiel Wohnungsgenossenschaften als Leitplanken für unternehmerische Entscheidungen nutzen. 

3. Typically, members' families – such as immediate family or household members – can also join the credit union.[24]

Auch in Wohnungsgenossenschaften macht es Sinn, wenn alle Bewohner Mitglieder werden können.

4. Credit unions generally follow the principle of "once a member, always a member", which allows a member with a current credit union membership to remain a member even if s/he would otherwise no longer qualify to be such, such as leaving the company with whom s/he initially gained membership or moving outside the credit union's defined geographic area. However, many credit unions reserve the right of expulsion against a member who causes a financial loss.[26]

Übertragen auf eine Wohnungsgenossenschaft heist das, dass zum Beispiel eine Privatinsolvenz kein Grund sein sollte, ein Mitglied auszuschließen soweit es weiter das Nutzungsentgelt bezahlt.

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Credit_unions_in_the_United_States

Credit unions in the United States serve 100 million members, comprising 43.7% of the economically active population.[1][2] U.S. credit unions are not-for-profit, cooperative, tax-exempt organizations.[3]

1. "Tension has always existed between member-owned cooperative credit unions and for-profit banks in the United States. When credit unions were first organizing in the US in the early 20th century, the banking industry was opposed, remaining so ever since. Banks and bank trade associations consistently put anti-credit union legislation at the top of their agendas.[39] "

Es gab immer Spannungen zwischen im Eigentum von Mitgliedern befindlichen kooperativen credit unions und auf Gewinn ausgerichteten Banken in den USA. Als die ersten credit unions Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, war die Bankenbranche dagegen, was bis heute so blieb. Banken und Bankenverbände gaben einer gegen credit unions gerichtete Gesetzgebung dauerhaft eine hohe Priorität.

2. "Due to their status as not-for-profit, member-owned financial institutions with no source of secondary investment capital, credit unions in the US are exempt from federal and state income taxes[40]"

Aufgrund ihres Status als nicht auf Gewinn ausgerichtete, im Eigentum von Mitgliedern befindliche Finanzorganisation ohne Zugang zu weitergehendem Investivkapital. sind credit unions in den USA von der Einkommensteuer befreit.

3. Typically, members' families – such as immediate family or household members – can also join the credit union.[24]

Normalerweise können Familienangehörige von Mitgliedern, sowohl wie direkte Angehörige (gemeint sind wohl Kinder und Eltern) als auch im gleichen Haushalt wohnende, auch Mitglieder der credit union werden.

4. Credit unions generally follow the principle of "once a member, always a member", which allows a member with a current credit union membership to remain a member even if s/he would otherwise no longer qualify to be such, ... However, many credit unions reserve the right of expulsion against a member who causes a financial loss.[26]

Credit unions folgen in der Regel dem Prinzip, "einmal Mitglied, immer Mitglied". Das erlaubt einem Mitglied auch dann Mitglied zu bleiben, wenn es die Zulassungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt, ...Viele credit unions behalten sich jedoch das Recht vor, ein Mitglied auszuschließen, wenn durch das Mitglied ein finanzieller Verlust entsteht.

Dienstag, 24. Dezember 2019

genossenschaftliche Praxis auf der Höhe der Zukunft

Vor einigen Monaten hatte ich einen Vortrag des Theologen und Philosophen Jürgen Manemann über den Klimanotstand gehört. https://www.youtube.com/watch?v=jf0Ikh_3jxU&t=882s

Mich frappierte darin eine Zitat von Roger Willemsen. "Aus all den Fakten ist keine Praxis entsprungen, die auf der Höhe der drohenden Zukunft wäre" (11:28). Auch wenn ich selbst am Thema Klimaanotstand sehr interessiert bin, wurde mir klar, dass diese Aussage sich weitgehend auch auf traditionelle Wohnungsgenossenschaften in Deutschland übertragen lässt: aus all ihren Handlungen, ihren Traditionen und ihrem Selbstverständnis ist in der Regel keine Praxis entsprungen, die auf der Höhe dessen ist, was Genossenschaften sein können, was ihrem Potential entspricht. Auch die von Manemann zitierte Einsicht von Hegel passt hier: Bekanntes ist darum, weil es bekannt ist, noch lange nicht erkannt." (10:47). Jürgen Manemann formuliert das so: Das, was das bekannteste ist, ist vielfach das, was wir überhaupt nicht erkannt haben: Mitglieder und Funktionsträger in Genossenschaften sind häufig gängige Geschäftspolitiken und Sichtweisen so sehr gewohnt, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, dass Genossenschaften mehr sein können, als sie es seit Jahren erfahren, dass sie in ihrem konkreten Fall noch gar nicht richtig gebohren sind bzw. noch nicht erwacht oder erwachsen geworden sind.

Was müsste erfüllt sein, um diese höhere Qualität der Genossenschaftsidee zu verwirklichen? Auch dafür liefert der Vortrag von Jürgen Manemann gute Hinweise: Den ersten Punkt, den er macht, ist die Wahrheit zu sagen (ab min 9). Dabei stellt er fest, dass dies zunächst heißt Fakten zu nennen und auf Fakten basierende Informationen zu verbreiten. Im genossenschaftlichen Kontext könnte dies heißen, dass gängige Unternehmenspraktiken untersucht werden, inwieweit sie genossenschaftlichen Prinzipien oder in der Satzung festgelegten Regeln widersprechen und Korrekturen einzufordern bzw selbst Vorschläge zu machen, wie die Praxis besser am Genossenschaftsgedanken ausgerichtet werden kann. Manemann geht allerdings weiter. Er stellt fest, dass für eine gute Praxis Verstand und Herz angeprochen werden müssen: "Die Wahrheit sagen muss also mehr beinhalten als Fakten aufzulisten. Die Wahrheit sagen muß heißen sie so zu sagen, daß wir von der Wahrheit berührt werden, daß uns diese Wahrheit angeht, und zwar in unserem Innersten. Nur dann kann diese Wahrheit Leben, unser Leben verändern. Nur dann stellt diese Wahrheit einen Anspruch an mich. Ein dieser Wahrheit entsprechendes Leben führen heißt wahrhaftig zu leben, Wahrhaftigkeit heißt die Wahrheit tun. Wahrheit sagen muss eine Praxis nach sich ziehen." Weiter weist Manemann auf Michel Foucault hin, dass Wahrheit sagen immer mit Selbstverwandlung zu tun haben muss und dem zahlreiche  Widerstände und Ablehnung entgegenstehen können. Er geht weiter auf die griechische Herkunft des Wortes Wahrheit, aletheia, ein, das wörtlich Unverborgenheit bedeutet. Nach dem Philosophen Vilém Flusser ginge es darum die "Wattedecke der Gewohnheiten wegzuziehen", "die die Wahrheit verbirgt", "die alle Ecken abrundet und alle Störgeräusche dämpft". Deshalb ist es wichtig innerhalb von Genossenschaften auf Augenhöhe miteinander zu kommuzieren und alle Informationen transparent zu machen, d.h. gleichbereichtigt zu teilen aber auch, sich hin zu einer Praxis zu entwickeln, Emotionen miteinander zu teilen. Wissen sollte nie als Herrschaftswissen eingesetzt werden, sondern innerhalb von Genossenschaften so breit wie möglich geteilt werden. Hauptamtlich tätige Vorstände haben immer auch einen Bildungsauftrag gegenüber den Mitgliedern. Unternehmerische Entscheidungen auf Mitgliederversammlungen sollten im Kontext möglicher Alternativen vorgestellt und damit die Rolle der Mitglieder als Mitunternehmer achten. Und vor allem, die Mitglieder sollten diese Rolle, die sie innehaben, selbst achten. Wie §1 des Genossenschaftsgesetzes formuliert, geht es in Gnossenschaften darum, die Wirtschaft der Mitglieder mittels eines gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs zu fördern. Das heißt, auch wenn eine Geschäftsführung die operative Verantwortung hat und die Geschäfte ausführt, sind alle als Mitunternehmer beteiligt und sollten die grundlegenden Aspekte der Unternehmensstrategie mit vollziehen und im Zusammenspiel mit dem Aufsichsrat mit gestalten. Dabei dürfen und sollten alle Beteiligte auch ihre Emotionen benennen. Destruktiv werden Ängste und Sorgen dann, wenn sie nicht ausgeprochen werden, sondern hinter rationalen Argumenten verborgen werden. Hier haben wohl die meisten traditionellen Wohnungsgenossenschaften noch Entwicklungspotential, nicht anders als die meisten Unternehmen anderer Rechtsformen. Weitere Entwicklungspotentiale für Unternehmen in der Entwicklungslinie - streng hierachisch geführt -  über rational geführt - ökologisch ausgerichtet - hin zu wertebasiert und und kollegial geführt - zeigte 2014 Frederic Laloux auf in seinem Buch "Reinventing Organizations." Das Gute an der Praxis ist, dass sie Fehler der Vergangenheit verzeiht, da in jedem Augenblick die Praxis durch adäquates Handeln verbessert werden kann. Jederzeit ist ein Neustart möglich und jeder, der damit anfängt, egal in welcher Position er ist, verändert damit bereits die Gesamtsituation in einem Unternehmen. 

 Auf Augenhöhe kommunizieren heißt in diesem Zusammenhang auch anzuerkennen, dass wir alle als Menschen auf dem Weg sind, uns in einer Entwicklung befinden, egal welche Rolle wir in einer Genossenschaft ausfüllen. Dies erlaubt echte Veränderung, weil Fehler nicht als Bedrohung erlebt werden, sondern als Chance, aus Fehlern zu lernen und Dinge beim nächsten mal besser zu machen und uns gemeinsam als Unternehmen weiterzuentwicklen, innerhalb einer Gesellschaft, die sich ja ebenfalls dringend weiter entwickeln muss, um Herausforderungen wie den drohenden Klimakollaps zu bewältigen. Insofern sind Genossenschaften auch immer Lernräume für einen guten Umgang miteinander und für Mitbestimmung und Demokratie, die in die ganze Gesellschaft ausstrahlen können.

Der zweite Punkt, den Mannemann macht, ist, dass er sagt, dass sich die Praxis nur ändern wird, wenn wir sensibel für diese tiefergehenden Zusammenhänge sind. In der genossenschaftlichen Praxis bedeutet dies, dass allein dadurch, dass einige Menschen beginnen, über diese Dinge zu reden, zu schreiben und sich zu vernetzen, sich etwas verändert, sowohl in einzelnen Genossenschaften als auch gesamtgesellschaftlich. Zeugnisse von Menschen und Gruppen, die in diesem Sinne nach meiner Wahrnehmung aktiv sind gibt es einige, siehe als Beispiel:

anders wohnen in Genossenschaften https://anderswohneningenossenschaften.de/
Genossenschaft-von-unten-Berlin http://www.genossenschaft-von-unten.eu/
Genossenschaft-von utnen Hamburg https://genossenschaft-von-unten-hamburg.de/
Genonachrichten https://www.genonachrichten.de/
eine Initiative von Mitgliedern der Altoba zu datensammelnden Rauchwarnmeldern https://annaelbe.net/rauchmelder/argumente_argumente.php

Ein Beispiel für Wohnungsgenossenschaften,  die hier schon sehr gut unterwegs sind:
Selbstbau eG Berlin link Leitbild und aus der Schweiz die Gesowo aus Winterthur siehe link Leitbild 

Sonntag, 22. Dezember 2019

Praktische Hinweise zum Zusammenhang von Idee, Idealismus und Ideologie an Hand von Genossenschaften

In einer mir bekannten großen Wohnungsgenossenschaft hatte sich vor einiger Zeit eine Gruppe von Mitgliedern organisiert, die sich zum Ziel gesetzt hatten, Einfluss darauf zu nehmen, dass sich die Unternehmenspolitik mehr auf der wirtschaftliche Förderung der Mitglieder ausrichtet. Als die Gruppe im Rahmen des innergenossenschaftlichen Diskurses mehr und mehr zur Kenntnis genommen wurde, wurde seitens der Geschaftsführung geäußert, dass es gefährlich sei, einer Ideologie zu folgen. Wie kann man in einem organisierten Gemeinwesen verhindern, dass aus einem an sich guten Ansatz genau das passiert? Wäre das schlimm und wenn ja, ist es eine reale Möglichkeit und wie sollte man sich als Gruppe, die etwas zum Positiven bewegen will, positionieren, damit diese Gefahr in der Praxis keine Rolle spielt?

Dass die Genossenschaftsidee - sich gemeinschaftlich organisieren, um in einer Satzung festgelegte gesellschaftlich akzeptierte und legale Ziele zu erreichen - grundsätzlich eine sinnvolle und gute Sache ist, dem werden wohl die meisten zustimmen. Wenn eine Gruppe innerhalb einer Genossenschaft den Eindruck hat, dass es in diesem Bereich in ihrer Genossenschaft Verbesserungsbedarf gibt und sich dafür engagiert, gehört dazu eine ganze Menge Idealismus, da der Ausgang ihrer Aktivität unbestimmt ist und sie dafür nicht bezahlt werden. Gerade in großen Genossenschaften bringen sich die meisten Mitglieder in die gemeinschaftliche Organisation des Geschäftsbetriebs gar nicht mehr ein, trauen sich da oft auch nur wenig Mitsprachefähigkeit zu, in der Regel weniger als zum Beispiel in politischen Fragen oder im Fussball.

Ich persönlich rate an dieser Stelle grundsätzlich dazu, sich auf das zu fokussieren, was eine Genossenschaft ausmacht und gemeinsam zu prüfen und sich dafür einzusetzen, dass Grundprinzipien genossenschaftlichen Handelns in der jeweiligen Unternehmenspolitik erfüllt sind, Dies lässt sich relativ leicht prüfen. Die wichtigsten Prinzipien hatte ich vor einigen Monaten in der Hamburger Erklärung formuliert http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2019/03/hamburger-erklarung.html. An Hand dieser Prinzipien kann man in Wohnungsgenossenschaften die eigene Geschäftspolitik weiter entwickeln. Allerdings ist es zumindest theoretisch denkbar, dass Menschen darauf drängen könnten, dass Grundprinzipien erfüllt werden, ohne auf die jeweilige Situation zu achten, was für die Mitglieder der Genossenschaft wirklich sinnvoll ist, kurz-, mittel- und langfristig. Prinzipien sind also kein Selbstzweck. Man muss allerdings gute Argumente haben, wenn man von ihnen abweicht und sind die Prinzipien gut gewählt, wird es in der Praxis nicht nötig sein und auch nicht sinnvoll sein, von ihnen abzuweichen. Als sich selbst organisierende Gruppe innerhalb einer größeren Genossenschaft kann man verhindern genossenschaftliche Ideale quasi als Selbstzweck zu verfolgen, indem klar wird, warum man aktiv ist. Es ist kaum vorstellbar, dass Menschen dies tun aus Prinzipienreiterei, weil sie einfach wollen, dass Regeln eingehalten werden. Sie werden es tun, entweder weil sie merken, dass die genossenschaftliche Wirklichkeit zu wenig mit dem zu tun hat, was Genossenschaft eigentlich bedeutet, oder sie werden es tun, wenn sie eine innere Intuition haben, was für ein Potential in der Genossenschaftsidee steckt und sie dieses konkret in einer bestimmten Genossenschaft zur Entfaltung bringen wollen. Der letzte Punkt erlaubt einen praktischen Hinweis zum Umgang miteinander in Genossenschaften, wenn zum einen gewachsene Unternehmenskulturen kaum noch Mitbestimmung nutzen und sie zu normalen am Markt und am Gewinn orientierten Wirtschaftsunternehmen geworden sind und auf Mitglieder treffen, die ihre Ideale Wirklichkeit werden lassen wollen: Man sollte Managern und anderen Funktionsträgern diesen fehlenden Idealismus nicht zum Vorwurf machen. Große Genossenschaften sind eben auch Wirtschaftsunternehmen, die effizient und erfolgreich organisiert und geführt werden müssen. Wenn Menschen ohne genossenschaftsideele Visionen und Intuitionen in Führungspositionen gekommen sind, dann ist das nicht deren Schuld, sondern einfach das Ergebnis der jeweiligen kollektiven Entscheidungen der Mitglieder der jeweiligen Genossenschaften, die eben über die Jahrzehnte diese Genossenschaftsidee nicht sehr stark gewichtet haben. In Deutschland spielen in großen traditionellen Wohnungsgenossenschaften ideelle Aspekte nach meiner Wahrnehmung eine untergeordnete Rolle, geringer als zum Beispiel bei Schweizer Genossenschaften. Das fängt schon damit an, dass die meisten gemeinsam mit gewinnmaximierenden Wohnungsunternehmen und kommunalen und kirchlichen Wohnungsunternehmen in einem Verband, dem GDW, organisiert sind. Dafür haben viele deutsche Wohnungsgenossenschaften eine deutlich größere Bautätigkeit über Jahrzehnte entfaltet als ihre Schweizer Pendants. Es gibt eine große Bandbreite inwieweit Menschen individuelle Freiheit gegenüber  wirtschaftlichen Vorteilen gewichten. Sowohl Erdogan in der Türkei als auch das Regime der kommunistischen Partei in China erhielten viel Akzeptanz aus der Bevölkerung, weil viele Menschen wirtschaftlich profitierten. Andere Gesellschaften wie die Schweiz und zum Beispiel auch Hongkong haben ein viel stärkeres kollektives Bewusstsein dafür, dass individuelle Freiheit und wirtschaftlicher Erfolg zusammengehören. 

In Bezug auf konkrete genossenschaftliche Wirklichkeiten plädiere ich dafür auf Schuldzuweisungen zu verzichten, die jeweilige aktuelle Unternehmenspraxsis und Unternehmenskultur als Ausgangslage zu akzeptieren und dann gemeinsam zu schauen, was man bestmöglich daraus machen kann.
Für eine Genossenschaft bedeutet das, dass es tatsächlich einen Unterschied macht, wie viele normale Mitglieder sich einbringen mit ihrer Vision, was aus ihrer Genossenschaft werden soll, was sie ihr zutrauen. Genossenschaftliche Prinzipien sind dabei Leitplanken, können aber den Blick für die Wirklichkeit des eigenen Unternehmens und vor allem für die noch nicht ganz entfalteten Teile dieser Wirklichkeit nicht ersetzen und brauchen es auch nicht zu tun. Genossenschaften leben ja gerade von dem lebendigen sich immer wieder Einbringen der Mitglieder, Es ist wie in einer Demokratie, auch die muss immer wieder von der Basis her Interesse und Impulse erhalten, je mehr und um so vielfältiger, umso besser.