Freitag, 14. August 2020

Nutzenmaximierung in Wohnungsgenossenschaften neu gedacht

Im folgenden Beitrag werde ich zeigen, wie die genossenschaftliche Nutzenmaximierung für die Mitglieder so erweitert werden kann, dass damit soziale Aspekte besser integriert werden können. Der Konflikt zwischen einer parternalistischen, sozialdemokratischen Interpretation der Genossenschaftsidee bzw. deren Umsetzung in einer Wohnungsgenossenschaft und ihrer sozialliberalen Verwirklichung, wie ich ihn hier http://liberalundkooperativ.blogspot.com/2020/08/was-genossenschaften-von-der-schweizer.html beschrieben habe, kann damit aufgehoben werden.

genossenschaftliche Nutzenmaximierung

Wohnungsgenossenschaften sind Wirtschaftsunternehmen, deren Zweck nach § 1 Genossenschaftsgesetz es ist, die Wirtschaft ihrer Mitglieder zu fördern. Da sie keinem anderen Zweck dienen, ist dieser bestmöglich zu erfüllen. Das heißt, es sollte eine Nutzenmaximierung für die Mitglieder stattfinden im Rahmen guter Unternehmensführung, also unter einer fairen Berücksichtigung der Interessen betroffener Gruppen wie Mitarbeiter, Lieferanten, der Gemeinde, des Staates und der natürlichen Umwelt und aller Lebenwesen.

sozialdemokratische Genossenschaft versus sozialliberale Genossenschaft

In der Praxis kann es vorkommen, dass sich eine "sozialdemokratische Unternehmenskultur" herausbildet, die die Genossenschaft wie eine Stiftung betreibt und zum Beispiel höhere Nutzungsentgelte verlangt und höhere Gewinne erwirtschaftet als es betriebswirtschaftlich erforderlich wäre und auf dieser Basis mehr baut und schneller wächst als diese eine konsequent an den Interessen der Mitglieder ausgerichtete Genossenschaft tun würde. Sie baut dann für die lokale Bevölkerung statt für den engeren Kreis der eigenen Mitglieder. 1

Wie man diesen Gegensatz auflösen kann

Die klassische Vorstellung, die der Wirtschaftswissenschaft in ihrem Hauptstrom zugrunde liegt, geht vom homo ökonomicus aus, das heißt der Vorstellung, dass dieser rational handelt und wirtschaftswissenschaftlich formuliert "seinen Nutzen maximiert".2

Allerdings hat die Ökonomie wie auch die Gesellschaft insgesamt mehrheitlich angenommen, dass der Mensch im Grund egoistisch ist und seinen Nutzen nur auf sich selbst und sein engstes persönliches Umfeld bezieht.3  Dass ist eine Fehlannahme, die empirisch nicht belegt ist. Empirisch belegbar ist, dass der Mensch im Grunde gut ist. Das zeigt der niederländsiche Historiker in seinem Buch "Im Grunde gut." https://www.amazon.de/Im-Grunde-gut-Geschichte-Menschheit/dp/3498002007/ref=sr_1_1?dchild=1&keywords=im+grunde+gut&link_code=qs&qid=1597389798&sourceid=Mozilla-search&sr=8-1&tag=firefox-de-21 . Dies entspricht auch meiner eigenen Lebenserfahrung in vielen Zusammenhängen. 4 Auch in  Genossenschaften nehme ich das im Grunde gutmütige Verhalten als das Normale wahr. Geht man vom Menschen aus als einem Wesen, das sich zugleich als Individuum (the right to persue its own happiness) als auch als Kollektivwesen versteht, kann man ermitteln, wie seine Präferenzen bei der Gestaltung der Geschäftspolitik einer Wohnungsgenossenschaft sind: Wie viel des jährlichen Aufwandes und seines Anteiles daran möchte er verwenden, um über seinen individuellen Nutzen und den seiner Familie hinauszugehen, um über den mehr oder weniger großen Kreis der Genossenschaftsmitglieder hinaus Wohnungen für die lokale Bevölkerung zur Verfügung zu stellen? Dies gilt es repräsentativ zu erheben und in geeigneter Form zusammenzufassen (zu aggregieren) und in angemessenen Abständen, zum Beispiel alle 10 Jahre, zu überprüfen, ob es noch die Präferenzen der Mitglieder richtig erfasst. Auf dieser Basis lässt sich dann die Unternehmenspolitik grundsätzlich ausrichten. 

Korrektur Einschub vom 20.08.2020 zur Frage, ob es in Woges möglich ist, in größerem Umfang auch für Nichtmitglieder zu bauen:

Die ist eindeutig mit Nein zu beantworten: selbst wenn eine Wirtschaftsgenossenschaft sich in der Satzung ein soziales Ziel setzt, siehe zum Beispiel hier https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/erwerbs-und-wirtschaftsgenossenschaften-36223 , kann es auf diesem diesem Weg nicht für Nichtmitglieder bauen, da auch bei sozialen oder kulturellen Zielen der Zweck darin besteht, die Mitglieder zu fördern. Will man wirklich alle Menschen fördern, muss man entweder eine Stiftung gründen oder dies als öffentliche Aufgabe angehen wie es ja mit kommunalen Wohnungsunternehmen geschieht. Der folgende Abschnitt Reflektion verliert damit an Aktualität und wird von mir aus dokumentarischen Gründen als älterer Diskussionsstand stehen gelassen.

Reflektion

Wenn man im Wesen einer Wirtschaftsgenossenschaft die Förderung der Wirtschaft der Mitglieder akzeptiert, ist es dann nicht schon eine Zumutung für die Mitglieder, ihre Präferenzen zu erfragen hinsichtlich der Entscheidung, ob sie altruristisch handeln wollen? Grundsätzlich würde ich sagen ja, außer, wenn es in der Praxis Hinweise gibt, dass der Altruismus mehrheitlich gewollt ist, zum Beispiel entsprechende Aussagen im Rahmen der Gründung getroffen wurden oder weil sich eine entsprechende Geschäftspolitik über die Jahre herausgebildet wird, die mehrheitlich gebilligt wird. Dreh-und Angelpunkt wird allerdings sein, den tatsächlichen Willen der Mitglieder korrekt zu ermitteln und sich hier nicht auf Interpretationen oder Wunschdenken zu verlassen. Oder anders ausgedrückt: solange Mitglieder nicht sicher mehrheitlich ihren Nutzen  altruristisch erweitern, ist in Wirtschaftsgenossenschaften die Förderung der Wirtschaft der Mitglieder das Ziel des Unternehmens und sollte nur in Bezug auf den Rahmen gute Unternehmensführung ganzheitlich ausgestaltet werden. Die Chancen, dass sich eine gewisse altruistische Komponente ermitteln lässt, stehen aber nicht schlecht und es kann sehr viel Spaß machen und zu einem Zusammenwachsen führen und zu einem  belebendem Faktor werden für die eigene Identität als Genossenschaft, wenn man diesen Prozess angeht.

______________________________

1 Durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz von 1930 -1989 habe viele deutsche Woges eine Prägung in diese Richtung erfahren, während ich zum Beispiel in der Schweiz insgesamt eine stärkere Orientierung am direkten Mitgliedernutzen wahrnehme. So ist zum Beispiel das Prinzip der Nutzungsentgelte auf Basis der tatsächlichen Kosten der Wohnanlagen in der Schweiz der Regelfall, während dies in Deutschland deutlich weniger Gewicht hat. Die Züricher Wohnungsgenossenschaften senkten zum Beispiel 2016 ihre Nutzungsentgelte (Nettokaltmieten) im Durchchnitt um 10%, weil niedrige Kapitalmarktzinsen dies möglich machten. In Deutschland sind mir ähnliche Fälle nicht zu Ohren gekommen.

2 Zum Beispiel Frank H Knight in "Risk, Uncertainty and Profit", 1921. S.25ff.: Das Gebahren des Menschen (conduct) gehe dahin, seine Bedürfnissse zu befriedigen. Darin liegt eine gewisses Benehmen und innere Führung und Gestaltung, die über Verhalten (behavior) und die reine impulshafte Reaktion auf äußere Reize hinausgeht, obwohl natürlich über Werbung, Verpackung und Warenpräsentation versucht wird, auf Kaufentscheidungen Einfluss zu nehmen. George J. Stigler führt zum Beispiel in "The Theory of Price" 1987 S.1 ff. eine empirische Messung an, dass Menschen im Durchschnitt bei höherwertigen Gütern (Autos) mehr unterschiedliche Angebote einholen als bei günstigeren (Waschmaschinen) und damit rational handeln, da das Verhältnis von Suchaufwand und Geldersparnis hier vielversprechender ist. (Mit dem Internet hat sich die "Ökonomie der Suche" massiv verändert und viele Geschäftsmodelle massiv gestört und viele neue gebohren). Einen exzellenten Vortrag zur Auflösung der Dichotomie von quantitativer mathematischer Ökonomie und ethisch- politischer Ökonomie hat Karl-Heinz Brodbeck gehalten, in dem er die der mathematischen Ökonomie impilizite d.h nicht direkt erkennbare Ethik erkennbar macht, siehe https://www.youtube.com/watch?v=6Q1lAQFWe74&t=4527s

4 Zwei Beispiele aus meinem Leben: in meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als von Amtsgerichten bestellter rechtlicher Betreuer für Menschen mit Behinderung kenne ich viele Kolleginnen und Kollegen, die über Jahre sehr gute Arbeit leisten und ist mir kein grobes Versagen bekannt geworden. Dennoch werde ich aus meinem Bekanntenkreis immer mal wieder auf Berichte aus den Medien angesprochen, dass irgendwo ein rechtlicher Betreuer grob gegen den Willen der betreuten Person gehandelt hätte und eigene Interessen verfolgt hätte. Es bedient Ängste von Menschen, wenn sie ein Stück ihrer Autonomie teilen müsssen und erzielt hohe Aufmerksamtkeit wenn Medien über solche Skandale berichten. Bei allen hitzigen Diskussionen im Rahmen von Corona/Covid19 zwischen Leugnern der Pandemie und übertriebener Vorsicht erlebte ich, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung eine mittlere Position einnahm vorsichtig war und gelassen blieb.

 

 






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen