Sonntag, 8. September 2024

Albachs synthetische Bilanztheorie unpassend für bedarfswirtschaftliche Unternehmen

Der Artikel kommt zu dem Ergebnis, dass die von Horst Albach formulierte synthetische Bilanztheorie (1) in der vorliegenden Form nicht für bedarfswirtschaftliche Unternehmen passt.

Einleitung

Das deutschsprachige Wikipedia, führt in seinem Artikel zu Bilanztheorien als Einzelnachweis den Artikel von Horst Albach zu seiner synthetischen Bilanztheorie auf (unter Nr 47 zum aktuellen Zeitpunkt). Ich untersuche hier inwieweit seine Aussagen auch für bedarfswirtschaftiche, den Nutzen ihrer Leistungsabnehmer maximierende Unternehmen gelten können im Gegensatz zu erwerbswirtschaftlichen, den Gewinn bzw. die Rendite der Eigentümer maximierende. 

Untersuchung 

Albach nimmt wie Wikipedia richtig feststellt eine zukunftsgerichtete Perspektive ein (Wikipedia ordnet seine Bilanztheorie unter die Zukunftsgewinnkonzepte ein). Er definiert einen optimalen Gesamtplan für die Unternehmung, der einen Gesamtgewinn ausweist, den er als den Kapitalwert der erwarteten Periodengewinne definiert. Dabei nimmt er die Gewinne der jeweiligen Jahre, zinst sie mit einem einheitlichen Zinsfuß ab und bildet daraus die Summe (S. 24f.). Die operativen und strategischen Entscheidungen, die zu den jeweiligen Periodengewinnen führen (Albach schreibt von Periodengewinnen, sodass statt auf der Basis von Geschäftsjahren sein Ansatz sogar auf Monatsbasis durchgeführt werden könnte), fasst Albach unter dem Begriff Entscheidungsparameter zusammen. Albach schreibt: "Derjenige Gesamtplan ist nun optimal, der unter allen möglichen Werten der Entscheidungsparameter diejenigen angibt, die zum größten unter allen möglichen Kapitalwerten ...führen." (S.25)

Damit wird deutlich, dass dieser Ansatz nur zu gewinnmaximierenden/eigenkapitalrenditemaximierenden Unternehmen passt. Die Zielfunktion bzw. der Zweck von bedarfswirtschaftichen Unternehmen ist gerade nicht auf eine Kapitalwertmaximierung ausgerichtet sondern auf eine Bedarfsdeckung der Leistungsabnehmer zu minimalen Kosten (Wirtschaftlichkeitsprinzip in der Ausprägung des Minimumprinzips siehe (2).(3),(4)). Man könnte an dieser Stelle untersuchen, ob es möglich und sinnvoll ist eine synthetische Bilanztheorie für bedarfswirtschaftliche Unternehmen zu formulieren und wie diese aussehen müsste. Dazu wäre es  sinnvoll sich über Sinn und Zweck von Bilanztheorien insgesamt Gedanken zu machen in Anlehnung an die Ausführungen von Wolfgang Stützel (5). Dennoch ist es lehrreich auch für die bedarfswirtschaftliche BWL den Ausführungen Albachs weiter zu folgen. Albach schreibt zu seinem Optimum:

(Fettdruck von F.G.) "Dieses Optimum ist....konditional: Es hängt von dem gewählten Kalkulationszinsfuß ab. Dieser Zinsfuß wird in dem Entscheidungskalkül so gewählt, daß er eine Bezugsalternative darstellt: eine Anlage außerhalb des Unternehmens, z.B. in Finanzanlagen auf dem Kapitalmarkt. Das bedeutet: Jeder Plan, der einen positiven Kapitalwert ergibt, ist zulässig. Unter den zulässigen wird dann der in bezug auf die Anlage des gleichen Betrages außerhalb des Unternehmens optimale (mit dem höchsten Kapitalwert) ausgesucht. Der optimale Plan ist also diejenige Kombination von innerbetrieblichen Entscheidungsparametern, die im Vergleich mit einem Einsatz der betrieblichen Mittel außerhalb des Unternehmens am besten ist."

Hier kommt wieder der Opportunitätskostenansatz zur Wirkung, den ich bereits in meinem Artikel (6) über die Eigenkapitalrendite bei Wohnungsgenossenschaften zurückgewiesen habe, weil im Falle der Wahl der externen Anlage gerade keine Bedarfsdeckung für die Leistungsabnehmer stattfindet, das heißt der Unternehmenszweck verfehlt wird. Es kann also gerade nicht von einem Optimum gesprochen werden. Auch hier wird wieder deutlich wie wichtig es ist, den jeweiligen Unternehmenszweck bei Anwendungen betriebswirtschafftlicher Methoden und Theorien nicht aus den Augen zu verlieren. Deshalb seien hier noch grundlegende Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften zitiert:

Wolfgang Stützel zitiert nach (7)

"Bilanzregeln müssen aus der Zweckbestimmung der Rechnungslegung abgeleitet werden. Jeder Bilanzzweck führt zu spezifischen Bilanzierungsnormen. Zur Erfüllung bestimmer Zwecke reichen Rechenwerke nach Art traditioneller handeslrechtlicher Jahresabschlüsse aus, während für andere Funktionen "Rechenwerke nach Art traditoneller Jahresabschlüsse weder unbedingt erforderlich sind noch Ausreichendes leisten"."

Kommentar: Deshalb unterscheidet die BWL zwischen Finanzbuchhaltung und betrieblichem Rechnungswesen und gibt letzterer alle Freiheitsräume.

Eugen Schmalenbach (8)

"Die Kostenrechnung gestaltet sich verschieden, je nach dem Zwecke, von dem sie beherrscht wird. Das sollten auch diejenigen im Auge behalten, die über diesen Gegenstand schreiben. Es hat der Sache nicht gedient, daß fast alle Schriftsteller der Praxis von einem einzigen Zweck ausgingen, der in dem Betrieb, des sie kennenlernten, der vorherschende war." und "Es hängt vom verfolgten Rechenzweck ab, ob und in welchem Umfange der für betriebliche Leistungen erfolgte Güterverzehr als Kosten in Ansatz zu bringen ist. Die als Kosten bezeichnete Rechengröße ist also keine absolute Größe, die für alle Kostenrechnungszwecke Gültigkeit hat, sondern sie schließt bereits den verfolgten Rechnungszweck in sich ein; der Kostenbegirff ist zweckabhängig. Es ist möglich, daß der gleiche Gutsverzehr in der einen Kostenrechnung als Kosten anzusetzen ist und in ener anderen Kostenrechnung keine Kostengröße darstellt."

Kommentar : Insoweit sind allgemein kostenrechnerische Aussagen, die nicht unterscheiden, ob sie für Unternehmen getätigt werden, die erwerbswirtschaftlich ausgerichtet sind oder bedarfswirtschaftlich, latent falsch. Es braucht eine allgemeine Betriebswirtschaftslehre bzw. -theorie, die in ihrem Kernbereich, wozu sicher Aussagen zur Kostenrechnung und Preispolitik gehören, zwei Säulen unterscheidet und ausarbeitet, welche wirtschaftstheoretischen Aussagen für beide Säulen gelten und welche jeweils anders lauten. Der Mangel zeigt sich zum Beispiel, wenn unreflektiert der Opportunitätskostenansatz auf bedarfswirtschafltiche Unternehmen angewendet wird, sei es im Bereich der Kostenrechnung oder allgemeiner im Rahmen einer Bilanztheorie. Besonders fatal ist es, wenn ein Unternehmensverband, der bedarfswirtschaftliche Unternehmen vertritt, dies gar nicht mehr im Blick hat sondern seinen Mitgliedsunternehmen eine "Arbeitshilfe" zur erwerbswirtschaftlichen Ausrichtung gibt. (9)

Wolfgang Stützel und C. Brinkmann zitiert nach Wolfgang Stützel (10)

"Jede wirtschaftstheoretische Arbeit ist ein Versuch, durch systematische Überlegungen ein besseres Verständnis gewisser Vorgänge im sozialen Leben zu erschließen, und zwar jener Vorgänge, die wesentlich mit der Vorsorge zur Deckung des Lebensbedarfs zu tun haben und außerdem sich so regelmäßig wiederholen und in jeweils ähnlicher Weise so massenhaft auftreten, "daß sie mit Gewinn zum Gegenstand generalisierender Aussagen gemacht werden können"."

Literatur

(1) Horst Albach, Grundgedanken zur synthetischen Bilanztheorie, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 1965, S.21-31  

(2) Frank Giebel, Mehr bedarfsdeckende Unternehmen als Teil einer nachhaltigen, lebenswerten Zukunft , Blog liberal und kooperativ, https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2020/12/mehr-bedarfsdeckende-unternehmen-als.html , 2020

(3) Frank Giebel, Meine Auseinandersetzung mit "Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre unter Rationalitätsaspekten - Grundfragen der Betriebswirtschaftslehre" von Marcell Schweitzer und Marcus Schweitzer, Blog liberal und kooperativ, https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2020/10/rezension-allgemeine.html  , 2020

(4) Frank Giebel, kleiner Diskursbeitrag zur genossenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre, Blog liberal und kooperativ, https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2023/06/kleiner-diskursbeitrag-zur.html , 2023

(5) Wolfgang Stützel, Bemerkungen zur Bilanztheorie, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 1967, Seite 314-314 

 (6) Frank Giebel, Betriebswirtschaftliche Beurteilung der Eigenkapitalverzinsung im Rahmen der Preiskalkulation von Wohnungsgenossenschaften als bedarfswirtschaftliche Unternehmen,  Blog liberal und kooperativ, https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2024/09/betriebswirtschaftliche-beurteilung-der.html , 2024, Seite 5f.

(7) Hartmut Bieg; Peter Bofinger; Karlheinz Küting; Heinz Kußmaul; Gerd Waschbusch ..., Die Saarbrücker Initiative gegen den Fair Value, Der Betrieb, 2008. S. 2549-2552 , dort S. 2549 mit Zitat von Wolfgang Stützel (5)

(8) Eugen Schmalenbach, Kostenrechnung und Preispolitik, 1963, 8. Auflage, Köln und Opladen, S.16 und Seite 6

(9) Frank Giebel, Gewinnorientierung als Zeitgeistsaspekt in der Fachliteratur zur Wohnungswirtschaft, Blog liberal und kooperativ, https://liberalundkooperativ.blogspot.com/search?q=arbeitshilfe,2022

(10) Wolfgang Stützel, Volkswirtschaftliche Saldenmechanik, 1978, 2. Auflage, Tübingen, S. 1 zitierend C. Brinkmann, Wirtschaftstheorie, 2. Auflage, Göttingen, 1953, §2


Samstag, 7. September 2024

Kostenkalkulation in Wohnungsgenossenschaften zu Anschaffungspreisen oder Tagespreisen

Der Autor untersucht die ihm vorliegende Literatur und korrigiert eine dort gemachte Aussage. Nach seiner Auffassung sollten Wohnungsgenossenschaften unter Verwendung von Anschaffungspreisen statt mit aktuellen Marktpreisen ihre Selbstkosten kalkulieren.

Nach meinem Kenntnisstand gibt es nicht viel Literatur zum Thema Kostenrechnung in der Wohnungswirtschaft. Es überwiegt eine finanzwirtschaftliche bzw. investitionstheoretische Perspektive. Während die Zielsetzung einer Investitionstheorie darin besteht zum Zeitpunkt einer anstehenden Investition Informationen bereit zustellen, ist es Aufgabe der Kostenrechnung auf Dauer in gewissen Abständen Informationen für die Geschäftsführung des Unternehmens bereitzustellen zu den Hauptzwecken Kostenkontrolle, Kostenmanagement und Preisgestaltung. Kostenrechnungsliteratur zur Wohnungswirtschaft sind 

wenige Seiten in

"Grundlagen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft" Ludwina Kühne-Bünig, Volker Nordalm, Lieselotte Steveling (Hrsg.) (1)

und ausführlich

"Kosten und Kostenrechnung in der Wohnungswirtschaft", August Flender, (2)

 und siehe unten X2.

Ein Hinweis auf eine dominierende finanzwirtschaftliche Perspektive gibt ein Artikel von Karl Schneider (3) [Die Finanzwirtschaft beschäftigt sich als betriebswirtschaftliche Dimension mit der Beschaffung von Eigen- und Fremdkapital so Gabler Online Lexikon. (4)] In dem Artikel von Schneider heißt es über ein vom Bundesbauminister in Auftrag gegebenes Gutachten zur Novellierung der zweiten Berechnungsverordnung: "Nach Auffassung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist die Wirtschaftslichkeitsberechnung der Wohnungswirtschaft weitgehend finanzwirtschaftlicher Art. Sie will dem Grundstückseigentümer die Miete in solcher Höhe zukommen lassen, daß er in der Lage ist, mit den Einnahmen aus dem Objekt seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Die finanzwirtschaftliche Ausrichtung der Wirtschaftlichkeitsberechnung in der Wohnungswirtschaft zeigt sich deutlich bei den Kapitalkosten. Sie werden in gleichbleibender Höhe gerechnet, obwohl die Kapitalkosten (Zinsen) sinken. Der Eigentümer empfängt also unten dem Titel "Kosten" Beträge, die der Vermögensmehrung (Entschuldung) dienen.  (S.372)

Gemeint ist damit, dass es nach der zweiten Berechnungsverordnung (II BV) (5), (6), (7) zulässig ist, nicht nur die über die Jahre fallenden Zinsen anzusetzen sondern auch für die Folgejahre mit den Zinsen des ersten Jahres zu rechnen. Da Immobilien in der Regel jährlich getilgt werden, sinkt aber in Wirklichkeit die jährliche Zinsbelastung über die Kreditlaufzeit auf Null. Die II BV gestattet sogar den Ansatz die Zinsen aus dem ersten Jahr für die Jahre anzusetzen, zu denen der Kredit bereits vollständig getilgt ist.

Begrifflich sind das natürlich keine Kosten und begrifflich und betriebswirtschaftlich-kostenrechnerisch ist das unsinnig.

Der Text von Flender enthält viele auch heute noch interessante methodisch richtge Hinweise. Allerdings geht bei ihm auch noch vieles Durcheinander bzw. ist noch nicht soweit entfaltet wie in der betriebswirtschaftlichen Kostenrechnung zu späterer Zeit. So trennt Flender strikt die periodische Kostenträgerrechnung auf Basis der Verteilung der Kosten über den Betriebssabrechnungsbogen von der Preiskalkulation, die er Selbstkostenrechnung nennt. Im Nachhinein könnte man das als Versuch deuten zwischen Istkostenrechnung und Plankostenrechnung bzw. Kostenträgerrechnung im Ist und im Plan zu unterscheiden.

Zur Preiskalkuation stellt Flender dennoch richtig fest, dass die Berechnung der Selbstkosten für alle an extern abgegebenen Produkte/Dienstleistungen als Preisuntergrenze im Rahmen der Betriebssteuerung wichtig ist. Bei der Berechnung hält er allerdings aktuelle Tagespreise für richtig im Gegensatz zu Preisen, die auf Kosten basieren, dies sich auf der Basis von Anschaffungspreisen errechnen. Flender schreibt auf Seite 187: "Es kommt...darauf an, die Kosten entsprechend dem realen Wert im Zeitpunkt der Leistungserstellung oder der Leistungshingabe anzusetzen (Bewertung zu Tagespreisen). Als Beispiel bringt Flender hohe Wertsteigerungen eines Grundstücks vom Zeitpunkt des Grundstückskaufs bis zur Fertigstellung des Gebäudes und dem Verkauf der Wohnungen und interne niedrige Architektenkosten im Vergleich mit den Preisen, die ein externer Architekt gekostet hätte. Flender fordert jeweils die höheren aktuellen Marktpreise anzusetzen. Flender bezieht sich allerdings auf Wohnungsunternehmen, die die Wohnungen verkaufen. Zu Wohnungsbewirtschaftung schreibt er nur, dass dort die Ermittlung der Selbstkosten schwieriger sei. Es fragt sich, ob Flender recht hat. Man könnte hier auf den Gedanken kommen, dass es betriebswirtschaftlich notwendig ist, dass auch bei den Wohnungsunternehmen, die ihre Wohnungen nicht verkaufen sondern bewirtschaften, die jeweiligen Wiederbeschaffungspreise am Markt in die Preiskalkulation einfließen sollten, um Produkte an den Markt nicht unter Wert abzugeben. Dieses Argument findet sich bei Eugen Schmalenbach in Bezug auf mit dem Markt verbundene Unternehmen (8).

An dieser Stelle gilt es zu betrachten, wie dies bei Wohnungsgenossenschaften aussieht. Diese haben den Zweck, die Wirtschaft ihrer Mitglieder bestmöglich zu fördern. (Der preiskalkulatorische Umgang mit Grunddstückskäufen ist dabei ein besonderer Fall, der hier zurückgestellt wird, obwohl es für diesen eine Lösung gibt.)

Gerhard Weisser schreibt mit Bezug auf Wohnungsgenossenschaften "Je niedriger auf Dauer der Preis ist, um so erfolgreicher haben sie gewirtschaftet." (9). Das heißt der Nutzen von Genossenschaften besteht darin, die Ersparnis gegenüber den Marktpreisen für ihre Mitglieder zu maximieren (auf der Basis des dauerhaften Angebotes von Leistungen in angemessener Qualität bei einer dauerhaften Wohnungsbewirtschaftung seitens der Genossenschaft bzw. auf Basis eines möglichst niedrigen Preises beim Verkauf der Wohnung an die Mitglieder. Es wäre dann geradezu absurd bei der Preiskalkulation zu verlangen, dass alle Kostenkomponeten eines hergestellten und gelieferten Produktes zu aktuellen Marktpreisen bepreist werden statt die erreichten Preisvorteile in Form von niedrigen Nutzungsentgelten oder niedrige Verkaufspreise an die Mitglieder der Genossenschaft weiter zu geben. Die Aussage Flenders kann also allenfalls für erwerbswirtschaftliche Wohnungsunternehmen gelten. (weitere Hintergründe mit Bezug zu Schmalenbach siehe ganz unten (X1).

möglicher Einwand Inflation

Flender hat nicht eine hohe Inflation im Blick bei seiner Aussage. Dennoch gibt es in der BWL den Ansatz bei hoher Inflation mit der Orientierung an den Tagespreisen zu antworten. Insbesondere Fritz Schmidt mit seiner organischen Tageswertbilanz (10) ist hier zu nennen aber auch viele andere haben sich in Deutschland in den Zeiten der Hochinflation nach dem ersten Weltkrieg damit befasst, siehe zB Schmalenbach (11) und die Kommentierung und Einordnung der verschiedenen Substanzerhaltungstheorien siehe Stützel (12). Müssten in Zeiten hoher Inflation bei Wohnungsgenossenschaften die Preise doch mit Tageswerten kalkuliert werden? In Bezug auf die hergestellten oder angeschaften Wohnanlagen gilt hier weiterhin, dass es besser ist die Preise auf Basis der Herstellkosten/Anschaffungspreise zu kalkulieren, da die Genossenschaft ja gerade nicht dem Inflationsdruck unterliegt, da die Wohnanlagen Sachwerte sind. Steigende Verwaltungskosten und steigende Instandhaltungskosten können entsprechend der Inflationshöhe relativ leicht berechnet werden. Die Planung und preiskalkulatorische Abbildung von rechnerischen Sanierungs- und Modernisierungsrücklagen muss wahrscheinlich stark angepasst werden und kann dazu führen, dass sich der Bedarf ergibt, die Nutzungsentgelte anzuheben. Dies musss dann aber konkret an der einzelnen Wohnanlage berechnet werden und bedeutet nicht vollständig auf Marktpreise für die Erst-Herstellungskosten bzw. auf  Wiederbeschaffungspreise für die Wohnanlagen selbst als Berechnungsbasis zu wechseln.

Fazit:

In Wohnungsgenossenschaften sollte bei der Kalkulation der Nutzungsentglte im Rahmen einer Plankostenrechnung Anschaffungspreise die Ausgangsbasis bilden. 

Flenders Text ist ein frühes Beispiel dafür, dass betriebswirtschaftliche Methoden allein auf ein erwerbswirtschaftliches Kalkül ausgerichtet werden unter Missachtung des Vorhandenseins eines spezifisch bedarfswirtschaftlichen Kalküls, da in bedarfswirtschaftlichen Unternehmen durch ihre Zwecksetzung angelegt ist und dass von frühen Vertretern der genossenschaftslichen Betriebswirtschaftslehre zumindest in Ansätzen bereits wahrgenommen wurde (insbesondere Karl Hildebrand, "Die betriebswirtschaftlichen Grundlagen der genossenschaftlichen Unternehmung"), auch wenn es erst in meinen Artikeln hier auf dem Blog weiter konkretisiert und mit dem Minimalprinzip in Verbindung gebracht wurde, siehe (12), (13), (14).

Weiterführendes

(X1) Schmalenbach macht in (8) die Unterscheidung von martkverbundenen Betrieben und geschlossenen Betrieben (S.146ff.). Beschaffungsgenossenschaften sind auf der Einkaufseite mit den Märkten verbunden aber als Förderselbsthilfevereine für Privathaushalte auf der Abnehmerseite nicht mit dem Markt verbunden. Hier könnte man deshalb weiter prüfen inwieweit Schmalenbachs Unterscheidungen für Genossenschaften und ggf. Bedarfswirtschaften insgesamt nutzbar gemacht werden kann. Ebenso unterscheidet Schmalenbach in (8) zwischen den Grenzkosten als Bestimmungsgrund für die Ermittlung von Betriebswerten von  Güterkomponten und dem Grenznutzen. Auch dies wäre zu prüfen.

(X2) Es gibt eine Dissertation, die in diesen Themenbereich fällt, die ich hier nicht weiter geprüft habe, weil die dort behandelte Deckungsbeitragsrechnung für die Wohnungswirtschaft abwegig erscheint vor dem Hintergrund, dass Wohnanlagen mit langfristiger Perspektive bewirtschaftet werden und Deckungsbeitragsrechnungen in der Industrie verwendet werden für kurzfristige Betrachtungen bei Kapazitätsauslastungsproblemen (16).

Literatur

(1) Grundlagen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, Ludwina Kühne-Bünig, Volker Nordalm, Lieselotte Steveling (Hrsg.) 4. Auflage, 2005. Seite 576ff.

(2) Kosten und Kostenrechnung in der Wohnungswirtschaft, August Flender, in :"Beiträge zur Theorie und Praxis des Wohnungsbaus", Fischer-Dieskau, Joachim (Hrsg.), 1959. S170-200

(3) Karl Schneider, Die Neufestsetzung der Instanhaltungssquote, in: Der langfristige Kredit,1963, S. 372-375.

(4) Gabler Online Lexikon schreibt zu Finanzwirtschaft https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/finanzwirtschaft-51975, abgerufen am 07.09.2024

 (5) Verordnung über wohnungswirtschaftliche Berechnungen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (Zweite Berechnungsverordnung - II. BV), https://www.gesetze-im-internet.de/bvo_2/BJNR017190957.html , abgerufen am 07.09.2024

(6) H.G.Pergande, Miete und Wirtschaftlichkeit bei neuen Wohnungen - Die Neuregelung nach den Durchführungsvorschriften zum Bundes-Wohnungsbaugesetz, 1951, Oldenburg, S. 130

(7) Hans-Günther Perganda, Werner Schwender, Die Zweite Berechnungsverordnung, Köln-Braunsfeld, 1963. S. 239 und S. 252f.

(8) Eugen Schmalenbach, Kostenrechnung und Preispolitik, 1963, 8. Auflage, Köln und Opladen, S.150

(9) Gerhard Weisser, "Genossenschaft und Gemeinschaft - Bemerkungen zum 'Kulturellen Optimum' der Genossenschaftsgröße", Gemeinnütziges Wohnungswesen, Dezember 1954, Heft 12, Seite 565-572, dort Seite 565.

(10) Fritz Schmidt, Die organische Tageswertbilanz, Gabler, Wiesbaden 1951. Unveränderter Nachdr. der 3. Auflage

(11) Eugen Schmalenbach, Die steuerliche Behandlung der Schreingewinne, Jena, 1922 und dort der Anhang Geldwertausgleich in der bilanzmässigen Erfolgsrechung 

(12) Wolfgang Stützel, Bemerkungen zur Bilanztheorie, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 1967, Seite 314-314, hier S. 328

(13) Frank Giebel, Mehr bedarfsdeckende Unternehmen als Teil einer nachhaltigen, lebenswerten Zukunft , Blog liberal und kooperativ, https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2020/12/mehr-bedarfsdeckende-unternehmen-als.html , 2020

(14) Frank Giebel, Meine Auseinandersetzung mit "Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre unter Rationalitätsaspekten - Grundfragen der Betriebswirtschaftslehre" von Marcell Schweitzer und Marcus Schweitzer, Blog liberal und kooperativ, https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2020/10/rezension-allgemeine.html  , 2020

(15) Frank Giebel, kleiner Diskursbeitrag zur genossenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre, Blog liberal und kooperativ, https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2023/06/kleiner-diskursbeitrag-zur.html , 2023

(16) Henri Lüdeke, Immobilienwirtschaftliche Deckungsbeitrags- und Deckungsbeitragsflussrechnung Eine Konzeption für die unternehmerische Wohnungswirtschaft, Dissertation TU Berlin, 2016









Sonntag, 1. September 2024

Betriebswirtschaftliche Beurteilung der Eigenkapitalverzinsung im Rahmen der Preiskalkulation von Wohnungsgenossenschaften als bedarfswirtschaftliche Unternehmen

Zusammenfassung:
Der Artikel untersucht im Rahmen der bedarfswirtschaftlichen
Betriebswirtschaftslehre inwieweit Eigenkapitalzinsen bei der Festlegung
der Nutzungsentgelte von Wohnungsgenossenschaften zu kalkulieren
sind. Es zeigt sich, dass im Grundsatz bei Wohnungsgenossenschaften
keine kalkulatorischen Zinsen für das verwendete Eigenkapital
anzusetzen sind. Die Vorstellung von Opportunitätskosten, die in der
Betriebswirtschaft die wesentliche Begründung für das Ansetzen von
kalkulatorischen Eigenkapitalzinsen liefern, greifen hier nicht. Der Artikel
geht neben der Kostenrechnung auch auf die Notwendigkeit einer diese
begleitende Liquiditätsrechnung ein und gibt dazu Hinweise für die Praxis.

 Abstract:
The article examines, within the framework of needs-based business
economics, to what extent interest on equity should be calculated in
determining the usage fees of housing cooperatives. The article finds
that, in principle, no imputed interest rates for the equity capital used
should be applied to housing cooperatives. The notion of opportunity
costs, which in business economics provide the primary rationale for
applying imputed equity interest rates, does not apply here. In addition
to cost accounting, the article also addresses the necessity of
accompanying liquidity accounting and provides practical guidance on this matter.

Zu meinem Artikel bitte den link nutzen, da das Format mit einigen Fußnoten so leichter zu nutzen ist

      Link

Autor: Frank Giebel, Hamburg, veröffentlicht am  01.09.2024, 

Diplom-Betriebswirt (FH),  B.A.Hons. European Business Administration

Geschäftsführer der Woge Wohnungsgenossenschaftliche Initiative UG (haftungsbeschränkt)

Mittwoch, 19. Juni 2024

Interessensausgleich in Wohnungsgenossenschaften bei Wohnungssanierungen in Zeiten der Erderhitzung

Um die Interessen der Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften bei Sanierungsmaßnahmen gut zu berücksichtigen, ist es sinnvoll, die Bewohner auf eine qualifizierte Weise einzubeziehen. Eine Schweizer Studie von Blaser et al. aus dem Jahr 1976 befasste sich ausführlich mit diesem Thema und zeigte erheblichen Verbesserungsbedarf auf [1]. Heutzutage sind Wohnungssanierungen technisch noch komplexer geworden. Hinzu kommt der Druck, den Wohnungsbestand klimaneutral zu gestalten und gleichzeitig die Nutzungsentgelte (Mieten) attraktiv zu halten. Viele Wohnungsgenossenschaften haben möglicherweise noch keinen effektiven Weg gefunden, Mitglieder in solche komplexen Entscheidungen einzubeziehen. Blaser et al. schrieben 1976: "Eine erste Kritik an der heutigen Entscheidungspraxis zielt auf das Ausklammern des Mieters in beinahe allen Phasen der Erneuerung. ... Sollen bei einer Erneuerung von Altwohnungen die Bewohnerinteressen berücksichtigt werden, müssen die Mieter mitentscheiden können, und zwar begonnen bei der Bedürfnisabklärung, über bauliche Erneuerungsmaßnahmen, zu tragbaren Mieten, bis hin zu Organisationsfragen während der Bauzeit." "Wo kämen wir (Planer, Hauseigentümer) hin, wenn wir die Mieter fragen würden? ist eine rhetorische Frage. Die Mieter wissen, was sie wollen, wenn sie richtig gefragt werden." (Seite 10)

Blaser et al. schreiben zu den unterschiedlichen Interessenlagen: "Vereinfacht gesagt streben Hauseigentümer, Stadtbehörden, Baugewerbe und meistens auch Architekten weitgehende Modernisierungsinvestitionen an, d.h. eine Verwandlung der Altwohnung in eine 'attraktive' neubaukonforme Wohnung... Der einkommensschwache Mieter wünscht lediglich eine Instandsetzung der durch vernachlässigten Unterhalt defekten Bauteile und Einrichtungen, weil er zurecht Angst hat, bei weitgehender Modernisierung 'hinaussaniert' zu werden." (Seite 54). In Wohnungsgenossenschaften geht es wohl kaum um das Hinaussanieren von Mitgliedern, aber die Versuchung, einer allgemeinen wohnungswirtschaftlichen Renditeorientierung zu folgen, ist auch hier nicht immer leicht abzuschütteln. Mitglieder von Genossenschaften sind faktisch Miteigentümer. Es besteht daher grundsätzlich die Möglichkeit, dass wenn die Bewohner einbezogen werden, Antworten gefunden werden, die unnötig teure Sanierungen vermeiden, aber auch notwendige Erneuerungen nicht scheuen, selbst wenn dies zu höheren Mietkosten führt.

Es ist sinnvoll, als Entscheidungsbasis die Ist-Kostenmiete vor der Sanierung im Rahmen einer Kostenträgerrechnung zu ermitteln und zu berechnen, wie viele Rücklagen die jeweilige Wohnanlage bereits aus Nutzungsentgelten angesammelt hat, die über der Kostenmiete lagen. Die oben genannte Studie erwähnt das Konzept des Erneuerungsfonds (Seite 56). Sie schreibt, er "sollte als Rückstellungen der Miete gebildet werden, um die Finanzierung werterhaltender Erneuerungen (Instandsetzung) sicherzustellen." Weiter heißt es: "Weniger die tiefen Altmieten als die Verwendung der Profite für fremde Zwecke (Landkäufe, Neubauten etc.) führte dazu, dass heute auch Genossenschaften und kommunale Bauträger Instandsetzungskosten (werterhaltende Investitionen) zum Teil fremdfinanzieren müssen." Nicht nur in der Schweiz der 1970er Jahre, auch in Deutschland in den 2020er Jahren ist es für Wohnungsgenossenschaften nicht immer einfach und selbstverständlich, eine Kostenträgerrechnung und eine Liquiditätsrechnung mit Hilfe von wohnanlagespezifischen Erneuerungsfonds aufzubauen und transparent zu halten.

Solche Berechnungen bieten jedoch das Potenzial, notwendige Entscheidungen auf eine solide Erkenntnisbasis zu stellen und somit langfristig nachhaltig und sparsam im Interesse der Mitglieder zu wirtschaften, die Mietkosten fair zu kalkulieren und den bestmöglichen Interessenausgleich zwischen gegenwärtiger Förderung der Mitglieder durch niedrige Nutzungsentgelte und dem langfristigen Erhalt des Wohnungsbestands zu finden. Dabei gilt es zusätzlich, den erforderlichen Umbau des Wohnungsbestands zur Klimaneutralität zeitnah zu erfüllen. Selbst wenn die Kosten- und Liquiditätsrechnung der Genossenschaft stimmt, bleibt die Herausforderung, wie Mitglieder in großen Genossenschaften effektiv einbezogen werden können. Am erfolgversprechendsten scheint es, Erfahrungen mit Micro-Mitgliederjurys zu sammeln. Über Mitgliederjurys für Genossenschaften, analog zu den in der Politik mehr und mehr eingesetzten losbasierten, repräsentativen Bürgerräten, hatte ich bereits 2019 geschrieben [2]. Wolfgang Scheffler et al. haben mit dem Microbürger*innenrat aktuell eine vereinfachte Methodik vorgestellt [3], die ohne externe Moderatoren auskommt und von Mitgliedergruppen selbständig durchgeführt werden kann. Microbürger*innenräte lassen sich analog zu Bürgerräten in Genossenschaften mit vielen Mitgliedern anwenden.

 

[1] "Die Baukosten bei der Erneuerung von Wohnraum und ihre Einfluss auf die Mietzinse", ETH Zürich im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen, Sektion Forschung, Jürg Blaser (beteiligt), 1976

[2] " Es ist an der Zeit für Mitgliederjurys in Genossenschaften, vielleicht auch in anderen Unternehmen", Frank Giebel, Blog liberal und kooperativ, 2019

[3] "Wir alle sind Demokratie - Micro-Bürger*innenrat", Wolfgang Scheffler, Sabine Kraus, Beat Sandkühler, 2024, online verfügbar unter https://meetingdemocracy.net/wp-content/uploads/2024/05/Wir-alle-sind-Demokratie-Mikro-Buergerinnenrat.pdf

Mittwoch, 28. Juni 2023

kleiner Diskursbeitrag zur genossenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre

2017 erschien im Sammelband  "Transformative Wirtschaftswissenschaft im Kontext nachhaltiger Entwicklung" ein Aufsatz von Johannes Blome-Drees und Burghard Flieger mit dem Titel "Impulsgeber für eine transformative Wirtschaftswissenschaft: Grundsätzliche Überlegungen zu einer Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften". Ich war gespannt, ob die Autoren wie ich einige Jahre später das Nutzenmaximierungskalkül einer bedarfswirtschaftlichen bzw. genossenschaftlichen BWL herausarbeiten würden, siehe mein Artikel von 2020 hier

Dies war nicht der Fall. Während es auf der einen Seite überraschen mag, haben sie doch in einem Artikel von 2021 den grundsätzlichen Aspekt von Bedarfswirtschaft verstanden (sie hatten dafür eine Basis gehabt, da sie mit anderen Autoren Thiemeyer von 1975 zitieren, siehe hier) , weist der Artikel einen Widerspruch auf, der erklären kann, warum die Autoren meinen Vorschlag nicht bereits entdeckt hatten. Dies will ich hier kurz ausführen.

Zur Orientierung hier noch einmal der Ansatz aus meinem oben verlinkten Artikel von 2020:

"Das Auswahlprinzip der BWL ist die Zielsetzung der Nutzenmaximierung für das jeweilige Unternehmen im Rahmen einer guten Unternehmensführung. Dabei gibt es zwei gleichberechtigte Säulen, die letztlich über die Wahl der Unternehmensform vorentschieden wird. Bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen bedeutet dies konkret die langfristige Gewinnmaximierung, bei bedarfswirtschaftlichen Unternehmen die Nutzenmaximierung für die Adressaten der Leistungserstellung. Im Falle von öffentlich-gemeinnützigen oder privat-gemeinnützigen Unternehmen sind dies die Kunden, im Falle von Genossenschaften und wirtschaftlichen Vereinen sind das die Mitglieder.

Dabei ist wahrscheinlich im Fall der Erwerbswirtschaften und der Gewinnmaximierung das Maximalprinzip dominant, da man ein gebendes Reservoir an Mitteln hat und damit ein maximales Ergebnis erzielen will und im Fall von Bedarfswirtschaften das Minimalprinzip, da der Grundbedarf sich relativ konkret ermitteln lässt und man dann versuchen kann diesen mit entweder möglichst wenig öffentlichen Geldern zu erreichen oder im Falle von Genossenschaften dies mit miminalem Aufwand, um den Mitgliedern eine maximale Ersparnis zu ermöglichen."

Zum Maximal- und Minimalprinzip siehe die Erklärung bei Wikipedia

Auf Seite 285 des Sammelbandes schreiben die Autoren richtig: "Genossenschaften wurden und werden bewusst als Gegenmodell zu erwerbswirtschaftlichen Unternehmen geschaffen, deren Gewinnorientierung den Shareholder Value in den Mittelpunkt stellt. Im Zentrum einer Genossenschaft stehen demgegenüber der Mensch und damit besonders auch der Member Value." Wirtschaftliches Handeln in Genossenschaften bedeutet somit im Kern die Maximierung des Wertes der betrieblichen Leistungenserstellung für die Mitglieder der Genossenschaft. Auf Seite 286 schreiben die Autoren dann aber: "Die folgenden Überlegungen sind Ausdruck und Teilaspekt einer Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften , die sich als Management- bzw. Handlungslehre versteht. Die inhaltliche Argumentsationslinie [des Artikels im weiteren Verlauf, Anmerkung von mir] geht auf grundsätzliche Probleme des Managements von Genossenschaften ein. Im Mittelpunkt stehen genossenschaftliche Entwicklungsperspektiven, die anhand unterschiedlicher Sinnmodelle diskutiert werden. Sie nehmen einen breiten Raum ein, um aufzeigen, dass Genossenschaften, auch wenn sie einer anderen Form der Betriebswirtschaftslehre bedürfen, nicht grundsätzlich transformativen Charakter haben. Dieser kann erst bei fortschrittsfähigen Genossenschaften zur Geltung kommen. Entsprechend ist mit den Ausführungen ein Postulat zugunsten fortschrittsfähiger Genossenschaften verbunden, die ihren Sinn nicht auschließlich in der Befriedigung der Mitgliederbedürfnisse und der Sicherstellung ihres eigenen Uberlebens, sondern in der angemessenen Berücksichtigung des Gemeinwohls sehen und damit in besonderem Maße das alternativökonomische und transformative Potential von Genossenschaften widerspiegeln". Dies ist ein krasser Widerspruch. letztlich schreiben die Autoren Genossenschaftzen seien dann "fortschritssfähig", wenn sie das aufgeben was sie in ihrem Kern ausmacht, die Ausrichtung auf die Mitglieder. Wer solche Widersprüche in seiner Logik zulässt, muss sich nicht wundern dass er zu keinen klaren Aussagen kommt. Sollte im Übrigen eine Betribswirtschaftslehre nicht für alle Unternehmen fordern, dass sie im Rahmen guter soziaerl und gesellschaftlich verantwortungsvoller Unternehmensführung agieren? Wäre es nicht für alle Unternehmen langfristig riskant dies nicht zu tun und damit die planetare und die gesellschaftliche Basis für die eigene erfolgreiche wirtschaftliche Tätigkeit zu riskieren? Gute Unternehmensführung ist insoweit nichts spezifisch genossenschaftliches. Spezifisch ist die Fokussierung auf die Mitgliederförderung. Würde dies aber grundsätzlich aufgeben zugunsten einer allgemeinen Gemeinwohlorientierung als Unternehmenszielsetzung würde die Genossenschaft außerdem ihre Grundausrichtung von Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung verlieren, die auch von den Autoren als für Genossenschaften charakteristisch aufgezählt werden. Das Gemeinwohl als Ausrichtung eigent sich viel mehr für kommunale Unternehmen und Stiftungsunternehmen. Hier wird noch einmal deutlich wie wichtig und hilfreich die Unterscheidung von Thiemeyer zwischen gemeinwirtschaftlich und privatwirtschaftlich ist (zu letzerem gehören Genossenschaften), siehe mein Artikel hier

Gesamtgesellschaftlich können Genossenschaften dann am meisten leisten, wenn man sie das machen lässt, was in ihnen angelegt ist im Rahmen guter Unternehmensführung. Gerade weil sie nicht auf Gewinnmaximierung und nicht auf Bedarfsweckung sondern auf Bedarfsdeckung angelegt sind, können sie viel nachhaltiger geführt werden als erwerbswirtschaftliche Unternehmen. Da sie eher Grundbedarfe decken sind sie auch aus sozialen Gesichtspunkten vorteilhaft (mehr dazu siehe zum Beispiel mein Artikel hier). Hinzukommt, dass sie das Potential haben breite Kreise der Bevölkerung wirtschaftlich zu fördern und so den Gegensatz zwischen arm und reich vermindern können.

Wenn die Wirtschaftswissenschaft transformativ sein soll, wäre es gut, wenn sie erst einmal zu weitgehender Klarheit und Widerspruchsfreiheit findet. Vielleicht kann ich mit diesem Diskursbeitrag dazu beitragen. In diese Richtung ging auch mein Vorschlag der Systematisierung der BWL hier. Außerdem wird es nach meiner Einschätzung dann zu mehr Transformation kommen, wenn wir sowohl individuell als auch kollektiv uns bewusster werden, wer wir sind und was es braucht, um hier auf diesem Planeten mit allen anderen Lebewesen bestmöglich auszukommen.

Samstag, 11. März 2023

Ein kommunaler Ansatz zu besserer Nutzung von urbanen Flächen

Eingebettet in einen größeren Zusammenhang leite ich hier her, warum es Sinn macht, Co-Working-Räume und ander Co-Living-Flächen in Städten öffentlich zu betreiben oder zu fördern.

Die neue Bausenatorin von Hamburg, Karen Pein, frühere Mitarbeiterin der Gewoba, eines sehr großen kommunalen Wohnungsunternehmens in Bremen, hat in einem Interview darauf hingewiesen, dass wir bei der Wohnraumnutzung effzienter werden müssen (1). Zu viele Menschen wohnen in Wohnungen, die größer sind als das, was sie real brauchen und andere finden keine Wohnung. Dies gilt insbesondere in Metropolen und Groß- und Mittelstädten. Der Autor Daniel Fuhrhop hat sich ebenfalls ausführlich mit dem Thema beschäftigt und Lösungsvorschläge formuliert (2,3) wie auch ich in meinem Blog (4,5). Gesamtgesellschaftlich ist seit dem Bericht des Club of Rome "Grenzen des Wachstums von 1974" klar, dass wir nicht mehr so weiter wachsen können, sondern dass es planetare Grenzen gibt. Sehr auf dem Punkt wird das sehr anschaulich und dennoch ausreichend komplex erklärt in einer 30-minütigen Arte-Dokumentation (6). Dabei wird deutlich, dass ein betulicher Konservatismus von alten politischen Modellen, sei es von der CDUCSU oder der SPD der Teilhabe an Wachstum und Wohlstand bei aller guten Absicht und bei allem historischen Verdienst unverantwortlich und wesentlicher Teil des Problems sind, wenn man sie einfach fortsetzen will. Dass die politischen Konzepte von FDP und AfD noch schlechter sind bei diesen Fragen, macht es nicht besser. 

Letztlich ist es so, dass wir mit der Qualität unseres kollektiven Bewusstseins die Qualität der Organisation unserer Gemeinwesen bestimmen. Es gilt uns einzugestehen versagt zu haben seit dem Bericht des Club of Rome. 

Was können wir tun? 

Zum einen kann jeder in jeder Sekunde einen kleinen Schritt dahin machen, sein eigenes individuelles Bewusstsein auf einen guten Stand bringen und so zu einem besseren kollektiven Bewusstsein beitragen. Individuell und kollektiv können wir uns für unsere Fehler und Irrtümer verzeihen und uns wieder erinnern, wofür für wir auf der Erde angetreten sind, dass wir hier gemeinsam eine schöne Welt gestalten wollen. Es gilt zu schauen was wir tun können für eine gute Gegenwart und Zukunft.

Wenn Menschen Platz abgeben sollen und andere wenig zur Verfügung haben, kann ein kommunaler Ansatz darin bestehen, attraktive öffentlich zugängliche Räume für wichtige menschliche Lebensbereiche zu schaffen, die bisher viel Raum einnehmen, wenn jeder sie isoliert nutzt. Das sind neben dem Verkehr die Bereiche Wohnen, Arbeiten und Essen. Eigentlich sind wir Menschen Beziehnungswesen und genießen den Austausch mit anderen. Es braucht zwar auch immer Rückzugsmöglichkeiten, aber viele fänden wahrscheinlich weitgehend kostenfreie Co-Working-Bereiche und kostengünstige Co-Eating-Bereiche und Co-Living-Bereiche durchaus attraktiv. Dann könnten einige Büroflächen konsequent in solche neue Co-Living Spaces umgewandelt werden mit kleinen Appartements und Gemeinschaftsflächen.

Wichtig wäre hier, dass man nicht zu groß denkt und zentral eine one-fits-all-Lösung konzipiert, sondern unterschiedliche Flächen anbietet, einige für Co-Working und an anderen Standorten für Co-Eating (siehe als ein Beispiel Amsterdam -> 9) und wieder woanders Co-Living. Denn so findet eine viel bessere Durchmischung mit all den Menschen statt, die nur einen Aspekt für sich nutzen wollen. Außerdem wäre es wichtig sowohl den Planungsprozess als auch den späteren Betrieb partizipativ zu gestalten, eventuell in Form von öffentlich subventionierten Genossenschaften, die demokratisch organisiert sind wie zum Beispiel in der Form der Soziokratie (7). Ich denke nur mit dauerhaft funktionierenden selbstverantwortlichen Betreibermodellen vor Ort lassen sich Probleme wie soziale Einseitigkeiten bzw. Ungleichgewichte in der Nutzung vermeiden und sehr gute Kosten-Nutzen-Relationen erreichen. Letztlich werden solche Projekte von kommunaler Seite wahrscheinlich dann auf den Weg gebracht werden, wenn wichtige Entscheidergruppen ein positives und zugleich realistisches Menschenbild haben oder dazu finden im Sinne Rutger Bregmans Buch "Im Grunde gut" (8).

Quellen:

(1) Zitat Karen Pein in Interview in der Welt online: "Pein: Wenn wir uns den neuen Notfallfonds für Menschen ansehen, die sich ihre Energiekosten nicht mehr leisten können, dann sollten wir damit auch die Frage verbinden, ob Menschen dabei sind, die eigentlich auf zu viel Fläche leben und das gar nicht wollen. Können wir dann nicht parallel auch ein Angebot schaffen, damit die sich verkleinern können und somit ihre Miet- und Energiekosten wieder selbst stemmen können?"

https://www.welt.de/regionales/hamburg/article243700385/Stadtentwicklung-Wir-muessen-mehr-aus-bestehendem-Wohnraum-rausholen.html vom 12.02.2023

(2) Danien Fuhrhop "Einfach anders wohnen", 2019

(3) Daniel Fuhrhop "Verbietet das Bauen", 2020

(4) Frank Giebel "Wohnraum ökologisch besser nutzen in Wohnungsgenossenschaften und anderen Wohnungsunternehmen" Blog liberal und kooperativ, August 2020

(5) Frank Giebel "Kommentar zur aktuellen Wohnungspolitik in Deutschland" Blog liberal und kooperativ, Oktober 2022

(6) Arte Dokumenatation "Brauchen wir Wirtschaftswachstum?" Sendung vom 22.10.2022

(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Soziokratie

(8) Rutger Bregmann "Im Grunde gut - eine neue Geschichte der Menschheit." 2020

(9) Spiegel-Artikel "Gemeinsam essen gegen die Einsamkeit" vom 05.03.2023

Mittwoch, 8. Februar 2023

Neuer Schwung für bedarfswirtschaftliches Wirtschaften

Vorbemerkung

2021 ist ein spannender Artikel in der Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen erschienen (1), in dem die Bedeutung des bedarfswirtschaftlichen Ansatzes nicht nur klar gemacht wurde gegenüber einem gewinnmaximierenden Ansatz, sondern auch konkretisiert wurde. Allerdings wurde ein entscheidender Schritt nicht ausgeführt, den ich hier auf dem Blog bereits gemacht habe, den der Operationalisierbarkeit. Das ist aber gerade die Brücke zur Praxis. Und er kann große Bedeutung erlangen zur Potentialentfaltung bedarfswirtschaftlicher Unternehmen. Auch an anderer Stelle ist dieser Schritt nach meiner Wahrnehmung noch nicht gesehen bzw. gegangen worden, zum Beispiel im Gabler Wirtschaftslexikon (online). Dies werde ich hier näher erläutern.

Dieser Text ist kein wissenschaftlicher Fachartikel, da er keine spezifische fachliche Fragestellung formuliert und nicht auf einer umfassenden Literaturrecherche basiert. Meine "Lösungen" hatte ich bereits in früheren Artikeln vorgestellt, die ich hier zitiere. Einige Literatur wie Texte von Gerhard Weisser wurden von mir nur sehr lückenhaft gelesen. Mein Text teilt Beobachtungen an der Schnittstelle von Soziologie und Wirtschaftswissenschaften. Er ist eine Einladung zum fachlichen Austausch mit Wissenschaftlern und Praktikern und als Mutmacher gedacht, beherzt bedarfswirtschaftlich zu denken und zu handeln in den dafür passenden Unternehmen, wie öffentlich-rechtlichen, Stiftungsunternehmen und Beschaffungs-Genossenschaften.

Rezension "Kooperatives Wirtschaften für das Gemeinwohl in Zivilgesellschaften"

Der Artikel "Kooperatives Wirtschaften für das Gemeinwohl in Zivilgesellschaften" aus der Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (1) versucht nach eigener Aussage "zehn idealtypische Kernmerkmale" kooperativen Wirtschaftens zu "destillieren". Zum kooperativen Wirtschaften zählt der Artikel den "non-Profit- bzw. Dritten Sektor, das Genossenschaftswesen und das Sozialunternehmertum". Unter Punkt 7 wird Bedarfswirtschaft als wesentliches Merkmal benannt (2).

Nach meiner Meinung korrekt und prägnant wird auf Seite 473 konkretisiert, was Bedarfswirtschaft meint. Ich zitiere etwas ausführlicher: "Kooperatives Wirtschaften zielt auf die Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen ab. Bedarfswirtschaftlich handeln Organisationen, die nicht primär nach Gewinn streben. Bei Ihnen steht die Erstellung von realen oder naturalen Leistungen mit dem Ziel im Vordergrund, Bedarfe ihrer Nutzenden bestmöglich zu befriedigen (Thiemeyer, 1975, Seite 30)".

Wichtig ist hier zum einen die Feststellung, dass der Sinn dieser Unternehmen durch ihre Leistungserstellung für ihre Kunden bzw. Nutzer entsteht, während bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen die Leistungserstellung für Kunden nur Mittel zum Zweck des Gewinns bzw. der Rendite für die Investoren ist. Dieser Produktfokus gilt sowohl bei öffentlichen Unternehmens, bei dem alle Bewohner im Einzugsgebiet des Unternehmens als Kunden in Frage kommen als auch bei Beschaffungs-Genossenschaften, bei denen die Mitglieder die Nutzer sind, die zugleich Miteigentümer und Kapitalgeber sind (anders zum Beispiel Erzeugergenossenschaften/Vermarktungsgenossenschaften die durchaus für ihre Mitglieder gemeinsam erwerbswirtschaftliche Ziele verfolgen). Zum zweiten ist an dem Zitat oben wichtig die Konkretisierung bestmöglich. Dies macht deutlich, dass es hier um eine Optimierungsaufgabe geht, die damit auch grundsätzlich einer Quantifizierung und Messbarkeit offen steht. Damit wird die Unternehmenszielsetzung ähnlich operationalisierbar wie dies mit der Gewinnmaximierung bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen der Fall ist. Ich habe dies zum Beispiel hier (3), (4) bereits erwähnt und operativ am Beispiel möglicher Preispolitiken für Wohnungsgenossenschaften hier (5) durchgespielt aber auch in Bezug auf Bahnunternehmen (6), den öffentlichen Rundfunk (7) und öffentliche Bücherhallen (8) angedacht. Da der Punkt wichtig ist, macht es Sinn, die in (1) genannte Quelle Thiemeyer (9) zu prüfen. In späterer Literatur findet sich der Begriff bestmöglich häufiger in Bezug auf Genossenschaften, Bei mit selbst zum Beispiel (10), (11) bei Hartmut Glenk (13), Markus Gschwandtner (14) und bei Christian Picker (15). Alle drei sind allerdings Juristen und schreiben nicht im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre und deshalb auch nicht zu Fragen der Operationalisierbarkeit. In Bezug auf bedarfswirtschaftliche Unternehmen zog ich die beiden Aspekte Leistungserstellung für Nutzer und bestmögliche Befriedigung zu "Nutzenmaximierung" zusammen (12) als Alternativkalkül des grundlegenden Zieles bedarfswirtschaftlicher Unternehmen gegenüber der Gewinnmaximierung von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen. Thiemeyer schreibt "Bedarfswirtschaftlich disponieren solche Unternehmen, die unter bestimmten, in der Regel die Finanzierungskonzeption betreffenden Nebenbedingungen ein optimale Deckung vorhandener Bedarfe anstreben." Heute würde man/frau oder zumindest ich als weitere Nebenbedingungen gute Unternehmensführung (good Governance) ergänzen, siehe zum Beispiel (10) und (16). Zu schauen ist hier, ob Thiemeyer und ob der obige Artikel mir dahingehend folgen bzw. zeitlich vorausgingen in der Entdeckung, dass die Operationalisierung von so verstandener bedarfswirtschaftlicher Nutzenmaximierung darin liegt, dass bestimmte relativ einfache Grundbedarfe über minimale Kosten optimiert werden sollten (Minimalkostenprinzip). Soweit ich das richtig sehe, folgt Thiemeyer nicht diesem Ideenpfad. Auf Seite 32 schreibt er "Leerformel ist ebenfalls [neben Gemeinwirtschaftlichkeit und öffentlichem Interesse] die "optimale" Bedarfsdeckung. Das passt zu dem Artikel oben, in dem nach Erwähnung von bestmöglich dies nicht weiter genutzt wird zur Konkretisierung. Spannend ist hier, dass Thiemeyer Gerhard Weisser zitiert und auch der obige Artikel Verbindungen zu Weisser aufweisen. Laut Wikipedia hat Thiemeyer bei Weisser Betriebswirtschaft studiert und sich 1968 an der Universität Köln zu Gemeinwirtschaft habilitiert, als Weisser dort Professor für Sozialpolitik und Genossenschaftswesen war. Einer der Autoren von (1), Johannes Blome-Drees, ist Dozent am gleichen Institut und der Schüler und Nachfolger von Weisser, Frank Schulz-Nieswandt ist Herausgeber der Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen und wird im Artikel mehrfach zitiert. Weisser war der Lehrstuhlinhaber für Genossenschaftswesen an der Universität Köln.

In dem Artikel (1) wird das bestmöglich zwar zitiert, aber nicht weiter verwendet und insbesondere keine Operationalisierbarkeit daraus abgeleitet. Als drittes Beispiel sei hier das Gabler Wirtschaftslexikon (online) erwähnt, das zwar keine wissenschaftliche Primärquelle ist aber nachrichtlich doch interessant und unter dem Stichpunkt "gemeinwirtschaftlichen Unternehmen" zu der Bewertung "inhaltlich wenig operationalisierter Begriff" kommt.

Recherche zu Gerhard Weisser

Ich habe geschaut, was Weisser, der von Thiemeyer in (9) zitiert wurde, zu diesem Thema schreibt und ich denke das könnte erhellen, warum er und eventuell auch seine Schüler hier nicht auf die eigentlich leicht erkennbare Operationalisierbarkeit in Form der Anwendung des Minimalkostenprinzips auf die Produktion von relativ leicht standardisierbaren Grundbedarfen gekommen sind. Weisser studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Mit den Jahren versuchte Weisser die Wirtschaftswissenschaft als ein Baustein der Soziologie aufzufassen statt als eigenständige Wissenschaft.

Weisser äußerst sich sehr pessimistisch zu irgend welchen operationalisierbaren weil konkretisierenden Aussagen in diesem Bereich kommen zu können. Er kam sogar zu der abwertenden Bezeichnung "Ökonomismus".(18)  Siehe zum Beispiel sein Artikel "Wirtschaft" im Handbuch für Soziologie (17). Dort erklärt er ausführlich in einem Kapitel "Exkurs über die Möglichkeit  der Messung wirtschaftlicher Erfolge" (Seite 993ff.) seinen Pessimismus der Messbarkeit der wirtschaftlichen Erfolgs für bedarfswirtschaftliche Unternehmen. Er schreibt: "Beispielsweise kann natürlich auch ein bedarfswirtschaftliches Unternehmen nicht auf das für die erwerbswirtschaftlichen Unternehmen entwickelte Rechenwerk verzichten. Nur hat der sich aus diesem Rechenwerk ergebende Saldo [er meint wohl den Gewinn] für das bedarfswirtschaftliche Unternehmen eine andere, und zwar sehr viel geringere Bedeutung. Der institutionelle Sinn schließt ja gerade das Streben nach Gewinnmaximierung aus. Bei ihnen ist also hoher Gewinn, bezogen auf das Hauptmerkmal ihres institutionellen Sinnes ein Zeichen des Mißerfolges. Wir sollten erkennen, daß die Leistungsmöglichkeiten der Methoden quantifizierter Erfolgsanalyse begrenzt sind. Es ist überaus gefährlich für die Kultur der Gesellschaft, wenn sie überschätzt werden. Schlechthin "den" Erfolg zu messen, dürfte sowohl im volkswirtschaftlichen wie im einzelwirtschaftlichen Bereich unmöglich sein."

Weisser erkennt zwar richtig, dass hohe Gewinne bei bedarfswirtschaftlichen Unternehmen letztlich Misserfolg bedeuten, weil zu hohe Gewinne entweder das Unternehmensinteresse über das der Nutzer stellt, wenn über Gebühr Reserven im Unternehmen aufgebaut werden, oder die  Kommune oder der Staat als Träger Gewinne aus dem Unternehmen erhält, das eigentlich zum Wohl der Nutzer arbeiten sollte. Beides verletzt das Wirtschaftslichkeits- bzw. Effizienzprinzip. Es wurden zu viele Mittel aufgewandt zu Erreichung eines bestimmten Nutzens aus Nutzersicht oder die Mittel werden zweckentfremndet. Aber er schüttet gleich das Kind mit dem Bade aus und vermutet, dass gar keine alternative Erfolgsmessung [Nutzenmaximierung] möglich ist bzw. dieses Ziel nicht operationalisierbar über Quantifizierbarkeit ist. 

Denn er schreibt weiter: "Suchen wir zu einem Urteil über die gesamte Leistung einer Betätigung im Wirtschaftsleben innerhalb einer bestimmten Frist zu gelangen, so handelt es sich um nichts anderes, als daß wir Grade der Zufriedenheit ausdrücken wollen. Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit ergibt sich aber als Erlebnis: und zwar in dem wir unbewußt oder bewußt das Geschehene zum Sinn unseren Lebens oder zu dem Sinn des Lebens derjenigen Personenkreise, denen die Leistung gewidmet ist, in Beziehung setzen. Was wir also als Sinn empfinden, erfassen wir als Gegenstand einheitlicher Bewertungsakte. Ob wir uns diesem Leitbild annähern oder ob wir uns von ihm entfernen, wird als Erlebnis bewusst. Wollten wir hier messen, so müßten wir hier wirklich alle positiven und negativen Interessen, aus denen sich das Leitbild ergibt, nicht nur nach ihrem Inhalt, sondern auch in ihrer Stärke quantitativ bestimmen und eine Summe aus ihnen bilden und diese Summe mit dem ebenso ermitteln tatsächlich Erreichten vergleichen können. Das dürfte unerreichbar sein."

Ich weiß nicht, ob Weisser hier seine Erfahrungen aus der Politik - er war Mitglied der SPD und gilt laut Wikipedia als einer der Gründerväter des Godesberger Programms - in die Quere gekommen sind, weil in Parteien ständig vielfältige Interessen und Themen vorgebracht werden, sodass man ohne einen Kompass leicht zu dem Schluss kommen kann, dass sie zahllos und nicht systematisierbar und priorisierbar sind und jeder zu anderen Präferenzen kommt. Letztlich kapituliert Weisser vor einer von ihm wahrgenommen Komplexität. Diese ist faktisch so aber gar nicht vorhanden. Schon Goethe lässt den Stadtpfarrer in Hermann und Dorothea sagen: "Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig" (ausführlich hier) So richtig es ist im Bereich Wirtschaftspsychologie in Interessen zu denken (siehe zum Beispiel die Herausarbeitung der Bedeutung von Interessen und Bedürfnissen zweier Konfliktparteien in der Mediationsmethode (19), so unnötig komplex und diffus kann es werden, wenn man kein Instrument an der Hand hat, wirtschaftlich relevante Bedürfnisse und Bedarfe zu ordnen. Die Ausführungen Weissers (17) und evtl. auch die Thieymeyers (9) lassen vermuten, dass ihnen die Maslowsche Bedürfnispyramide nicht bekannt war und auch nicht die Lebensweisheit Goethes.  Oder sie haben deren Relevanz für die bedarfswirtschaftliche Betriebswirtschaftslehre nicht erkannt. Maslow veröffentliche laut Wikipedia sein erstes Modell 1943, ausführlicher aber erst 1954 und posthum 1971. Weisser dürfte es 1956 evtl. noch nicht bekannt gewesen sein. Weisser führt Maslow jedenfalls in seinem Literaturverzeichnis oben im Bereich Wirtschaftspsychologie nicht auf und auch Thiemeyer erwähnt ihn in seinem Literaturverzeichnis nicht. Zu Weisser ist allerdings zu ergänzen, dass er in einer anderen Arbeit ebenfalls aus dem Jahr 1956 sehr wohl eine positive Aussage (in diesem Fall zu Genossenschaften) gemacht hat dahingehend, dass er einer Quantifizierung in Unternehmen in Bezug auf den Erfolg des Unternehmens eine Relevanz zuspricht, und zwar in Bezug auf die Minimierung der Produktpreise. Ich hatte Weisser dazu in meiner Arbeit über die Wohnwertmiete und die Kostenmiete in Wohnungsgenossenschaften (5) wie folgt zitiert: "Je niedriger auf Dauer der Preis ist, um so erfolgreicher haben sie gewirtschaftet." (Weisser, 1956. S.565) (20). Meine Sichtweise in diesem Bereich ist, dass eine Arbeitsteilung zwischen bedarfswirtschaftlichen und erwerbswirtschaftlichen Unternehmen unternehmensmorphologisch (d.h. von der jeweiligen Veranlagung und ihrem Potential der jeweiligen Rechtsform her betrachtet) insoweit Sinn macht, dass bedarfswirtschaftliche Unternehmen, die wenigen relativ einheitlichen Grundbedarfe abdecken und erwerbswirtschaftlichen Unternehmen die höheren Ebenen der Bedürfnispyramide überlassen [was nicht heißt, dass nicht auch erwerbswirtschaftliche Unternehmen als preiswerte Massenhersteller bei der Deckung von Grundbedarfen erfolgreich tätig sein können, siehe zum Beispiel Lidl, Aldi (Lebenmitteldiscounter), Deichmann (Schuhe), Ikea (Möbel)]. Ich hatte dies allgemein bedarfswirtschaftlich formuliert hier (21).

Ich denke grundsätzlich hat Weisser recht, die Wirtschaftswissenschaften als Teil der Sozialwissenschaften zu verstehen. Aber man muss dann aufpassen, dass man Aussagen der Wirtschaftswissenschaften nicht voreilig verwirft. Aussagen der Betriebswirtschaft zu Nutzenmaximierung und Gewinnmaximierung sind nicht absolut zu sehen sondern können Sinn machen in einem Ordnungsrahmen einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft und unter der Prämisse guter weil sozial und ökologisch verantwortlicher Unternehmensführung. Letztlich geht es hier auch um das Menschenbild, der Menschen, die zu dem Thema Aussagen machen, und damit um Selbstreflektion. Bin ich hier pessimistisch, komme ich vermutlich nicht weit. Glaube ich, alle sind Egoisten, werde ich kaum einer liberalen Wirtschaftsordnung etwas zutrauen, auch nicht einer ökologisch-sozialen. Mitunter handeln Menschen nicht primär egoistisch sondern opportunistisch (siehe zum Beispiel das Prinzipal-Agenten-Dilemma, (21)). Und in der Regel haben Menschen sowohl ein Blick für eigene Ziele als auch für das große Ganze. Jeder, der das nicht glaubt, sollte sich zumindest ernsthaft mit den empirischen Belegen von Rutger Bregmann für ein im Grundsatz positives Menschenbild auseinandersetzen (und mit dem medialen Bias für schlechte Nachrichten (aufgrund von aufmerksamkeitsökonomischen Effekten), der ein negatives Menschenbild entstehen lassen kann)(22).

(1) "Kooperatives Wirtschaften für das Gemeinwohl in Zivilgesellschaften" , Johannes Blome-Drees, Philipp Degens, Burghard Flieger, Lukas Papschie, Christian Lautermann, Joscha Moldenhauer, Jonas, Pentzien, Carla Young, Zeitschrift für Gemeinwirtschaft und Gemeinwohl (Z'GuG) , 2021, Heft 4 Seite 455-485 

(2) in (1) Seite 455 / Abstract 

(3) Giebel, Frank, "verblüffende Erkennntis gefunden bei Max Weber", Blog liberal und kooperativ, Oktober 2020

(4) Giebel, Frank, "Warum die liberale Genossenschaftsidee besser ist als eine vergemeinschaftende/staatliche/sozialistische", Blog liberal und kooperativ, Juni 2012

(5) Giebel, Frank, "Kostenmiete oder Wohnwertmiete in Wohnungsgenossenschaften, was sagt die
genossenschaftliche Betriebswirtschaftslehre?"
, Blog liberal und kooperativ, Februar 2021

(6) Giebel, Frank,  "Das zwei-Klassen-System von staatlichen Bahnunternehmen wie der Deutschen Bahn ist nicht mehr zeitgemäß" , Blog liberal und kooperativ, Oktober 2021

(7) Giebel, Frank, "Dem öffentlichen Rundfunk würde eine bedarfswirtschaftliche Ausrichtung helfen", Blog liberal und kooperativ, Oktober 2021

(8) Giebel, Frank,"Verbesserungsvorschlag an den Stiftungsrat der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen" , Blog liberal und kooperativ, Oktober 2021

(9) Thiemeyer, Theo "Wirtschaftslehre öffentlicher Betriebe", Hamburg, 1975, Seite 30

(10) Giebel, Frank, "Hamburger Erklärung" Blog Blog: liberal und kooperativ, März 2019

(11) Giebel, Frank, "Vorschlag zur Systematisierung des Untersuchungsgegenstandes der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (ABWL)", Blog Blog: liberal und kooperativ, Oktober 2022

(12) Giebel Frank, "weitere Fachaussagen zur Abgrenzung von Wohnungsgenossenschaften zu am Gemeinwesen orientierten Unternehmen und von Erwerbsunternehmen", Blog: liberal und kooperativ, Oktober 2022

(13) Glenk, Hartmut "Einführung" in: "Genossenschaftsrecht u.a. mit Genossenschaftsgesetz, Wohnungsgenossenschafts-Vermögensgesetz, Umwandlungsgesetz (Auszug) Landwirtschaftsanpassungsgesetz Genossenschaftsregisterverordnung" München, 2013, 5. Auflage, IX-XXXIX, Seite X

(14)  Geschwandtner, Marcus, "Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft: warum früher, warum
heute?", Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 2009, S. 152-163

(15) Picker, Christian, "Genossenschaftsidee und Governance", München, 2019, Seite 119 und Seite 264 

(16) Giebel, Frank, " Für Genossenschaftsmitglieder lohnt ein Blick über den Tellerrand: credit unions in den USA", Blog Blog: liberal und kooperativ, Dezember 2019, 2. Absatz

(17) Weisser, Gerhard, "Wirtschaft", in "Handbuch der Soziologie", Ziegenfuss, Werner (Hrsg.), Seite 970-1101, Stuttgart, 1956, "2. Band

(18) ich bin mir nicht sicher, ob Weiser das ökonomische Prinzip als sinnvolles Ordnungsprinzip bzw. normativen Leitgedanken für Wirtschaftsunternehmen grundsätzlich ablehnt. Er schreibt zu Ökonomismus: "damit ist die Ansicht gemeint, daß es eine selbständige Sphäre des "Wirtschaftlichen"  neben der Sphäre des "Sozialen" und "Kulturellen" geben könne." (in (16) Seite 974. 

(19) Freitag, Silke, Richter, Jens "Mediation, das Praxisbuch, Denkmdoelle, Methoden und Beispiele", 2015, Weinheim, dort "Der Doppeleisberg der Konfliktanalyse" Seite 29f.

(20) Weisser, Gerhard, "Genossenschaft und Gemeinschaft - Bemerkungen zum 'Kulturellen Optimum'
der Genossenschaftsgröße", Gemeinnütziges Wohnungswesen Organ des Gesamtverbandes
Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, Dezember 1954, Heft 12, Seite Blog565-572, dort Seite 565

(21) Giebel, Frank "Opportunismus in der Wirtschaftswissenschaft und darüber hinaus", Blog liberal und kooperativ, Februar 2021

(22) Bregmann, Rutger, "Im Grund gut, eine neue Geschichte der Menschheit", Hamburg, 5. Auflage 2020

Dienstag, 24. Januar 2023

Begriffsklärung Gemeinwirtschaftlichkeit und Gemeinnützigkeit am Beispiel von Wohnungsgenossenschaften

In der Praxis gibt es in Deutschland zahlreiche Wohnungsgenossenschaften, die in ihrem Namen den Zusatz gemeinnützig tragen. Da Genossenschaften in Deutschland durch das Genossenschaftsgesetz auf den Zweck der Förderung ihrer Mitglieder festgelegt sind, ergibt sich die Frage, ob dies nicht ein Widerspruch ist bzw. wie dieser Widerspruch ggbf. aufgelöst werden kann. Die Frage stellt sich in dem weiteren Kontext, dass es derzeit viel Unzufriedenheit mit unserem Wirtschaftssystem gibt und vielfältig nach Alternativen gesucht wird, sowohl in der Wissenschaft  (z.B. Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen) als auch in der Populärkultur (z.B. Gemeinwohlökonomie mit Gemeinwohlbilanzierung oder der Übersichtsartikel im Spiegel vom 30.12.2022 "Hatte Marx doch recht? Warum der Kapitalismus so nicht mehr funktioniert - und wie er sich erneuern lässt").

Deshalb ist zu klären, wo hier Genossenschaften stehen und was das für ihre Möglichkeiten der Unternehmensführung bedeutet. Dies werde ich hier am Beispiel von Wohnungsgenossenschaften tun, die in ihrem Namen das Wort gemeinnützig haben.

Ich schreibe dabei im Rahmen der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft, die ich als Teil der Wirtschaftswissenschaften und diese widerrum als Teil der Sozialwissenschaften verstehe. Ich orientiere mich dabei am Leitfaden für gute wissenschaftliche Praxis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Für das Verständis, dass Ausführungen mitunter etwas länger weil genau sein müssen, danke ich den Lesenden.

Was bedeutet Gemeinwirtschaft? 

Theo Thiemeyer (1) macht die folgende Unterscheidung: "...verstehen wir unter privatwirtschaftlichen Unternehmen solche, die im Interesse ihrer privaten Träger tätig werden sollen. Gemeinwirtschaftliche Unternehmen sind dagegen solche Unternehmen, die im öffentlichen Interesse oder im Interesse einer übergeordneten Gesamtheit tätig werden." Danach sind Genossenschaften keine gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, da ihr Zweck die  Förderung ihrer Mitglieder ist, bei Wohnungsgenossenschaften über die Bereitstellung von Wohnungen zu einem bestimmtem Nutzungsentgelt. Thiemeyer erläutert das weiter, indem er schreibt: "Zu trennen von dem Begriffspaar privatwirtschaftlich - gemeinwirtschaftlich ist das Begriffspaar erwerbswirtschaftlich und bedarfswirtschaftlich. Erwerbswirtschaftlich sind solche Unternehmen, die in verschiedenen Intensitätsgraden Gewinne erzielen sollen. Bedarfswirtschaftlich disponieren solche Unternehmen, die unter bestimmten, in der Regel die Finanzierungskonzeption betreffenden Nebenbedingungen eine optimale Deckung vorhandener Bedarfe anstreben". Ich stimme Thiemeyer hier weitgehend zu und habe diese Unterscheidung ausgebaut in die Unterscheidung von erwerbswirtschaftlicher Gewinnmaximierung und bedarfswirtschaftlicher Nutzenmaximierung, siehe zum Beispiel hier (2). Danach sind Wohnungsgenossenschaften wie auch Konsumgenossenschaften und Energieerzeugergenossenschaften privatwirtschaftliche, bedarfswirtschaftliche Unternehmen. 

Einschub - Was bedeutet das für die Unternehmenspolitik?

Die letzte Feststellung ist keine Selbstverständlichkeit. Dass Wohnungsgenossenschaften mitunter unter Druck geraten sowohl von politischer Seite gemeinwirtschaftlich zu agieren als auch - erstaunlicherweise - von Verbandsseite, erwerbswirtschaftlich zu agieren, hatte ich an anderer Stelle aufgezeigt (3), (4). Kritischer und auch pauschaler als ich kommt Christian Picker in Bezug auf Genossenschaften auf den gleichen Punkt. Er schreibt: "Zunehmend ist eine Diskrepanz zwischen genossenschaftlicher Idee und Wirklichkeit, zwischen Rechtstyp und Rechtsform "Genossenschaft" zu beobachten. Dabei drohen Genossenschaften zum einen zu Erwerbswirtschaften zu degenerieren. Hier schwindet der Einfluss der Mitglieder auf die (Förder-)Geschäftspolitik....Zum anderen besteht die Gefahr, dass die Genossenschaften zu gemeinnützigen "Wohltätigkeitsveranstaltungen" verkommen und vom Staat für die Bewältigung gesellschaftspolitischer Anliegen in Anspruch genommen werden." (5). Siehe auch mein früherer Artikel zum dem Thema (6). 

Fortsetzung zur Bedeutung von Gemeinwirtschaft

Insoweit unterscheide ich mich von Thiemeyers Aussage nur dahingehend, dass ich den Maximierungscharakter und damit das Kalkülpotential d.h. das Berechnungspotential in der Zielsetzung mehr betone und nicht so sehr relativiere wie er mit seiner Formulierung der "verschiedenen Intensitätsgrade" in Bezug auf erwerbswirtschaftliche Unternehmen. Außerdem sind unter den Nebenbedingungen nach meinem Dafürhalten auch die Grundsätze guter Unternehmensführung und eine nachhaltige Ausrichtung der Unternehmenspolitik wichtig.  

Erik Boettcher (7) unterscheidet zwischen Privatwirtschaft, Gemeinwirtschaft und Staatswirtschaft. Unter Privatwirtschaft versteht er alle Unternehmen, die zum Zweck die Förderung der Träger des Unternehmens haben, bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmungen über die Gewinnerzielung an Märkten und bei förderungswirtschaflichen Unternehmen (Genossenschaften) über die Förderung ihrer Mitglieder. Gemeinwirtschaftliche Unternehmen sind für ihn solche, die Dritte fördern während zur Staatswirtschaften für ihn öffentliche Unternehmen gehören, die alle Bürger fördern. Ich halte die Unterscheidung Thiemeyers für besser, da sie einfacher ist und zwischen den Kategorien Boettchers Gemeinwirtschaft und Staatswirtschaft ja gar kein Unterscheid besteht in Bezug auf die Adressaten der Förderung. Letzlich kommen ja grundsätzlich alle Mitglieder eines Gemeinwesens als potentiell Förderbare in beiden Fällen in Frage. Zur Frage der Einordnung der Genossenschaften als nicht-gemeinwirtschaftlich sondern als privatwirtschaftlich sind sich Thiemeyer und Boetcher einig. 

Was bedeutet gemeinnützig ?

Wenn Genossenschaften nicht gemeinwirtschaftlich sind sondern privatwirtschaftlich, können sie dann gemeinnützig sein? Boettcher bejaht dies und erläutert dies ausführlich. Boettcher schreibt dass "...einer Genossenschaft, der staatlicherseits die Gemeinnützigkeit zuerkannt wurde, im Grunde nur bescheinigt werden kann, daß sie in Verfolgung ihres gesetzlichen Förderungsauftrages (§ 1GenG) für ihre Mitglieder Leistungen erbringt, für die sonst der Staat sorgen müßte und die er daher als dem Gemeinwohl dienend als förderungswürdig ansieht. Während also Genossenschaft und Gemeinwirtschaft nach der jeweils zu fördernden Gruppe zu unterscheiden sind, kommt es, wie noch deutlicher zu zeigen sein wird, bei der Gemeinnützigkeit allein darauf an, ob die Eigen- oder Fremdförderung den Staat in seinen Pflichtaufgaben entlastet oder ergänzt - Pflichtaufgaben, zu denen auch die Unterstützung besonders förderungswürdiger Personengruppen gehören kann". (Boettcher, Seite 98) 

Was bedeutet das für die Unternehmenspolitik von gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften heute?

Wohnungsgenossenschaften mussten bestimmte Auflagen erfüllen, um nach dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz von Gewinnsteuern befreit zu sein. Einige namen deshalb den Begriff gemeinnützig in ihre Firma, den Handelsnamen der Genossenschaften, auf. Als das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz Ende 1989 aufgehoben wurde und eine Steuerbefreiung für alle Vermietungsgenossenschaften weiter möglich war, bestand keine Notwendigkeit einen vertrauten Namen zu ändern. Folgt man Boettcher, hat der Begriff gemeinnützig keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik von Genossenschaften dahingehend, dass er ihren Förderungscharakter und ihre Förderungsverpflichtung gegenüber den Mitgliedern abgeschwächt hätte sondern nur Bestätigungscharakter. Deshalb kann auch eine freiwillige Fortführung dieses Namensteiles nicht dazu führen, dass diese Förderungsausrichtung auf die Mitglieder abgeschwächt oder gemeinwirtschaflich uminterpretiert wird. Damit können sich Genossenschaften gut gegenüber möglichen Vereinnamungs- bzw. Instrumentalisierungsversuchen von wohnungspolitischen Interessensgruppen wehren. Boettcher schreibt: "Sehen wir die Gemeinnützigkeit in dem obigen Sinne, so kann ihre Zuerkennung nicht bedeuten, daß der Staat durch sie unternehmenspolitische Ziele zu verändern trachtet oder in sie einzugreifen versucht. Genossenschaften und Gemeinwirtschaften bleiben also - auch solche, die aus Sicht des Staates als gemeinnützig gelten - das, was sie auch vorher schon waren, das heißt, ihren ursprünglichen Zielen verpflichtet. Sie werden durch die Zuerkennung der Gemeinnützigkeit nicht verändert, sondern nur bestätigt." (Boettcher, S.108)

Das bedeutet auch Wohnungsgenossenschaften, die gemeinnützig in ihren Namen tragen, können sich im Rahmen verantwortlicher Unternehmensführung auf die wirtschaftliche Förderung ihrer Mitglieder konzentrieren. Das bedeutet auch, dass sie gemeinwohlfördernde Aktivitäten, die über den Mitgliederkreis hinausgehen und damit Stiftungscharakter haben, nur in einem Umfang betreiben können, der die wesentlichen Eckparameter ihres Hauptgeschäftes nicht in größerem Umfang beeinträchtigt. Sie können solche Aktivitäten nur betreiben unter Zustimmung und über Beschlüsse der Mitgliederversammlung (Generalversammlung bzw. Vertreterversammlung). Sollte die Mehrheit der Mitglieder einer Genossenschaft solche Aktivitäten wollen, ist nach meiner Erfahrung die Gründung einer Stiftung sinnvoll. Dann können die Mitglieder über die Höhe der Finanzierung der Stiftung im Vorwege festlegen, wie viele finanzielle Mittel, die sie ja erwirtschaften, in diesen Teil fließen sollen und die Projektausführenden müssen nicht immer alle Detailprojekte den Mitgliedern zur Abstimmung vorlegen.

(1) Thiemeyer, Theo "Wirtschaftslehre öffentlicher Betriebe", Hamburg, 1975, Seite 30 (Anmerkung Thiemeyer bezieht sich mit dem obigen Zitat auf Gerhard Weisser. Da er aber keine Quelle angibt, konnte ich diese hier nicht zitieren.)

(2) Giebel, Frank, "Vorschlag zur Systematisierung des Untersuchungsgegenstandes der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (ABWL)", Blog: liberal und kooperativ, Oktober 2022

(3) Giebel Frank, "Ein wichtigter Meilenstein für deutsche Wohnungsgenossenschaften auf dem Weg zur vollen Potentialentfaltung der Genossenschaftsidee", Blog: liberal und kooperativ, August 2020

(4) Giebel, Frank "Gewinnorientierung als Zeitgeistsaspekt in der Fachliteratur zur Wohnungswirtschaft", Blog: liberal und kooperativ, Mai 2022

(5) Picker, Christian, "Genossenschaftsidee und Governance", München, 2019. Seite 162

(6) Giebel, Frank, "weitere Fachaussagen zur Abgrenzung von Wohnungsgenossenschaften zu am Gemeinwesen orientierten Unternehmen und von Erwerbsunternehmen", Blog: liberal und kooperativ, Oktober 2022

(7) Boettcher, Erik, "Die Genossenschaft im Verhältnis zu erwerbswirtschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen Unternehmen sowie zur Gemeinnützigkeit", "Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 1984, Heft 2, Seite 91-110

Montag, 2. Januar 2023

Kurzvorstellung Woge Wohnungsgenossenschaftliche Initiative UG (haftungsbeschränkt)

Die Woge Wohnungsgenossenschaftliche Initiative UG (haftungsbeschränkt) wurde im Jahr 2020 von Frank Giebel, Diplom-Betriebswirt (FH), gegründet. Der Firmensitz ist Hamburg.

Die Woge UG bietet traditionellen Baugenossenschaften eine individuelle und bedarfsgerechte Beratung und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Die Entwicklung von Steuerungssystemen im Bereich der Kostenrechnung bildet einen wichtigen Schwerpunkt der Woge. Gemeinsam finden wir optimale Lösungen für Fragen der Kostenrechnung, Preisgestaltung, Unternehmensstrategie, Strategien für Klimaschutz, Mitgliederförderung und Mitgliederbeteiligung.

Die Woge UG steht Wohnungsgenossenschaften als zuverlässiger Partner zur Seite. Der Geschäftsführer Frank Giebel gibt Ihnen gerne weiterführende Informationen und beantwortet Ihre Fragen unter frankgiebel[at]web.de

Weitergehende Informationen zu einigen Themen geben die folgenden Artikel:

Das Potential von Nachhaltigkeit von Wohnungsgenossenschaften 

Sind die Vorteile niedriger Mieten Schweizer Wohnungsgenossenschaften auf deutsche Verhältnisse übertragbar?

Tendenz zur Gewinnmaximierung statt Nutzenmaximierung im wohnungsgenossenschaftlichen Umfeld

Warum die liberale Genossenschaftsidee besser ist als eine vergemeinschaftende/staatliche/sozialistische

Zum Nachhaltigkeits-Potential bedarfswirtschaftlicher Unternehmen, wozu auch Wohnungsgenossenschaften gehören

Unwirtschaftlichkeit von Wohnungsgenossenschaften nach gängiger Praxis (2022) (langer Text)

Kostenmiete und Wohnwertmiete als Preisgestaltungsmodelle für Wohnungsgenossenschaften (langer Text)

Sonntag, 23. Oktober 2022

Wem gehört das Kapital einer Genossenschaft und wie hoch sollten die Rücklagen sein? - kontroverse Ansichten näher beleuchtet

Artikel noch in Arbeit 

 

 

Der Wirtschaftswissenschaftlicher Dieter Schneider erwähnt in einem Aufsatz zur Theoriegeschichte der Betriebswirtschaftslehre [1] beiläufig den Schweizer Wirtschaftswissenschaftlicher Johann Friedrich Schär: In einem Kapitel über die Breiten- und Tiefenwirkung Schmalenbachs zitiert Schneider eine Würdigung Schmalenbachs durch Nicklisch [2] und schreibt: "In der Würdigung von Nicklisch läßt sich zumindest der Vergleich mit Schär nicht halten." (Seite 819). Das liest sich, als hielte Schneider viel von Schär. Da der Artikel von Schneider mich beeindruckte mit seiner Fülle an Kenntnissen, war meine Neugier auf Schär geweckt, selbst wenn ich zentralen Aussagen von Schneiders "Betriebswirtschaftslehre" [3] grundlegend widersprochen habe [4]. Interessant war für mich zu entdecken, dass sich Schär in seinem Grundlagenwerk zur Betriebswirtschaftslehre (damals noch Handelsbetriebslehre genannt) auch mit Genossenschaften beschäftigt hat [5].

Ich will hier dieses Buch beginnen auszuwerten dahingehend, ob sich Änderungen zu meinem bisherigen Wissens- und Aussagenstand zur genossenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre ergeben. Dies ist auch deshalb angebracht, weil Schär in den mir bisher vorliegenden grundlegenden Arbeiten von Henzler [6], Lipfert [7] , Dülfer [8] (Betriebswirte), Beuthien/Klappstein [9] und Picker [10] (Juristen) keine Erwähnung fand. Dies gilt umso mehr, als Schär seine Handelsbetriebslehre als Monographie bezeichnet, sie also - wenn der Anspruch erfüllt wird -  Sekundärliteratur ist und fachwissenschaftlich nicht ignoriert werden sollte. 

1. Wem gehört das Kapital einer Genossenschaft und wie hoch sollten die Rücklagen sein? - kontroverse Ansichten näher beleuchtet

Über "Charakteristika der sozialen Gemeinschaft" schreibt Schär in seiner "Allgemeinen Handelsbetriebslehre": "Grundverschieden von dieser kapitalistischen Konzentration [er meint Aktiengesellschaften] ist die zweite Gruppe, die wir als soziale Koalition bezeichnen, weil hier nicht die auf Erwerb gerichteten, sondern die konsumtiven Wirtschaftskräfte der einzelnen Glieder zusammengeschlossen werden, und diese Einzelglieder nicht in ihrer Eigenschaft als Unternehmer, sondern als Konsumenten der Gemeinschaft beitreten. Auch das Kapital spielt hier eine ganz andere Rolle als dort. Einmal, weil diese wirtschaftliche Kraft nur in zweiter Linie in Betracht fällt, sodann, weil das von den Genossenschaften angesammelte Kapital im Gegensatz zur kapitalistischen Konzentration den Charakter als Privatkapital vollständig verliert, ist es doch nur zum kleinsten Teile von den Mitgliedern direkt aufgebracht, sondern in der Hauptsache von der Wirtschaftsgemeinde nach und nach erspart und als unteilbares, der Gesamtheit gehörendes Genossenschaftskapitals derart tätig, daß sein Ertrag allen Teilnehmern in gleichem Maße zugute kommt; da endlich die Betriebsüberschüsse dieser Konsumgenossenschaften keineswegs durch den Handel erzeugten Gewinn darstellen, sondern vielmehr eine Ersparnis, so wird dieser Betriebsüberschuß nicht nach den kapitalistischen Prinzipien verteilt, sondern jedem Mitglied nach Maßgabe seiner Benutzung der Genossenschaftsanstalten zugeteilt." (Seite 301 ff.)

Es ist richtig, dass Menschen Beschaffungsgenossenschaften, zu denen Verbrauchergenossenschaften, Wohnungsgenossenschaften, Energiegenossenschaften zählen, aus konsumtiven Gründen beitreten. Sie werden aber mit dem Beitritt zu Mitunternehmern, denn die  Genossenschaft ist eine wirtschaftliche Unternehmung. Über die genossenschaftlichen Prinzipien der Selbstverwaltung und Selbstorganisation liegt die unternehmerische Verantwortung bei den Mitgliedern. Nur die Führung des operativen Geschäftes kann sie an die Geschäftsführung delegieren und weitere Aufgaben der strategischen Führung und der Kontrolle an den Aufsichtsrat. Da dieser jedoch von den Mitgliedern gewählt wird, ist es ihre Aufgabe, diese so zu besetzen, dass die Unternehmensziele und der Unternehmenszweck, die Förderung der Wirtschaft der Mitglieder dauerhaft bestmöglich erfüllt wird (siehe am Beispiel von Wohnungsgenossenschaften [11] und [12]). Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat und die Beschlüsse über die Feststellung und Verwendung des Gewinnes nur von den Mitgliedern in der Generalversammlung bzw. bei großen Genossenschaften von deren Vertretern in der Vertreterversammlung gefasst werden können. Es wird zumindest mir nicht ganz klar, was genau Schär in Bezug auf die Kapitalanhäufung in der Genossenschaft meint. Auf der einen Seite schreibt er, dass der Betriebsüberschuß an die Mitglieder nach Maßgabe deren Benutzung der Genossenschaftsanstalten zugeteilt werden soll, dann schreibt er im gleichen Satz, daß es in der Hauptsache von der Wirtschaftsgemeinde nach und nach erspart worden sei und nun unteilbar der Gesamtheit gehören würde als Genossenschaftskapital. Das geht in der Praxis nur über Einstellung von zumindest Teilen des Jahresgewinns in die Rücklagen, also in der Vermehrung des bilanziellen Eigenkapitals der Genossenschaft. 

Die Frage der Unteilbarkeit von Genossenschaftsvermögen war in der Genossenschaftswissenschaft stittig und ist es möglicherweise heute noch. Beuthien/Klappstein [9] kommen 2017 zu folgendem Ergebnis: Ihre Schrift gehe in rechtshistorischer, rechtsvergleichender und eigens genossenschaftsrechtlicher Betrachtung der Frage nach, ob die genossenschaftlichen Rücklagen einen unteilbaren Fonds darstellen und daher nichts davon an die Mitglieder ausgekehrt werden dürfe. Sie zeige auf, dass "die angebliche Unverteilbarkeit der genossenschaftlichen Rücklagen lediglich ein genossenschaftsideologisches, aber gesellschaftsrechtlich unverbindliches Postulat darstellt, das es, immer wo dies not tut, im Interesse der stets bestmöglich zu fördernden Mitglieder zu überwinden gilt."

Was man Schär zu Gute halten kann, ist, dass es tatsächlich Sachverhalte gibt, bei denen es für die Mitgliederförderung langfristig vorteilhaft ist, relativ viel Kapital im Unternehmen aufzubauen. Schärs Erfahrungsschwerpunkt und auch sein Publikationsschwerpunkt bei Genossenschaften liegt auf Konsumgenossenschaften (Lebensmitteleinzelhandel) (siehe [12]) . Hier sind durch hohe Mitgliederzahlen und große Stückzahlen im Einkauf bessere Preise zu erzielen. Es muss also eine gewisse kritische Masse erreicht werden. (Laut Wikipedia ist Schär der Erfinder des break-even-points) Ähnliches gilt wahrscheinlich für Kreditgenossenschaften. Bei Wohnungs- und Energiegenossenschaften gibt es zwar auch economies of scale, aber hier gilt nicht grenzenlos je größer umso kostengünstiger und eine landesweite und sogar naheliegende internationale Expansion als sinnvoll, sondern ab einer gewissen Größe stagnieren die Kostenvorteile über Größenwachstum und es nehmen eher die Gefahren zu, dass der Bezug zu den Mitgliedern und zu den lokalen Verhältnissen verloren geht (siehe zum Beispiel [11] dort insbesondere Boettcher) und diese weniger als möglich gefördert werden. Schär ist wohl der Fehler unterlaufen eine Aussage über eine größere Gruppe von Genossenschaften zu treffen, wo er doch nur Konsumgenossenschaften im Sinne von Einkaufsgemeinschaften für Dinge des täglichen Bedarfs meinte.

Auch Picker [10] sieht den Rücklagenaufbau in Genossenschaften kritisch mit Blick auf die Mitgliederförderung. Er kommt in seiner Habiliation von 2018 "Genossenschaftsidee und Governance" an vielen Stellen zu eindeutigen Ergebnissen. Einige Zitatbeispiele machen dies deutlich.: "Großgenossenschaften sind damit die zentrale Herausforderung für eine gute Corporate Governance. Diese muss die förderwirtschaftliche Mitgliederwidmung der genossenschaftlichen Unternehmung institutionell absichern und damit gewährleisten, dass das rechtsformimmanente Spannungsverhältnis zwischen dem Eigeninteresse der genossenschaftlichen Unternehmung und den Förderinteressen der Mitglieder zugunsten letzterer aufgelöst wird. Nichtmitgliedergeschäft, Unternehmenswachstum und Rücklagenbildung müssen der nutzerbezogenen Mitgliederförderung funktional zu- und untergeordnet sein." (Seite 506), "Entsprechend tritt in Großgenossenschaften der genossenschaftsspezifische Prinzipal-Agent-Konflikt besonders deutlich hervor: Die Mitglieder verhalten sich meist geschäftspoltisch passiv, während der Vorstand über weitgehende Leitungsautonomie verfügt und rechtsformspezifisch dazu neigt, primär den Markterfolg des genossenschaftlichen Unternehmens zu verfolgen, ohne diesen in einen weiteren Fördererfolg für die Mitglieder zu transformieren. Das genossenschaftliche Unternehmen wird durch den Ausbau des Nichtmitgliedergeschäftes unabhängiger von den Mitgliedern als Kunden. Und es wird durch verstärkte Rücklagenbildung unabhängiger von dieses als Kapitaleinleger. Daher besteht die Gefahr, dass Rücklagenbildung, Nichtmitgliedergeschäft und Unternehmenswachstum nicht mehr dazu dienen, das Leistungs- und damit das Förderpotenzial des Unternehmens im Mitgliederinteresse zu erhalten bzw. zu stärken, sondern zweckwidrigen Eigeninteressen des genossenschaftlichen Managements zu dienen, welches so Macht, Einkommen und Prestige zu steigern sucht." (Seite 506), "Heute führt verstärkte Rücklagenbildgung dagegen typischerweise zu einem Konflikt zwischen genossenschaftlichem Unternehmen(sinteresse) und Mitgliederinteresse. Denn viele Großgenossenschaften haben sich mit ihrem Fremdmanagement von ihren Mitgliedern und deren Förderinteressen emanzipiert; Rücklagen bilden hier eine Art stiftungsähnlich verwaltetes Sondervermögen der eG, eine Art Kapital des 'Unternehmens an sich', über welches der Vorstand weisungsfrei verfügen kann und das dem Zugriff der Mitglieder bis zur Auseinandersetzung entzogen ist (§73 Abs. 2 GenG.). Je höher die Rücklagen der Genossenschaft sind, desto unabhängiger ist sie von ihren Mitgliedern und deren Beteiligungskapital." (Seite 325 dort umfangreiche Literaturbelege), "So föderzweckgerecht es ist, auf die 'lebensnotwendigen Eigeninteressen der Genossenschaft als Unternehmnung', also auf die Produktivität des genossenschaftlichen Unterrnehmens als conditio sine qua non für den Fördererfolg zu achten, so förderzweckwidrig ist es, wenn sich dieses als 'Unternehmen an sich' von den Mitgliedern und deren Förderinteressen verselbständigt und von mitgliederfremden und -fernen Kräften determiniert wird." (Seite 287 mit zahlreichen Literaturbelegen).

Die Ausführungen von Picket sind mit in der Praxis ebenfalls begegnet. Mir ist eine Wohnungsgenossenschaft mit über 10.000 Mitgliedern bekannt mit einer für ein wohnungswirtschaftliches Unternehmen völlig untypischen und finanzwirtschaftlich unnötigen Eigenkapitalquote von über 70 Prozent. Das größte deutsche Wohnungsunternehmen, die Vonovia SE hat, zur Zeit, 2021, eine Eigenkapitalquote von 37% [14], die LEG mit 145000 Wohnungen hat 43,5% [15]. Bei einem Neubauvorhaben zogen bei der Erstvermietung weniger als 20% eigene Mitglieder ein und dennoch gestand der Vorstand weder Fehler bei der Einschätzung des Mitgliederbedarfs ein, noch signalisierte er, dass er das künftig besser machen wolle, noch äußerte sich der Aufsichtsrat gegenüber den Mitgliedern auf der Jahresversammlung kritisch zu dieser Fehlallokation von Finanzressourcen der Genossenschaft. 

Sowohl Beuthien/Klappstein als auch Picker machen ihre Aussagen aus der Sicht der Rechtswissenschaft, welche in betriebswirtschaflichen Fragen den Charakter einer Hilfswissenschaft hat und der Betriebswirtschaft nachgeordnet ist (siehe hierzu Gerhard Weisser [16]. Allerdings sollte die Betriebswirtschaft zu vermeiden suchen, dass es zu Widersprüchen mit der Rechtswissenschaft kommt. Ansonsten würde sie diese ja ignorieren. 

Bleibt damit etwas an der Aussage Schärs als Wirtschaftswissenschaftler valide? 

Zum einen ist seine Aussage interessant, dass er das Kapital als erspart ansieht. Da in einer Genossenschaft die Zahlungsflüsse in die Genossenschaft seitens der Mitglieder ja über den Kauf von Produkten und Dienstleistungen kommen, kann er das nur so meinen, dass er den Betriebsgewinn und den Verbleib im Unternehmen statt als Gewinn und Rücklage als gemeinsame Ersparnis auffasst. Die Ersparnis sollte aber bei den Mitgliedern erfolgen über möglichst niedrige Preise (so auch sinngemäß Weisser in [17]. Ein von Schär so verstandener Betriebsgewinn kann also nur eine vorläufige Ersparnis bedeuten, die dann eben über das Instrument der genossenschaftlichen Rückvergütung an die Mitglieder im Verhältnis ihrer Nutzung der Genossenschaft auszukehren ist. (zur genossenschaftlichen Rückvergütung am Beispiel von Wohnungsgenossenschaften siehe [18] ). So ähnlich schreibt das ja auch Schär selbst. Die Aussage bezüglich der Ersparnis findet sich auch bei Geschwandtner [19]:"Die auf diese besondere (Wirtschafts-)Weise entstandenen Überschüsse aus  Mitgliederförderzweckgeschäften sind aber nicht als Gewinne im kapitalistischen Sinne, sondern als Ersparnisse anzusehen. Folglich stehen die Überschüsse aus unternehmensgegenstandsbezogenen Mitgliederförderzweckgeschäften - soweit diese nicht zwingend als Rücklagen oder Investitionen für den Erhalt der Förderfähigkeit im Unternehmen benötigt werden - den Mitgliedern unmittelbar zu und sind an diese auszukehren; letztlich sind sie auch zu deren Lasten erwirtschaftet worden." und "Ein Genossenschaftsvorstand steht ausschließlich im Dienste seiner Mitglieder und ihrer jeweilig definierten Förderbelange. Allein ihnen gilt es bestmöglich gerecht zu werden. Unternehmensziel einer Genossenschaft ist nicht die Maximierung eigenen Gewinns aus Förderzweckgeschäften mit beliebigen Dritten, sondern den allgemeinen Marktpreis für ihre Mitglieder im inneren Markt zu unter- oder zu überbieten."

Interessant ist in diesem Zusammenhang die allgemeine betriebswirtschaftliche Unterscheidung von Ehrenberg zwischen dem "Selbstinteresse des Kapitalgebers und dem Geschäftsinteresse (dem 'Bedürfnis nach Erhaltung und Entwicklung des Unternehmens') [20] Im Falle von Genossenschaften als Mitunternehmer gibt es hier das Selbstinteresse als Nutzer die bestmöglichsten Preise zu bekommen, sein untergeordnetes Interesse an einer gewissen Dividende und das Interesse am Erhalt des Unternehmens. Für Wohnungsgenossenschaften bin ich hier zu folgendem Leitsatz gelangt [21]: "Die Nutzungsentgelte in Wohnungsgenossenschaften sollten so hoch wie nötig und so niedrig wie möglich sein." Bei Rücklagen wäre ich hier tatsächlich etwas vorsichtiger und würde dieses nicht 1:1 so formulieren sondern feststellen, dass die Geschäftsführung durch eine mittelfristige mehrjährige Liquiditätsplanung mit Blick auf die Mitgliederförderung belegen müsste, falls sie mehr Rücklagen aufbauen will, als dies branchenüblich ist, zum Beispiel wenn sie trotz einer Eigenkapitalquote von 50% (oder mehr) mehr als die gesetzliche Rücklage aus dem Jahresgewinn als sonstige Rücklage in das bilanzielle Eigenkapital überführen will bzw. dies den Mitgliedern zur Abstimmung vorschlagen will. Sie ist hier in der Darlegungspflicht. Ein Aufsichsrat sollte eine entsprechende Entscheidungsvorlage in Bezug auf einen Wirtschaftsplan nicht seine Zustimmung erteilen, falls diese Planung fehlt. Und auch die Gerneralversammlung sollte diese einsehen können.

[1] Schneider, Dieter," Schmalenbach und der gesellschaftspolitische Bezug in der Betriebswirtschaftslehre", "Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung", 1979, Band 31, Seite 799-827 , hier Seite 819

[2] Nicklisch, Heinrich, "Eugen Schmalenbach 60 Jahre alt", in: Die Betriebswirtschaft", 1933, Seite 243

[3] Schneider, Dieter, "Grundlagen" in Betriebswirtschaftslehre Band 1, München, 1995

[4] Giebel, Frank, "Einzelkritik: Dieter Schneider, Betriebswirtschaftslehre, Grundlagen  2. Auflage 1995", Blog "liberal und kooperativ", 2022

[5] Schär, Johann Friedrich, "Allgemeine Handelbetriebslehre", 5. erw. Auflage, Leipzig, 1923

[6] Henzler, Reinhold, "Betriebswirtschaftliche Probleme des Genossenschaftswesens" Wiesbaden, 1962

[7] Lipfert, Helmut "Mitgliderförderndes Kooperations- und Konkurrenzmanagement in genossenschaftlichen Systemen" Göttingen, 1986

[8] Dülfer, Eberhard "Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften und vergleichbarer Kooperative", 2. Auflage,  Göttingen, 1995

[9] Beuthien, Volker,  Klappstein, Vera, "Sind genossenschaftliche Rücklagen ein unteilbarer Fonds?" Tübingen, 2018

[10] Picker, Christian, "Genossenschaftsidee und Governance", München, 2019

[11] Giebel, Frank, "weitere Fachaussagen zur Abgrenzung von Wohnungsgenossenschaften zu am Gemeinwesen orientierten Unternehmen und von Erwerbsunternehmen", Blog "liberal und kooperativ", 2022

[12] Giebel Frank, "Kostenmiete oder Wohnwertmiete in Wohnungsgenossenschaften, was sagt die
genossenschaftliche Betriebswirtschaftslehre?" Veröffentlich als pdf link auf Blog "liberal und kooperativ", 2021

[13] Schär, Johann Friedrich, "Genossenschaftliche Reden und Schriften", Basel, 2020

[14] https://www.comdirect.de/inf/aktien/detail/uebersicht.html?SEARCH_REDIRECT=true&REDIRECT_TYPE=WHITELISTED&REFERER=search.general&ID_NOTATION=82908905&SEARCH_VALUE=VONOVIA

[15] https://www.comdirect.de/inf/aktien/detail/uebersicht.html?ID_INSTRUMENT=58320949&SEARCH_REDIRECT=true&REDIRECT_TYPE=SYMBOL&REFERER=search.general&SEARCH_VALUE=LEG&ID_NOTATION=75985458

[16] "Soweit theoretische Grundlegungen erforderlich sind, betreffen sie die wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Grundlagen und nicht die (logisch nachgeordneten) rechtswissenschaftliche Frage, in welcher Weise die zu erörternden Ordnungsgedanken in Rechtsvorschriften verwirklicht werden sollen. In der überaus wichtigen Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftswissenschaftlern (ggf. Soziologen) und Rechtswissenschaftlern hat regelmäßig aus logischen Gründen zunächst der Sozialwissenschaftler und erst dann der Jurist das Wort.", Weisser, Gerhard, "Genossenschaft und Gemeinschaft - Bemerkungen zum 'Kulturellen Optimum' der Genossenschaftsgröße", "Gemeinnütziges Wohnungswesen - Organ des Gesamtverbandes Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen", Dezember 1954, Heft 12, Seite 565-572

[17] "Je niedriger auf Dauer der Preis ist, um so erfolgreicher haben sie gewirtschaftet." Weisser, Gerhard, "Genossenschaft und Gemeinschaft - Bemerkungen zum 'Kulturellen Optimum'
der Genossenschaftsgröße", Gemeinnütziges Wohnungswesen, Organ des Gesamtverbandes
Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, Dezember 1954, Heft 12, Seite 565-572

[18] Hillebrand, Klaus-Peter, "Die genossenschaftliche Rückvergütung als anreizkompatibles Steuerungsinstrumentarium bei Wohnungsgenossenschaften : eine rechtliche und ökonomische Analyse", Berlin, 2008

[19] Geschwandtner, Marcus, "Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft: warum früher, warum
heute?", Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 2009, S. 152-163

[20] Ehrenberg, Richard, "Selbstinteresse und Geschäftsinteresse" in "Thünen-Archiv", 1. Band, 1906, Seite 279-319 hier Seite 293; zitiert nach [1] Fussnote 34 auf Seite 810

[21] Giebel, Frank, "Wohnraum ökologisch besser nutzen in Wohnungsgenossenschaften und anderen
Wohnungsunternehmen", Blog "liberal und kooperativ", 2020