Mittwoch, 29. Juni 2022

Einzelkritik: Dieter Schneider, Betriebswirtschaftslehre, Grundlagen 2. Auflage 1995

Wer sich ernsthaft mit der allgemeinen  BWL befasst, kann die Beiträge von Dieter Schneider als kritischem und eigenständigen Autor nicht ignorieren. Deshalb hier meine Kritik zu seinem Grundlagenbuch zur BWL.

Dieter Schneider empfiehlt "den Untersuchungsbereich der Betriebswirtschaftslehre zu kennzeichnen als Erwerb und Verwendung von Einkommen unter Unsicherheit und ungleich verteiltem Wissem" (S.25). Unter Einkommen versteht Schneider dabei den "Reinvermögenszuwachs während eines Zeitraums" (S.5) und weiter "Einkommen als periodenwiese Änderung des Reinvermögens berechnet sich nach dem Reinvermögen am Ende eines Abrechnungszeitraums abzüglich des Reinvermögens zu Beginn zuzüglich des während dieser Periode Konsumierten." und weiter "Den Begriff des Einkommens beziehen wir stets auf einen Menschen bzw. einen Haushalt, den mehrere Menschen gemeinsam bilden". Wenn also Johanna am 1.1.2022 ein Gesamtvermögen von 250.000 € hatte und am 31.12.2022 ein Gesamtvermögen von 190.000 €, weil ihr Aktiendepot deutlich an Wert verloren hat und sie ihre Einkünfte aus Berufstätigkeit für Miete Urlaub und Lebenshaltung verbraucht hat und die Summe ihres Konsums bei 25.000 € lag, war ihr Einkommen 2022 laut Schneider minus 35.000 €.

190.000 - 250.000 + 25.000 = - 35.000

Während zum Beispiel Wöhe als Erfahrungsobjekt den Betrieb auswählt, der eine Leistung erstellt und absetzt, ist für Schneider eine Leistungserstellung zumindest zunächst unerheblich. 

["Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre", Günter Wöhe , Ulrich Döring, Gerrit Brösel, 27. Auflage, 2020: "Als Betrieb bezeichnet man eine planvoll organisierte Wirtschaftseinheit, in der Produktionsfaktoren kombiniert werden, um Güter und Dienstleistungen herzustellen und abzusetzen", Seite 27]

Schneider geht es um das Einkommen des einzelnen Menschen oder des Haushaltes als Erfahrungsobjekt. Immerhin kommen Unternehmen bei Schneider indirekt ins Spiel, wenn er schreibt: "Das Handeln einzelner Menschen in Märkten, Unternehmungen und weiteren Organisationen (wie Parlamenten, Verbänden) sowie die Regeln für das Handeln des einzelnen und das möglichst konfliktarme Zusammenleben mit anderen bilden den Ausgangstatbestand der Forschung, das Erfahrungsobjekt" [der BWL]. Als Erkenntnisobjekt der BWL sieht Schneider "Gefragt wird nach Begründungen (Erklärungen) dafür, ob und wann dieses Handeln zu voraussichtlich geringeren Abweichungen zwischen beabsichtigter Zielerreichung durch Erwerb und Verwendung von Einkommen und später tatsächlich erreichter führt. Die Betriebswirtschaftslehre im hier verstandenen Sinne erforscht also Institutionen in Form von Ordnungen (Regelsystemen) und Institutionen in Form von Organisationen (Handlungsystemen) daraufhin, ob bzw. wie sie in der Lage sind

(1) Menschen jenes Einkommen erreichen zu lassen, das sie erwerben wollen,

(2) das zu verwirklichen, was sie mit der Verwendung des Einkommens bezwecken, und

(3) inwieweit Institutionen dazu beitragen, die Abweichung zwischen der in einem Planungszeitpunkt beabsichtigten Zielverwirklichung durch Erwerb und Verwendung von Einkommen und der tatsählich später erreichten zu verwirklichen." und weiter "Als sprachliches Kürzel für diese Forschungsaufgaben wird der Name "Verringerung von Einkommensunsicherheiten" übernommen. Verringerung von Einkommenunsicherheiten ist hierbei nicht mehr (nur) als von einzelnen zu bewältigendes Problem zu verstehen, sondern als Leitbild des Forschens für die Bildung betriebswirtschaftlicher Theorien".

Statt also die betriebliche Leistungserstellung in den Mittelpunkt der BWL zu stellen, stellt Schneider Einkommen von Menschen und seine Unsicherheit in den Mittelpunkt. Geht man davon aus, dass Betriebe Teil eines gesellschaftlichen Gefüges sind, konkret einer Marktwirtschaft (liberal, sozial oder ökologisch-sozial) kann es gesellschaftliche Instrumente geben, die Einkommensunsicherheiten abfedern wie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Es fragt sich, ob diese gesellschaftlich gemildeteren Einkommensunsicherheiten nicht schon stark genug sind, um Einkommen als zentralen Ausgangspunkt für eine Betriebswirtschaftslehre nutzlos zu machen. Würde es irgendwann ein bedinungsloses Grundeinkommen für alle geben, müsste das der Schneiderschen BWL sogar vollständig den Boden unter den Füssen wegziehen, weil ja dann ein Großteil dieser Unsicherheit den Akteuren genommen wäre. Müsste, wenn Schneider recht hätte, dies nicht bedeuten, dass jede wirtschaftliche Tätigkeit dann sofort vollständig zum Erliegen käme? 

 Schneider will im übrigen sogar nicht explizit erwerbswirtschaftliche sondern bedarfswirtschaftliche Unternehmen wie zum Beispiel öffentliche Unternehmen allein unter dem Aspekt untersuchen, inwieweit Handelnde (also wohl Mitarbeiter dieser Unternehmen) damit ein sicheres Einkommen erzielen. Das in den angebotenen Produkten ein bestimmter Nutzen steckt und der unter möglichst effizientem Mitteleinsatz erbracht werden soll, ist dann ein Aspekt, der im konkreten Einzelfall eine Rolle spielen kann oder auch nicht. 

Fazit

Als Grundlage einer Theorie der Unternehmung bzw. der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre scheint mir ein solcher Ansatz völlig verfehlt. Er blendet den Kern dessen, was Betriebe machen, aus und ignoriert, dass es bedarfswirtschaftliche Unternehmen gibt (öffentliche Unternehmen, Beschaffungsgenossenschaften und Stiftungsunternehmen), die einen konkreten Zweck haben in einer bestimmten Leistungserstellung, die nichts mit dem möglichen Erwerbseinkommen von angestellten Mitarbeitern zu tun hat.

Ausblick

Warun Schneider diesen extrem weit hergeholten Ansatz gewählt hat, weiss ich nicht. Vielleicht war er auf der Suche nach einem guten Ansatz für eine Theoriebildung. Ich vermute seinem Ansatz lag die Annahme zugrunde, dass Unsicherheiten starke Motivatoren und damit auch "Handlungserklärer" sind. Gerade seine Forschungsfrage (2) halte ich für völlig verfehlt. Ich glaube der Mensch macht primär was ihn interessiert unabhängig davon wie viel Einkommen er damit erwirtschaftet. Dass zum Beispiel soziale Berufe oft schlechter bezahlt sind als Berufe in anderen Branchen kann daran liegen, dass mehr Menschen diese Stellen nachfragen weil sie etwas sinnvolles tun wollen und nicht bereit sind höher bezahlte Stellen, die aber fragwürdig sind, anzunehmen.

Dienstag, 7. Juni 2022

Gedanken zu Horst Albachs "Gutenberg und die Zukunft der Betriebswirtschaftslehre"

 Text in Arbeit noch nicht fertig!

 Horst Albach schreibt in "Gutenberg und die Zukunft der Betriebswirtschaftslehre", 1997, über das Solidaritätsaxiom in der BWL [Betriebswirtschaftslehre] Erich Gutenbergs und dass es sich in der Empirie nicht durchgängig halten lässt. Dabei bedeutet Solidaritätsaxiom laut Albach "Jeder Mitarbeiter im Betrieb verfolgt solidarisch dasselbe Ziel, nämlich das Unternehmensinteresse zu maximieren." [Anmerkung: das Unternehmensinteresse besteht dabei darin, die Unternehmensziele bestmöglich zu erreichen dh. zu maximieren. Unternehmen haben anders als Menschen keinen Selbstzweck. In der Praxis geht diese Unterscheidung mitunter verloren.]  Neue Ansätze der BWL sind laut Albach seitdem entstanden, insbesondere die entscheidungsorientierte, die systemorientierte, die verhaltensorientierte und die handlungsorientierte BWL. Auch die institutionenökonomische BWL wäre hier zu nennen. Albach schreibt zurecht, dass es genauso unrealistisch wäre anzunehmen, dass das Axiom der verhaltensorientierten BWL immer richtig ist, dass Akteure in Unternehmen immer primär ihre eigenen Interessen verfolgen wie es unrealistisch wäre anzunehmen, dass sie primär das Teaminteresse verfolgen. Um aus diesem Bewertungsdilemma herauszukommen, sehe ich folgenden Pfad: Die Frage lässt sich klären bzw. in ein einziges Denksystem integrieren, wenn man versteht, dass in Entscheidungsystemen, in denen Menschen beteiligt sind, es neben der Rationalität auf der Sachebenee , das heist bei der Disposition innerhalb des Unternehmens in den Bereichen Unternehmensplanung und bei den operativen Ebenen Bereitsstellung der Produktionsfaktoren (Einkauf, Finanzierung, Personalwesen), Leistungserstellung, Leisterungsverwertung (Absatz) immer auch um Leitideen, Bewusstheit, Kapazitäten und Kommunikationsakte geht. Meine These ist, dass eine neue BWL, die diese Faktoren integriert ohne ihre Grundlagen zu vernachlässigen, normativ sinnvolle Aussagen treffen kann, die in der Praxis dann auch tatsächlich angewandt werden, soweit der diese neue BWL bekannt ist bzw sie sie an sich heranlässt und sie an den Universitäten gelehrt wird. Auf der Metaebene, also bei der Reflexion der BWL über sich selbst, sollte ihr bewusst sein, dass sie mit der Praxis eine Einheit bildet, eine Welt, und sie sich nicht darin erschöpfen kann, von außen auf ein Erfahrungs- und Erkenntnisobjekt zu blicken, sondern dass sie ein Teil davon ist und sie diese Welt neu gestaltet. Albach schreibt dazu "Man kann eben nicht betriebswirtschaftliche Steuerlehre unterrichten, ohne auch Unternehmen steuerlich zu beraten. Man kann nicht Investitionstheorie lehren, ohne auch in Unternehmen Systeme der Investitionsrechnung einzurichten. Man kann nicht über Führungsorganisation im Unternehmen forschen, ohne an Hauptversammlungen teilzunehmen oder Erfahrungen im Aufsichtsrat von Unternehmen gesammelt zu haben." (Seite 12,13) Bei Albach ist die Relevanz von Bewusstheit bereits angelegt, wie ich unten aufzeigen werde.

 1. Leitideen

In der BWL Gutenbergs sind  Leitideen vorhanden und werden ausreichend weit ausgeführt, allerdings mit dem Fokus auf gewinnmaximierende Unternehmen. Dies ist aber auch ohne weiteres möglich für  bedarfswirtschaftliche Unternehmen wie Genossenschaften, öffentliche Unternehmen und Stiftungsunternehmen über das Nutzenmaximierungskalkül mit Blick auf  die Abnehmer der Produkte oder Dienstleistuungen der jeweiligen bedarfswirtschaftlich konstituierten Unternehmens. Es ist deshalb sinnvoll in die BWL eine 2. Säule einzuführen. Ich habe dazu bereits häufig hier gebloggt.

2. Bewusstheit

Meine These ist, dass sowohl die gute Anwendung einer BWL in der Praxis als auch die Qualität der BWL selbst von der Qualität der Bewusstheit der Protagonisten abhängt. Sehe ich zum Beispiel mich selbst oder andere als ein Mensch an, der nur ganz eng indivduelle Ziele ohne Rücksicht auf andere verfolgt, ist das mein Menschenbild, werde ich eher einer BWL zuneigen, die auf Dauer sich mit Konflikten auch innerhalb von Unternehmen befassen muss. Albach spricht in diesem Zusammenhang von der möglichen Zukunft der BWL als Konfliktlehre. Dann wären zum Beispiel Ansätze wie Mediation in den Werkzeugksten der BWL zu integrieren und es ginge darum standardmässig bei Entscheidungsituationen die möglichen Interessen derjenigen im den Blick zu bekommen, die an der Entscheidung beteiligt sind. [Gute Mediation basiert darauf die Interessen mit den Konfliktparteien herauszuarbeiten, siehe zum Beispiel Silke Freitag, Jens Richter (Hrsg.) Mediation - das Praxisbuch - Denkmodelle, Methoden und Beispiele, Beltz Verlag 2015.] Sehen Protagonisten in Wissenschaft und Praxis bei sich selbst, dass sie sowohl Eigeninteressen haben als auch, dass sie es gut finden, wenn sie etwas für andere tun können, ist das ihr Menschenbild, werden sie mehr dem Solidaritätsaxiom zuneigen und nur am Rande auf mögliche Egoismen von anderen Protogonisten achten. Das scheint mit einer möglichen Zukunft der BWL zu korrespondieren, die Albach als Harmonielehre bezeichnet. Historisch kommen wir im "Westen" von einer individualisierten Selbst- und Fremdwahrnehmung [siehe zB die protestantische Gnadenlehre und ihr Einfluss in der Wirtschaft ausgeführt von Max Weber in "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus", 1904/1905]  Allerdings hat der Historiker Rutger Bregmann in seinem bahnbrechenden Buch "Im Grunde gut" 2020 belegt, dass dies eine falsche Selbst- und Fremdwahrnehmung ist. Im "Osten" war eher ein kollektives Selbstverständnis vorherrschend und dort geht es vielleicht mehr darum, dass sich Menschen bewusst werden, dass sie auch indiviudell das Recht auf freie Entfaltung und eigene Interessen haben. Die bisherige wirtschaftliche Leitidee des Westen zeigt sich vielleicht am deutlichsten in dem Satz von Thomas Jefferson "Every man has the right to persue his own happiness" in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Auch wenn dieser Satz richtig ist, kann man ihn unterschiedlich verstehen. Ein Mensch, der sich als isoliertes Individuum versteht, wird dabei rücksichtsloser vorgehen als ein Mensch , der sich als Individuum und zugleich als Teil eines oder eher viele Kollektive auf unterschiedlichen Aggregationstufen erlebt und sich dieser Ebenen bewusst ist. Das geht bis dahin, dass er sich als Teil des Erdsystems wahrnimmt und deshalb auch Ziele wie Klimaschutz und Artenschutz bei seinen Handlungen berücksichtigt.

Die Frage der Bewusstheit hat auch eine ökologische Dimension. Sind Menschen  noch kollektiv von Mangelerfahrungen geprägt, werden stark wachsende persönliche Konsummöglichkeiten für sie attraktiver sein als für Menschen im Gesellschaften, in denen die Erfahrung zu bekommen, was man braucht, das Normale ist. Menschen schauen dann genauer, was sie brauchen und konsumieren dann möglicherweise weniger aber bewusster, oder sie fokussieren nicht so sehr darauf, noch mehr Geld zu verdienen, noch mehr Rendite zu erwirtschaften, als sie eh schon haben, sondern arbeiten lieber für Unternehmen, die wirklich nachhaltig agieren und investieren lieber in entsprechende Unternehmen oder beteiligen sich lieber an Genossenschaften. Siehe zum Beispiel https://liberalundkooperativ.blogspot.com/2021/02/mehr-zu-marshall-ii-inklusive-einer.html oder auch Binswanger zum Beispiel https://www.metropolis-verlag.de/Die-Wachstumsspirale/956/book.do

Bewusstheit bei Albach

Albach prognostiert, dass die künftige BWL entweder eine Konfliktlehre oder eine Harmonielehre sein wird. Er selbst neigt der Harmonielehre zu, wenn er schreibt "Ich sehe die Zukunft der Betriebswirtschaftslehre in der Entwicklung einer Theorie der Unternehmung, die auf den Prinzipien des Harmoniemodells beruht." (Seite 34). Er gibt aber auch dem Konfliktmodell seine Daseinsberechtigung, wenn er schreibt: "Solange sich Vertrauen und Loyalität noch nicht haben entwickeln können und solange Institutionen außer der Privatautonomie noch nicht entwickelt sind, liefert das Konfliktmodell wichtige Einsichten in die Entwicklung von höheren gesellschaftlichen Institutionen, wie z.B.das römische Recht mit seiner Idee der juristischen Person. Die Vertragstheorie
ist, so gesehen, eine ökonomische Theorie von Einschwingvorgängen." (Seiten 34). Vielleicht kann man sagen, dass über die erfolgreiche Austragung von Konflikten Vertrauen in und Loyaliät zu dem  jeweiligen Unternehmen und der an ihm beteiligten Menschen entsteht. Das ist dann eine hohe Bewusstheit. Das Albachsche Konfliktmodell wäre dann ein Submodell innerhalb des Harmoniemodells. Oder in Beherzigung eines Postulates der Themenzentrierten Interaktion [TZI - eines Konzept zur Arbeit in Gruppen, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Themenzentrierte_Interaktion ] "Störungen haben Vorrang" werden solange Konflikte erfolgreich ausgetragen und Interessen zusammengeführt bis ein hohes Harmonielevel erreicht wird.   

3. Kapazitäten

In einem Interview stellt Miki Kashtan einen Ansatz vor, der in Prozessen bzw. Entscheidungssituationen in Organisationen oder Gesellschaften die Orientierung an Kapazitäten als Alternative zu dem Konzept der Fairness vorstellt. 

https://lesen.oya-online.de/texte/3734-vom-vermoegen-grenzen-zu-wahren-zu-erweitern.html




Montag, 6. Juni 2022

Anmerkungen zu Ralf Antes Habilitationsschrift "Nachhaltigkeit und Betriebswirtschaftslehre"

Rolf Antes Kritik an der herkömmlichen BWL

Antes schreibt auf Seite 26 [Ralf Antes "Nachhaltigkeit und Betriebswirtschaftslehre - Eine wissenschafts- und institutionentheoretische Perspektive, 2014], dass "wirtschaftswissenschaftliche Modellierung mitursächlich für nicht nachhaltiges Wirtschaften zunächst sei, wenn die Wissenschaft normativ, also gestaltungsorientiert betrieben wird und gleichzeitig soziale und ökologische Knappheiten und deren Treiber ausgeblendet werden. Und weiter: "Die Irrelevanz in Gestaltungsempfehlungen präjudiziert [dh. vorwegentscheidet] das Entstehen ebensolcher Knappheiten (negative externe Effekte, soziale Kosten), ob intendiert oder nicht. Es wird in dieser Arbeit deutlich werden, dass dies auf weite Teile der Ökonomik und der Betriebswirtschaftslehre zutrifft".

Hier bin ich skeptisch bzw. es sieht für mich nach einem falschen Ansatz aus bzw. nach einem logisch unzulässigen Umkehrschluss:

Die auf der Mikroökonomie basierende Betriebswirtschaftslehre in der Ausprägung von Gutenberg und dargestellt von Wöhe ist ja angelegt als funktionierend innerhalb einer sozialen Marktwirtschaft. Das heißt die Internalisierung nicht quantifizierter sozialer externe Kosten muss vom gesellschaftlichen Ordnungsrahmen geschaffen werden, zum Beispiel über Kündigungschutzgesetze, Gesetze der Mitbestimmung und über das Aushandeln von Tarifverträgen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Genauso ist es in einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft und in darüber angesiedelten Wirtschaftsräumen eine gesellschaftliche Aufgabe einen entsprechenden Ordnungsrahmen zu schaffen. So müssten weltweit zum Beispiel die Emission von CO2 mit hohen Kosten belegt werden und die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle am sichersten bis 2025 spätestens bis 2035 vollständig verboten werden, wollte man die Erhitzung auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen. [siehe zum Beispiel https://www.sueddeutsche.de/wissen/hochwasserkatastrophe-schaeden-kosten-klimawandel-co2-preis-hurrikan-1.5402770 ] Einer BWL in diesem Sinn vorzuwerfen, dass sie externe Kosten nicht zum Teil ihres eigenen Entscheidungskalküls macht, hiese von ihr etwas zu verlangen was sie so nicht leisten kann. Letztlich wäre damit eine Gewinnmaximierung nicht mehr möglich.

Die überlegende Alternative ist eine ABWL die zwei Säulen hat, die bedarfswirtschaftliche, die auf Gewinnmaximierung verzichtet und die gewinnorientierte erwerbswirtschaftliche, die zwar Gewinnmaximierung betreibt, allerdings sich zu Prinzipien guter Unternehmensführung verpflichtet und selbst fordert, dass sie in einem ökologisch-sozialen Ordnungsrahmen operieren darf und sich auch dafür ausspricht, dass ein solcher global etabliert wird. Barack Obama führte die Idee des "even  playing field", ein ebenerdiges Spielfeldes ein für alle auf dem Markt agierende Unternehmen. [aus Anlass von unfairen Handelspraktiken seitens Chinas zum Beispiel in der state-of-the-union adress von 2012 https://obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2012/01/24/remarks-president-state-union-address ]

Maja Göpel fordert seit längerem eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Ist feststellbar ob ihr Ansatz "The great Mindshift" zu einer auf der Mikroökonomie basierende ABWL kompatibel ist?

https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-319-43766-8

Soweit ich das sehe, schreibt Göpel in diesem Buch nicht innerhalb der ABWL, sondern gibt Anregungen für "Pionierunternehmen" und "Pionierverhalten " von Regierungen. Dies wären dann Aspekte, die zum einen innerhalb der ABWL im bedarfswirtschaftlichen Teil abgedeckt wären (zum Beispiel bei der BWL von Genossenschaften, von öffentlichen Unternehmen und von Stiftungsunternehmen oder aber innerhalb der staatlichen Ordnungsvorgaben einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft.

Ich halte deshalb die konzeptionelle Erweiterung der auf der Mikroökonomik berufende ABWL um eine bedarfswirtschaftliche Komponente weiterhin für ein sinnvolles Unterfangen.

Zusatzfrage:

Macht es Sinn, sich weiter mit dieser klassischen ABWL zu befassen wo doch schon systemische, entscheidungsorientierte und insitutionenökonomisch orientierte Ansätze vorliegen? Ich denke ja. Alle diese drei neueren Ansätze haben ihre Berechtigung und ihren Sinn und sollten bei der Beantwortung von konkreten Fragen hinzugezogen bzw. auf Nützlichkeit abgeklopft werden. Sie können aber die Basisanalyse nicht ersetzen.

Ergänzung:

Argumentiert man von der Empirie her, dass die Ergebnisse des sozialen Ausgleichs der sozialem Marktwirtschaft zu gering seien und die Ergebnisse einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft vermutlich auch zu gering seien werden, und dass dies auch der ABWL anzulasten sei, kann man antworten, dass zum einen dann die ordnungspolitischen Maßnahmen erhöht werden müssen und dies ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess ist und kein Manko der ABWL, und dass zum zweiten bei einem Anstieg des gesellschaftlichen Bewusstsein immer weniger Menschen für gewinnmaximierende Unternehmen arbeiten wollen werden und in sie investieren wollen werden und statt dessen Unternehmen bevorzugen werden, die bedarfswirtschaftlich agieren und von sich aus neben Renditezielen eine ökologische Ausrichtung verfolgen. Das können zum Beispiel Genossenschaften sein, es können aber auch Aktiengesellschaften oder GmbHs sein. Großunternehmen wie Microsoft, die sich das sicher relativ leicht leisten können machen dies bereits aus eigenem Antrieb und werden damit von Seiten ihrer Aktionäre toleriert.

Gibt man sich damit nicht zufrieden, bleibt nur die Aufgabe der Gewerbefreiheit und damit die Staatswirtschaft. Dies halte ich für den falschen Weg.

Nachsatz: 

Das Buch von Antes beginnt im Vorwort mit dem Satz "Institutionen prägen das Verhalten von Menschen". Ich denke tatsächlich, dass sowohl Ideen als auch das Bewusstsein wer man ist, wo man sich befindet und was potentiell möglich ist noch stärker das Verhalten von Menschen prägen kann und auch prägen sollte als man dies Institutionen zubilligt bzw. sie dies praktisch oft tun.