Mittwoch, 28. Juni 2023

kleiner Diskursbeitrag zur genossenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre

2017 erschien im Sammelband  "Transformative Wirtschaftswissenschaft im Kontext nachhaltiger Entwicklung" ein Aufsatz von Johannes Blome-Drees und Burghard Flieger mit dem Titel "Impulsgeber für eine transformative Wirtschaftswissenschaft: Grundsätzliche Überlegungen zu einer Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften". Ich war gespannt, ob die Autoren wie ich einige Jahre später das Nutzenmaximierungskalkül einer bedarfswirtschaftlichen bzw. genossenschaftlichen BWL herausarbeiten würden, siehe mein Artikel von 2020 hier

Dies war nicht der Fall. Während es auf der einen Seite überraschen mag, haben sie doch in einem Artikel von 2021 den grundsätzlichen Aspekt von Bedarfswirtschaft verstanden (sie hatten dafür eine Basis gehabt, da sie mit anderen Autoren Thiemeyer von 1975 zitieren, siehe hier) , weist der Artikel einen Widerspruch auf, der erklären kann, warum die Autoren meinen Vorschlag nicht bereits entdeckt hatten. Dies will ich hier kurz ausführen.

Zur Orientierung hier noch einmal der Ansatz aus meinem oben verlinkten Artikel von 2020:

"Das Auswahlprinzip der BWL ist die Zielsetzung der Nutzenmaximierung für das jeweilige Unternehmen im Rahmen einer guten Unternehmensführung. Dabei gibt es zwei gleichberechtigte Säulen, die letztlich über die Wahl der Unternehmensform vorentschieden wird. Bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen bedeutet dies konkret die langfristige Gewinnmaximierung, bei bedarfswirtschaftlichen Unternehmen die Nutzenmaximierung für die Adressaten der Leistungserstellung. Im Falle von öffentlich-gemeinnützigen oder privat-gemeinnützigen Unternehmen sind dies die Kunden, im Falle von Genossenschaften und wirtschaftlichen Vereinen sind das die Mitglieder.

Dabei ist wahrscheinlich im Fall der Erwerbswirtschaften und der Gewinnmaximierung das Maximalprinzip dominant, da man ein gebendes Reservoir an Mitteln hat und damit ein maximales Ergebnis erzielen will und im Fall von Bedarfswirtschaften das Minimalprinzip, da der Grundbedarf sich relativ konkret ermitteln lässt und man dann versuchen kann diesen mit entweder möglichst wenig öffentlichen Geldern zu erreichen oder im Falle von Genossenschaften dies mit miminalem Aufwand, um den Mitgliedern eine maximale Ersparnis zu ermöglichen."

Zum Maximal- und Minimalprinzip siehe die Erklärung bei Wikipedia

Auf Seite 285 des Sammelbandes schreiben die Autoren richtig: "Genossenschaften wurden und werden bewusst als Gegenmodell zu erwerbswirtschaftlichen Unternehmen geschaffen, deren Gewinnorientierung den Shareholder Value in den Mittelpunkt stellt. Im Zentrum einer Genossenschaft stehen demgegenüber der Mensch und damit besonders auch der Member Value." Wirtschaftliches Handeln in Genossenschaften bedeutet somit im Kern die Maximierung des Wertes der betrieblichen Leistungenserstellung für die Mitglieder der Genossenschaft. Auf Seite 286 schreiben die Autoren dann aber: "Die folgenden Überlegungen sind Ausdruck und Teilaspekt einer Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften , die sich als Management- bzw. Handlungslehre versteht. Die inhaltliche Argumentsationslinie [des Artikels im weiteren Verlauf, Anmerkung von mir] geht auf grundsätzliche Probleme des Managements von Genossenschaften ein. Im Mittelpunkt stehen genossenschaftliche Entwicklungsperspektiven, die anhand unterschiedlicher Sinnmodelle diskutiert werden. Sie nehmen einen breiten Raum ein, um aufzeigen, dass Genossenschaften, auch wenn sie einer anderen Form der Betriebswirtschaftslehre bedürfen, nicht grundsätzlich transformativen Charakter haben. Dieser kann erst bei fortschrittsfähigen Genossenschaften zur Geltung kommen. Entsprechend ist mit den Ausführungen ein Postulat zugunsten fortschrittsfähiger Genossenschaften verbunden, die ihren Sinn nicht auschließlich in der Befriedigung der Mitgliederbedürfnisse und der Sicherstellung ihres eigenen Uberlebens, sondern in der angemessenen Berücksichtigung des Gemeinwohls sehen und damit in besonderem Maße das alternativökonomische und transformative Potential von Genossenschaften widerspiegeln". Dies ist ein krasser Widerspruch. letztlich schreiben die Autoren Genossenschaftzen seien dann "fortschritssfähig", wenn sie das aufgeben was sie in ihrem Kern ausmacht, die Ausrichtung auf die Mitglieder. Wer solche Widersprüche in seiner Logik zulässt, muss sich nicht wundern dass er zu keinen klaren Aussagen kommt. Sollte im Übrigen eine Betribswirtschaftslehre nicht für alle Unternehmen fordern, dass sie im Rahmen guter soziaerl und gesellschaftlich verantwortungsvoller Unternehmensführung agieren? Wäre es nicht für alle Unternehmen langfristig riskant dies nicht zu tun und damit die planetare und die gesellschaftliche Basis für die eigene erfolgreiche wirtschaftliche Tätigkeit zu riskieren? Gute Unternehmensführung ist insoweit nichts spezifisch genossenschaftliches. Spezifisch ist die Fokussierung auf die Mitgliederförderung. Würde dies aber grundsätzlich aufgeben zugunsten einer allgemeinen Gemeinwohlorientierung als Unternehmenszielsetzung würde die Genossenschaft außerdem ihre Grundausrichtung von Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung verlieren, die auch von den Autoren als für Genossenschaften charakteristisch aufgezählt werden. Das Gemeinwohl als Ausrichtung eigent sich viel mehr für kommunale Unternehmen und Stiftungsunternehmen. Hier wird noch einmal deutlich wie wichtig und hilfreich die Unterscheidung von Thiemeyer zwischen gemeinwirtschaftlich und privatwirtschaftlich ist (zu letzerem gehören Genossenschaften), siehe mein Artikel hier

Gesamtgesellschaftlich können Genossenschaften dann am meisten leisten, wenn man sie das machen lässt, was in ihnen angelegt ist im Rahmen guter Unternehmensführung. Gerade weil sie nicht auf Gewinnmaximierung und nicht auf Bedarfsweckung sondern auf Bedarfsdeckung angelegt sind, können sie viel nachhaltiger geführt werden als erwerbswirtschaftliche Unternehmen. Da sie eher Grundbedarfe decken sind sie auch aus sozialen Gesichtspunkten vorteilhaft (mehr dazu siehe zum Beispiel mein Artikel hier). Hinzukommt, dass sie das Potential haben breite Kreise der Bevölkerung wirtschaftlich zu fördern und so den Gegensatz zwischen arm und reich vermindern können.

Wenn die Wirtschaftswissenschaft transformativ sein soll, wäre es gut, wenn sie erst einmal zu weitgehender Klarheit und Widerspruchsfreiheit findet. Vielleicht kann ich mit diesem Diskursbeitrag dazu beitragen. In diese Richtung ging auch mein Vorschlag der Systematisierung der BWL hier. Außerdem wird es nach meiner Einschätzung dann zu mehr Transformation kommen, wenn wir sowohl individuell als auch kollektiv uns bewusster werden, wer wir sind und was es braucht, um hier auf diesem Planeten mit allen anderen Lebewesen bestmöglich auszukommen.

Samstag, 11. März 2023

Ein kommunaler Ansatz zu besserer Nutzung von urbanen Flächen

Eingebettet in einen größeren Zusammenhang leite ich hier her, warum es Sinn macht, Co-Working-Räume und ander Co-Living-Flächen in Städten öffentlich zu betreiben oder zu fördern.

Die neue Bausenatorin von Hamburg, Karen Pein, frühere Mitarbeiterin der Gewoba, eines sehr großen kommunalen Wohnungsunternehmens in Bremen, hat in einem Interview darauf hingewiesen, dass wir bei der Wohnraumnutzung effzienter werden müssen (1). Zu viele Menschen wohnen in Wohnungen, die größer sind als das, was sie real brauchen und andere finden keine Wohnung. Dies gilt insbesondere in Metropolen und Groß- und Mittelstädten. Der Autor Daniel Fuhrhop hat sich ebenfalls ausführlich mit dem Thema beschäftigt und Lösungsvorschläge formuliert (2,3) wie auch ich in meinem Blog (4,5). Gesamtgesellschaftlich ist seit dem Bericht des Club of Rome "Grenzen des Wachstums von 1974" klar, dass wir nicht mehr so weiter wachsen können, sondern dass es planetare Grenzen gibt. Sehr auf dem Punkt wird das sehr anschaulich und dennoch ausreichend komplex erklärt in einer 30-minütigen Arte-Dokumentation (6). Dabei wird deutlich, dass ein betulicher Konservatismus von alten politischen Modellen, sei es von der CDUCSU oder der SPD der Teilhabe an Wachstum und Wohlstand bei aller guten Absicht und bei allem historischen Verdienst unverantwortlich und wesentlicher Teil des Problems sind, wenn man sie einfach fortsetzen will. Dass die politischen Konzepte von FDP und AfD noch schlechter sind bei diesen Fragen, macht es nicht besser. 

Letztlich ist es so, dass wir mit der Qualität unseres kollektiven Bewusstseins die Qualität der Organisation unserer Gemeinwesen bestimmen. Es gilt uns einzugestehen versagt zu haben seit dem Bericht des Club of Rome. 

Was können wir tun? 

Zum einen kann jeder in jeder Sekunde einen kleinen Schritt dahin machen, sein eigenes individuelles Bewusstsein auf einen guten Stand bringen und so zu einem besseren kollektiven Bewusstsein beitragen. Individuell und kollektiv können wir uns für unsere Fehler und Irrtümer verzeihen und uns wieder erinnern, wofür für wir auf der Erde angetreten sind, dass wir hier gemeinsam eine schöne Welt gestalten wollen. Es gilt zu schauen was wir tun können für eine gute Gegenwart und Zukunft.

Wenn Menschen Platz abgeben sollen und andere wenig zur Verfügung haben, kann ein kommunaler Ansatz darin bestehen, attraktive öffentlich zugängliche Räume für wichtige menschliche Lebensbereiche zu schaffen, die bisher viel Raum einnehmen, wenn jeder sie isoliert nutzt. Das sind neben dem Verkehr die Bereiche Wohnen, Arbeiten und Essen. Eigentlich sind wir Menschen Beziehnungswesen und genießen den Austausch mit anderen. Es braucht zwar auch immer Rückzugsmöglichkeiten, aber viele fänden wahrscheinlich weitgehend kostenfreie Co-Working-Bereiche und kostengünstige Co-Eating-Bereiche und Co-Living-Bereiche durchaus attraktiv. Dann könnten einige Büroflächen konsequent in solche neue Co-Living Spaces umgewandelt werden mit kleinen Appartements und Gemeinschaftsflächen.

Wichtig wäre hier, dass man nicht zu groß denkt und zentral eine one-fits-all-Lösung konzipiert, sondern unterschiedliche Flächen anbietet, einige für Co-Working und an anderen Standorten für Co-Eating (siehe als ein Beispiel Amsterdam -> 9) und wieder woanders Co-Living. Denn so findet eine viel bessere Durchmischung mit all den Menschen statt, die nur einen Aspekt für sich nutzen wollen. Außerdem wäre es wichtig sowohl den Planungsprozess als auch den späteren Betrieb partizipativ zu gestalten, eventuell in Form von öffentlich subventionierten Genossenschaften, die demokratisch organisiert sind wie zum Beispiel in der Form der Soziokratie (7). Ich denke nur mit dauerhaft funktionierenden selbstverantwortlichen Betreibermodellen vor Ort lassen sich Probleme wie soziale Einseitigkeiten bzw. Ungleichgewichte in der Nutzung vermeiden und sehr gute Kosten-Nutzen-Relationen erreichen. Letztlich werden solche Projekte von kommunaler Seite wahrscheinlich dann auf den Weg gebracht werden, wenn wichtige Entscheidergruppen ein positives und zugleich realistisches Menschenbild haben oder dazu finden im Sinne Rutger Bregmans Buch "Im Grunde gut" (8).

Quellen:

(1) Zitat Karen Pein in Interview in der Welt online: "Pein: Wenn wir uns den neuen Notfallfonds für Menschen ansehen, die sich ihre Energiekosten nicht mehr leisten können, dann sollten wir damit auch die Frage verbinden, ob Menschen dabei sind, die eigentlich auf zu viel Fläche leben und das gar nicht wollen. Können wir dann nicht parallel auch ein Angebot schaffen, damit die sich verkleinern können und somit ihre Miet- und Energiekosten wieder selbst stemmen können?"

https://www.welt.de/regionales/hamburg/article243700385/Stadtentwicklung-Wir-muessen-mehr-aus-bestehendem-Wohnraum-rausholen.html vom 12.02.2023

(2) Danien Fuhrhop "Einfach anders wohnen", 2019

(3) Daniel Fuhrhop "Verbietet das Bauen", 2020

(4) Frank Giebel "Wohnraum ökologisch besser nutzen in Wohnungsgenossenschaften und anderen Wohnungsunternehmen" Blog liberal und kooperativ, August 2020

(5) Frank Giebel "Kommentar zur aktuellen Wohnungspolitik in Deutschland" Blog liberal und kooperativ, Oktober 2022

(6) Arte Dokumenatation "Brauchen wir Wirtschaftswachstum?" Sendung vom 22.10.2022

(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Soziokratie

(8) Rutger Bregmann "Im Grunde gut - eine neue Geschichte der Menschheit." 2020

(9) Spiegel-Artikel "Gemeinsam essen gegen die Einsamkeit" vom 05.03.2023

Mittwoch, 8. Februar 2023

Neuer Schwung für bedarfswirtschaftliches Wirtschaften

Vorbemerkung

2021 ist ein spannender Artikel in der Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen erschienen (1), in dem die Bedeutung des bedarfswirtschaftlichen Ansatzes nicht nur klar gemacht wurde gegenüber einem gewinnmaximierenden Ansatz, sondern auch konkretisiert wurde. Allerdings wurde ein entscheidender Schritt nicht ausgeführt, den ich hier auf dem Blog bereits gemacht habe, den der Operationalisierbarkeit. Das ist aber gerade die Brücke zur Praxis. Und er kann große Bedeutung erlangen zur Potentialentfaltung bedarfswirtschaftlicher Unternehmen. Auch an anderer Stelle ist dieser Schritt nach meiner Wahrnehmung noch nicht gesehen bzw. gegangen worden, zum Beispiel im Gabler Wirtschaftslexikon (online). Dies werde ich hier näher erläutern.

Dieser Text ist kein wissenschaftlicher Fachartikel, da er keine spezifische fachliche Fragestellung formuliert und nicht auf einer umfassenden Literaturrecherche basiert. Meine "Lösungen" hatte ich bereits in früheren Artikeln vorgestellt, die ich hier zitiere. Einige Literatur wie Texte von Gerhard Weisser wurden von mir nur sehr lückenhaft gelesen. Mein Text teilt Beobachtungen an der Schnittstelle von Soziologie und Wirtschaftswissenschaften. Er ist eine Einladung zum fachlichen Austausch mit Wissenschaftlern und Praktikern und als Mutmacher gedacht, beherzt bedarfswirtschaftlich zu denken und zu handeln in den dafür passenden Unternehmen, wie öffentlich-rechtlichen, Stiftungsunternehmen und Beschaffungs-Genossenschaften.

Rezension "Kooperatives Wirtschaften für das Gemeinwohl in Zivilgesellschaften"

Der Artikel "Kooperatives Wirtschaften für das Gemeinwohl in Zivilgesellschaften" aus der Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen (1) versucht nach eigener Aussage "zehn idealtypische Kernmerkmale" kooperativen Wirtschaftens zu "destillieren". Zum kooperativen Wirtschaften zählt der Artikel den "non-Profit- bzw. Dritten Sektor, das Genossenschaftswesen und das Sozialunternehmertum". Unter Punkt 7 wird Bedarfswirtschaft als wesentliches Merkmal benannt (2).

Nach meiner Meinung korrekt und prägnant wird auf Seite 473 konkretisiert, was Bedarfswirtschaft meint. Ich zitiere etwas ausführlicher: "Kooperatives Wirtschaften zielt auf die Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen ab. Bedarfswirtschaftlich handeln Organisationen, die nicht primär nach Gewinn streben. Bei Ihnen steht die Erstellung von realen oder naturalen Leistungen mit dem Ziel im Vordergrund, Bedarfe ihrer Nutzenden bestmöglich zu befriedigen (Thiemeyer, 1975, Seite 30)".

Wichtig ist hier zum einen die Feststellung, dass der Sinn dieser Unternehmen durch ihre Leistungserstellung für ihre Kunden bzw. Nutzer entsteht, während bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen die Leistungserstellung für Kunden nur Mittel zum Zweck des Gewinns bzw. der Rendite für die Investoren ist. Dieser Produktfokus gilt sowohl bei öffentlichen Unternehmens, bei dem alle Bewohner im Einzugsgebiet des Unternehmens als Kunden in Frage kommen als auch bei Beschaffungs-Genossenschaften, bei denen die Mitglieder die Nutzer sind, die zugleich Miteigentümer und Kapitalgeber sind (anders zum Beispiel Erzeugergenossenschaften/Vermarktungsgenossenschaften die durchaus für ihre Mitglieder gemeinsam erwerbswirtschaftliche Ziele verfolgen). Zum zweiten ist an dem Zitat oben wichtig die Konkretisierung bestmöglich. Dies macht deutlich, dass es hier um eine Optimierungsaufgabe geht, die damit auch grundsätzlich einer Quantifizierung und Messbarkeit offen steht. Damit wird die Unternehmenszielsetzung ähnlich operationalisierbar wie dies mit der Gewinnmaximierung bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen der Fall ist. Ich habe dies zum Beispiel hier (3), (4) bereits erwähnt und operativ am Beispiel möglicher Preispolitiken für Wohnungsgenossenschaften hier (5) durchgespielt aber auch in Bezug auf Bahnunternehmen (6), den öffentlichen Rundfunk (7) und öffentliche Bücherhallen (8) angedacht. Da der Punkt wichtig ist, macht es Sinn, die in (1) genannte Quelle Thiemeyer (9) zu prüfen. In späterer Literatur findet sich der Begriff bestmöglich häufiger in Bezug auf Genossenschaften, Bei mit selbst zum Beispiel (10), (11) bei Hartmut Glenk (13), Markus Gschwandtner (14) und bei Christian Picker (15). Alle drei sind allerdings Juristen und schreiben nicht im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre und deshalb auch nicht zu Fragen der Operationalisierbarkeit. In Bezug auf bedarfswirtschaftliche Unternehmen zog ich die beiden Aspekte Leistungserstellung für Nutzer und bestmögliche Befriedigung zu "Nutzenmaximierung" zusammen (12) als Alternativkalkül des grundlegenden Zieles bedarfswirtschaftlicher Unternehmen gegenüber der Gewinnmaximierung von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen. Thiemeyer schreibt "Bedarfswirtschaftlich disponieren solche Unternehmen, die unter bestimmten, in der Regel die Finanzierungskonzeption betreffenden Nebenbedingungen ein optimale Deckung vorhandener Bedarfe anstreben." Heute würde man/frau oder zumindest ich als weitere Nebenbedingungen gute Unternehmensführung (good Governance) ergänzen, siehe zum Beispiel (10) und (16). Zu schauen ist hier, ob Thiemeyer und ob der obige Artikel mir dahingehend folgen bzw. zeitlich vorausgingen in der Entdeckung, dass die Operationalisierung von so verstandener bedarfswirtschaftlicher Nutzenmaximierung darin liegt, dass bestimmte relativ einfache Grundbedarfe über minimale Kosten optimiert werden sollten (Minimalkostenprinzip). Soweit ich das richtig sehe, folgt Thiemeyer nicht diesem Ideenpfad. Auf Seite 32 schreibt er "Leerformel ist ebenfalls [neben Gemeinwirtschaftlichkeit und öffentlichem Interesse] die "optimale" Bedarfsdeckung. Das passt zu dem Artikel oben, in dem nach Erwähnung von bestmöglich dies nicht weiter genutzt wird zur Konkretisierung. Spannend ist hier, dass Thiemeyer Gerhard Weisser zitiert und auch der obige Artikel Verbindungen zu Weisser aufweisen. Laut Wikipedia hat Thiemeyer bei Weisser Betriebswirtschaft studiert und sich 1968 an der Universität Köln zu Gemeinwirtschaft habilitiert, als Weisser dort Professor für Sozialpolitik und Genossenschaftswesen war. Einer der Autoren von (1), Johannes Blome-Drees, ist Dozent am gleichen Institut und der Schüler und Nachfolger von Weisser, Frank Schulz-Nieswandt ist Herausgeber der Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen und wird im Artikel mehrfach zitiert. Weisser war der Lehrstuhlinhaber für Genossenschaftswesen an der Universität Köln.

In dem Artikel (1) wird das bestmöglich zwar zitiert, aber nicht weiter verwendet und insbesondere keine Operationalisierbarkeit daraus abgeleitet. Als drittes Beispiel sei hier das Gabler Wirtschaftslexikon (online) erwähnt, das zwar keine wissenschaftliche Primärquelle ist aber nachrichtlich doch interessant und unter dem Stichpunkt "gemeinwirtschaftlichen Unternehmen" zu der Bewertung "inhaltlich wenig operationalisierter Begriff" kommt.

Recherche zu Gerhard Weisser

Ich habe geschaut, was Weisser, der von Thiemeyer in (9) zitiert wurde, zu diesem Thema schreibt und ich denke das könnte erhellen, warum er und eventuell auch seine Schüler hier nicht auf die eigentlich leicht erkennbare Operationalisierbarkeit in Form der Anwendung des Minimalkostenprinzips auf die Produktion von relativ leicht standardisierbaren Grundbedarfen gekommen sind. Weisser studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Mit den Jahren versuchte Weisser die Wirtschaftswissenschaft als ein Baustein der Soziologie aufzufassen statt als eigenständige Wissenschaft.

Weisser äußerst sich sehr pessimistisch zu irgend welchen operationalisierbaren weil konkretisierenden Aussagen in diesem Bereich kommen zu können. Er kam sogar zu der abwertenden Bezeichnung "Ökonomismus".(18)  Siehe zum Beispiel sein Artikel "Wirtschaft" im Handbuch für Soziologie (17). Dort erklärt er ausführlich in einem Kapitel "Exkurs über die Möglichkeit  der Messung wirtschaftlicher Erfolge" (Seite 993ff.) seinen Pessimismus der Messbarkeit der wirtschaftlichen Erfolgs für bedarfswirtschaftliche Unternehmen. Er schreibt: "Beispielsweise kann natürlich auch ein bedarfswirtschaftliches Unternehmen nicht auf das für die erwerbswirtschaftlichen Unternehmen entwickelte Rechenwerk verzichten. Nur hat der sich aus diesem Rechenwerk ergebende Saldo [er meint wohl den Gewinn] für das bedarfswirtschaftliche Unternehmen eine andere, und zwar sehr viel geringere Bedeutung. Der institutionelle Sinn schließt ja gerade das Streben nach Gewinnmaximierung aus. Bei ihnen ist also hoher Gewinn, bezogen auf das Hauptmerkmal ihres institutionellen Sinnes ein Zeichen des Mißerfolges. Wir sollten erkennen, daß die Leistungsmöglichkeiten der Methoden quantifizierter Erfolgsanalyse begrenzt sind. Es ist überaus gefährlich für die Kultur der Gesellschaft, wenn sie überschätzt werden. Schlechthin "den" Erfolg zu messen, dürfte sowohl im volkswirtschaftlichen wie im einzelwirtschaftlichen Bereich unmöglich sein."

Weisser erkennt zwar richtig, dass hohe Gewinne bei bedarfswirtschaftlichen Unternehmen letztlich Misserfolg bedeuten, weil zu hohe Gewinne entweder das Unternehmensinteresse über das der Nutzer stellt, wenn über Gebühr Reserven im Unternehmen aufgebaut werden, oder die  Kommune oder der Staat als Träger Gewinne aus dem Unternehmen erhält, das eigentlich zum Wohl der Nutzer arbeiten sollte. Beides verletzt das Wirtschaftslichkeits- bzw. Effizienzprinzip. Es wurden zu viele Mittel aufgewandt zu Erreichung eines bestimmten Nutzens aus Nutzersicht oder die Mittel werden zweckentfremndet. Aber er schüttet gleich das Kind mit dem Bade aus und vermutet, dass gar keine alternative Erfolgsmessung [Nutzenmaximierung] möglich ist bzw. dieses Ziel nicht operationalisierbar über Quantifizierbarkeit ist. 

Denn er schreibt weiter: "Suchen wir zu einem Urteil über die gesamte Leistung einer Betätigung im Wirtschaftsleben innerhalb einer bestimmten Frist zu gelangen, so handelt es sich um nichts anderes, als daß wir Grade der Zufriedenheit ausdrücken wollen. Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit ergibt sich aber als Erlebnis: und zwar in dem wir unbewußt oder bewußt das Geschehene zum Sinn unseren Lebens oder zu dem Sinn des Lebens derjenigen Personenkreise, denen die Leistung gewidmet ist, in Beziehung setzen. Was wir also als Sinn empfinden, erfassen wir als Gegenstand einheitlicher Bewertungsakte. Ob wir uns diesem Leitbild annähern oder ob wir uns von ihm entfernen, wird als Erlebnis bewusst. Wollten wir hier messen, so müßten wir hier wirklich alle positiven und negativen Interessen, aus denen sich das Leitbild ergibt, nicht nur nach ihrem Inhalt, sondern auch in ihrer Stärke quantitativ bestimmen und eine Summe aus ihnen bilden und diese Summe mit dem ebenso ermitteln tatsächlich Erreichten vergleichen können. Das dürfte unerreichbar sein."

Ich weiß nicht, ob Weisser hier seine Erfahrungen aus der Politik - er war Mitglied der SPD und gilt laut Wikipedia als einer der Gründerväter des Godesberger Programms - in die Quere gekommen sind, weil in Parteien ständig vielfältige Interessen und Themen vorgebracht werden, sodass man ohne einen Kompass leicht zu dem Schluss kommen kann, dass sie zahllos und nicht systematisierbar und priorisierbar sind und jeder zu anderen Präferenzen kommt. Letztlich kapituliert Weisser vor einer von ihm wahrgenommen Komplexität. Diese ist faktisch so aber gar nicht vorhanden. Schon Goethe lässt den Stadtpfarrer in Hermann und Dorothea sagen: "Vieles wünscht sich der Mensch, und doch bedarf er nur wenig" (ausführlich hier) So richtig es ist im Bereich Wirtschaftspsychologie in Interessen zu denken (siehe zum Beispiel die Herausarbeitung der Bedeutung von Interessen und Bedürfnissen zweier Konfliktparteien in der Mediationsmethode (19), so unnötig komplex und diffus kann es werden, wenn man kein Instrument an der Hand hat, wirtschaftlich relevante Bedürfnisse und Bedarfe zu ordnen. Die Ausführungen Weissers (17) und evtl. auch die Thieymeyers (9) lassen vermuten, dass ihnen die Maslowsche Bedürfnispyramide nicht bekannt war und auch nicht die Lebensweisheit Goethes.  Oder sie haben deren Relevanz für die bedarfswirtschaftliche Betriebswirtschaftslehre nicht erkannt. Maslow veröffentliche laut Wikipedia sein erstes Modell 1943, ausführlicher aber erst 1954 und posthum 1971. Weisser dürfte es 1956 evtl. noch nicht bekannt gewesen sein. Weisser führt Maslow jedenfalls in seinem Literaturverzeichnis oben im Bereich Wirtschaftspsychologie nicht auf und auch Thiemeyer erwähnt ihn in seinem Literaturverzeichnis nicht. Zu Weisser ist allerdings zu ergänzen, dass er in einer anderen Arbeit ebenfalls aus dem Jahr 1956 sehr wohl eine positive Aussage (in diesem Fall zu Genossenschaften) gemacht hat dahingehend, dass er einer Quantifizierung in Unternehmen in Bezug auf den Erfolg des Unternehmens eine Relevanz zuspricht, und zwar in Bezug auf die Minimierung der Produktpreise. Ich hatte Weisser dazu in meiner Arbeit über die Wohnwertmiete und die Kostenmiete in Wohnungsgenossenschaften (5) wie folgt zitiert: "Je niedriger auf Dauer der Preis ist, um so erfolgreicher haben sie gewirtschaftet." (Weisser, 1956. S.565) (20). Meine Sichtweise in diesem Bereich ist, dass eine Arbeitsteilung zwischen bedarfswirtschaftlichen und erwerbswirtschaftlichen Unternehmen unternehmensmorphologisch (d.h. von der jeweiligen Veranlagung und ihrem Potential der jeweiligen Rechtsform her betrachtet) insoweit Sinn macht, dass bedarfswirtschaftliche Unternehmen, die wenigen relativ einheitlichen Grundbedarfe abdecken und erwerbswirtschaftlichen Unternehmen die höheren Ebenen der Bedürfnispyramide überlassen [was nicht heißt, dass nicht auch erwerbswirtschaftliche Unternehmen als preiswerte Massenhersteller bei der Deckung von Grundbedarfen erfolgreich tätig sein können, siehe zum Beispiel Lidl, Aldi (Lebenmitteldiscounter), Deichmann (Schuhe), Ikea (Möbel)]. Ich hatte dies allgemein bedarfswirtschaftlich formuliert hier (21).

Ich denke grundsätzlich hat Weisser recht, die Wirtschaftswissenschaften als Teil der Sozialwissenschaften zu verstehen. Aber man muss dann aufpassen, dass man Aussagen der Wirtschaftswissenschaften nicht voreilig verwirft. Aussagen der Betriebswirtschaft zu Nutzenmaximierung und Gewinnmaximierung sind nicht absolut zu sehen sondern können Sinn machen in einem Ordnungsrahmen einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft und unter der Prämisse guter weil sozial und ökologisch verantwortlicher Unternehmensführung. Letztlich geht es hier auch um das Menschenbild, der Menschen, die zu dem Thema Aussagen machen, und damit um Selbstreflektion. Bin ich hier pessimistisch, komme ich vermutlich nicht weit. Glaube ich, alle sind Egoisten, werde ich kaum einer liberalen Wirtschaftsordnung etwas zutrauen, auch nicht einer ökologisch-sozialen. Mitunter handeln Menschen nicht primär egoistisch sondern opportunistisch (siehe zum Beispiel das Prinzipal-Agenten-Dilemma, (21)). Und in der Regel haben Menschen sowohl ein Blick für eigene Ziele als auch für das große Ganze. Jeder, der das nicht glaubt, sollte sich zumindest ernsthaft mit den empirischen Belegen von Rutger Bregmann für ein im Grundsatz positives Menschenbild auseinandersetzen (und mit dem medialen Bias für schlechte Nachrichten (aufgrund von aufmerksamkeitsökonomischen Effekten), der ein negatives Menschenbild entstehen lassen kann)(22).

(1) "Kooperatives Wirtschaften für das Gemeinwohl in Zivilgesellschaften" , Johannes Blome-Drees, Philipp Degens, Burghard Flieger, Lukas Papschie, Christian Lautermann, Joscha Moldenhauer, Jonas, Pentzien, Carla Young, Zeitschrift für Gemeinwirtschaft und Gemeinwohl (Z'GuG) , 2021, Heft 4 Seite 455-485 

(2) in (1) Seite 455 / Abstract 

(3) Giebel, Frank, "verblüffende Erkennntis gefunden bei Max Weber", Blog liberal und kooperativ, Oktober 2020

(4) Giebel, Frank, "Warum die liberale Genossenschaftsidee besser ist als eine vergemeinschaftende/staatliche/sozialistische", Blog liberal und kooperativ, Juni 2012

(5) Giebel, Frank, "Kostenmiete oder Wohnwertmiete in Wohnungsgenossenschaften, was sagt die
genossenschaftliche Betriebswirtschaftslehre?"
, Blog liberal und kooperativ, Februar 2021

(6) Giebel, Frank,  "Das zwei-Klassen-System von staatlichen Bahnunternehmen wie der Deutschen Bahn ist nicht mehr zeitgemäß" , Blog liberal und kooperativ, Oktober 2021

(7) Giebel, Frank, "Dem öffentlichen Rundfunk würde eine bedarfswirtschaftliche Ausrichtung helfen", Blog liberal und kooperativ, Oktober 2021

(8) Giebel, Frank,"Verbesserungsvorschlag an den Stiftungsrat der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen" , Blog liberal und kooperativ, Oktober 2021

(9) Thiemeyer, Theo "Wirtschaftslehre öffentlicher Betriebe", Hamburg, 1975, Seite 30

(10) Giebel, Frank, "Hamburger Erklärung" Blog Blog: liberal und kooperativ, März 2019

(11) Giebel, Frank, "Vorschlag zur Systematisierung des Untersuchungsgegenstandes der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (ABWL)", Blog Blog: liberal und kooperativ, Oktober 2022

(12) Giebel Frank, "weitere Fachaussagen zur Abgrenzung von Wohnungsgenossenschaften zu am Gemeinwesen orientierten Unternehmen und von Erwerbsunternehmen", Blog: liberal und kooperativ, Oktober 2022

(13) Glenk, Hartmut "Einführung" in: "Genossenschaftsrecht u.a. mit Genossenschaftsgesetz, Wohnungsgenossenschafts-Vermögensgesetz, Umwandlungsgesetz (Auszug) Landwirtschaftsanpassungsgesetz Genossenschaftsregisterverordnung" München, 2013, 5. Auflage, IX-XXXIX, Seite X

(14)  Geschwandtner, Marcus, "Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft: warum früher, warum
heute?", Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 2009, S. 152-163

(15) Picker, Christian, "Genossenschaftsidee und Governance", München, 2019, Seite 119 und Seite 264 

(16) Giebel, Frank, " Für Genossenschaftsmitglieder lohnt ein Blick über den Tellerrand: credit unions in den USA", Blog Blog: liberal und kooperativ, Dezember 2019, 2. Absatz

(17) Weisser, Gerhard, "Wirtschaft", in "Handbuch der Soziologie", Ziegenfuss, Werner (Hrsg.), Seite 970-1101, Stuttgart, 1956, "2. Band

(18) ich bin mir nicht sicher, ob Weiser das ökonomische Prinzip als sinnvolles Ordnungsprinzip bzw. normativen Leitgedanken für Wirtschaftsunternehmen grundsätzlich ablehnt. Er schreibt zu Ökonomismus: "damit ist die Ansicht gemeint, daß es eine selbständige Sphäre des "Wirtschaftlichen"  neben der Sphäre des "Sozialen" und "Kulturellen" geben könne." (in (16) Seite 974. 

(19) Freitag, Silke, Richter, Jens "Mediation, das Praxisbuch, Denkmdoelle, Methoden und Beispiele", 2015, Weinheim, dort "Der Doppeleisberg der Konfliktanalyse" Seite 29f.

(20) Weisser, Gerhard, "Genossenschaft und Gemeinschaft - Bemerkungen zum 'Kulturellen Optimum'
der Genossenschaftsgröße", Gemeinnütziges Wohnungswesen Organ des Gesamtverbandes
Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, Dezember 1954, Heft 12, Seite Blog565-572, dort Seite 565

(21) Giebel, Frank "Opportunismus in der Wirtschaftswissenschaft und darüber hinaus", Blog liberal und kooperativ, Februar 2021

(22) Bregmann, Rutger, "Im Grund gut, eine neue Geschichte der Menschheit", Hamburg, 5. Auflage 2020

Dienstag, 24. Januar 2023

Begriffsklärung Gemeinwirtschaftlichkeit und Gemeinnützigkeit am Beispiel von Wohnungsgenossenschaften

In der Praxis gibt es in Deutschland zahlreiche Wohnungsgenossenschaften, die in ihrem Namen den Zusatz gemeinnützig tragen. Da Genossenschaften in Deutschland durch das Genossenschaftsgesetz auf den Zweck der Förderung ihrer Mitglieder festgelegt sind, ergibt sich die Frage, ob dies nicht ein Widerspruch ist bzw. wie dieser Widerspruch ggbf. aufgelöst werden kann. Die Frage stellt sich in dem weiteren Kontext, dass es derzeit viel Unzufriedenheit mit unserem Wirtschaftssystem gibt und vielfältig nach Alternativen gesucht wird, sowohl in der Wissenschaft  (z.B. Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen) als auch in der Populärkultur (z.B. Gemeinwohlökonomie mit Gemeinwohlbilanzierung oder der Übersichtsartikel im Spiegel vom 30.12.2022 "Hatte Marx doch recht? Warum der Kapitalismus so nicht mehr funktioniert - und wie er sich erneuern lässt").

Deshalb ist zu klären, wo hier Genossenschaften stehen und was das für ihre Möglichkeiten der Unternehmensführung bedeutet. Dies werde ich hier am Beispiel von Wohnungsgenossenschaften tun, die in ihrem Namen das Wort gemeinnützig haben.

Ich schreibe dabei im Rahmen der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft, die ich als Teil der Wirtschaftswissenschaften und diese widerrum als Teil der Sozialwissenschaften verstehe. Ich orientiere mich dabei am Leitfaden für gute wissenschaftliche Praxis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Für das Verständis, dass Ausführungen mitunter etwas länger weil genau sein müssen, danke ich den Lesenden.

Was bedeutet Gemeinwirtschaft? 

Theo Thiemeyer (1) macht die folgende Unterscheidung: "...verstehen wir unter privatwirtschaftlichen Unternehmen solche, die im Interesse ihrer privaten Träger tätig werden sollen. Gemeinwirtschaftliche Unternehmen sind dagegen solche Unternehmen, die im öffentlichen Interesse oder im Interesse einer übergeordneten Gesamtheit tätig werden." Danach sind Genossenschaften keine gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, da ihr Zweck die  Förderung ihrer Mitglieder ist, bei Wohnungsgenossenschaften über die Bereitstellung von Wohnungen zu einem bestimmtem Nutzungsentgelt. Thiemeyer erläutert das weiter, indem er schreibt: "Zu trennen von dem Begriffspaar privatwirtschaftlich - gemeinwirtschaftlich ist das Begriffspaar erwerbswirtschaftlich und bedarfswirtschaftlich. Erwerbswirtschaftlich sind solche Unternehmen, die in verschiedenen Intensitätsgraden Gewinne erzielen sollen. Bedarfswirtschaftlich disponieren solche Unternehmen, die unter bestimmten, in der Regel die Finanzierungskonzeption betreffenden Nebenbedingungen eine optimale Deckung vorhandener Bedarfe anstreben". Ich stimme Thiemeyer hier weitgehend zu und habe diese Unterscheidung ausgebaut in die Unterscheidung von erwerbswirtschaftlicher Gewinnmaximierung und bedarfswirtschaftlicher Nutzenmaximierung, siehe zum Beispiel hier (2). Danach sind Wohnungsgenossenschaften wie auch Konsumgenossenschaften und Energieerzeugergenossenschaften privatwirtschaftliche, bedarfswirtschaftliche Unternehmen. 

Einschub - Was bedeutet das für die Unternehmenspolitik?

Die letzte Feststellung ist keine Selbstverständlichkeit. Dass Wohnungsgenossenschaften mitunter unter Druck geraten sowohl von politischer Seite gemeinwirtschaftlich zu agieren als auch - erstaunlicherweise - von Verbandsseite, erwerbswirtschaftlich zu agieren, hatte ich an anderer Stelle aufgezeigt (3), (4). Kritischer und auch pauschaler als ich kommt Christian Picker in Bezug auf Genossenschaften auf den gleichen Punkt. Er schreibt: "Zunehmend ist eine Diskrepanz zwischen genossenschaftlicher Idee und Wirklichkeit, zwischen Rechtstyp und Rechtsform "Genossenschaft" zu beobachten. Dabei drohen Genossenschaften zum einen zu Erwerbswirtschaften zu degenerieren. Hier schwindet der Einfluss der Mitglieder auf die (Förder-)Geschäftspolitik....Zum anderen besteht die Gefahr, dass die Genossenschaften zu gemeinnützigen "Wohltätigkeitsveranstaltungen" verkommen und vom Staat für die Bewältigung gesellschaftspolitischer Anliegen in Anspruch genommen werden." (5). Siehe auch mein früherer Artikel zum dem Thema (6). 

Fortsetzung zur Bedeutung von Gemeinwirtschaft

Insoweit unterscheide ich mich von Thiemeyers Aussage nur dahingehend, dass ich den Maximierungscharakter und damit das Kalkülpotential d.h. das Berechnungspotential in der Zielsetzung mehr betone und nicht so sehr relativiere wie er mit seiner Formulierung der "verschiedenen Intensitätsgrade" in Bezug auf erwerbswirtschaftliche Unternehmen. Außerdem sind unter den Nebenbedingungen nach meinem Dafürhalten auch die Grundsätze guter Unternehmensführung und eine nachhaltige Ausrichtung der Unternehmenspolitik wichtig.  

Erik Boettcher (7) unterscheidet zwischen Privatwirtschaft, Gemeinwirtschaft und Staatswirtschaft. Unter Privatwirtschaft versteht er alle Unternehmen, die zum Zweck die Förderung der Träger des Unternehmens haben, bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmungen über die Gewinnerzielung an Märkten und bei förderungswirtschaflichen Unternehmen (Genossenschaften) über die Förderung ihrer Mitglieder. Gemeinwirtschaftliche Unternehmen sind für ihn solche, die Dritte fördern während zur Staatswirtschaften für ihn öffentliche Unternehmen gehören, die alle Bürger fördern. Ich halte die Unterscheidung Thiemeyers für besser, da sie einfacher ist und zwischen den Kategorien Boettchers Gemeinwirtschaft und Staatswirtschaft ja gar kein Unterscheid besteht in Bezug auf die Adressaten der Förderung. Letzlich kommen ja grundsätzlich alle Mitglieder eines Gemeinwesens als potentiell Förderbare in beiden Fällen in Frage. Zur Frage der Einordnung der Genossenschaften als nicht-gemeinwirtschaftlich sondern als privatwirtschaftlich sind sich Thiemeyer und Boetcher einig. 

Was bedeutet gemeinnützig ?

Wenn Genossenschaften nicht gemeinwirtschaftlich sind sondern privatwirtschaftlich, können sie dann gemeinnützig sein? Boettcher bejaht dies und erläutert dies ausführlich. Boettcher schreibt dass "...einer Genossenschaft, der staatlicherseits die Gemeinnützigkeit zuerkannt wurde, im Grunde nur bescheinigt werden kann, daß sie in Verfolgung ihres gesetzlichen Förderungsauftrages (§ 1GenG) für ihre Mitglieder Leistungen erbringt, für die sonst der Staat sorgen müßte und die er daher als dem Gemeinwohl dienend als förderungswürdig ansieht. Während also Genossenschaft und Gemeinwirtschaft nach der jeweils zu fördernden Gruppe zu unterscheiden sind, kommt es, wie noch deutlicher zu zeigen sein wird, bei der Gemeinnützigkeit allein darauf an, ob die Eigen- oder Fremdförderung den Staat in seinen Pflichtaufgaben entlastet oder ergänzt - Pflichtaufgaben, zu denen auch die Unterstützung besonders förderungswürdiger Personengruppen gehören kann". (Boettcher, Seite 98) 

Was bedeutet das für die Unternehmenspolitik von gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaften heute?

Wohnungsgenossenschaften mussten bestimmte Auflagen erfüllen, um nach dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz von Gewinnsteuern befreit zu sein. Einige namen deshalb den Begriff gemeinnützig in ihre Firma, den Handelsnamen der Genossenschaften, auf. Als das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz Ende 1989 aufgehoben wurde und eine Steuerbefreiung für alle Vermietungsgenossenschaften weiter möglich war, bestand keine Notwendigkeit einen vertrauten Namen zu ändern. Folgt man Boettcher, hat der Begriff gemeinnützig keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik von Genossenschaften dahingehend, dass er ihren Förderungscharakter und ihre Förderungsverpflichtung gegenüber den Mitgliedern abgeschwächt hätte sondern nur Bestätigungscharakter. Deshalb kann auch eine freiwillige Fortführung dieses Namensteiles nicht dazu führen, dass diese Förderungsausrichtung auf die Mitglieder abgeschwächt oder gemeinwirtschaflich uminterpretiert wird. Damit können sich Genossenschaften gut gegenüber möglichen Vereinnamungs- bzw. Instrumentalisierungsversuchen von wohnungspolitischen Interessensgruppen wehren. Boettcher schreibt: "Sehen wir die Gemeinnützigkeit in dem obigen Sinne, so kann ihre Zuerkennung nicht bedeuten, daß der Staat durch sie unternehmenspolitische Ziele zu verändern trachtet oder in sie einzugreifen versucht. Genossenschaften und Gemeinwirtschaften bleiben also - auch solche, die aus Sicht des Staates als gemeinnützig gelten - das, was sie auch vorher schon waren, das heißt, ihren ursprünglichen Zielen verpflichtet. Sie werden durch die Zuerkennung der Gemeinnützigkeit nicht verändert, sondern nur bestätigt." (Boettcher, S.108)

Das bedeutet auch Wohnungsgenossenschaften, die gemeinnützig in ihren Namen tragen, können sich im Rahmen verantwortlicher Unternehmensführung auf die wirtschaftliche Förderung ihrer Mitglieder konzentrieren. Das bedeutet auch, dass sie gemeinwohlfördernde Aktivitäten, die über den Mitgliederkreis hinausgehen und damit Stiftungscharakter haben, nur in einem Umfang betreiben können, der die wesentlichen Eckparameter ihres Hauptgeschäftes nicht in größerem Umfang beeinträchtigt. Sie können solche Aktivitäten nur betreiben unter Zustimmung und über Beschlüsse der Mitgliederversammlung (Generalversammlung bzw. Vertreterversammlung). Sollte die Mehrheit der Mitglieder einer Genossenschaft solche Aktivitäten wollen, ist nach meiner Erfahrung die Gründung einer Stiftung sinnvoll. Dann können die Mitglieder über die Höhe der Finanzierung der Stiftung im Vorwege festlegen, wie viele finanzielle Mittel, die sie ja erwirtschaften, in diesen Teil fließen sollen und die Projektausführenden müssen nicht immer alle Detailprojekte den Mitgliedern zur Abstimmung vorlegen.

(1) Thiemeyer, Theo "Wirtschaftslehre öffentlicher Betriebe", Hamburg, 1975, Seite 30 (Anmerkung Thiemeyer bezieht sich mit dem obigen Zitat auf Gerhard Weisser. Da er aber keine Quelle angibt, konnte ich diese hier nicht zitieren.)

(2) Giebel, Frank, "Vorschlag zur Systematisierung des Untersuchungsgegenstandes der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (ABWL)", Blog: liberal und kooperativ, Oktober 2022

(3) Giebel Frank, "Ein wichtigter Meilenstein für deutsche Wohnungsgenossenschaften auf dem Weg zur vollen Potentialentfaltung der Genossenschaftsidee", Blog: liberal und kooperativ, August 2020

(4) Giebel, Frank "Gewinnorientierung als Zeitgeistsaspekt in der Fachliteratur zur Wohnungswirtschaft", Blog: liberal und kooperativ, Mai 2022

(5) Picker, Christian, "Genossenschaftsidee und Governance", München, 2019. Seite 162

(6) Giebel, Frank, "weitere Fachaussagen zur Abgrenzung von Wohnungsgenossenschaften zu am Gemeinwesen orientierten Unternehmen und von Erwerbsunternehmen", Blog: liberal und kooperativ, Oktober 2022

(7) Boettcher, Erik, "Die Genossenschaft im Verhältnis zu erwerbswirtschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen Unternehmen sowie zur Gemeinnützigkeit", "Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 1984, Heft 2, Seite 91-110

Montag, 2. Januar 2023

Kurzvorstellung Woge Wohnungsgenossenschaftliche Initiative UG (haftungsbeschränkt)

Die Woge Wohnungsgenossenschaftliche Initiative UG (haftungsbeschränkt) wurde im Jahr 2020 von Frank Giebel, Diplom-Betriebswirt (FH), gegründet. Der Firmensitz ist Hamburg.

Die Woge UG bietet traditionellen Baugenossenschaften eine individuelle und bedarfsgerechte Beratung und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Die Entwicklung von Steuerungssystemen im Bereich der Kostenrechnung bildet einen wichtigen Schwerpunkt der Woge. Gemeinsam finden wir optimale Lösungen für Fragen der Kostenrechnung, Preisgestaltung, Unternehmensstrategie, Strategien für Klimaschutz, Mitgliederförderung und Mitgliederbeteiligung.

Die Woge UG steht Wohnungsgenossenschaften als zuverlässiger Partner zur Seite. Der Geschäftsführer Frank Giebel gibt Ihnen gerne weiterführende Informationen und beantwortet Ihre Fragen unter frankgiebel[at]web.de

Weitergehende Informationen zu einigen Themen geben die folgenden Artikel:

Das Potential von Nachhaltigkeit von Wohnungsgenossenschaften 

Sind die Vorteile niedriger Mieten Schweizer Wohnungsgenossenschaften auf deutsche Verhältnisse übertragbar?

Tendenz zur Gewinnmaximierung statt Nutzenmaximierung im wohnungsgenossenschaftlichen Umfeld

Warum die liberale Genossenschaftsidee besser ist als eine vergemeinschaftende/staatliche/sozialistische

Zum Nachhaltigkeits-Potential bedarfswirtschaftlicher Unternehmen, wozu auch Wohnungsgenossenschaften gehören

Unwirtschaftlichkeit von Wohnungsgenossenschaften nach gängiger Praxis (2022) (langer Text)

Kostenmiete und Wohnwertmiete als Preisgestaltungsmodelle für Wohnungsgenossenschaften (langer Text)